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FDP-Politikerin Katja Suding: Einigen Politikern "macht der Streit einfach Spaß"


FDP-Politikerin Suding über Ausstieg
"Ich habe mich als Mensch schlecht gefühlt"

InterviewVon Lisa Becke und Tim Kummert

Aktualisiert am 22.12.2021Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Katja Suding im Interview: "Nein, ich bereue nichts."Vergrößern des Bildes
Katja Suding im Interview: "Nein, ich bereue nichts." (Quelle: Thomas Ebert für t-online)

Katja Suding wäre wohl jetzt Ministerin für die FDP – hätte sie nicht ihren Rücktritt verkündet. Ein Gespräch über Intrigen, Laberverbote und die Frage, welche Politiker nach oben kommen.

Sie sieht entspannt aus, wie sie da am massiven Holztisch sitzt. Es ist ein trüber Dezembervormittag, als Katja Suding die t-online-Redakteure trifft. Seit wenigen Tagen arbeitet die neue Ampel-Bundesregierung – ohne Katja Suding. Sie schaut von außen zu.

Die ehemalige FDP-Vizechefin und Hamburger Landesvorsitzende kündigte 2020 an, sich freiwillig aus der Politik zurückzuziehen. Nach der letzten Legislaturperiode schied sie aus dem Bundestag aus. Ein Gespräch über das Leben im 80-Stunden-Kosmos, sexistische Bezeichnungen in den Medien und darüber, welche Politiker es noch nach oben schaffen.

t-online: Frau Suding, wie geht es Ihnen?

Katja Suding: Gut, sehr gut sogar! Ich bin gerade erst aus den USA zurückgekehrt. Ich habe Ranches in Colorado und Wyoming besucht. Ich durfte der Crew über die Schulter schauen und mich als Cowgirl ausprobieren. Ich bin mal in eine ganz andere Welt abgetaucht, es war großartig.

Ihre Partei ist mittlerweile Teil der Bundesregierung.

Ja, das habe ich mitgekriegt. Die Koalitionsgespräche habe ich natürlich verfolgt.

Und die FDP hat das Bildungsministerium bekommen …

… ich ahne, worauf Sie hinauswollen.

Schön. Und?

Ich finde es als Bildungspolitikerin großartig, dass wir dieses Ressort haben. Jetzt können viele unserer Konzepte, an denen auch ich gearbeitet habe, umgesetzt werden. Und ja, wenn ich nicht ausgestiegen wäre, dann hätte ich an vorderer Front mitgemacht. Bettina Stark-Watzinger wird das auf jeden Fall super machen.

Sie wären höchstwahrscheinlich an Stark-Watzingers Stelle jetzt Bildungsministerin und könnten regieren. Bereuen Sie es kein bisschen, Ihre politische Karriere beendet zu haben?

Nein, ich bereue nichts. Mir war schon bei meinem Ausstieg klar, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass wir bald auf Bundesebene mitregieren werden. Doch es ging einfach nicht mehr.

All das, wofür Sie in der Opposition gekämpft haben, könnten Sie jetzt umsetzen – trotzdem sind Sie mit Ihrem Ausstieg glücklich. Die Politik muss brutal für Sie gewesen sein.

Ich wollte nach elf Jahren mein Leben zurück. Als Politikerin verzichtet man auf sehr viel im Leben. Ich wollte nicht in diesem 80-Stunden-Wochen-Kosmos enden, das hatte ich mir fest vorgenommen. Und deshalb habe ich dann die Reißleine gezogen.

Womit waren die 80 Stunden Arbeit pro Woche gefüllt?

Das frage ich mich im Rückblick auch manchmal. Man muss das politische Tagesgeschehen verfolgen, also ständig einen Blick auf die Medien haben. Sehr viele Stunden habe ich in Gremien der Fraktion verbracht, in Ausschüssen und Plenarsitzungen. Daneben Reden vorbereiten, Pressearbeit machen, politische Konzepte entwickeln. Ich habe irrwitzig viele Mails und Nachrichten lesen und beantworten müssen. Viele Verbände und Einzelpersonen wollten mich treffen oder haben mich zu Diskussionsabenden eingeladen, das gehört zum Alltag von Bundestagsabgeordneten.

Und Sie waren Hamburger Landeschefin und Vize-Bundesvorsitzende der FDP.

Genau, da kam einiges an Arbeit zusammen. Zudem ist man auch in den Wahlkämpfen stark involviert. Und glauben Sie mir: Irgendwo ist immer Wahlkampf.

Wann konnten Sie mal abschalten?

Fast nie. Selbst im Urlaub kommen ja Anfragen. Und ich hatte immer einen hohen Anspruch an meinen Job, ich wollte die unterschiedlichen Anliegen ordentlich beantworten.

Wann dämmerte Ihnen, dass Sie eigentlich keine Lust mehr darauf haben?

Ich habe meine Aufgabe sehr lange mit vollem Herzblut gemacht. Aber eines war früh klar: Die ständige Öffentlichkeit fand ich schwierig, ständig war eine Kamera oder ein Mikrofon auf mich gerichtet, andere urteilen über mich oder man wird auf der Straße angesprochen. Ich habe mich zwar daran gewöhnt im Laufe der Zeit. Aber ich bin froh, dass ich heute viel gezielter auswählen kann, was ich mache und was nicht.

Und trotzdem hielten Sie es fast elf Jahre durch.

Weil ich auf der Haben-Seite mehr zu verbuchen hatte! Ich habe es geliebt, Politikerin zu sein, ich war ein regelrechter Politik-Junkie. Wir waren in der Zeit leider nie in der Regierung, aber nahmen unsere Oppositionsrolle sehr ernst. 2011 und 2015 war ich Spitzenkandidatin bei den Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft. Aus schwieriger Ausgangslage haben wir jeweils den Sprung ins Parlament geschafft. Und hätten wir 2017 nicht ein gutes Ergebnis bei der Bundestagswahl erzielt, dann gäbe es die FDP jetzt wahrscheinlich nicht mehr. Es ging um richtig viel, und das hat mich angespornt. In den letzten Jahren aber hatte ich zunehmend das Gefühl, dass ich mit meinem Einsatz zu wenig rausgekriegt habe. Ich habe die Power nicht mehr auf die Straße bekommen.

Die Haben-Seite ging runter.

Ja.

Und Sie lernten im Laufe der Jahre auch die Innenansicht der Politik kennen. In Ihrer Abschiedsrede sprachen Sie von "tiefsten menschlichen Abgründen". Was meinten Sie damit?

Die innerparteilichen Querelen.

Es gilt die Steigerung: Feind, Todfeind, Parteifreund?

Die allermeisten Parteifreunde sind umgänglich und konstruktiv, das meine ich nicht phrasig. Aber es gibt auch Neid und Missgunst, teilweise nur von ganz wenigen. Doch von denen gibt es dann das Schlimmste, was Sie sich vorstellen können. In Parteien werden mitunter knallharte Kämpfe ausgefochten. Und das ist übrigens nicht nur in der FDP der Fall, das ist bei allen Parteien so.

Woher kommt dieses Klima?

In Parteien gibt es, anders als in Unternehmen, keinen Chef, der ein disziplinarisches Durchgriffsrecht hat. Der Parteichef kann den Leuten nicht vorschreiben, was sie sagen dürfen – das ist grundsätzlich auch gut so. Trotzdem führt es teilweise zu einem rücksichtslosen Umgang miteinander. Damit wollte ich nichts mehr zu tun haben.

Warum ist der Umgang miteinander so hart? Weil alle irgendwann mal Minister werden wollen?

Natürlich nicht. Es wollen auch nicht alle Bundestagsabgeordnete werden. Manchmal hatte ich den Eindruck, einigen macht der Streit einfach Spaß. Mir nicht.

Also Streit als Selbstzweck.

Für manche hat das zumindest einen gewissen Unterhaltungswert, ja.


Das klingt nach einem Verhalten wie im Kindergarten.

Ja, manchmal fühlte es sich so an. Nach ein paar Jahren hatte es sich für mich allerdings ziemlich beruhigt.

Wie hart sind Sie selbst vorgegangen bei Ihrem Aufstieg?

Ich musste teilweise mit sehr harten Mitteln kämpfen, um am Ende erfolgreich zu sein. Aber als Mensch habe ich mich total schlecht gefühlt.

Sie sprachen von einer Art innerem Panzer, den Sie sich mit den Jahren zugelegt haben. Warum?

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Das kann man jeden Tag in den Zeitungen und in den sozialen Medien sehen. Stellen Sie sich mal vor, Sie wären eine der Personen, die da gerade in den Zeitungen, in den sozialen Medien und vom politischen Mitbewerber so zerrissen und angefeindet werden. In aller Öffentlichkeit. Und dann können Sie sich ungefähr vorstellen, was so jemand an innerer Kraft braucht, um am nächsten Morgen direkt eine Rede im Bundestag zu halten – ohne mit Tränen in den Augen wie ein begossener Pudel dazustehen. Das ist gar nicht so einfach.

Muss nicht harte Kritik, gerade vonseiten der Presse, manchmal sein?

Ich kann der Presse nicht sagen, wie sie sich zu verhalten hat. Aber ich muss das mal so deutlich sagen: Ich finde den Umgang mit Politikern teilweise unter aller Sau. Was sich manche Journalisten rausnehmen. In den sozialen Medien ist es oft noch schlimmer. Nicht falsch verstehen: In der Sache darf man sie scharf angehen, der Widerspruch kann auch heftig sein. Aber manchmal geht es ins Beleidigende, es ist nur noch persönlich, ein reines Runterputzen.

Sie meinen bestimmte Boulevardzeitungen?


Das ist leider weit verbreitet. Zu glauben, das wären ja Politiker, die könnten das aushalten, ist falsch. Das sind Menschen. Menschen, die diesen Job machen. Da darf man sich nicht wundern, dass einige, die wirklich fähig sind, keine Lust auf die Aufgabe haben. Und dass wiederum manche von denen, die sich das noch antun, nicht immer die Richtigen sind. Wenn wir als Gesellschaft anders mit unseren Repräsentanten umgehen würden, hätten wir vielleicht auch mehr von denen, die wir uns wünschen.

Haben Sie versucht, die Mechanismen in der Politik zu verändern?

Das schafft man nicht allein, ich jedenfalls nicht. Einfacher ließ sich etwas in der Organisation bewegen. Ich habe immer versucht, die Arbeit im Landesverband so zu organisieren, dass auch Berufstätige gut mitmachen konnten. Beispielsweise haben in Hamburg die Landesvorstandssitzungen, die ich geleitet habe, nie länger als zwei Stunden gedauert. Da war alles top vorbereitet. Wir konnten intensiv beraten, aber es wurde nicht rumgelabert.

Haben Sie ein Laberverbot erteilt?

Ich konnte zu viel Gelaber durch meine Sitzungsleitung verhindern. Ich finde Gremiensitzungen furchtbar, wo unzusammenhängend und ziellos geredet wird – das habe ich in Hamburg nicht zugelassen. Für Männer ist das schon kaum zu ertragen, wenn man ihnen die Zeit stiehlt. Viele Frauen empfinden es als noch viel schlimmer.

Warum?

Weil sie oft charakterlich anders gestrickt sind, weil sie manchmal noch Kinder betreuen müssen und generell oft einen volleren Tag haben. Das ist zumindest meine Erfahrung.

Haben es Frauen schwerer in der Politik?

Nein, das würde ich pauschal nicht sagen. Ich wurde wie jeder Mann am Erfolg gemessen. Mal lief es gut, mal nicht. Man hat mir aber nie Steine in den Weg gelegt, weil ich eine Frau bin.

In Artikeln wurden Sie schon als "Vorzeigefrau der FDP" bezeichnet.

Exakt, dieser Begriff hat etwas Abwertendes.

Ist der Medienbetrieb teilweise sexistisch?

Ich finde es sehr befremdlich, wenn politisch korrekt die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Leitartikeln gefordert wird, erfolgreiche Frauen dann aber in denselben Medien als "Vorzeigefrauen" abgetan werden.

Einmal gaben Sie mit Ihren FDP-Kolleginnen Nicola Beer und Lencke Steiner der "Gala" ein Interview, das unter der Überschrift "Drei Engel für Lindner" erschien. Würden Sie das noch mal machen?

Die Überschrift ging gar nicht, das war anders abgesprochen. Aber klar, es war gut: Wir hatten einen schwierigen Wahlkampf im Jahr 2015 in Hamburg, die FDP lag bei zwei Prozent. Und natürlich haben wir die Aufmerksamkeit genutzt, die wir mit der "Gala" hatten. Wir haben ein Interview über Familien- und Bildungspolitik gegeben und dazu gab es die Fotos von uns drei Politikerinnen. Über die sich manche aufgeregt haben. Das ist erlaubt. Aber warum soll ich mich dafür schämen, dass wir Spaß beim Shooting hatten?

Stört es Sie, dass solche Bilder oft der Weg sind, über den man am ehesten Aufmerksamkeit bekommt?

Es gibt ja viele Wege, Aufmerksamkeit zu generieren und zum Wähler durchzudringen, und die haben wir auch alle genutzt. Die unfreiwillige Hilfe der Tagesschau

… die einen ausgiebigen Kamera-Schwenk über Ihre Beine zeigte, wofür sich der Chefredakteur später entschuldigte …

… kam allerdings völlig ungeplant.

Fanden Sie die Kameraeinstellung schlimm?

Dass ein solcher Schwenk daneben ist, ist klar. Aber der Chefredakteur hat sich entschuldigt und damit war es in Ordnung für mich. Der Riesenwirbel darum hat uns allerdings genutzt.

Wenn Sie das Ergebnis immer gut fanden – bedienen Sie dann nicht selbst den sexistischen Medienmechanismus, den Sie vorhin angeprangert haben?

Die meisten Reaktionen auf die "Gala"-Geschichte kamen von Frauen, die an die Infostände kamen und sagten: "Wie super, ich habe das beim Friseur gelesen – ich hatte Sie zuvor noch gar nicht richtig wahrgenommen. Toll, was Sie da über Familie und Bildung gesagt haben." Das waren die Reaktionen. Und bei dem "Tagesschau"-Schwenk kann man nur sagen: Die Partei hatte Schlagzeilen gemacht – die waren schlecht fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen, aber ganz sicher nicht für uns. Und allgemein: Diese Diskussionen sind teilweise schon recht daneben.

Inwiefern?

Ich sehe aus, wie ich aussehe, dafür muss ich mich weder schämen noch verstecken. Wenn ich auf einem Wahlplakat zu sehen bin, genauso wie jeder andere Politiker auch, und nur ich dann gefragt werde, ob ich mit meiner Attraktivität spiele – dann finde ich das schon ziemlich seltsam. Erzählt so eine Frage wirklich etwas über mich? Oder über die Person, die sie stellt?

Der Jahreswechsel steht bevor. Was werden Sie jetzt tun?

Ich schreibe ein Buch über meine Zeit in der Politik und den Ausstieg, es erscheint im April. Und ich werde mich um meinen beruflichen Neuanfang kümmern. Mit mehr Zeit für Privates.

Haben Sie mit der Politik abgeschlossen?

Nein. Auch wenn ich nicht mehr im Parlament bin, werde ich mich immer wieder mal äußern. Ich mag keine Berufspolitikerin mehr sein – aber werde immer ein politischer Mensch bleiben.

Frau Suding, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Interview mit Katja Suding in Hamburg
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