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Ukraine-Invasion: So viele Flüchtlinge könnten nach Deutschland kommen


Länder fordern Vorbereitung
Mit so vielen Ukraine-Flüchtlingen rechnet die Politik

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier, Miriam Hollstein

Aktualisiert am 22.02.2022Lesedauer: 4 Min.
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"Schrecklichste Nachricht seit acht Jahren": Die Reaktionen in der Ukraine auf Putins Entscheidung sind gespalten. (Quelle: Glomex)

Wenn Russland weiter in die Ukraine einmarschiert, könnten Millionen Menschen fliehen – auch nach Deutschland. Wirklich vorbereitet darauf sind Bund und Länder allerdings nicht.

Der Schock über den Beginn der russischen Invasion in der Ostukraine ist noch nicht abgeklungen. Da breitet sich schon eine weitere Sorge aus: Ist Deutschland ausreichend darauf vorbereitet, wenn russische Truppen die Menschen millionenfach in die Flucht treiben würden?

Zwar wäre in der Europäischen Union zunächst vor allem Polen als Nachbarland der Ukraine betroffen. Doch dessen Aufnahmekapazitäten sind sehr begrenzt. Gerade Deutschland, das sich bei der militärischen Unterstützung der Ukraine auffällig zurückgehalten hat, wäre wohl besonders in der Pflicht.

"Wir sind sehr wachsam und auf alle Szenarien vorbereitet", sagte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) dazu am Montag bei einem Besuch in Wien. Da hatte der russische Präsident Wladimir Putin die "Volksrepubliken" noch nicht als unabhängig anerkannt und seine Truppen noch nicht losgeschickt.

Man bereite sich vor allen Dingen darauf vor, die Nachbarländer der Ukraine zu unterstützen, sagte Faeser. Das Szenario, "mit dem man am ehesten rechnet", sei, dass es dorthin "sehr starke Fluchtbewegungen" geben werde. Es gehe deshalb darum, "den Nachbarländern mit humanitärer Hilfe zu helfen", sagte Faeser. "Und wenn Flüchtlinge in unser Land kommen, natürlich denen auch."

In den Bundesländern hat man von diesen Vorbereitungen freilich noch nicht viel bemerkt. Deshalb fordern die ersten von ihnen nun konkrete Schritte der Bundesregierung ein.

"Umgehende Abstimmung mit den Ländern"

"Putins Rede war trauriger Tiefpunkt und verstörende Botschaft zugleich", sagte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) t-online. "Die Ukraine muss sich auf das Schlimmste einstellen und das freie Europa muss sich auf die Folgen vorbereiten."

Die EU werde Menschen, die vor einem Krieg in der Ukraine fliehen, Unterkunft und Schutz gewähren. "Das ist unsere gemeinsame Verpflichtung", sagte Stübgen. "Ich erwarte daher von der Bundesregierung ab jetzt ein regelmäßig aktualisiertes Lagebild und eine umgehende Abstimmung mit den Ländern, welche Vorbereitungen zu treffen sind."

Bisher nämlich, so heißt es aus dem Brandenburger Innenministerium, habe man keinerlei Informationen vom Bund bekommen, worauf man sich in der konkreten Lage einzustellen habe. Und die Aufnahme von Flüchtlingskontingenten liege nun mal in der Zuständigkeit der Bundesregierung. Grundsätzlich aber verfüge Brandenburg über eine äußerst professionelle Erstaufnahme, die ihre Kapazitäten innerhalb kürzester Zeit anpassen könne.

Auch in Berlin wächst die Irritation. "Der russische Einmarsch in der Ukraine ist ein offener Völkerrechtsbruch mit gravierenden Folgen", sagte die Berliner Integrations- und Sozialsenatorin und frühere Linken-Chefin Katja Kipping, in deren Zuständigkeitsbereich die Aufnahme von Flüchtlingen fällt, t-online. Dies gelte für die Menschen in der Ukraine, aber auch für Europa. "Der Konflikt in der Ukraine kann auch eine enorme Fluchtbewegung zur Folge haben."

Deutschland solle sich darauf einstellen, sagte Kipping, dass auch hier in absehbarer Zeit "humanitäre Aufnahmekapazitäten" bereitgestellt werden müssten: "Dafür braucht es eine parteienübergreifende Kraftanstrengung. Die Bundesregierung ist gefordert, möglichst schon jetzt vorausschauend tätig zu werden und hier koordinierend zwischen den Bundesländern zu handeln."

Drei mögliche Szenarien

Als erstes Bundesland beschloss Berlin am Dienstag daher, einen Krisenstab für Flüchtlinge aus der Ukraine einzurichten. Worauf sich die Verantwortlichen einstellen, geht aus internen Plänen hervor, die t-online vorliegen. Von drei möglichen Szenarien ist die Rede.

Im ersten Fall beschränkt sich der Konflikt auf die Grenzregion mit Errichtung eines Korridors zur Krim. Das könnte rund 1,7 Millionen Menschen in die Flucht treiben, von denen etwa 25 Prozent in andere Teile der Ukraine und rund 400.000 nach Russland fliehen könnten.

Übrig blieben laut dieser Berechnung 975.000 Menschen, die in der EU ankommen würden. Etwa ein Drittel würde vermutlich in Polen bleiben, der Rest müsste auf die anderen EU-Länder verteilt werden. Für Deutschland wären das etwa 260.000 Flüchtlinge, die über den sogenannten Königsteiner Schlüssel dann entsprechend der Einwohner an die Bundesländer verteilt würden. In diesem Szenario müsste sich Berlin auf rund 14.000 Flüchtlinge einstellen.

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Die zweite Berechnung geht vom selben Grundszenario aus, nimmt aber an, dass 60 Prozent der Vertriebenen als Binnenflüchtlinge in der Ukraine bleiben würden. In diesem Fall kämen nur rund 100.000 Ukrainer nach Deutschland und damit etwa 5.300 nach Berlin.

Am folgenschwersten ist das dritte Szenario: Hier wird mit einer Invasion des gesamten Gebiets östlich des Flusses Dnjepr und rund acht Millionen Flüchtlingen gerechnet. Blieben davon etwa zehn Prozent in der Ukraine und weitere zwei Millionen in Russland, würden 1,3 Millionen Menschen aus den Krisengebieten nach Deutschland kommen, 70.200 allein nach Berlin.

Grundlage für die Szenarien ist eine Analyse der beiden Migrationsexperten Franck Düvell von der Universität Osnabrück und Iryna Lapshyna von der Ukrainischen Katholischen Universität Lwiw.

"Situation entwickelt sich dramatisch"

Doch nicht nur die Bundesländer, auch Kommunalverbände beobachten die Lage mit Sorge. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, warnte: "Die Situation in der Ukraine entwickelt sich dramatisch."

Zunächst würden sich mögliche Flüchtlinge zwar voraussichtlich Richtung Polen bewegen, sagte Landsberg. "Allerdings werden sie mittelfristig auch in andere EU-Länder drängen. Darauf muss sich Deutschland, aber auch die EU insgesamt, vorbereiten."

Zu den notwendigen Vorbereitungen gehöre "eine Revitalisierung der Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder und die Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel, insbesondere für die Kommunen, auf die ankommende Personen am Ende verteilt werden", sagte Landsberg.

Notwendig ist aus seiner Sicht außerdem ein EU-weiter Verteilungsschlüssel: "Die immer wieder betonte europäische Solidarität muss hier von allen EU-Mitgliedern eingelöst werden. Das ist mindestens genauso wichtig wie die jetzt einsetzende Diskussion über mögliche Sanktionen gegen Russland."

Darauf jedoch, so viel ist klar, sollte Deutschland in der aktuellen Lage lieber nicht warten. Denn einen Verteilmechanismus für Flüchtlinge bekommt die EU schon seit Jahren nicht hin.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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