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Verteidigungsplan für Deutschland: "Mentalität der Bundeswehr macht Sorgen"


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Bedrohung durch Russland
"Die Mentalität der Bundeswehr macht Sorgen"


Aktualisiert am 26.01.2024Lesedauer: 4 Min.
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Bundeswehrsoldaten bei einer Übung in Litauen: Für die Truppe wird aktuell ein Verteidigungsplan aufgestellt. (Quelle: Maurizio Gambarini/imago-images-bilder)
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Erstmals seit dem Kalten Krieg will Deutschland wieder einen konkreten Verteidigungsplan aufstellen. Doch die Umsetzung könnte sich als schwierig erweisen.

Es klingt nach einem wirklich großen Projekt: "Das soll ein Plan sein, der ausführbar und durchführbar ist, also nicht ein Hirngespinst, ein Gedankenkonzept, sondern tatsächlich etwas Handfestes, was am Ende auch funktionieren kann", sagte André Bodemann, Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr. Konkret gemeint ist damit der Operationsplan Deutschland (Oplan): Er legt fest, wie Deutschland künftig im Spannungs- oder Verteidigungsfall vorgehen soll.

Die Bundeswehr ist dabei nur eine Gruppe, die in die Planungen involviert ist: Auch andere Sicherheitsbehörden, Katastrophenschutzorganisationen und die Industrie sollen mit einbezogen werden. Eine solche Aufstellung hatte Deutschland zuletzt zu Zeiten des Kalten Krieges formuliert. Das deutsche Militär arbeitet angeblich bereits seit einem Jahr an dem Papier. Am Donnerstag wollen Vertreter verschiedener Behörden über das Konzept gemeinsam beraten, schon Ende März soll es fertig sein.

"Völlig unrealistisch"

Mit dem Verteidigungsplan will Deutschland der gestiegenen Bedrohungslage innerhalb Europas Rechnung tragen. Allerdings gibt es Befürchtungen, dass das Konzept überambitioniert sein könnte. Zweifel hat etwa Burkhard Meißner: "Ich halte es für völlig unrealistisch, bis März so einen Plan in endgültiger Form haben zu wollen", sagte der Militärexperte vom German Institute for Defence and Strategic Studies im Gespräch mit t-online. Wo liegen die konkreten Probleme und was müsste sich in der Bundeswehr ändern?

Grundsätzlich ist es laut Meißner nicht falsch, angesichts einer gewachsenen Bedrohungslage durch Russland einen solchen Plan aufzustellen. Allerdings gebe es in der Praxis große Hürden: Auf der einen Seite habe die Bundeswehr in den vergangenen Jahren etwa die Aufklärung in Sachen Russland "lange vernachlässigt". Gleichzeitig glaubt der Experte, dass viele Entscheider in der Truppe den Aufgaben nicht gewachsen seien. "Die Mentalität der Bundeswehr macht mir am meisten Sorgen. Polemisch gesagt ist die Bundeswehr gerade keine Armee, sondern eine Selbstverwaltungseinheit. Das lässt sich nicht so schnell beheben."

Desinformation und Sabotage

Dabei gibt es innerhalb der Bundesregierung das Bestreben, die Bundeswehr umzubauen: Nach Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine hatte Bundeskanzler Olaf Scholz ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr aufgesetzt. Seitdem wurden auch innerhalb des Verteidigungsapparats zahlreiche Reformen angestoßen. Verbesserungen sieht Militärexperte Meißner etwa mittlerweile in den Beschaffungsprozessen, die offenbar deutlich schneller geworden sind.

Wie aber könnte der Verteidigungsplan genau aussehen? Konkret soll sich das Papier mit vier Bedrohungen befassen: Desinformation, Cyberangriffe, Ausspähungen und Sabotage wie etwa Angriffe auf die kritische Infrastruktur. Das könnte laut Generalleutnant Bodemann auch mit ballistischen Raketen erfolgen, vergleichbar mit den Angriffen Russlands auf die Ukraine in diesem und dem vergangenen Winter.

"Kein System kann alle Angriffe abwehren"

Für den Schutz des Luftraums vor Raketen hat Deutschland gemeinsam mit mittlerweile 19 Staaten sich in der Initiative "Sky Shield" zu einer besseren Luftverteidigung verpflichtet. Unter anderem wurde dafür bereits das israelische Raketenabwehrsystem "Arrow 3" eingekauft, das ab 2025 einsatzfähig sein soll.

"Es ist klug, ein Raketenabwehrsystem zu beschaffen. Aber kein System kann alle Angriffe abwehren", sagt Burkhard Meißner. Grob müsse man davon ausgehen, dass jedes System nur 50 bis 80 Prozent aller Angriffe verhindern könne. Dementsprechend sei es in diesem Bereich nicht mit solchen Systemen getan. "Einen reinen Verteidigungskrieg führen zu wollen, ist ein Stück weit naiv."

"Hoffentlich auch keine Luftlandung von russischen Fallschirmjägern"

Laut Meißner ist deshalb ein Umdenken erforderlich: Es müssten neben einem solchen System auch genug Waffen vorhanden sein, um die Raketen nicht nur abzuwehren, sondern auch die entsprechenden Abschussanlagen zu zerstören. Geeignet wären dafür etwa die viel diskutieren Taurus-Marschflugkörper. Die sind laut Meißner allerdings zu teuer und in zu geringer Stückzahl vorhanden.

Doch eine höhere Stückzahl würde zu weiteren Problemen führen: Denn dafür habe die Bundeswehr aktuell nicht genügend Soldaten. Zuletzt hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) davon gesprochen, dass man verschiedene Modelle diskutiere, wie Deutschland wieder zu mehr Soldaten komme. Mehr dazu lesen Sie hier.

Direkte Kampfhandlungen innerhalb Deutschlands sollen dagegen nicht Teil des Plans sein. "Das bedeutet, ich erwarte jetzt nicht die Panzerschlacht in der norddeutschen Tiefebene, hoffentlich auch keine Luftlandung von russischen Fallschirmjägern", so General Bodemann.

"Wir stehen ja weiter hinten"

Aktuell ist wohl eher ein Angriff Russlands weiter im Osten realistischer, etwa auf Polen oder das Baltikum als direkte Nachbarstaaten. "Wenn es keine Panzerschlachten in Deutschland gibt, heißt das ja nicht, dass sie nicht woanders stattfinden", glaubt Burkhard Meißner. In Berlin dürfe man sich deshalb auch nicht aus der Verantwortung nehmen. Streng genommen müsse Deutschland aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke eine Schutzmacht für Polen und das Baltikum sein, mahnt der Experte an. "Es gibt Leute, die meinen, dass Polen und das Baltikum sich erst mal beschießen lassen können, wir stehen ja weiter hinten. Das ist eine vollkommen zynische und unrealistische Vorstellung."

Allerdings sei dieser Gedanke bei vielen Entscheidern noch nicht angekommen: Vielmehr hoffe man weiter im Ernstfall auf Unterstützung aus den USA. Allerdings könnten die USA unter einem Präsidenten Donald Trump als Schutzmacht bald ausfallen, fürchtet Meißner. "Es gibt immer noch die Vorstellung, dass Deutschland sich im Kriegsfall verteidigen lässt. Aber unsere Nachbarn können uns nicht verteidigen, und die USA wollen es vielleicht bald nicht mehr." Der Experte schätzt, dass die Bundeswehr aktuell im Kriegsfall wohl nur Material für zwei Tage hätte – und bei den Nachbarländern sehe das vielerorts nicht anders aus.

"Ob wir so viel Zeit haben, weiß ich nicht“

Tatsächlich gibt es aber Pläne, wie sich die Bundeswehr in Zukunft stärker in der Nato und auch in Osteuropa engagieren könnte: Bisher ist die Bundeswehr angeblich in der Lage, innerhalb von 30 Tagen rund 14.200 Soldaten für die Nato zu mobilisieren. Ab 2025 soll die Zahl auf rund 30.000 verdoppelt werden. Hinzu kommt, dass bis 2027 dauerhaft eine deutsche Brigade in Litauen stationiert sein soll. Burkhard Meißner hat allerdings auch hier Zweifel, ob diese Ziele umsetzbar sind: "Ich kenne keinen Kollegen in Polen oder im Baltikum, der den deutschen Versprechen glaubt."

Der Experte sieht daher die Bundeswehr erst am Anfang eines langen Reformprozesses und zieht dabei eine Parallele zur Vergangenheit. Zuletzt habe Deutschland Anfang der Achtzigerjahre eine wehrfähige Bundeswehr besessen – rund 30 Jahre nach ihrer Gründung 1955. Dementsprechend geht Meißner davon aus, dass ein ähnlicher Prozess erneut rund 30 Jahre dauern könnte: "Ob wir so viel Zeit haben, weiß ich nicht."

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
  • Interview mit Burkhard Meißner
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