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Von der SED: AfD-Politiker Robert Farle erhielt verdeckte Zahlungen


Im Auftrag Honeckers
Hoher AfD-Politiker erhielt verdeckte Zahlungen von der SED

  • Jonas Mueller-Töwe
Von Jonas Mueller-Töwe

02.06.2021Lesedauer: 12 Min.
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Exklusive Recherchen von t-online zeigen: AfD-Politiker Robert Farle wurde jahrelang von der SED finanziert, sollte im Westen dem Sozialismus zum Sieg verhelfen. (Quelle: t-online)

Ein prominenter AfD-Politiker war nach Recherchen von t-online über Jahre scheinbeschäftigt. Sein Gehalt zahlte wohl die DDR. Nach der Wende machte er die alten Seilschaften zu Geld.

Wenn Robert Farle spricht, dann poltert und rummst es. Mit schütterem grauen Haar, aber lässig in Lederjacke, tritt der Mann in seinen Siebzigern oft ans Rednerpult des Landtags in Magdeburg. Er wettert dann für die AfD in Sachsen-Anhalt gegen Zuwanderung, gleichgeschaltete Medien und die angebliche "Stasi 2.0" in der Bundesrepublik. Das geht ruhig und kumpelig los, um dann schnell zu eskalieren. Corona-Maßnahmen, das ist für Farle "wie Kriegsrecht", Briefwahl die Vorbereitung zum "Wahlbetrug".

Klassenkampf unterm Lenin-Porträt

Es ist radikales Vokabular, wie es ihm schon früher leicht von der Zunge ging. Es hat Farle zu einem der wichtigsten AfD-Politiker in Sachsen-Anhalt gemacht und soll ihm im Herbst zum Einzug in den Bundestag verhelfen. Nominiert als Direktkandidat ist er bereits. Doch die Rhetorik, die Kleidung, die politische Disziplin – all das gibt kleine Hinweise darauf, dass der parlamentarische Geschäftsführer seine Karriere nicht erst vor einigen Jahren in der AfD begann. Schon vor Jahrzehnten trug er gern Lederjacke, allerdings ohne den blau-roten Anstecker am Revers.

Damals lobte er DDR und Sowjetunion in höchsten Tönen, das angebliche AfD-Idol Franz Josef Strauß war für ihn "das Sprachrohr der westdeutschen Großbourgeoisie". Unterm Lenin-Porträt bekämpfte er den Klassenfeind, Parteifreunde erklärte er zu abweichlerischen Dissidenten. Einen "150-prozentigen Genossen" nennt ihn mancher, der damals dabei war. Also einen, der keinen Deut von der Parteilinie abwich und andere das auch spüren ließ.

Politisch von jüngeren bis zu reiferen Jahren einen weiten Weg hinter sich zu bringen – das haben bereits viele Politiker getan. Die Strecke, die Farle zurückgelegt hat, ist noch aus anderen Gründen bemerkenswert.

Wie Recherchen von t-online belegen, durchlief der heutige AfD-Politiker Robert Farle nicht nur eine Jahrzehnte andauernde kommunistische Funktionärskarriere in der Bundesrepublik – er ging höchstwahrscheinlich auch bis zum Zusammenbruch der DDR einer Scheinbeschäftigung nach, die über Tarnfirmen von der SED im Osten finanziert wurde. Für sie sollte er im Westen die Stellung halten und dem Sozialismus zum Sieg verhelfen. Dafür war er laut Mitstreitern an der Kaderschule in Moskau ausgebildet worden, also im Herzen der damaligen Sowjetunion. Farle bestreitet auf Anfrage beides vehement.

Die Öffentlichkeit hat der AfD-Politiker über seine tiefe Verstrickung mit der DDR-Machtelite weitgehend im Dunkeln gelassen. Zwar war bekannt, dass Farle vor seiner neuen Parteikarriere in Sachsen-Anhalt 17 Jahre lang für die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) im Stadtrat von Gladbeck saß – er hatte das freimütig eingeräumt. Weithin unbekannt ist allerdings seine langjährige hauptamtliche Tätigkeit für die Partei, die offenbar über eine Scheinbeschäftigung entlohnt wurde.

Millionen von der "Bruderpartei" im Osten

Das ist besonders heikel, da die DKP über Jahrzehnte nahezu komplett von der DDR finanziert wurde. Dafür hatten die dort herrschende SED und ihr Ministerium für Staatssicherheit ein umfangreiches Tarnfirmengeflecht im Bundesgebiet installiert, über das der Wahlkampf gesponsert wurde und die hauptamtlichen Mitarbeiter der sogenannten "Bruderpartei" im Westen ihren Lohn erhielten.

Als die Millionenzahlungen der DDR ab 1990 ausblieben, standen fast alle DKP-Funktionäre auf der Straße. Auch Bezirkssekretär Farle verließ wenig später Partei und Stadtrat und gründete stattdessen ein Steuerbüro im SED-Patenbezirk, wo er Jahre später in die AfD eintrat.

Eine Anfrage von t-online zu seiner Tätigkeit für die DKP hat Farle ausführlich beantwortet. "Diese Unterstellungen sind falsch", schrieb er. Er sei weder Scheinbeschäftigungen nachgegangen, noch habe er als Bezirkssekretär welche an andere Funktionäre vermittelt. "Mit den Finanzen der DKP und den dortigen Anstellungsverhältnissen habe ich zu keiner Zeit etwas zu tun gehabt." Er sei kein "hochkarätiger Funktionär" gewesen und nur kurze Zeit "zum Schluss" Bezirkssekretär.

Ehemalige Genossen reden allerdings ebenfalls. t-online machte mehrere enge Mitarbeiter Farles aus seiner Zeit im DKP-Bezirksbüro Ruhr-Westfalen in Essen ausfindig sowie zahlreiche weitere Weggefährten. Zum Teil sind sie noch in der Partei, zum Teil stiegen sie nach dem Zusammenbruch der DDR aus. Alle waren überrascht von den Recherchen, keiner von ihnen hält noch engen Kontakt zu den anderen oder zu Farle. Mit t-online sprachen sie nur unter der Bedingung, nicht namentlich genannt zu werden.

Die Aussagen der Genossen

Alle vorliegenden Aussagen zeichnen im Kern das gleiche Bild von Farles damaliger Tätigkeit als Bezirkssekretär und stützen sich gegenseitig: Demnach war der heutige AfD-Politiker mindestens zehn Jahre lang ein "hochkarätiger Funktionär" der DKP, ein "Machtmensch", Hardliner und Vollzeitpolitiker, der keiner anderen Tätigkeit nachging als der für die kommunistische Partei. Die angebliche Anstellung in einer Bochumer Fahrschule sei eine Scheinbeschäftigung gewesen, um das Hauptamt im Bezirksbüro zu finanzieren.

  • Genosse 1: "Farle hat rund um die Uhr nichts anderes gemacht als Politik. Wenn er andere Arbeitsverträge hatte, dann waren das Scheinverträge."
  • Genosse 2: "Die Fahrschule war ein Laden mit zwei Leuten. Da brauchen Sie keinen Ökonom. Betrachten Sie das als Spende."
  • Genosse 3: "Möglicherweise war er dort aus Solidarität angestellt."
  • Genosse 4: "Farle hat nie in einer Fahrschule gearbeitet."


In Gladbeck hatten sich während seiner 17 Jahre als Stadtrat für die DKP hartnäckig Gerüchte gehalten, Farle arbeite hauptamtlich für die Partei. Die Öffentlichkeit erfahre jedenfalls nicht, wo er angestellt sei, heißt es in einer SPD-Parteizeitung von 1984. "Ist es vielleicht ein Ableger der Firma Honecker & Co. in Ostberlin, auf deren Gehaltsliste die drei DKP-Aktivisten stehen?!" Verdienstausfallentschädigungen habe er jedenfalls nie geltend gemacht, erfuhr t-online aus Kreisen der damaligen Stadtverwaltung. Die stehen Ratsmitgliedern zu, wenn sie etwa für eine Sitzung nicht ihrer üblichen Tätigkeit nachgehen können.

Der Vermerk und der KPD-Kader

Aus den Akten der Stadt Gladbeck liegt t-online auch ein internes Dokument vor, auf dem der damalige Ratsherr Robert Farle seinen vermeintlichen Arbeitgeber angab: Darauf zu lesen ist der inoffizielle Name einer damaligen Bochumer Fahrschule. Recherchen im betreffenden Stadtteil ergaben, dass es dort zur fraglichen Zeit nur einen einzigen solchen Betrieb gab. Mehrere ehemalige Genossen von Farle und spätere Inhaber identifizierten ihn als den auf dem Dokument angegebenen.

In den Siebziger und Achtziger Jahren ist den DKP-Hauptamtlichen im Bezirksbüro die Fahrschule gut bekannt: Sie gehört dem altgedienten Genossen Josef "Menne" Schröder, der in den Nachkriegsjahren als Landesfunktionär für die Kommunistische Partei Deutschland (KPD) gearbeitet hat. Er zählt damals zum härtesten Kern, stammt aus einer ideologisch gefestigten Familie. Nach dem Parteiverbot 1956 hat er versucht, es mit einer neuen Wählergemeinschaft zu umgehen. Dafür wurde er zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt.

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Die Helden der Revolution

Alte KPD-Kader wie Schröder sind im Umfeld der DKP, deren Gründung einige Jahre später in Ostberlin beschlossen wird, aus zwei Gründen nicht irgendwer: Erstens bringen sie – anders als die Studenten, die wie Robert Farle 1968 zur neuen Partei stoßen – Erfahrungen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus und der Illegalität in der Bundesrepublik mit. In der DDR werden sie als Helden der Revolution im Westen hofiert. Zweitens gelten sie der DDR-Führung aus eben diesem Grund als bewährte Vertrauensleute, um die Partei über Umwege zu finanzieren.

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SED-Tarnbetriebe im Westen werden deswegen oft mit ehemaligen KPD-Genossen in Führungspositionen besetzt. Rund 30 bis 70 Millionen D-Mark fließen über diese Betriebe jährlich an die neue Bruderpartei im Westen. Mit dem Geld werden der Wahlkampf bezahlt und die hauptamtlichen Mitarbeiter versorgt. Für den DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker sind sie "Fleisch von unserem Fleische, Blut von unserem Blut". Das schließt auch Robert Farle ein.

"Prototyp eines bloßen Funktionärs"

Der tritt schon als Student der SED-Satellitenpartei bei. Es sind die wilden Sechziger und Siebziger Jahre, an der Ruhr-Universität Bochum wimmelt es von kommunistischen, sozialistischen, maoistischen und leninistischen Gruppen. Die Rivalitäten sind groß, die Gräben tief. Farles DKP-Publikationen zieren Marx auf dem Titelblatt, den Ausgaben sind Lenin-Zitate vorangestellt.

Die Bochumer Studentenzeitung aber lässt damals am jungen Wirtschaftswissenschaftler, der schnell zum örtlichen Vorsitzenden des DKP-Studentenbundes "Spartakus" aufgestiegen ist, kein gutes Haar. "Sowjethörig" sei Farle, der "Prototyp eines bloßen Funktionärs". Er selbst wirft den Maoisten in einem ganzen Buch vor, "die großartige Lehre von Marx, Engels und Lenin revidiert und verraten" zu haben und die "kommunistische Weltbewegung" zu spalten. Doch nicht nur zwischen den linksradikalen Strömungen, sondern auch innerhalb gibt es harte Auseinandersetzungen.

Farle, der schon Ende der Sechziger Jahre – kaum volljährig – seine erste politische Reise nach Ostberlin hinter sich gebracht hat, tut sich dabei immer wieder als besonders linientreu hervor, wie sich Weggefährten im Gespräch mit t-online erinnern. Auf sein Betreiben werden demnach 1972 mehrere junge Mitglieder aus der DKP ausgeschlossen – wegen Kritik am Stalinismus. Auch den Co-Autor seines eigenen Buches setzt die Partei in diesem Zuge vor die Tür.

Gladbeck: mehr als ein paar Mandate

Für manche beschleunigt sich auf diese Weise der Abschied von den jugendlichen Revolutionsideen. Für Farle nicht. Sein revolutionärer Kampf und seine Karriere in der Partei beginnen gerade erst. In den Folgejahren steigt der "Spartakus"-Boss in der Bruderpartei der SED zum Führungskader auf.

1976 zieht er in den Stadtrat von Gladbeck ein, wo die DKP enorme Mittel einsetzt. Für die Parteistrategen ist die Stadt gemeinsam mit dem benachbarten Bottrop zentral. Die SED besitzt ein Haus dort, zu "Preisstopperpreisen" werden Kartoffeln verteilt. Auf Anregung Honeckers persönlich wird in Bottrop der westdeutsche Ableger der Jungen Pioniere gegründet. Mit "Kinderferienaktionen" werden jährlich von dort Minderjährige in FDJ-Lager gen Osten verschickt. Das freut auch FDJ-Chef Egon Krenz, der im Gegenzug Nordrhein-Westfalen besucht.

Und in den damaligen Wahlkämpfen dort reiht sich ein Plakat der Partei ans andere, wie ein WDR-Beitrag aus dieser Zeit dokumentiert. "Wenn man nur nach den Plakaten gehen würde, dann würd's hier wohl nur DKP geben", sagt SPD-Kanzlerkandidat Willy Brandt bei einem Besuch einige Jahre zuvor. Mit all dem Geld schaffen es die Kommunisten im Kampf um die Ratssitze knapp über die Fünf-Prozent-Hürde.

Schüsse für den "historischen Fortschritt"

Gerüchte, die DDR mische bei den Kommunalwahlen mit, wischen Farle und seine Mitstreiter damals mit einem Lachen vom Tisch. Mit Kleinspendern würden die enormen Mittel aufgebracht, heißt es von den neuen Ratsherren. Mauerbau und Schüsse an der innerdeutschen Grenze sind für sie zu dieser Zeit ein notwendiges Übel, um den "historischen Fortschritt" zu verteidigen. Bei der Solidarität um jeden Preis bleibt Farle auch in den Folgejahren.

1978, als immer mehr Mitglieder Kritik an der Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR äußern und mit von der Sowjetunion und DDR unabhängigen Strömungen sympathisieren, greift die Partei mit Ordnungsverfahren hart durch. "Ich habe damals erstmals die Härte eines stalinistischen Parteiapparats wahrgenommen", erinnert sich rückblickend ein ehemaliger Genosse, den es trifft.

"Sehr ehrgeizig, sehr dogmatisch"

Während die Dissidenten öffentlich abgekanzelt und aus der Partei geworfen werden, wird der heutige AfD-Politiker Farle vom Bochumer Kreisvorsitzenden hochgelobt. "Farle war aufstiegsorientiert, sehr ehrgeizig, sehr dogmatisch", erinnert sich derjenige, der die pro-sowjetische Linie damals nicht mehr mittragen wollte. Diese Attribute zahlen sich für den aufstrebenden Funktionär aus. Bald schon leitet er wichtige Versammlungen – und nicht nur das.

Irgendwann zu dieser Zeit beginnt laut seinen ehemaligen Genossen die hauptamtliche Parteitätigkeit. Einer sagt, bereits in den Siebzigern, andere vermuten Anfang der Achtziger. Dass sein Einfluss in der Partei zunimmt, ist jedenfalls unbestritten. Zur Bundestagswahl 1983 erhält er Platz 15 auf der Landesliste für Nordrhein-Westfalen, wo Bundesvorstand und mächtige Verbände sitzen. In einem der innerparteilich mächtigsten Verbände nimmt Farle auf dem Stuhl des Bezirkssekretärs Platz.

Die Kaderschulung in Moskau

Die Position muss etwas Besonderes sein: Der Bezirk Ruhr-Westfalen liegt im Herzen des roten Ruhrgebiets, wo auch schon die KPD stark war. Die DKP wurde dort gegründet, wichtige Tarnfirmen bestehen in Essen und Bochum, zeitweise sollen 8.000 Mitglieder im Bezirk registriert sein. Und wenn Offizielle aus der DDR anreisen – wie beispielsweise 1976 eine Delegation des SED-Zentralkomitees mit Chef-Propagandist Kurt Hager – dann machen sie gern auch im Ruhrgebiet halt.

Was also nach Bürojob klingt, hat innerhalb der kommunistischen Partei eine andere Tragweite. Die Bezirkssekretäre werden vom Parteivorstand handverlesen, niemand von ihnen kommt ins Amt, ohne eine umfangreiche Kaderschulung durchlaufen zu haben. Dafür werden die Kandidaten für mindestens mehrere Monate an die SED-Parteischule nach Berlin-Biesdorf geschickt – oder gleich ins sowjetische Machtzentrum. Für Farle, das berichten damalige Mitarbeiter, geht es nach Moskau.

Er selbst bestreitet das: "Um Bezirkssekretär werden zu können, musste ich nie an einer Kaderschulung teilnehmen." Lediglich an einer Delegationsreise dorthin habe er auf Einladung des Bezirksverbands teilgenommen. Das Programm laut Farle: "Besichtigung von Kunstschätzen in Sankt Petersburg, danach in Moskau und schließlich ein Kurzurlaub zum Erlernen des Skifahrens auf dem Land".

Diese Schilderung widerspricht mehreren voneinander unabhängigen Schilderungen. Ein anderer ehemaliger Funktionär aus einem anderen Bezirk, der eine solche Kaderschulung absolviert hat, erinnert sich: Es sei dabei nicht nur um marxistische Fortbildungen gegangen. Vielmehr habe die Partei "den Klassenstandpunkt" der Erwählten überprüfen wollen. Teilnehmern seien ideologische Fallen gestellt worden, das Parteisekretariat habe die Besuche ausgewertet.

Die Vorsicht ist begründet: Die Bezirkssekretäre sind das Herz des Apparats und sollen Einblick in gut gehütete Geheimnisse der Partei erlangen.

Die Tarnbetriebe und die Stasi

Denn jährlich übermittelt der Parteivorstand in Düsseldorf seinen Finanzbedarf an den DDR-Staatsratsvorsitzenden Honecker persönlich. In Ost-Berlin wird ein detaillierter Plan erstellt, die Abteilung Verkehr des SED-Zentralkomitees und der Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo) im Außenhandelsministerium kümmern sich dann um die Versorgung der Bruderpartei im Westen.

Dafür wird insbesondere in Nordrhein-Westfalen ein Netz von mit DKP-Leuten besetzten Tarnbetrieben genutzt. Geldkuriere bringen hohe Barbeträge über die Grenze. Das Ministerium für Staatssicherheit sichert die Geschäfte ab und nutzt sie zur Agentenwerbung im Westen. Zuständige Abteilungen sind Stasi-Chef Erich Mielke und seinem Stellvertreter direkt unterstellt.

Doch irgendwie müssen die Zahlungen bei den DKP-Funktionären ankommen. Öffentlich verteilt werden können sie schließlich nicht. Dabei kommen die "Bezirkssekretäre für Organisationspolitik" ins Spiel. Zwei ehemalige enge Mitarbeiter berichten t-online, Farle habe zeitweise spezifisch diese Stellung innegehabt, ein dritter bezeichnet ihn als "politisch verantwortlich", ein anderer Weggefährte schließt das kategorisch aus. Farle selbst bestreitet entschieden.

Die Funktionäre und die Scheinbeschäftigungen

Wer jedoch im DKP-Bezirk für die "Organisationspolitik" zuständig ist, wird verantwortlich für die Finanzen und das Personal. Das heißt: Er vermittelt die Scheinbeschäftigungen an die Hauptamtlichen. Das berichtet der ehemalige Funktionär aus einem anderen Bezirk ausdrücklich. Er selbst sei bei einem Sportverlag und einem Reisebüro angestellt gewesen, als Freiberufler habe er Honorare aus zweifelhaften Quellen erhalten. "Ich habe aber nie eine Busreise verkauft oder Texte für den Verlag Redigatur gelesen."

Mit den von der SED installierten Parteibetrieben kommt Farle aber auch anderweitig in Berührung, wie er selbst einräumt. Demnach war er zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit – und koordiniert in dieser Funktion die Zusammenarbeit mit der Hausdruckerei Plambeck in Neuss. In der Partei ist es ein offenes Geheimnis, dass dort Hauptamtliche untergebracht werden, um ihre Einnahmen plausibel erklären zu können. "Hauptamtliche im Bezirksbüro hatten mehr oder minder alle Scheinbeschäftigungen", sagt jemand, der in Ruhr-Westfalen dabei war.

Ein Steuerbüro im SED-Partnerbezirk

All das ist mit dem Zusammenbruch der DDR, der friedlichen Revolution im Osten Deutschlands, vorbei. Die SED stellt die Zahlungen ein, die DKP-Funktionäre verlieren ihre Jobs, viele verlassen die Partei. Auch Farles angebliches Angestelltenverhältnis in der Fahrschule endet wohl spätestens 1990, als sein vermeintlicher Arbeitgeber stirbt. "Nur Josef Schröder hat Kontakt zu diesem Mann gehabt", heißt es aus der Familie, die den Betrieb nach seinem Tod weitergeführt hat. Dort sei Farle sonst nicht bekannt gewesen.

Um die Wendezeit ändert sich also einiges bei Farle – obwohl er laut Mitstreitern damals noch Gorbatschows Lockerungen ablehnt und selbst im Parteivorstand als "ausgewiesener Vertreter jener Spezies, die Inbegriff von dogmatischer sektiererischer Organisationspolitik ist", gilt. Während alte Verdienstmöglichkeiten für die Hauptamtlichen wegfallen, die SED-Tarnbetriebe in Bochum und Essen unter dubiosen Umständen weit unter Marktpreis an die Geschäftsführer verscherbelt werden, stellt sich der Kommunist der Marktwirtschaft. Dafür gründet er 1990 mit 50.000 DM Startkapital ein Steuerberatungsbüro, wie aus Handelsregisterunterlagen hervorgeht, die t-online vorliegen.

Bemerkenswert: Als Partner wählt er einen Mann aus einem gemeinsamen DKP-nahen Lohnsteuerhilfeverein. Dem Club wird damals eine Nähe zur Stasi nachgesagt. Weiter bemerkenswert: Als Standort wählt das Duo Halle an der Saale im langjährigen SED-Patenbezirk. Dorthin führten Farle zuvor zahlreiche Delegationsreisen. Jetzt zieht der Westdeutsche endgültig in den Osten, sein Stadtratsmandat in Gladbeck hingegen legt er nieder.

"Würde die Nachtigall trapsen hören"

Sind diese Verbindungen Zufall, haben sie private Gründe oder aktiviert Farle für seine geschäftlichen Pläne alte Seilschaften? Er selbst schreibt auf Anfrage von t-online: Nur die große Nachfrage nach Steuerberatungsleistungen habe ihn zu dem Schritt veranlasst. "Zu SED-Politikern und Funktionären besaß ich keinerlei persönliche Beziehungen." Ins Gebäude der früheren SED-Bezirksleitung habe er sich nur eingemietet, weil dort günstig Räume zu haben gewesen seien.

Ehemalige Genossen sind skeptisch. "Wenn ich hören würde, dass mein alter Parteisekretär in unserem alten SED-Partnerbezirk auftaucht, da würde ich die Nachtigall trapsen hören", sagt ein ehemaliger DKP-Funktionär. Mehrere Personen aus Farles damaligem Geschäftsumfeld äußern sich gegenüber t-online sogar sehr konkret: Farle habe seine dortigen Kontakte zu SED und PDS zur Kundenwerbung genutzt. Es seien schließlich sogar Aufträge der Treuhand eingegangen.

In den Folgejahren scheint Farles Unternehmung in Sachsen-Anhalt jedenfalls Fahrt aufzunehmen. Eine zweite Niederlassung wird gegründet, eine weitere GmbH mit Startkapital von 50.000 DM ins Leben gerufen und eine Rechtsanwaltskanzlei mehrheitlich übernommen. Zwischenzeitlich hält Farle Anteile in Höhe von 100.000 Euro an seinem ursprünglichen Beratungsbüro, auch wenn er sie zuletzt etwas reduziert.

Parallel dazu startet er auch politisch wieder durch. Was ihm als kommunistischer Funktionär nur bedingt vergönnt war, gelingt ihm mit der AfD. Seit dem Einzug der Rechten in den Landtag ist er dort zur zentralen Schaltstelle aufgestiegen. Als parlamentarischer Geschäftsführer lenkt er die Geschicke der Fraktion, sorgt für den reibungslosen Ablauf – und gedenkt, für die AfD bald sogar in den Bundestag einzuziehen. Um eine "DDR 2.0" zu verhindern, wie er sagt. Auch wenn er die Bundesrepublik jahrzehntelang im Dienste der DDR bekämpft hat.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Farle, Robert/Schöttler, Peter: "Chinas Weg - Marxismus oder Maoismus", Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt am Main, 1969
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