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Walter-Borjans zur Korruptionsaffäre: "Erschüttert, aber es überrascht nicht"


SPD-Chef Walter-Borjans
"Die CDU sperrt sich seit Jahren gegen jede Form der Transparenz"

  • Annika Leister
InterviewVon Annika Leister

Aktualisiert am 20.03.2021Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Norbert Walter-Borjans: Er war sieben Jahre lang NRW-Finanzminister, seit 2019 ist er im Duo mit Saskia Esken Vorsitzender der SPD im Bund.Vergrößern des Bildes
Norbert Walter-Borjans: Er war sieben Jahre lang NRW-Finanzminister, seit 2019 ist er im Duo mit Saskia Esken Vorsitzender der SPD im Bund. (Quelle: Janine Schmitz/photothek.de/imago-images-bilder)

Ein weiterer Unionsabgeordneter zieht sich wegen zweifelhafter Verbindungen zurück. SPD-Chef Walter-Borjans zeigt sich nicht überrascht. Der Machtmissbrauch habe in der Union System, sagt er im Interview.

Am Freitag tagte der Impfgipfel, am Montag findet die Corona-Schalte zu Maßnahmen in der Pandemie statt – und dann legt noch ein weiterer Abgeordnete der Union wegen Korruptionsvorwürfen sein Amt nieder, es werden neue Ermittlungen angestrengt. Das muss ein Ende haben, sagt SPD-Chef Norbert Walter-Borjans, der Koalitionspartner müsse endlich aufräumen. Ein Gespräch über Seilschaften in der Politik, Schröders Freundschaft zu Putin und den Impfstoff von Astrazeneca.

t-online: Herr Walter-Borjans, die Europäische Arzneimittelagentur (Ema) hat Astrazeneca wieder zur Impfung empfohlen. Andere Länder haben von Anfang an weitergeimpft. Hätte Deutschland diesen Weg wagen sollen?

Norbert Walter-Borjans: Es gibt neben Covid-19 kaum eine andere Erkrankung, bei der Patienten sich so intensiv über die Nebenwirkungen der Medikamente unterschiedlicher Hersteller informieren. Ich bin kein Facharzt, aber bei vielen Eingriffen erklärt man doch auch sein Einverständnis, nachdem man über Nutzen und Risiken aufgeklärt wurde. Wenn man das jetzt auch möglich gemacht hätte, hätten sich sicher nicht alle, aber viele für die Impfung mit Astrazeneca entschieden. Ich bin über 65 Jahre alt und sage trotzdem: Ich würde Astrazeneca sofort nehmen – wenn ich so rascher geimpft werden kann. Das Hin und Her um Astrazeneca hat viel Vertrauen zerstört.

Am Montag folgt der nächste Corona-Gipfel: Dann werden die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten wieder über den Kurs in der Corona-Krise diskutieren. Gibt es in dieser Lage Hoffnung auf Lockerungen?

Der derzeitige Trend lässt eher das Gegenteil befürchten. Beim letzten Mal sind ja Regeln beschlossen worden, die nach unten hin Lockerungen und bei Überschreiten des Inzidenzwertes von 100 wieder Einschränkungen vorsehen. Die gäbe es also praktisch automatisch. Ich nehme aber neben den gesundheitlichen auch die sozialen, wirtschaftlichen und psychischen Aspekte des Lockdowns sehr ernst. Deshalb muss die Durststrecke bis zu einer ausreichenden Impfquote so kurz wie möglich sein. Impfunterbrechungen sind da ein herber Rückschlag und die Organisationsdefizite beim massenhaften Testen in der Zwischenzeit genauso.

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Reicht es da, weitere Lockerungen zu verschieben oder sollte gleich der harte Lockdown kommen?

Am Montag werden unterschiedliche Positionen aufeinandertreffen: Die Kanzlerin will die Maßnahmen eher verschärfen, viele Ministerpräsidenten stehen vor Ort unter dem Eindruck derjenigen, die den Lockdown nicht mehr aushalten können oder wollen. Das muss diskutiert werden. Klar ist aber: Die Bereitschaft, bei harten Regeln mitzugehen, sinkt, wenn die Menschen denken, dass die Regierung keinen zu Ende gedachten Plan hat. Auch hier ist fehlende Information das Problem. Jens Spahn muss mehr informieren, nach außen, aber auch gegenüber uns als Koalitionspartner, der den Unmut mit abbekommt.

Die Union ist zurzeit stark mit sich selbst beschäftigt. Nüßlein, Löbel, Hauptmann, seit Donnerstagabend auch Tobias Zech: Die Liste der Unions-Abgeordneten, die sich wegen Korruptions- oder Lobbyismusvorwürfen zurückziehen, wird immer länger. Auch gegen den bayrischen Ex-Justizminister Alfred Sauter wird wegen Korruption ermittelt. Gibt das der Maskenaffäre eine neue Qualität?

Es erschüttert, aber es überrascht leider nicht. CDU und CSU haben ein Grundproblem. Da gibt es eine Verquickung von Interessen bestimmter Branchen und Unternehmen mit Eigeninteressen von Abgeordneten. Wir kennen das aus Bayern seit Strauß, wir kennen das aus der Diskussion um Kohl und schwarze Parteikassen und vielen Entscheidungen, die immer wieder die Klientel der Vermögenden bespielen, die sich nicht selten erkenntlich zeigen.

Auch die FDP steht der Wirtschaft nahe. Warum attestieren Sie dieses Grundproblem nur der CDU/CSU?

Ich fand es immer befremdlich, dass Herr Kubicki lange als Anwalt für den Erfinder des Cum-Ex-Betrugs tätig war. Auch die FDP lobbyiert für die Betuchten. Vielleicht bewahrt sie aber die Tatsache, dass sie in der Fläche weniger breit aufgestellt ist, vor der Versuchung, den örtlichen Stammtisch der Bestverdienenden allzu direkt ins Parlament zu übertragen. Das ist bei vielen Positionen von CDU und CSU sehr offensichtlich.

Sie waren selbst kommunal tätig – in Köln, der Stadt des Klüngels.

Ich weiß, dass Köln aus gut und weniger gut gemeinten Gründen gern die nördlichste Stadt Italiens genannt wird (lacht). Ich war dort vier Jahre lang Dezernent für Wirtschaft und Liegenschaften und kenne die Rolle von Seilschaften gut. Das betrifft definitiv nicht nur eine einzelne Stadt. Gerade bei der Entwicklung knapper kommunaler Flächen gibt es immer wieder bemerkenswerte Verbindungen. Da werden innerstädtische Gewerbeflächen plötzlich Bauland, verbunden mit enormer Wertsteigerung – und die Nutznießer sind immer nur eine knappe Handvoll Beteiligte. Die sind ganz sicher nicht dem linken Spektrum der Politik zuzuordnen.

Auch die SPD ist kommunal bestens vernetzt. Wie sauber ist Ihrer Einschätzung nach Ihre eigene Partei?

Niemand kann behaupten, dass man in den eigenen Reihen vor jedweder Enttäuschung sicher ist. Auch deshalb treten wir für allgemeinverbindliche Regeln und für empfindliche Strafen im Fall ihrer Verletzung ein. Für Mandatsträgerinnen und Mandatsträger der SPD gelten schon seit Jahren klare Regeln. Wir brauchen aber verbindliche Gesetze für alle. Wir fordern seit langem ein Lobbyregister, das Transparenz schafft. Die CDU sperrt sich aber seit Jahren gegen jede Form der Transparenz. Es geht erkennbar immer wieder darum, Hintertüren offenzuhalten.

Ein Beispiel?

In der aktuellen Situation: Die Ehrenerklärung, die sie von ihren Abgeordneten haben unterschreiben lassen, zielt nur auf Medizinprodukte ab – die Fälle, in denen Geld aus Aserbaidschan an Abgeordnete geflossen ist, deckt die gar nicht ab. Daraus eine Selbstinszenierung als Oberaufklärer zu machen, finde ich kaltschnäuzig.

Kritiker weisen da auf ein sehr prominentes SPD-Mitglied hin: Ex-Kanzler Gerhard Schröder und seine enge Verbindung zum russischen Präsidenten. Die CSU zum Beispiel nennt ihn einen "russischen Söldner".

Ich sehe das wie Olaf Scholz: Auch was man nach der Amtszeit tut, fällt noch auf die Partei zurück. Aber wie immer man das findet: es ist eine persönliche Entscheidung. Gerhard Schröder hat kein Amt mehr und sitzt nicht mehr im Bundestag. Das ist ein wichtiger Unterschied.

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Wird der Transparenzbeauftragte, den Sie fordern, auch Gesundheitsminister Jens Spahn unter die Lupe nehmen?

Wieso nicht? Die öffentliche Meinung billigt uns Politikern keine Unschuldsvermutung bis zum Beweis des Gegenteils zu. Das kann man bedauern, ist aber so. Deshalb müssen wir auf allen Ebenen ein Interesse an größtmöglicher Transparenz haben. Aber auch Politiker haben Persönlichkeitsrechte. Ein unabhängiger Transparenzbeauftragter kann die notwendige Balance der Rechte und Interessen sicherstellen.

Wenn die Union so ein massives Grundproblem hat – muss die SPD sie dann nicht als Koalitionspartner grundsätzlich ausschließen?

Wenn die CDU eine regierungsfähige Partei bleiben will, dann hat sie extremen Aufräumbedarf. Meine Position ist: Es ist an der Zeit, dass sich CDU und CSU einmal fernab von den Fleischtöpfen der Macht in der Opposition regenerieren. Dass zum Beispiel ein Verkehrsministerium als Erbrecht der CSU gilt, ist ein Unding. Mitten in einer schweren Krise und ein halbes Jahr vor der Wahl wäre es aber unverantwortlich, die Regierung zu sprengen. Aber wir brauchen im Herbst neue Mehrheiten diesseits des konservativen Lagers.

Auf die Besetzung der Ministerien hatte die SPD in der Regierung Einfluss, ebenso auf die Gesetzgebung. Haben Sie in den letzten Jahren einfach zu wenig Druck gemacht?

Saskia Esken und ich sind als Vorsitzende der SPD angetreten, weil wir uns in den Jahren davor öfter eine lautere und klarere Sprache der SPD gewünscht hätten. Wir haben uns in der großen Koalition auch als Sozialdemokraten von mancherlei Einflussnahme neoliberaler Interessenvertreter leiten lassen. Das ist erkennbar anders geworden.

Neue Koalitionspartner tun sich gerade auf: In Rheinland-Pfalz hat eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP Zustimmung erhalten, auch in Baden-Württemberg gibt es diese Option. Ist das die Zukunft auch im Bund?

Es geht für uns darum, stärkste Kraft in einer Regierung ohne CDU/CSU zu werden. Dafür brauchen wir natürlich Partner. Eine andere, zukunftsorientierte Mehrheit ginge nur mit einem rot-grünen Kern, das ist reine Mathematik. Schon die Einigung darauf wäre kein Kinderspiel. Da wäre viel zu verhandeln. Das gilt erst recht für weitere Partner. Wir wollen so viel von unserem Zukunftsprogramm umsetzen wie nur eben möglich. Bei allen in Frage kommenden Partnern gäbe es gewiss Positionen, die in einem gemeinsamen Regierungsprogramm nichts zu suchen hätten.

Linke und FDP sind als Partner denkbar. Welche Position überwiegt in der SPD gerade: lieber neoliberal oder straff links?

Die FDP zu Zeiten von Willy Brandt und Helmut Schmidt war nicht neoliberal und die Linke eines Bodo Ramelow oder Dietmar Bartsch ist nicht „straff“ links. Die FDP hat sich allerdings sehr verändert, und in der Linken gibt es auch andere Kräfte als die Genannten. Wie die neue Führung der Linken agiert, wird sich erst noch zeigen. Es kommt sehr darauf an, wie ernst alle eine Regierungsverantwortung für Zukunft und Zusammenhalt wirklich nehmen.

Was stört Sie an der aktuellen FDP?

Eine Frage, die sich stellt, ist: Kann die FDP wieder zur FDP der sozialliberalen Ära werden? Oder fühlt sie sich nur einer kleinen, wirtschaftlichen Klientel verpflichtet? Das wäre eine unüberwindbare Hürde, auch für die in der SPD, die sich noch an gute sozialliberale Zeiten erinnern können.

Norbert Walter-Borjans, 68 Jahre alt, ist seit 2019 Bundesvorsitzender der SPD. Von 2010 bis 2017 war er Finanzminister in Nordrhein-Westfalen. Er hat Volkswirtschaftslehre in Bonn studiert und an der Universität zu Köln promoviert. Geboren wurde er als "Norbert Walter", 1986 nahm er zusätzlich den Namen seiner Frau an. Daraus entstand der Spitzname "NoWaBo".

Verwendete Quellen
  • Videotelefonat mit Norbert Walter-Borjans
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