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Ukraine-Krieg: Trump zertrümmert die Illusionen des Friedrich Merz


Tagesanbruch
Dann gnade uns Gott


Aktualisiert am 26.05.2025Lesedauer: 6 Min.
Friedrich Merz: Der Kanzler macht sich keine Illusionen über Donald Trump mehr.Vergrößern des Bildes
Friedrich Merz: Der Kanzler macht sich keine Illusionen über Donald Trump mehr. (Quelle: Remo Casilli/Reuters)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

manchmal werden auf dem Tag der Bauindustrie in Berlin tiefe weltpolitische Wahrheiten ausgesprochen. So wie am vergangenen Mittwoch. Bundeskanzler Friedrich Merz ist zu Gast und er beginnt seine Rede gar nicht erst mit Häusern und Wohnungen, sondern kommt gleich zu Putin und der Ukraine.

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"Es gibt im Augenblick keine Zeichen dafür, dass dieser Krieg schnell endet", sagt Merz, da hat er noch keine drei Minuten geredet. Man versuche, diplomatisch "alles zu erreichen, was möglich ist". Sogar mit dem "Heiligen Vater" sei nun Kontakt aufgenommen worden. Im Vatikan, so will es Donald Trump, sollen Russland und die Ukraine verhandeln. "Wir können alle nur hoffen, dass es wenigstens dort gelingt, die Konfliktparteien zu einem konstruktiven Gespräch zusammenzubringen", sagt Merz. "Aber das ist dann sozusagen die letzte irdische Instanz."

Wenn es schiefgeht: Dann gnade uns Gott.

Die Woche, in der Friedrich Merz auf dem Tag der Bauindustrie so etwas wie ein Stoßgebet gen Himmel schickt – das war die Woche, in der im Kanzleramt die letzten Illusionen über Donald Trump zerstört wurden.

Um das zu erkennen, muss man nicht mal auf vertrauliche Gespräche mit Merz und seinen Leuten zurückgreifen. Man kann es schon daran ablesen, wie sich ihre öffentlichen Aussagen seit Montagabend verändert haben. Seit dem Abend nämlich, an dem Donald Trump ein "sehr gutes" Telefonat mit Wladimir Putin führte, wie er selbst es später nennen wird. Denn in Deutschland und Europa findet man eher: Es war ein Telefonat knapp vor katastrophal.

Noch am Vormittag vor dem Telefonat, das die letzten Illusionen über Trump zertrümmern sollte, gab sich die Bundesregierung auffallend optimistisch. Friedrich Merz und andere Europäer hatten innerhalb weniger Tage dreimal mit Donald Trump telefoniert. Das erste Mal, als sie gemeinsam nach Kiew gefahren waren. Dann aus Tirana am Rande des Treffens der Europäischen Politischen Gemeinschaft. Und schließlich am Sonntagabend, einen Tag vor Trumps Putin-Telefonat.

Die Europäer hatten das Gefühl, dass es was werden könnte. Regierungssprecher Stefan Kornelius berichtete am Montagvormittag, das Gespräch der Europäer mit Trump sei in "hohem Einvernehmen" abgelaufen. Merz habe einen "sehr guten Eindruck", Trump ein "hohes Interesse", den Krieg zu beenden. Es war mehr als Zweckoptimismus.

Das Kalkül der Europäer war so simpel wie einleuchtend: Sie wollten so oft wie möglich versuchen, telefonisch auf Trump einzuwirken, damit er die Ukraine nicht gleich an Putin verschachert. Ihm Stichworte liefern, ihn sanft auf den europäischen Kurs bringen. Um den Unberechenbaren zwar nicht berechenbar zu machen, aber ihn zumindest dazu zu bringen, die Regeln des Einmaleins zu akzeptieren.

Nur wollte Trump dann, als es ernst wurde mit Putin, von Regeln mal wieder nichts wissen. Er machte keinen Druck mit Sanktionen, worauf die Europäer gehofft hatten. Stattdessen stellte er Putin Wirtschaftsdeals in Aussicht. Und dann zog Trump sich auch noch weitgehend aus dem Prozess um Waffenstillstand und Frieden zurück. Genau die zwei Dinge, die die Europäer mit ihrer Telefondiplomatie unbedingt verhindern wollten.

Am Morgen danach hatten offensichtlich alle den Eindruck, dass es sich nicht lohnt, das noch schönzureden. Der Parlamentarische Geschäftsführer von Merz' Union, Steffen Bilger, sagte Journalisten, das Telefonat sei "einmal mehr enttäuschend" gewesen. "Es wäre wünschenswert, dass wir eine gemeinsame Linie mit den USA hätten. Aber es ist schwer abzusehen, wie das mit Trump gelingen soll." Trump, sagte Bilger, "unterschätzt, welche Gefahr von Putin ausgeht".

Anschließend war in Berlin von manchem zu hören, immerhin habe Trump sich nicht gleich komplett aus dem Friedensprozess verabschiedet, sondern die Vatikan-Gespräche vorgeschlagen. Und immerhin habe er sich nicht offen auf die Seite Russlands gestellt. Schon das zeigt, wie niedrig die Erwartungen inzwischen sind.

Donald Trump glaubt, dass Sanktionen seiner Wirtschaft schaden. Und er glaubt, dass die Ukraine das Problem Europas ist, nicht seines. Er will das Problem loswerden. Davon sind sie im Kanzleramt mittlerweile offensichtlich überzeugt.

Wie alarmiert Merz und seine Leute sind, lässt sich auch an der Debatte über eine Prozentzahl ablesen: fünf Prozent. Es ist die Zahl, die die Nato-Staaten schon bald als Ziel für ihre Verteidigungsausgaben festlegen könnten. 3,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung für Rüstung, plus 1,5 Prozent für militärisch relevante Infrastruktur.

Außenminister und Merz-Parteifreund Johann Wadephul hatte sich schon in der Vorwoche zu den fünf Prozent bekannt. Ohne sich mit Merz abzusprechen, heißt es in der Union. Die SPD fand das gar nicht glücklich, von "glattem Irrsinn" sprachen Leute wie Ralf Stegner. Auch Merz nannte die Prozentdebatte sofort eine "Hilfskonstruktion, um mal Richtwerte zu haben". Noch am Tag des Telefonats zwischen Trump und Putin ließ er seinen Regierungssprecher sagen, man halte am Plan fest, darüber erst auf dem Nato-Gipfel Ende Juni zu sprechen.

Doch als Friedrich Merz drei Tage später in Vilnius stand, im Präsidentenpalast von Litauen, klang er auf einmal ganz anders. "Das sind zwei Zahlen", denen man sich nähern könne, sagte Merz da. "Sie erscheinen uns vernünftig und sie erscheinen uns auch erreichbar, jedenfalls in der vorgegebenen Zeitspanne bis zum Jahr 2032."

Das ist natürlich lange hin, und eine Hilfskonstruktion bleiben die fünf Prozent. Für die Bundesregierung ist gerade viel entscheidender, das theoretisch unendliche Geld für Verteidigung, das sie durch eine Reform der Schuldenbremse mobilisiert hat, sinnvoll ausgegeben zu bekommen. Doch das Bekenntnis von Friedrich Merz in Vilnius, an der Ostflanke der Nato, ist nach dem Trump-Putin-Telefonat eben ein doppeltes Signal: An Putin, dass Europa es ernst meint. Und an Trump ebenso, mit derselben Botschaft. Immerhin fordert er die fünf Prozent von den Europäern schon lange.

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Donald Trump ist kein rationaler politischer Akteur. Europa darf sich selbst deshalb auch nicht mehr mit rationalen Argumenten in scheinbare Sicherheit meditieren. Wie mit dem immer wieder vorgebrachten Hinweis darauf etwa, dass die USA Europa ja als Brückenkopf in den Nahen Osten und nach Afrika bräuchten und sich deshalb nicht komplett zurückziehen würden. Es kümmert ihn einfach nicht. Und Trump ist auch kein magischer Dealmaker. Er war es als Immobilienhändler nicht, er ist es als US-Präsident nicht. Nicht mal in eigener Sache, wie sein Zoll-Wirrsinn beweist.

Es ist gut, dass Merz und seine Leute das sehen. Vom Friedrich Merz, der vor einigen Jahren sagte, er käme schon mit Trump klar, scheint zum Glück nicht mehr viel übrig. Jeder darf dazulernen. Und es ist auch gut, dass es Merz nicht davon abhält, sich weiterhin klar auf die Seite des Opfers zu stellen, auf die Seite der Ukraine. Besonders, nachdem Putin am Wochenende mit dem bisher größten russischen Luftangriff seit Beginn der Vollinvasion wieder deutlich gemacht hat, was er will: Krieg, nicht Frieden.

Die Bundesregierung tut klugerweise trotzdem alles, um Trump und die USA bei Laune zu halten. Doch spätestens jetzt muss sich Europa darauf vorbereiten, was wird, wenn Trump ernst macht. Wenn er seine Waffenlieferungen stoppt. Wenn er die Versorgung mit Geheimdienstinformationen einstellt. Oder im schlimmsten Fall: sich offen auf die Seite Putins schlägt. Gottvertrauen und Stoßgebete werden als Vorbereitung nicht ausreichen.


Termine des Tages

Urteil im Dieselprozess: Heute wird im Gerichtsverfahren gegen vier ehemalige Volkswagen-Mitarbeiter das Urteil erwartet. Den Angeklagten im Abgasskandal, darunter hochrangige Manager, wird Betrug vorgeworfen. Der Prozess gegen den früheren Konzernchef Martin Winterkorn wird allerdings getrennt verhandelt.


Friedrich Merz im Norden: Der Bundeskanzler trifft die nordischen Regierungschefs im kleinen finnischen Ort Paimio in der Nähe der Großstadt Turku. Beim jährlichen Treffen nehmen Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark und Island sowie die autonomen Regionen Grönland, Färöer (beide Dänemark) und Åland (Finnland) teil. Es wird um wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Nato gehen.


Johann Wadephul im Süden: Der Außenminister reist zu Antrittsbesuchen nach Spanien und Portugal.


Lesetipps

Sind Deutschland und die Nato auf einen Angriff Russlands vorbereitet? Ja, sagt Generalmajor Andreas Henne. Mein Kollege Daniel Mützel hat mit dem Kommandeur der neuen Heimatschutzdivision ein interessantes Interview geführt.


2,1 Millionen Rentnerinnen leben unterhalb der Armutsgrenze. Warum es vor allem Frauen trifft und wie sich das in Zukunft ändern lässt, erklärt meine Kollegin Christine Holthoff.


Deutschland bewegt sich zu wenig. Das hängt damit zusammen, dass der Stellenwert des Sports hierzulande gesunken ist, sagen Experten. Was sich ihrer Meinung nach ändern muss, hat mein Kollege Benjamin Zurmühl für Sie aufgeschrieben. DFB-Geschäftsführer Andreas Rettig macht sich besonders große Sorgen um die Kinder. Was er sich wünscht, erzählt er im Interview.


Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche.

Ihr Johannes Bebermeier
Chefreporter
BlueSky: @jbebermeier.bsky.social
Instagram: @johannesbebermeier

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Mit Material von dpa.

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