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Russlands Angriffe auf Deutschland: Generalmajor warnt


General zur Verteidigung gegen Russland
"Wir sind mehr, wir haben mehr und wir sind besser"

  • Daniel Mützel
InterviewVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 24.05.2025 - 17:06 UhrLesedauer: 7 Min.
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Russischer Soldat in der Ukraine: Die Bedrohung durch Russland wachse jeden Tag, warnt Generalmajor Andreas Henne. (Quelle: Uncredited)
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Russlands hybride Angriffe auf Deutschland nehmen täglich zu, warnt Generalmajor Andreas Henne. Wie er die Verteidigung organisieren will und was er noch dringend braucht, erklärt der Kommandeur der neuen Heimatschutzdivision im Interview.

Wenn man das Büro von Andreas Henne in der Berliner Julius-Leber-Kaserne betritt, fällt zuerst ein Gegenstand ins Auge. Es ist nicht die Deutschlandflagge an der Wand oder das Porträt des Verteidigungsministers, sondern ein bronzefarbenes Schild mit der Aufschrift "Parken nur für Traktoren. Alles andere wird zerschmettert." Ein Geschenk, grinst der Generalmajor und stolze Besitzer eines Traktors, ursprünglich gedacht für den heimischen Hof.

Der rund 20 Quadratmeter große Raum ist Hennes Hauptquartier. Von hier aus organisiert der erfahrene Bundeswehrsoldat den Heimatschutz in Deutschland. Als Kommandeur der gerade erst aufgestellten Heimatschutzdivision muss er mit seinen Kräften im Ernstfall kritische Infrastruktur schützen und den Nato-Aufmarsch an die Ostflanke absichern. Ein Interview über die wachsende Bedrohung durch Russland, die Rolle der Heimatschützer und die Frage, ob das Personalproblem der Bundeswehr allein durch Freiwillige gelöst werden kann.

t-online: Herr Henne, Kanzler Friedrich Merz will die Bundeswehr zur stärksten Armee Europas hochrüsten. Wie realistisch ist das?

Generalmajor Andreas Henne: Das Ziel des Kanzlers ist richtig. Starke konventionelle Kräfte schrecken ab, sie machen den Braten für den Gegner unverträglich. Ich sehe nicht, warum wir das nicht schaffen sollten.

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Generalmajor Andreas Henne (Quelle: Thomas Koehler/t-online)

Der Interviewpartner

Generalmajor Andreas Henne ist 59 Jahre alt und seit März 2025 der Kommandeur der neuen Heimatschutzdivision der Bundeswehr. Die Division soll Infrastruktur wie Häfen, Eisenbahnen und Brücken sowie wichtige militärische Einrichtungen in Deutschland schützen. Henne hatte zuvor in mehreren Panzerbataillonen gedient und an der Universität der Bundeswehr Staats- und Sozialwissenschaften studiert.

Auch Olaf Scholz hatte das versprochen – aber Deutschland ist weit davon entfernt, militärische Führungsmacht zu sein. Wie glaubwürdig ist es, wenn zwei Kanzler hintereinander das gleiche Versprechen machen, die Truppe aber weiter unter Personal- und Materialmangel leidet?

Der entscheidende Unterschied ist im Koalitionsvertrag angelegt: Wir haben jetzt nicht nur deutlich größere Finanzmittel, sondern auch die Instrumente, mit denen wir die Vollausstattung beschleunigen können. Weiterhin ist geplant, Kasernen und andere Infrastruktur schneller bauen zu können. Auch soll es für die Bundeswehr Ausnahmen im Bau- und Umweltrecht geben.

Generalinspekteur Carsten Breuer warnte kürzlich davor, dass Russland bis 2029 in der Lage ist, einen "großmaßstäblichen konventionellen Krieg" zu führen. Wie hoch schätzen Sie die aktuelle Bedrohungslage ein?

Bis 2029 müssen wir in der Breite kriegstüchtig sein. Das sind vier Jahre. Wir haben keine Zeit zu verlieren.

Was passiert, wenn eine mögliche Waffenruhe in der Ukraine dazu führt, dass Putin von dort aus Truppen abzieht und sie an die russische Westgrenze zur Nato verlegt. Steigt dann die Gefährdungslage?

Das sind Überlegungen, die wir im Blick haben. Wir sollten keine Zeit verlieren. Die Bundeswehr und somit auch der Heimatschutz müssen schnell einsatzbereit sein.

Im September plant die russische Armee das Großmanöver "Sapad" in Belarus, das Ende 2021 als Vorbereitung des Ukraine-Überfalls diente. Der Militärhistoriker Sönke Neitzel warnte bereits vor dem möglicherweise "letzten Sommer im Frieden". Stellen Sie sich auf ein solches Szenario ein?

Sollten die Russen eine große Truppenkonzentration im Zuge einer Militärübung nutzen, um einen Nato-Staat anzugreifen, wird die Nato bereit sein. Ich gehe nicht davon aus, dass Putin dieses Risiko eingeht. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass er den Zusammenhalt der Nato durch gezielte Provokationen testen wird. Der Kreml eskaliert den hybriden Krieg gegen Europa mit jedem Tag, auch gegen Deutschland.

Inwiefern?

Die russischen Provokationen nehmen zu. Drohnenflüge über Kasernen, durchtrennte Unterwasserkabel, Anschläge auf den Gütertransport, Spionage- und Cyberangriffe sind alltäglich. Umso wichtiger ist es, dass wir in Deutschland den Heimatschutz besser aufstellen.

Wenn Deutschland morgen angegriffen werden würde, könnte die Bundeswehr das Land verteidigen?

Ja.

So eindeutig?

Jede andere Antwort würde mich als militärischer Vorgesetzter und Soldat infrage stellen. Mein Anspruch ist "fight tonight": Wir müssen und wir werden innerhalb weniger Stunden einsatzbereit sein. Das ist, was ich meinen Männern und Frauen sage. Es gibt dann keine Fragen mehr. Dann werden wir zu den Waffen greifen und kämpfen. Wir haben geschworen, dieses Land zu verteidigen, und das tun wir.

Die neue Heimatschutzdivision wurde offiziell am 1. April aufgestellt. Die Heimatschutzkräfte unterstehen jetzt nicht mehr den jeweiligen Landeskommandos, sondern dem Heer. Was ändert sich dadurch?

Vieles. Wir werden die Ausbildung vereinheitlichen und überall die gleichen Standards durchsetzen. Es ist sehr wichtig, dass die militärischen Führer und Unterführer in den Heimatschutzregimentern auf demselben Ausbildungsniveau sind wie die anderen Teile des Heeres. Das Heer als "Heimat der Infanterie" kann genau das bieten. Der Schwerpunkt der Ausbildung muss künftig auf dem Kampf liegen.

Was heißt das genau?

Heimatschutz ist der Schutz unserer Heimat. Unsere Heimat ist Deutschland. Das heißt, der Einsatzbereich ist Deutschland. Jeder Soldat, der zu den Streitkräften geht, sollte sich darüber im Klaren sein, dass die Waffe auch zu benutzen ist. Der Kampf ist Teil des Auftrags. Wir wollen stark und einsatzbereit sein, um nicht kämpfen zu müssen. Aber wenn es dazu kommt, kämpfen wir.

Der Heimatschutz hat ein breites Aufgabenspektrum: Schutz der territorialen Integrität des Landes und der kritischen Infrastruktur, Unterstützung im Katastrophenfall, die Sicherung des Aufmarsches von Nato-Verbänden im Kriegsfall. Wie gut ist es derzeit um den Heimatschutz bestellt?

Der richtige Weg ist eingeschlagen, aber wir müssen jetzt das Tempo erhöhen. Bei der Ausrüstung, beim Ausbau der Infrastruktur und vor allem beim Personal.

Die Heimatschutzkräfte bestehen größtenteils aus Reservisten. Doch die Reserve leidet wie die reguläre Truppe unter Personalnot. Ist die Sollstärke der Division von 6.000 überhaupt zeitnah erreichbar?

Die Kompanien und Regimenter des Heimatschutzes sind in der Tat unterschiedlich aufgefüllt, im Schnitt um die 60 Prozent. Aber auch die 6.000 werden nicht reichen, um unseren Auftrag zu erfüllen.

Was wäre nötig?

Das ist die spannende Frage. Ich möchte sie wie folgt beantworten: Bis 1990 gab es in Westdeutschland ein Territorialheer, das im Frieden ungefähr 36.000 Soldatinnen und Soldaten umfasste. Für den Kriegsfall waren 100.000 eingeplant. Damals war Deutschland Kampfzone. Heute sind wir eher rückwärtige Zone. Aber mit einer ähnlichen Anzahl von Soldatinnen und Soldaten können wir unserem Auftrag gerecht werden.

Woher sollen die vielen Heimatschützer der Zukunft kommen?

Wir brauchen dringend Aufwuchs, daher setze ich große Hoffnung in den neuen Wehrdienst von Verteidigungsminister Boris Pistorius. Die, die bis maximal elf Monate bei uns im Heer sind, werden unmittelbar in den Heimatschutz beordert und verstärken unsere Strukturen.

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Der Personalmangel im Heimatschutz, bei der Reserve und der aktiven Truppe, beziffert sich auf über 200.000. Wie kann diese Lücke bis 2029 realistischerweise geschlossen werden?

Zunächst mit dem freiwilligen Wehrdienst.

Kritiker wenden ein, dass die Bundeswehr ihre Personalprobleme allein mit Freiwilligen nicht den Griff bekommen wird und fordern eine Wehrpflicht.

Wenn wir mit der Freiwilligkeit nicht hinkommen, werden wir über eine Pflicht nachdenken müssen, sagt der Bundesverteidigungsminister.

Pistorius' Wehrdienst-Modell sieht vor, im Jahr 2026 zunächst 5.000 Freiwillige zu rekrutieren. Ist das nicht viel zu niedrig angesetzt, wenn Truppe und Reserve bis 2029 in voller Stärke stehen müssen?

Die Zahl der Rekruten soll in den nächsten Jahren steigen. Jetzt beginnen wir mit der Freiwilligkeit. Wenn dies nicht ausreicht, wird es eine neue Bewertung geben müssen.

Warum macht man die verpflichtende Einziehung nicht gleich?

Wir müssen uns die Frage stellen, wann wir das machen sollten. Im Frieden? Da bin ich mir nicht sicher. Im Spannungsfall sollte man scharf darüber nachdenken. Spätestens im Verteidigungsfall wird die Wehrpflicht reaktiviert werden. Es geht aber nicht nur um Personal, wir müssen auch bei der Ausrüstung kräftig zulegen.

Was meinen Sie genau?

Unsere Hauptbedrohung sind Drohnen und Flugkörper. Das ist eine der Lehren aus dem Ukraine-Krieg: Der erste Feindkontakt geschieht immer über Drohnen. Der Heimatschutz braucht also eine Drohnenfähigkeit. Die Kommandeure unserer Regimenter haben Handgelder, mit denen sie jetzt schon Drohnen kaufen und austesten können. Doch was wir darüber hinaus brauchen, ist eine kinetische Drohnenabwehrfähigkeit.

Können Sie das bitte ausführen?

Das sind Drohnenabwehrsysteme, die mit kinetischer Energie, also mit Metall in der Luft, andere Drohnen herunterholen. Wenn ein Angreifer mit 10 oder 20 Drohnen über die Elbbrücke bei Magdeburg fliegt, müssen wir die wegschießen. Diese Fähigkeit muss im Heimatschutz vorhanden sein. Wir brauchen zwar für Deutschland eine Flugkörperabwehrfähigkeit wie in Israel zum Beispiel mit dem Arrow-3-System, jedoch nicht in der Verantwortung des Heimatschutzes. Aber Serverfarmen oder andere kritische militärische Infrastrukturen muss ich so schützen.

Auf welches Szenario bereiten Sie sich als Kommandeur der Heimatschutzdivision konkret vor?

Das ist kompliziert, weil wir die gesamte Spanne von Frieden über Krise bis Krieg abdecken. Der Schwerpunkt liegt aber auf den beiden Letztgenannten: In einer Krise oder einem Krieg werden wir womöglich von aktiven Truppenteilen etwa die Sicherung von Kasernen übernehmen. Wenn der Aufmarsch der Nato vonstattengeht, werden wir sicher Convoy Support Center einrichten …

… Rastplätze für militärische Marschkolonnen, die Betten, Verpflegung und Treibstoff bieten …

… und diese sichern. Im Verteidigungsfall müssen wir die kritische militärische Infrastruktur womöglich auch robuster schützen.

Was heißt "robuster"?

Bei feindlicher Bedrohung, wie mit Saboteuren der Elbbrücken an der A2, werden wir ihn dort bekämpfen müssen. Der Schutz lebens- und verteidigungswichtiger Infrastruktur ist eine unserer Kernaufgaben.

Russland baut seine Militärstützpunkte an der Nato-Grenze aus, produziert Waffen und Munition auf Vorrat, will seine Armee bis 2026 auf 1,5 Millionen Soldaten aufstocken. Die Bundeswehr hofft hingegen auf 5.000 freiwillige Wehrdienstleistende im nächsten Jahr. Ist das Tempo der Bedrohung angemessen?

Es passiert schon einiges, aber wir dürfen eben nicht nachlassen und müssen das Tempo weiter steigern. Außerdem bleibt uns die Aufrüstung Russlands nicht verborgen. Deutschland hat starke Verbündete. Wir werden in Litauen einem potenziellen Aggressor nicht allein entgegentreten müssen. Unsere Verbündeten, die auch in Litauen präsent sind, stehen zu den Bündnisverpflichtungen.

Sind Sie da sicher? Die US-Regierung unter Donald Trump hat in den vergangenen Wochen fast sämtliche Gewissheiten der Nato infrage gestellt.

Die Amerikaner haben gewichtige eigene Interessen in Europa. Sie unterhalten hier wichtige militärische Brückenköpfe, die sie in Bezug auf Afrika und den Nahen Osten benötigen. Zudem: Auch wenn sie ihren strategischen Schwerpunkt in den Pazifik verlagern, müssen sie sich den Rücken im Atlantik freihalten. Die US-Amerikaner brauchen Europa.

Sehen Sie die Nato gerüstet für eine mögliche militärische Konfrontation mit Russland?

Die Nato ist potent genug, um Russland abzuschrecken und verteidigungsfähig genug, um einen Angriff abzuwehren. Egal, wann. 400 Millionen Europäer und 360 Millionen Amerikaner können sich gegen 160 Millionen Russen verteidigen. Wir dürfen uns nicht irremachen lassen. So dynamisch der Prozess in Russland ist: Wir sind mehr, wir haben mehr und wir sind besser.

Verwendete Quellen
  • Interview vor Ort mit Generalmajor Andreas Henne
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