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Tagesanbruch: Showdown im Fall Maaßen – "Ein Affenkäfig"


Was heute wichtig ist
Ein seltsames Schauspiel

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 18.09.2018Lesedauer: 7 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Angela Merkel, Horst Seehofer, Andrea NahlesVergrößern des Bildes
Angela Merkel, Horst Seehofer, Andrea Nahles (Quelle: dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Kürzlich las ich eine kurze Meldung, die mich beunruhigte: In Essen wurde eine Polizistin nach einer Routinekontrolle in einer Shisha-Bar von einem 17-Jährigen angegriffen und schwer verletzt. Mehrere libanesischstämmige Männer gingen auf die Beamtin und ihren Kollegen los, als diese einen jungen Mann festnehmen wollten. Die Polizisten konnten die Situation nur mit Unterstützung von Helfern unter Kontrolle bringen. Nach der Festnahme erschienen der Vater und der Bruder des 17-Jährigen auf der Polizeiwache, forderten lautstark dessen Freilassung und drohten, Verstärkung aus ihrer Familie zu holen.

Als ich diese Meldung las, erinnerte ich mich an einen Vorfall, den ich kürzlich in Berlin erlebte: An einem späten Abend prügelten sich auf einer belebten Straße mehrere junge Männer. Sie schrien, schubsten, schlugen einander. Eine Polizeistreife rollte vorbei. Ich bin sicher, dass die Beamten die Schlägerei sahen – aber sie hielten nicht an, sondern fuhren weiter.

Sicher, das mögen Einzelfälle sein, die im Ruhrgebiet oder in Berlin vielleicht öfter vorkommen, als, sagen wir, in Bayern, Hessen oder Baden-Württemberg. Trotzdem sollten wir sie ernst nehmen. Weil Fälle wie diese Kreise ziehen. Sie sprechen sich herum, sie werden massenhaft in den sozialen Netzwerken geteilt, sie verunsichern viele Menschen. Wenn Bürger aber den Eindruck bekommen, dass die Staatsgewalt die Sicherheit im öffentlichen Raum nicht mehr überall garantieren, ja, sich noch nicht mal mehr selbst zur Wehr setzen kann, erschüttert dies das Grundvertrauen in unseren Rechtsstaat. Und das ist brandgefährlich. Jahrelanges Sparen bei der Polizei, ein laxer Kurs in der inneren Sicherheit bei einigen SPD-geführten Landesregierungen sowie zum Teil ineffektive Gerichtsverfahren haben dazu geführt, dass sich mancherorts arabische Familienclans aufführen, als hätten sie das Sagen – nicht der Staat. Mein Kollege Dietmar Seher hat kürzlich anschaulich beschrieben, wie schwer sich die Behörden in Nordrhein-Westfalen damit tun, das Problem in den Griff zu bekommen.

Auch in Berlin häufen sich in letzter Zeit die Straftaten krimineller Clans, jüngstes Beispiel ist die Ermordung des Intensivtäters Nidal R. Nachdem die Brüder des Erschossenen auf Facebook nach den Mördern suchen, befürchten Sicherheitsexperten nun eine Eskalation der Gewalt. In der Hauptstadt sind Ermittlern zufolge bis zu zehn arabische Clans in Straftaten verwickelt. “Mit Drogenhandel, Raub, Schutzgelderpressung oder Prostitution verdienen sie Millionen und waschen ihr Geld mit Immobiliengeschäften“, schreibt der “Focus“. Die Justiz sei oft machtlos: “Zeugen werden eingeschüchtert, aus den Familien spricht niemand mit den Behörden.“

Wenn ich derlei lese, kommt mir New York in den Sinn. Die US-Metropole war früher eine Hochburg der Kriminalität; ich erinnere mich daran, wie riskant es mir Anfang der neunziger Jahre erschien, nachts durch die Lower Eastside zu laufen. Dann setzte Bürgermeister Rudolph Giuliani eine Null-Toleranz-Politik durch. Die hatte zweifellos auch ihre Schattenseiten, aber für die Mehrzahl der Bürger war sie ein Segen: Jeder noch so kleine Gesetzesbruch wurde hart bestraft – nicht Monate später, sondern sofort. Egal, ob es sich um Körperverletzung, Diebstahl, Drogenhandel, aggressive Bettelei oder Belästigung handelte. So hat sich New York zu einem sicheren und für viele Menschen lebenswerteren Ort entwickelt.

Auch die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen will nun gegen arabische Familienclans eine Null-Toleranz-Strategie verfolgen – tut sich damit aber noch schwer. "Diese Übergriffe sind inzwischen leider Alltag", sagte ein Polizeisprecher nach dem Angriff auf die Polizistin in Essen. In Berlin klänge das wohl ähnlich. Wenn die Polizei eingreift.

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WAS STEHT AN?

Ein seltsames Schauspiel erleben wir derzeit in der Bundespolitik. Die drei Regierungspartner, die sich nur zusammengerauft haben, weil am Ende eines langen Sondierungsgeschachers keine andere Option übrig blieb, stürzen sich von einem Streit in den nächsten. Sie fahren sich gegenseitig in die Parade, stellen sich Ultimaten, sprechen nicht nur hinter, sondern auch vor den Kameras abfällig übereinander. Die Abneigung zwischen Schwarzen, Tiefschwarzen und Roten ist mittlerweile so gewachsen, dass jeder Anlass sofort zu einer Koalitionskrise eskaliert. In den anderen europäischen Hauptstädten schütteln sie die Köpfe darüber, wie politisch instabil das wirtschaftlich prosperierende Land in der Mitte des Kontinents geworden ist.

Nun ist es also der Fall Maaßen, der die Koalition entzweit. Die CSU will, dass er bleibt, und sagt das laut. Die SPD will, dass er abtritt, und sagt das noch lauter. Die Kanzlerin hat sich wohl bereits gegen Maaßen entschieden, sagt das aber leise und nur im Vertrauen – was aber im aufgeheizten Berliner Kessel trotzdem sofort publik gemacht und laut herumerzählt wird.

Wichtig ist, dass man als Beobachter in dieser Situation zweierlei auseinanderhält: Einerseits gibt es gute Gründe, die dafür sprechen, dass ein Behördenleiter, dessen Haus von einem Skandal in den nächsten schlittert, und der nun auch noch anfängt, selbst Politik zu machen, in seine Schranken gewiesen wird und seinen Posten räumt. Andererseits fällt die Unfähigkeit der Bundesregierung auf, diesen Fall als das zu behandeln, was er ist: zwar nicht schön, aber auch nicht groß. Politisches Alltagsgeschäft halt. Mit Verlaub: Gerhard Schröder hätte so eine Personalie in zwei Tagen abgeräumt.

Angela Merkel hätte es zu ihren guten, kraftvollen Zeiten ebenso gemacht, aber heute fehlt ihr die Autorität dafür. Sie kann nur hektisch hinter den Kulissen versuchen, ihren Widerborst Seehofer doch noch irgendwie umzustimmen (zum Beispiel, indem sie ihm an anderer Stelle irgendein Zugeständnis rüberschiebt). Und die ganze Republik schaut in einer Mischung aus Staunen und Kopfschütteln dabei zu. Was die da in Berlin aufführen, wirkt weder souverän noch entschlossen.

In dieser Verfassung werden die Chefs der drei Regierungsparteien heute um 16 Uhr aufeinandertreffen. Andrea Nahles auf der einen Palme, Horst Seehofer auf der anderen Palme, und dazwischen Angela Merkel, die irgendwie versuchen wird, beide von ihren Palmen herunterzuholen (und zugleich Herrn Maaßen von der Insel zu schubsen). Im Interesse der Regierungsfähigkeit dieses Landes kann ich nur hoffen, dass sich die drei heute Nachmittag irgendwie einigen. Aber selbst dann wird es bis zur nächsten Koalitionskrise wohl nicht lange dauern.

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Halleluja! Es geht endlich wieder los. Champions League. "Die besten Teams, die besten Fußballer, die besten Trainer. Diese Vorfreude kann bei mir nur die Königsklasse wecken!", schwärmt unser Kolumnist Stefan Effenberg – und erklärt geschwind, was Sie zum Start wissen sollten: Warum zählt der FC Bayern in diesem Jahr nicht zu den Top-Favoriten? Warum ist das Weiterkommen von Schalke und Hoffenheim zweifelhaft? Auf welche Spieler sollte man unbedingt achten? Weiß Effe alles. Und ab 21 Uhr können Sie dann Dortmund gegen Brügge und Schalke gegen den FC Porto in unserem Liveticker verfolgen. Halleluja!

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Weitere Termine Kürze:

Beim EU-Ministertreffen in Brüssel geht es heute um den Brexit. Zu besprechen gibt es viel: Die Verhandlungen zwischen Brüssel und London kommen nicht voran, ein ungeordneter EU-Ausstieg Großbritanniens wird immer wahrscheinlicher. Wir müssen uns auf ein chaotisches Jahr 2019 gefasst machen – falls die Briten nicht in letzter Minute doch noch ein zweites Referendum abhalten, wie es Londons Bürgermeister Sadiq Khan fordert. Umfragen zufolge würde sich die Mehrheit dann gegen einen Brexit aussprechen. Wie heißt es so schön bei Asterix? Genau.

Viktor Orban besucht heute Wladimir Putin, um über eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Ungarn und Russland zu sprechen. Das dürfte Berlin und Paris nicht schmecken.

Bundesfamilienministerin Giffey (SPD) eröffnet heute den Runden Tisch von Bund, Ländern und Kommunen zum Thema “Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“. Gute Sache.

Frage: Was macht eigentlich Hosni Mubarak, der gestürzte ägyptische Diktator? Antwort: Er ist längst wieder ein freier Mann und lebt zurückgezogen in seinem Palast in Kairo-Heliopolis. Für seine Untaten musste er nur kurz büßen – aber die EU-Staaten haben Teile seines Vermögens eingefroren. Dagegen wehrt er sich vor dem Europäischen Gerichtshof. Ab heute Morgen wird in Luxemburg darüber verhandelt.

In Bonn beginnt der Revisionsprozess gegen den Vergewaltiger einer Camperin in der Siegaue. Das Bonner Landgericht hatte den Angeklagten – einen abgelehnten Asylbewerber aus Ghana – zu elfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Bundesgerichtshof hob das Strafmaß auf, weil er Zweifel an der Schuldfähigkeit des Mannes hat. Nun wird neu verhandelt.

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WAS LESEN?

Wir leben in einer Zeit der trügerischen Informationen. Täglich begegnen uns im Internet Fotos, die fast zu schön/schrecklich/absurd/unglaublich/ erscheinen, als dass wir sie glauben können. Auch Redaktionen tun sich zum Teil schwer, zwischen Echtem und Falschem zu unterscheiden, wie wir kürzlich selbst leidvoll erfahren mussten. Woran also erkennt man manipulierte Bilder? Klar: Manche lassen sich mit bloßem Auge entlarven, aber für andere braucht es Tricks und Tools. Gut also, wenn man es sich von einem Profi erklären lässt. Gut also, wenn Sie diesen Text im Magazin “Motherboard“ lesen.

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Worüber wir permanent reden: Migration, Flüchtlinge, Koalitionskrise. Worüber wir eigentlich reden sollten: Klimaschutz. Ernsthaft. Deutschland gibt sich viel zu wenig Mühe, die hochgesteckten EU-Ziele erreichen – und das könnte uns Steuerzahler bis zu 60 Milliarden Euro kosten, zeigt jetzt eine Studie. Und dabei sind die Umweltschäden noch gar nicht berücksichtigt. Das ist aber noch nicht alles. Auch bei der geplanten Rodung des Hambacher Forsts geht es um viel mehr als nur um ein paar Bäume (hier sehen Sie dazu unser Erklärvideo). Dort kämpfe eine rückschrittliche Kohleindustrie um ihre Existenz, schreibt der Wissenschaftler Volker Quaschning – und warnt angesichts des Klimawandels vor Folgen, die man sich “nicht einmal in seinen schlimmsten Alpträumen ausmalen“ mag. Ich denke, diesen kurzen Text sollten Sie lesen.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Gestern haben Sie vielleicht gedacht: Oh, ein Hit von Queen, gespielt von 28 Posaunen, wie abgefahren! War aber nicht abgefahren. Abgefahren kommt erst heute. Machen Sie sich bitte bereit für einen finnischen Chor. Er ist berühmt, er ist männlich, er ist laut. Nur singen tut er nicht. Nee, er schreit. ALSO LOS!

Ich wünsche Ihnen einen abgefahren schönen Tag.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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