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Tagesanbruch: Die Folgen des Maaßen-Debakels


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

20.09.2018Lesedauer: 7 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Merkel, Seehofer, NahlesVergrößern des Bildes
Merkel, Seehofer, Nahles (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Fallout nennt man den radioaktiven Niederschlag nach einem AKW-Unfall. Eine Explosion schleudert kontaminierten Staub in die Atmosphäre, der sich dort als Aerosol verteilt und dann weitflächig auf die Erde rieselt. So vergiftet er auch weit entlegene Gebiete.

Der politische Fallout der Personalie Maaßen kontaminiert gleich mehrere Gebiete. Er vergiftet die Atmosphäre in der großen Koalition. Im Minutentakt prasselten gestern entgeisterte Kommentare von SPD-Genossen in die sozialen Netzwerke, auch viele Unionsmitglieder hackten ihren Frust in die Tastaturen. Aber auch in Bayern geht der Fallout nieder, wo CSU-Frontkämpfer Markus Söder dabei zusehen kann, wie seine Umfragewerte zerbröseln. “Selbst das Bierzelt in Schwabmünchen südlich von Augsburg ist kontaminiert“, schrieb mir unser Reporter Jonas Schaible gestern Abend aus Bayern. “Viele der bekennenden CSUler schimpfen über das ‘Husarenstück‘, die ‘Schnapsidee‘ – und spekulieren, warum ‘der Seehofer derart geisterfährt‘. Der sei amtsmüde, der sei über seinen Zenit hinaus, der gehöre weg.“

Am bedenklichsten erscheint mir aber, was der Fallout bei vielen ganz normalen Bürgern anrichtet. Selten habe ich in den Kommentarforen von t-online.de, in sozialen Netzwerken und in meinem E-Mail-Postfach so viel Empörung gelesen. Ein Furor. Sicher, da gab es auch Stimmen, die Maaßens Beförderung verteidigten – aber die meisten Menschen zeigten sich entsetzt. Irgendwann im Laufe des Nachmittags hörte ich auf, die Worte “fassungslos“, “entgeistert“ und “schockiert“ zu zählen. Und zählte stattdessen die Nachrichten von Unionsanhängern und SPD-Wählern, die ankündigten, mit ihrer Partei zu brechen. Eine Auswahl: “Fast 50 Jahre lang der CDU meine Stimme gegeben, aber jetzt reicht‘s.“ / “Von den aktuellen Koalitionsparteien ist für mich jetzt keine mehr wählbar“ / “Parteibuch zurückgegeben“ / “Das war’s.“

Nehme ich dieses nicht repräsentative, aber grelle Stimmungsbild als ein Menetekel für die anstehenden Landtagswahlen, glaube ich: Das wird ein Desaster für die Volksparteien. In Hessen wahrscheinlich, in Bayern ziemlich sicher.

Moment, Volksparteien? Welches Volk vertreten diese Parteien eigentlich noch? Das Volk, das in Nürnberg, Augsburg, Gießen und Wiesbaden täglich seiner Arbeit nachgeht und sich eine rechtschaffene, rationale bundespolitische Führung wünscht – oder das Volk, das in Berliner Hinterzimmern unanständige Deals schmiedet und glaubt, damit könne es irgendwie durchkommen? “Genug ist Genug“, schrieb mir ein Leser.

Auch Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, mit der meine Kollegen Tatjana Heid und Patrick Diekmann ein ausführliches Interview geführt haben, wettert gegen die Beförderung Maaßens: “Das ist eine Bankrotterklärung dieser Koalition. Sie ist am Ende.“

Jein. Ich denke nicht, dass die SPD vor den beiden Landtagswahlen die Koalition in Berlin aufkündigt. Aber der Frust über das Mitwurschteln in der Bundesregierung wird stärker und stärker. Parteichefin Nahles hat die Beförderung Maaßens erst mitgetragen und dann heftig kritisiert. Sie sei aber nicht bereit, deshalb die Regierung zu stürzen. Hin und her, hin und her. Eine weitere Eigenschaft von Fallout ist: Er kann auch Wochen nach einer Explosion noch Zerstörungen anrichten.

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Bis dahin bleiben die Fakten: Um ihn vor der Degradierung zu bewahren, hat Herr Seehofer Herrn Maaßen auf einen super Posten in seinem Superministerium gehoben. Es dürfte zwei Menschen geben, die diese anrüchige Rochade nicht nur aus politischen und moralischen, sondern auch aus persönlichen Gründen nicht so super finden.

Der erste heißt Gunther Adler, ist seit Jahren ein anerkannter Bauexperte und war bislang in Seehofers Ministerium für Bauen zuständig. Also ein Thema, das sich die große Koalition und insbesondere die CSU riesengroß auf ihre Fahnen geschrieben hat. Sozialer Wohnungsbau, Baukindergeld, so was. Weil aber in Seehofers Innenheimatbauunddiverses-Ministerium schon fünf beamtete Staatssekretäre herumlaufen, sah er sich gezwungen, einen von ihnen zu opfern. Er entschied sich für Herrn Adler und schickte damit den einzigen Bauexperten auf dieser Hierarchieebene in den einstweiligen Ruhestand.

Dessen Aufgaben übernimmt nun Hans-Georg Engelke, der sich während seiner gesamten Karriere mit innerer Sicherheit beschäftigt hat – also von Wohnungs- und Baupolitik eher wenig Ahnung hat (aber jetzt trotzdem irgendwie auch noch den Bundesverfassungsschutz beaufsichtigen soll, weil man diese Aufgabe wiederum nicht dem ehemaligen Verfassungsschützer Maaßen geben wollte). Kommen Sie noch mit? Ja, auch mir fällt es schwer, das zu verstehen. Nach kluger Führung und einem sinnvollen Einsatz von Fachkenntnissen klingt das alles nicht. Nach Gefälligkeit und Mauschelei dagegen umso mehr.

Der zweite Mann, dem Seehofers Personalpolitik kaum gefallen kann, ist Holger Münch. Der Chef des Bundeskriminalamts ist ein weithin anerkannter und vielfach gelobter Sicherheitsexperte. Er hat das verstaubte BKA modernisiert und umgebaut, damit es sich auf die Ermittlungen gegen Cyberkriminelle, islamistische Terroristen und organisierte Banden konzentrieren kann. Er ist tatkräftig, besonnen und kennt das Geschäft als ehemaliger Polizist und Personenschützer von der Furche auf. Was keine Selbstverständlichkeit unter Top-Beamten ist.

Gestern kam heraus: Bevor er Herrn Maaßen den Posten des Staatssekretärs zuschob, erwog Horst Seehofer offenbar, ihm den Sessel von Herrn Münch zu spendieren. Das aber habe SPD-Chefin Nahles abgelehnt. Wenn das so zutrifft, verdankt BKA-Chef Münch Frau Nahles jetzt seinen Job – und weiß zugleich, dass der Innenminister ihn ohne mit der Wimper zu zucken geopfert hätte. Ich sage es mal so: Dem Verhältnis zu seinem obersten Dienstherrn dürfte das nicht unbedingt zuträglich sein.

Atemberaubend, wie viele Fehler ein Mensch auf einmal machen kann. Und wie er jeden Tag mehr und mehr Menschen gegen sich aufbringt. “Seine Zeit geht zu Ende“, sagten sie gestern im Schwabmünchner Bierzelt über Seehofer. Amen.

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WAS STEHT AN?

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Die wichtigsten Termine des Tages in Kürze:

Bleiben wir noch einen Moment im Bierzelt. Natascha Kohnen, stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende und Spitzenkandidatin der Genossen für die Bayernwahl, versucht verzweifelt, den Totalabsturz zu verhindern, indem sie sich von der Bundespartei absetzt. Gestern forderte sie die SPD-Bundesminister auf, im Kabinett gegen die Beförderung Maaßens zu stimmen – ein Frontalangriff auf ihre Parteichefin Andrea-Das-müssen-wir-aushalten-Nahles. Heute kann sie ihr direkt die Meinung geigen, vielleicht ja sogar coram publico: Am Vormittag sitzen die beiden sich bei einer Sitzung der Fraktionsvorstände aus Bundestag und Landtag in München gegenüber, anschließend wollen sie vor die Presse treten. Wird bestimmt ein interessanter Termin.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier versucht derweil heute, beim “Netzgipfel“ politische Normalität vorzugaukeln. Er soll (will? wird?) einen Plan präsentieren, wie die von Merkel großspurig angekündigte, aber am stagnierenden Ausbau der Stromnetze leidende Energiewende doch noch irgendwie vorankommt.

Ebenfalls in Berlin laden DGB, Deutscher Mieterbund, Paritätischer Gesamtverband, Sozialverband VdK, BAG Wohnungslosenhilfe und die Initiative “Mietenwahnsinn“ zu einem alternativen Wohngipfel unter dem Motto: “Für eine Politik, die Wohnraum für alle schafft“. Gut, dass sich jemand darum kümmert, wenn sich das Bundesinnenabernichtmehrsosehrbau-Ministerium jetzt nicht mehr so sehr darum kümmern kann.

Nach dem Tod eines Journalisten im Hambacher Forst und dem Stopp der Rodungsarbeiten wollen die Umweltschutzorganisationen BUND, Campact und Greenpeace heute einen Appell zur Rettung des Waldes übergeben, mehr als eine halbe Million Menschen haben ihn unterschrieben. Nähme die Bundesregierung die Sorgen dieser Menschen ernst, könnte sie sich ja mal ebenso intensiv darum kümmern wie um ihre Personalpolitik.

Anlässlich des bundesweiten Aktionstags gegen Ablenkung am Steuer werden Polizisten heute in allen Bundesländern Autofahrer, Radfahrer, Motorradfahrer und Mopedfahrer kontrollieren und zu mehr Konzentration und Aufmerksamkeit auffordern. Um politische Geisterfahrer kümmern sie sich leider nicht.

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Stellen Sie sich bitte vor: Sie versehen ein Posting auf Facebook mit einem “Like“ – und am nächsten Tag stehen Polizisten vor Ihrer Tür und schleifen sie deshalb ins Gefängnis. Oder sie telefonieren mit Menschen, denen Unrecht widerfahren ist, schreiben einen Artikel darüber – und werden deshalb zusammengeschlagen. In der arabischen Welt werden viele Journalisten bedroht, verfolgt, verletzt. Deshalb ist es umso wichtiger und beeindruckender, wenn Reporter dort mit investigativen Recherchen Missstände aufdecken und so Veränderungen anstoßen. Die Jordanierin Rana Sabbagh ist so eine Journalistin. Sie hat das Netzwerk Arab Reporters for Investigative Journalism, kurz ARIJ, gegründet. Es fördert Recherchen und hilft Medienvertretern dabei, ihren Job zu machen. Für diese Arbeit werden Rana Sabbagh und ARIJ dieses Jahr mit dem Raif Badawi Award ausgezeichnet, was ich Ihnen hier exklusiv berichten kann. Mein Kollege Johannes Bebermeier hat mit Frau Sabbagh über ihre Arbeit gesprochen. Sie zeichnet ein düsteres Bild der Presse- und Meinungsfreiheit in der arabischen Welt: "Es war noch nie so schlimm wie heute", sagt sie – fügt aber hinzu: “Journalismus ist der schönste und nobelste Beruf, den es gibt. Da spricht sie mir aus der Seele.

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Der Astronaut Alexander Gerst ist ein bewundernswerter Mensch: begabt, humorvoll, fotogen – und mit einem großen sozialen Gewissen ausgestattet. Deshalb hat er zum heutigen Weltkindertag gemeinsam mit Unicef und den Musikern Sido und Andreas Bourani ein Musikvideo gedreht, mit dem er auf die dramatische Lage vieler Kinder aufmerksam macht. Haben Sie noch nicht gesehen? Konnten Sie auch noch nicht sehen. Weil es erst heute Morgen veröffentlicht wird – und zwar in exklusiver Zusammenarbeit zwischen Unicef und t-online.de. Weil es wichtig ist, dass wir die Rechte von Kindern schützen. Weil jedes Kind auf dieser Welt ein sicheres, gesundes und fröhliches Leben verdient hat. Und weil “jeder einzelne von uns dazu beitragen kann, die Welt zu einem besseren Ort für Kinder zu machen“, wie Alexander Gerst uns von Bord der internationalen Raumstation ISS schrieb. So, und jetzt dürfen Sie das Video sehen.

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WAS LESEN?

Erlauben Sie mir bitte eine Frage: Wissen Sie noch, wer das ist?

Na?

Jaaaaaha, genau! Und jetzt gemeinsam: Nanananana, da-nanananana, nananananaaana, she’s got the look!

Hach, das war schön damals. Aber was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen sage, dass der Herr oben im Bild gerade in unserem Newsroom in Berlin war? Nicht schlecht, oder?

So sieht er jetzt aus:

…und hat meinen Kollegen Janna Specken, Caroline Mayr und Axel Krüger jede Menge Interessantes erzählt: über seine Hits, sein jetziges Leben und seine leider erkrankte Co-Sängerin Marie Fredriksson.

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Als im Oktober 2016 im bayerischen Georgensgmünd ein Polizist an den Kugeln aus der Waffe eines Reichsbürgers starb, legten Politik und Sicherheitsbehörden den Schalter um: Seither wird genau hingeschaut bei “Reichsbürgern“, die die Existenz unserer Republik abstreiten. Besitzt einer der Extremisten Waffen, soll er sie abgeben. Da überrascht ein Urteil aus Dresden, auf das mein Kollege Lars Wienand gestoßen ist: Ein Sportschütze, den der Verfassungsschutz für einen Reichsbürger hält, darf seine Waffen behalten. Was ist da los?

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WAS AMÜSIERT MICH?

Der Fall Maaßen hat auch sein Gutes, findet unser Cartoonist Mario Lars. Wo er Recht hat, hat er Recht:

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Tag.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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