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Tagesanbruch: Angriffe auf Politiker – Jeder von uns sollte Stopp sagen


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 09.01.2019Lesedauer: 8 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Politiker, die Gewalt erfahren haben.Vergrößern des Bildes
Politiker, die Gewalt erfahren haben. (Quelle: dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Es gibt viele anstrengende Jobs in unserem Land. Kranken- und Altenpfleger, Bauarbeiter, Lehrer und viele mehr. Sie sind unverzichtbar für unser Gemeinwesen und sie bekommen oft zu wenig Anerkennung. Immerhin aber ernten die Menschen in diesen Berufen für das, was sie tun, meist keinen Spott, keine Verachtung und keinen Hass. Bei Politikern ist das häufig anders. Auch ihre Tätigkeit ist unverzichtbar für unser Gemeinwesen. Und sie ist in der Regel sehr anstrengend. Sicher, da sind das Rampenlicht und die Prominenz, da sind in vielen Fällen gute Gehälter, Diäten und Pensionen. Aber da sind eben auch: ständige Erreichbarkeit, permanente Beobachtung durch die Öffentlichkeit und kritische Medien, Attacken der politischen Gegner, zugleich wenig Freizeit, wenig Schlaf, wenig Privatsphäre. Und da sind die zunehmende Verachtung und der zunehmende Hass in Teilen der Bevölkerung. Eine pauschale Abscheu, die sich oft in Schimpftiraden, Verwünschungen und Drohungen entlädt.

Wer einmal mitbekommen hat, was viele Politiker sich in Fußgängerzonen anhören oder in den sozialen Netzwerken über sich ergehen lassen müssen, wer die Drohbriefe liest, die sie in ihren Briefkästen und E-Mail-Accounts finden, der empfindet Respekt für die Resilienz dieser Menschen. Ja, sie kämpfen vor allem für die Ziele ihrer jeweiligen Partei und natürlich auch für ihre Karrieren, aber sie kämpfen eben auch für unser Gemeinwesen. Der demokratische Wettstreit ist eine Voraussetzung dafür, dass unser Land vorankommt, dass die Interessen von 82 Millionen Menschen, so gut es eben geht, ausgeglichen werden.

Und dann lesen wir von dem Angriff auf den AfD-Politiker Frank Magnitz, sehen ein Bild seines geschundenen Gesichts. Dann erinnern wir uns an die Angriffe auf die Politiker Andreas Hollstein, Marian Koppe, Joachim Kebschull, Henriette Reker und Martin Horn. Dann lesen wir im Artikel meines Kollegen Jonas Schaible, dass sechs Prozent von gut 1.000 befragten Bürgermeistern aus Kleinstädten in einer Umfrage angegeben haben, sie selbst, Mitarbeiter oder Vertreter des Gemeinderats seien schon körperlich angegriffen worden. Von Hass-E-Mails berichten 22 Prozent, von Einschüchterungsversuchen 20 Prozent.

"Jeder Mensch, der noch Mensch ist, muss solche Taten ablehnen und verurteilen. Rechts oder links im politischen Spektrum spielt da keine Rolle", schreibt unsere Kolumnistin Lamya Kaddor. Ich füge hinzu: Kritik an Politikern und ihren Entscheidungen ist selbstverständlich legitim. Aber kein Hass. Es ist auch unsere Aufgabe als Bürger, laut und deutlich zu widersprechen, wenn Politiker angefeindet oder verächtlich gemacht werden. Das kann jeder – egal, ob in der Fußgängerzone, am Stammtisch, auf Facebook und Twitter oder in den Kommentarforen von Medien wie t-online.de. Fangen wir am besten gleich damit an.

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Was war das für eine Aufregung in den vergangenen Tagen: Nach dem massenhaften Datendiebstahl raunten manche Medien von Geheimdiensten, von russischen Trollen, von chinesischen Spionen. Und nun stellt sich heraus: Der Übeltäter war ein 20-jähriger Schüler, der noch bei Mutti und Vati wohnt. Ein Einzeltäter, der sich das Hacker-Handwerk selbst beigebracht hat. Nichts mit Russen, nichts mit Schlapphüten. Tatsächlich hegten meine Kollegen in unserem Rechercheteam diesen Verdacht von Anfang an und schrieben auch darüber, weshalb sie sich nun über manches Lob freuen dürfen.

Gleichwohl ist der Fall damit natürlich nicht abgeschlossen. Der Hacker mag jung oder alt sein, er hat nicht nur großen Schaden angerichtet, er hat auch eine Schwachstelle in der Sicherheit der Online-Kommunikation aufgedeckt. "Wir müssen endlich lernen, richtig mit unseren Daten umzugehen", kommentiert mein Kollege Ali Vahid Roodsari – und schlägt fünf konkrete Schritte vor:

  1. Datenschutz muss Pflichtfach in der Schule werden.
  2. Firmen müssen verpflichtende Datenschutz-Schulungen anbieten.
  3. Die öffentlich-rechtlichen Medien müssen das Thema häufiger aufgreifen.
  4. Die Regierung muss mehr Kampagnen für Datenschutz starten.
  5. Die Regierung muss neue Datenschutz-Gesetze erlassen.

Wie mein Kollege seine Forderungen begründet, lesen Sie hier.

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WAS STEHT AN?

Donald Trump will es wissen. Und er will seine Mauer. Doch die oppositionellen Demokraten im Kongress verweigern ihm die fünfeinhalb Milliarden Dollar für den Bau der neuen Anlage an der Grenze zu Mexiko. Seit fast drei Wochen lähmt der Haushaltsstreit Regierung und Behörden in den USA. Ähnliche Konflikte in der Vergangenheit ließen sich schlichten, indem Präsidenten sich kompromissbereit zeigten, auf die Abgeordneten zugingen, Interessen ausloteten, hier etwas gaben, damit sie dort etwas bekamen. Clinton, Bush, Obama haben das so gemacht. Aber dieser Präsident will nichts geben, er will nicht ausloten, er will anscheinend keinen Kompromiss. Er will es wissen. Und er versucht, seine Anhänger, von denen viele vehement den Mauerbau fordern, hinter sich zu scharen. So war seine Rede an die Nation gestern Abend zu verstehen, und so ist auch seine morgen geplante Reise an die amerikanisch-mexikanische Grenze zu verstehen. Starke Bilder produzieren, Symbolpolitik machen. Man kann das imponierend finden. Oder anmaßend.

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Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Verkehrswegeplanungs-Beschleunigungsgesetz: So heißen Gesetze in Deutschland. Möglichst lang, möglichst viele Substantive, möglichst bürokratisch. Im Familienministerium hat man verstanden, dass das nicht unbedingt förderlich ist, wenn man Bürger für ein Vorhaben begeistern will. Also denkt man sich dort gerne Namen aus, die schön einfach sind. "Gute-Kita-Gesetz" war so ein wohlklingender Titel, jetzt kommt der nächste: Familienministerin Franziska Giffey (SPD) stellt heute gemeinsam mit Arbeitsminister Hubertus Heil (dito) das "Starke-Familien-Gesetz" vor: Einkommensschwache Familien bekommen zusätzliches Kindergeld, Gratis-Mittagessen in der Schule, kostenlose Schülertickets und Nachhilfegutscheine. Stark, oder?

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Heute nehme ich Sie mit ins Jahr 1979. Folgen Sie mir bitte in das Dorf Knebworth im englischen Hertfordshire. Dort lauschen wir einem Mann, der damals die Rock-'n'-Roll-Welt verzückte. Wenn ich heute an mein CD-Regal trete (doch, ich habe die Dinger noch) und die Alben dieser Band herausziehe, dann kann ich mich auch nach all den Jahren noch nicht satt hören. Diese Energie, diese Kraft, dieser Sound! Wie er heißt, der Mann? Jimmy Page heißt er, und heute feiert er seinen 75. Geburtstag. Also schnell zurück nach Knebworth!

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Neulich in unserem Newsroom: Ich sitze vor dem Computer, stiere auf den Bildschirm – plötzlich steht ein Riese neben mir. Ich schaue auf, da reicht mir der Riese seine Pranke, drückt meine kleine Journalistenhand, mustert mich spöttisch und brummt: "Du bist hier also der Chef." Ich piepse ein leises Zwergen-Ja und bedanke mich artig für seinen Besuch. Kommt ja nicht alle Tage vor, so eine Riesenvisite. Nur den Irokesenschnitt, den habe ich dann doch vermisst. Egal, was der Riese meinen Kollegen Benjamin Zurmühl, Philip Seiler und Axel Krüger erzählt hat, entschädigt mich für alles.

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WAS LESEN?

Pessimismus ist die Schmiere, auf der die Populisten mit uns Schlitten fahren. Donald Trump hat es vorgemacht wie kein Zweiter. "Make America Great Again": Wie ein Zauber schlägt der schlichte Slogan des US-Präsidenten alle in seinen Bann, die ihr Land im Niedergang sehen. Vereint unter ihren roten Trump-Käppis, sind sie bereit, ihrem Anführer jede noch so dreiste Eskapade zu verzeihen, bereit zum Marsch in eine Zukunft, die besser sein soll als die triste Gegenwart – während man sich als Außenstehender manchmal fragt, wann die Amerikaner wohl vergessen haben, dass sie immer noch eine Supermacht sind. Als Nation der Schwächlichen, die dringend ergänzender Größe bedürfen, ist das Land bisher jedenfalls nicht aufgefallen. Vielleicht stehen die Amerikaner bei ihrer düsteren Selbstbetrachtung nur viel zu dicht vor dem Spiegel?

Ich denke, wir sind gut beraten, dieselbe Frage auch an uns selbst zu richten. Denn in Punkto Pessimismus und Nörgelei sind wir in Deutschland ganz weit vorn. Ich will mich da gar nicht ausnehmen. Was bei uns alles nicht in die Hufe kommt, zum Beispiel an wichtigen politischen Initiativen, habe ich erst am Montag zum Thema gemacht. Mit der Litanei trister deutscher Großprojekte, von Berlin bis Stuttgart, will ich gar nicht erst anfangen. Zu nationaler Einigkeit können wir uns vor allem dann aufschwingen, wenn wir über die Unpünktlichkeit der Züge/Flugzeuge/ Paketboten/Wasauchimmer mosern. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, all das ist berechtigt: Nicht nur sind die Missstände real – es ist der kritische Blick, nicht die satte Selbstzufriedenheit, die uns voranbringt. Aber stehen auch wir dabei zu dicht vor dem Spiegel? Geht uns die Perspektive flöten? Gerät man ins Zweifeln, lohnt sich der Blick von außen. Hören wir uns doch mal bei unseren Nachbarn um.

Da ist überraschend viel Freundliches zu hören. Der britische "Economist" hob unlängst "Cool Germany" auf seine Titelseite, und die "Washington Post" fällt gleich mit der Tür ins Haus: "Das Deutschland von heute ist das beste Deutschland, das die Welt je gesehen hat". Ja, die meinen uns. Alles, was in Amerika gegen Trump opponiert und Beine hat, preist Deutschland ausgerechnet für den Entschluss Angela Merkels, 2015 die Grenzen für verzweifelte Flüchtlinge geöffnet zu lassen. Nun braucht uns niemand daran zu erinnern, dass diese Politik nicht nur eitel Sonnenschein mit sich gebracht hat. Dennoch stand die Mehrheit der Deutschen damals nicht nur hinter der Entscheidung, sondern standen viele auch an den Gleisen der Bahnhöfe. Viele halfen und helfen immer noch, wo es nur geht. Haben wir das schon vergessen? Der Rest der Welt jedenfalls nicht.

Dieser Akt der Menschlichkeit hat unserem Land den Ruf moralischer Integrität eingebracht. Als Kanzlerin Merkel zum ersten Mal Präsident Trump gegenübertrat, fasste das US-Magazin "Politico" die Begegnung wie folgt zusammen: "The Leader of the Free World", die führende Persönlichkeit der freien Welt, "trifft Donald Trump". Der Titel ist der deutschen Kanzlerin bis heute geblieben, nicht nur in den USA.

Doch nicht jeder will Mitglied im deutschen Fanklub sein. Deutschland: ein von Gewaltkriminalität zerrüttetes Land, dessen Bevölkerung sich gegen seine politische Führung erhebt, während es am Tropf russischer Gaslieferungen hängt und von Moskau kontrolliert wird, sich auf Kosten des Rests der Welt bereichert, seine Nato-Verpflichtungen ignoriert – so posaunt es der Mann heraus, der in seinem großen weißen Haus wohnt und sehr, sehr viel twittert. Und der gegen Flüchtlinge eine riesige Mauer bauen will, eine XXL-Version von der, die einst Berlin teilte und an der innerdeutschen Grenze viele Leben kostete. Wir dagegen feiern jedes Jahr, dass wir die Mauer los sind. In den deutschen Fanklub muss tatsächlich nicht jeder rein.

Das Deutschland von heute wird weltweit dafür gepriesen, dass es ein Pol der Ruhe und Stabilität in einem turbulenten Europa ist. Keine Gelbwesten, die auf die Barrikaden gehen oder Autos anzünden. Kein halsbrecherischer Versuch, zum eigenen Schaden aus der Gemeinschaft europäischer Staaten auszuscheiden, die uns eine beispiellose Periode des Friedens beschert hat. Brummende Wirtschaft, funktionierendes Gemeinwesen, keine ernsthafte Gefahr, dass die Macht in die Hände Rechtsradikaler und nationalistischer Extremisten fällt. Niedrige Kriminalität, das Land seltener als Großbritannien oder Frankreich von Terroranschlägen erschüttert. Eine funktionierende, gefestigte Demokratie im Herzen Europas. Gewiss, wir brauchen nicht übermütig zu werden und dürfen weiter ordentlich selbstkritisch sein. Den Turbopessimismus allerdings könnten wir mal ablegen.

Aber halt: Habe ich mich vertan? Schreibt da nicht die "New York Times" dick und fett, wie mistig es bei uns läuft, und dass Angela Merkel nun echt nicht die Führungsgestalt der freien Welt ist? Ja, stimmt, so steht es da. In einem Gastbeitrag. Von einem Deutschen.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Wo nun feststeht, dass es nicht die bösen Russen und nicht die bösen Chinesen und nicht die böse NSA war, die deutsche Politiker und Promis gehackt haben, bleibt eigentlich nur noch eine Frage: Was sagt eigentlich unser Cartoonist Mario Lars dazu? Fragen wir ihn doch mal:

Ich wünsche Ihnen einen Tag voller Humor und Zuversicht.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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