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Tagesanbruch: Es gibt zweieinhalb gute Nachrichten zum Brexit


Tagesanbruch
Zweieinhalb gute Nachrichten

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 28.02.2019Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Theresa May.Vergrößern des Bildes
Theresa May. (Quelle: Mark Duffy/UK Parliament/AP/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

der Tag beginnt mit zweieinhalb guten Nachrichten:

WAS WAR?

Das britische Unterhaus hat gestern Abend erstens den Plan von Premierministerin May für eine Verschiebung des Brexit gebilligt. Das verschafft den Unterhändlern beiderseits des Ärmelkanals mehr Zeit und wendet ein politisches und wirtschaftliches Chaos erst einmal ab. Zweitens will das Parlament die im Austrittsabkommen vereinbarten Rechte für EU-Bürger in Großbritannien und für Briten in der EU auch ohne Deal garantieren. Das verschafft den Betroffenen Sicherheit. Und drittens? Das Drittens ist nur ein Zweieinhalbtens, denn ob es eine gute oder schlechte Nachricht ist, vermag ich Ihnen heute Morgen noch nicht zu sagen: Theresa May hat den britischen Abgeordneten Hoffnungen gemacht, dass Brüssel ihr nun doch noch entgegenkommen werde, vor allem im Streit um die innerirische Grenze.

Was ist davon zu halten? Dazu muss ich ein wenig ausholen.

Der Brexit ist ein politisches Tauziehen, eine mediale Dauerstory – und ein großes Theater. Vorgespielt wird uns, dem staunend-kopfschüttelnden Publikum vor den Fernsehern, Bildschirmen und Smartphones, ein Drama dürrenmatt‘scher Raffinesse: Die britische Premierministerin pendelt unermüdlich zwischen London und Brüssel, um der EU in letzter Minute vielleicht doch noch einen Kompromiss abzuringen, mit dem sie ihre Kritiker daheim im Parlament überzeugen kann. Noch mal ins Flugzeug, noch ein Gespräch, noch eine Verhandlungsrunde, und dann wieder vor die TV-Kameras: Seht her, soll das suggerieren, die Premierministerin tut alles Menschenmögliche, um eine Lösung auszuhandeln, sie opfert sich auf, sie kämpft wie eine Löwin für die Interessen ihrer Landsleute. Ein schönes Theaterstück.

Gelingt es uns, einen Blick hinter die Kulissen zu erhaschen, verliert das Stück freilich seinen Glanz. Die “New York Times“ eröffnet uns jetzt diesen Blick. Sie hat eines der Papiere in die Hände bekommen, in denen Diplomaten den Gesprächsverlauf während so einer Brüsseler Verhandlungsrunde dokumentierten. Das Ergebnis ist ernüchternd. Oder sollte ich lieber sagen erschütternd?

Das fragliche Gespräch zwischen Jean-Claude Juncker und Theresa May in Brüssel drehte sich um die Frage, wie sich der Konflikt um die innerirische Grenze und den Backstop lösen lasse. Die britische Premierministerin regte an, eine “alternative Regelung“ anzuwenden. Woran sie denn denke, welche Lösung das sein solle, fragten Juncker und seine Leute. Und dann kam… nichts. ”May erklärte nicht, was sie mit einer alternativen Vereinbarung für den Backstop meinte“, lesen wir in dem Gesprächsprotokoll. “Nicht im geringsten.“

Nach allem, was man weiß, lief das nicht nur bei diesem Treffen so. Sondern bei sämtlichen Gesprächen in den vergangenen Wochen. Frau May fliegt mit großem Getöse ein, spricht in die Kameras, dass sie der EU mehr abverlangen werde, sagt dann im vertraulichen Gespräch keinen Pieps, was sie will, bringt auch keine neuen Ideen mit, tritt zum Abschied noch mal vor die Kameras und fliegt zurück nach London, wo sie sich von ihren verbliebenen Anhängern als beinharte Verhandlerin feiern lässt. Warum das Ganze? Sie weiß, dass die Mehrheit des Parlaments ihren Brexit-Plan ablehnt. Sie weiß auch, dass die EU ihr nicht weiter entgegenkommt. Aber sie hofft offenbar, dass sich ihr die Parlamentarier aus Furcht vor einem Chaos im letzten Moment doch noch ergeben werden – nun eben ein bisschen später.

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Man könnte über dieses Schauspiel lachen, wenn es nicht so tragisch wäre. Die britische Regierungschefin setzt die Winkelzüge für ihren Machterhalt über konstruktive Lösungen. Die Engländer haben dafür einen Begriff: brinkmanship – “Spiel mit dem Feuer“. Wenn sie es allerdings zu weit treibt, läuft Frau May Gefahr, irgendwann von ihren eigenen Leuten gefeuert zu werden. Das wäre dann der schlechte Teil der zweieinhalbten Nachricht. Zumindest für sie.


Apropos Feuer: Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Nachrichten von Bombenanschlägen und Schießereien in Nordirland, an Berichte über militante Katholiken und militante Protestanten. Lange vorbei, mit dem Karfreitagsabkommen von 1998 schien das alles gelöst. Dieser Eindruck herrscht jedenfalls hierzulande. Stimmt aber nicht, sagt eine Frau, die an der Grenze zu Irland wohnt und als Jugendliche erlebt hat, wie Milizen ihr Haus besetzten. Ja, es sei besser geworden, erzählt Bronagh McAtasney – aber die Gewalt habe nie aufgehört. Wer ihre Geschichte liest, die mein Kollege Jonas Schaible protokolliert hat, begreift, warum die Diskussion über eine neue innerirische Grenze zur zentralen Streitfrage der Brexit-Verhandlungen geworden ist. Und was sie so gefährlich macht.


Apropos Grenzen: Wenn zwei Nuklearmächte ihre Kampfjets aufeinander loslassen und Ziele im Territorium der anderen bombardieren, hätten wir gern ein genaues Bild der Lage. Tatsächlich ist bisher aber nur sicher, dass an der Grenze im fernen Kaschmir eine neue Stufe der Eskalation erreicht ist. Indische Sicherheitskräfte töteten im vergangenen Jahr fast 300 Separatisten in Kashmir. Jüngst riss ein pakistanischer Selbstmordattentäter der "Armee Muhammads" 40 indische Polizisten in den Tod. Und jetzt beschießen sich also Kampfflugzeuge beider Staaten. Die Situation droht außer Kontrolle zu geraten.

Das Timing ist brisant. In Indien stehen Parlamentswahlen ins Haus. Premierminister Modi, der einer Partei radikaler Hindus angehört, hat sich mit einer harten Haltung gegenüber dem muslimischen Nachbarn profiliert und steht unter Zugzwang. Die Stimmung ist aufgeheizt, das Verhältnis zwischen Hindus und Muslimen gespannt. Gangs hinduistischer Extremisten mit engen Beziehungen zu Modis Partei veranstalten Hetzjagden auf muslimische Bauern, deren Verbrechen darin besteht, Viehzucht mit Kühen zu betreiben (die den Hindus heilig sind). Nun richten sich die Zielfernrohre auf Pakistan, dessen Geheimdienst einem ganzen Zoo islamistischer Terrorgruppen Unterschlupf gewährt, die immer wieder auch in Indien zuschlagen.

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Während die beiden Atommächte sich in einer Spirale der Gewalt verfangen, scheinen sie aus dem Blick zu verlieren, wie sehr sie sich damit selbst den Terroristen ausliefern, die sie eigentlich zu bekämpfen vorgeben. Die pakistanische "Armee Muhammads" jedenfalls hat in der Vergangenheit nicht bloß nach der Pfeife des Geheimdienstes in Islamabad getanzt, sondern ihre eigenen Ziele verfolgt. Wenn es dem Sicherheitsapparat nicht gelingt, diese Terrorarmee unter Kontrolle zu halten, werden wir von der abgelegenen Grenze im fernen Kaschmir bald noch mehr zu hören bekommen, als uns lieb sein kann.


WAS STEHT AN?

Donald Trump und Kim Jong Un wollen heute in Hanoi eine gemeinsame Erklärung verabschieden. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet voraussichtlich über die Herausgabe von Akten aus der Bundeswehrzeit des NSU-Terroristen Uwe Mundlos. Bundesinnenminister Seehofer äußert sich zu Berichten über einen Freund des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri, der verdächtig schnell abgeschoben wurde. Viele wichtige Termine – aber ein anderer ist mir heute mehr Zeilen wert: In Aalen treffen sich Bürgermeister, Bundestagsabgeordnete und Friedensaktivisten aus dem Ostalbkreis. Angesichts der Kündigung des INF-Atomwaffenabrüstungsvertrags wollen sie für die Forderungen des “Mutlanger Manifests“ mobilisieren. “Aus der Geschichte der Stationierung der Pershing II im Ostalbkreis haben wir die Verpflichtung, uns für nukleare Abrüstung zu engagieren“, schreiben sie. Vielleicht erinnern Sie sich: In den 1980er Jahren demonstrierten Zigtausende Bürger gegen die Stationierung von US-Atomraketen in Mutlangen. Heute sind wir von einer so starken Friedensbewegung weit entfernt. Aber das muss ja nicht so bleiben.


WAS LESEN?

Falls Sie eine Frau sind, gut. Falls Sie keine sind, stellen Sie sich bitte für einen Moment vor, Sie wären eine. Sie sind nicht reich, aber auch nicht arm, Sie leben ein normales Leben. Und dann begegnen Sie eines Tages einem adretten jungen Mann, der Sie behandelt wie eine Königin, der Sie umschmeichelt, der Ihnen jeden Wunsch von den Lippen abliest und Geld wie Heu zu haben scheint. Wenn er mit Ihnen eine Stadt besichtigen will, mietet er einen Hubschrauber. Sie fühlen sich geehrt, Sie vertrauen ihm, Sie verlieben sich. Sie beginnen zu glauben: Das ist mein Mann fürs Leben, das ist das Beste, was mir jemals passiert ist. Und dann kommt der Moment, an dem sich die Dinge auf einmal ganz anders entwickeln, an dem Sie einen Weg betreten, der Sie in Verzweiflung, Not und bittere Reue führen wird. Die Kollegen der norwegischen Tageszeitung “Verdens Gang“ haben die Geschichte eines dreisten Hochstaplers und seiner Opfer recherchiert – mit echten Fotos und in beeindruckender Aufbereitung.


Politiker reden die ganze Zeit über den Brexit. Journalisten schreiben die ganze Zeit über den Brexit. Unternehmenschefs fürchten sich die ganze Zeit vor dem Brexit. Alles sattsam bekannt. Wie wäre es also, wenn wir mal jemand ganz anderen nach seiner Meinung zum Brexit fragen, überlegte sich mein Kollege Luca Cordes, zum Beispiel… Thomas Anders? Genau, den ehemaligen Modern-Talking-Sänger. Was soll der denn bitte schön zum Brexit sagen?, denken Sie vielleicht, da kann doch nix bei rumkommen! Dann haben Sie sich aber schwer geirrt.


Seit mehr als drei Jahrzehnten ist der Name Georg Hackl ein Synonym für Rodeln. Hackl hat uns mit unzähligen Titeln begeistert, nun kümmert er sich als Techniktrainer um das deutsche Rodel-Team – aber ihn treibt ihn eine riesige Sorge um. Meinem Kollegen Alexander Kohne hat er sie verraten.


WAS AMÜSIERT MICH?

Falls Sie sich (wie ich) heute in den Karneval stürzen (müssen), sollten Sie spätestens um 11:11 Uhr in Stimmung sein. Deshalb erlaube ich mir, Ihnen mein allerliebstes Lieblingsvideo, das ich vor anderthalb Jahren an dieser Stelle schon einmal empfohlen habe, noch mal zu servieren. Mein Freund, der Rock-Manager Gerhard Augustin, hat es in den neunziger Jahren in einer Münchner Hotelsuite aufgenommen. Ich garantiere Ihnen: Wenn Sie sich hier und jetzt diese drei Minuten gönnen, haben Sie den ganzen Tag gute Laune. Aber Ton aufdrehen!

Let’s rock und Alaaf!

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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