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Tagesanbruch: Brennende Tanker im Golf von Oman – Spiel mit dem Feuer


Was heute wichtig ist
Spiel mit dem Feuer

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 14.06.2019Lesedauer: 5 Min.
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John Bolton, Donald Trump.Vergrößern des Bildes
John Bolton, Donald Trump. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

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WAS WAR?

Der makellos blaue Himmel, darunter das blaue Meer, ein Schiff. Für das perfekte Idyll reicht es trotzdem nicht, denn so ein Tanker ist nicht besonders hübsch, selbst dann, wenn er nicht brennen würde. In einiger Entfernung brennt ein zweiter. Gestern sind sie angegriffen worden, wie schon vier andere vor einem Monat, die in der Region auf Reede lagen. Dort, am Ausgang der Straße von Hormus, verläuft die Pulsader des Öl- und Gasgeschäfts am Persischen Golf. Ein Fünftel dessen, was die Welt an Öl verbraucht, wird mit Tankern durch die Meerenge gebracht, dicht an dicht entlang einer nur drei Kilometer breiten Schifffahrtsroute. Einer der weltgrößten Exporteure von Flüssiggas, das Emirat Katar, sendet seine explosive Ware ebenfalls durch das Nadelöhr. Kurz darauf weitet sich das Meer zum Golf von Oman, wo jetzt die Schiffe brennen.

Ich war vor einigen Jahren dort, ebenfalls auf einem Schiff. Stand in der Morgensonne an Deck und schaute mich um. Schiffe, so weit das Auge reichte, dicht an dicht. Was, so schoss es mir in diesem Moment durch den Kopf, was, wenn sich jetzt ein Motorboot von Terroristen näherte und einen der Stahlriesen attackierte? Schon eine von Hand abgefeuerte Waffe würde doch genügen, um großes Unheil anzurichten. Momente später war der Gedanke verflogen, und ich dachte wieder an meine Arbeit zwischen den glitzernden Türmen von Dubai.

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Jahre später blickte ich gestern auf mein Smartphone, auf das eine Eilmeldung nach der anderen prasselte. Wieder die Straße von Hormus. Zwei attackierte Tanker. Und es sind nicht die ersten. Bei dem Angriff vor einem Monat auf vier Schiffe war der Schaden gering. Ein erster Ermittlungsbericht, den Saudi-Arabien, die Emirate und Norwegen dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt haben, geht davon aus, dass Taucher Minen an den Schiffen anbrachten. Bei dem gestrigen Angriff sehen die Bilder dramatischer aus, die Zerstörung ist größer, von Seeminen ist die Rede und sogar von Torpedos. Dennoch: Die Mannschaften konnten von Bord gehen, die Schiffe dümpeln weiter, und bei einem davon geht die Reederei jetzt schon davon aus, dass es nicht sinken wird. Wer auch immer hier zuschlägt, tut das mit feinem Kalkül, fast schon mit Augenmaß.

Denn das zumindest ist erkennbar: Noch sind es Nadelstiche, die dem Verkehr auf dieser strategisch so bedeutsamen Route versetzt werden. Auch wenn sie diesmal schon etwas tiefer ins Fleisch gegangen sind. Eine schrittweise Eskalation ist hier im Gange, ein Spiel mit dem Feuer. Will jemand Krieg? Würde man einen militärischen Schlagabtausch so anzetteln?

Tatsächlich ist das gar nicht so einfach zu sagen. "Der Iran war's!", posaunen Saudi-Arabien und die USA .Das US-Militär hat dazu ein "Beweisvideo" vorgelegt, das die iranischen Revolutionsgarden belasten soll. John Bolton, US-Chef für alles, was mit nationaler Sicherheit zusammenhängt und nebenbei US-Chef-Iran-Bekämpfer, hielt sich vor zwei Wochen noch ein Hintertürchen offen, als er raunte, Teherans Urheberschaft bei dem ersten Anschlag sei "fast sicher". Außenminister Mike Pompeo fällte sein Urteil nach den gestrigen Explosionen schneller: Noch bevor das Video des US-Militärs öffentlich wurde, hatte er verkündet, es sei "die Einschätzung der Vereinigten Staaten", dass der Iran die Verantwortung trage. Gründe? "Geheimdienstinformationen, verwendete Waffen, der Grad der Expertise". Klingt eher vage.

Wobei: Das Motiv wäre ja da. Im Iran ist alles andere als eine geschlossene Herrschaftskaste am Werk. Das kaum durchschaubare Gewirr mal widerstreitender, mal kooperierender Fraktionen hinter den Schalthebeln der Macht ist legendär. Als Staat im Staate gerieren sich die Revolutionsgarden, die weder eine Verständigung mit dem Westen noch die Einschränkung des iranischen Nuklearprogramms für eine gute Idee halten. Ein bisschen Eskalation käme da gerade recht. Der ungeliebte Atomdeal könnte sich endgültig erledigen lassen, die verhandlungsbereiten Tauben im iranischen Machtgefüge wären ausmanövriert, und falls die Dinge aus dem Ruder laufen – nun, im Irak ist man mit den Amerikanern gut fertig geworden, und in Syrien hat man gemeinsam mit den Russen für Kompagnon Assad den Sieg erkämpft. Die Anführer der Revolutionsgarden können vor Selbstbewusstsein derzeit kaum laufen.

Die Feinde des Iran auf der anderen Seite des Golfs sind allerdings auch nicht über Zweifel erhaben. Saudi-Arabien hat unter dem Einfluss des starken Mannes, Kronprinz Mohammed bin Salman, keinen Krieg und kein Komplott gescheut. Der Krieg im Jemen, angezettelt, um das politische Profil des Newcomers zu schärfen, mit der Hungerwaffe und mit Bomben auf Krankenhäuser geführt: Dieses Gemetzel ist inzwischen zum Stellvertreterkrieg mit dem Erzfeind Iran ausgeartet. Skrupel werden als störend empfunden. In Istanbul tappte der Dissident Jamal Khashoggi in die Falle und wurde zerstückelt; auch hier führt die Spur zu Bin Salman. Der libanesische Premier Saad Hariri wurde in Riad entführt und entkam erst auf französischen Druck dem Klammergriff der Saudis. Was die Saudis für akzeptable Politik halten, würde jeder Game-of-Thrones-Staffel zur Ehre gereichen. Gut möglich, dass man ein paar Tanker opfert, um das geeignete Klima für eine militärische Abrechnung mit dem Iran zu schaffen – zumal, wenn die Amerikaner hineingezogen werden und den Großteil der Drecksarbeit erledigen. Wie praktisch, dass in Washington nun der Hardliner John Bolton den Ton angibt, der träumte ja schon vor vier Jahren vom erzwungenen Regimewechsel. Ein Krieg oder eine begrenzte Kampagne, um den Iran zurechtzustutzen: Ja, wer das anzetteln will, ist auch auf der anderen Seite des Golfs mit brennenden Tankern gut bedient.

Diese Gedanken schossen mir gestern durch den Kopf, als ich auf mein vibrierendes Smartphone schaute – und die nächsten Eilmeldungen vom Persischen Golf kommen heute oder morgen bestimmt. Die Nadelstiche häufen sich. Nur wer die Nadel führt, das wissen wir noch nicht.

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