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Coronavirus: Schuldfrage – Rolle von Boris Johnson wird intensiv diskutiert


Was heute wichtig ist
Und wer ist jetzt schuld?

MeinungVon Luis Reiß

Aktualisiert am 20.04.2020Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Eine Leiche wird aus einem Krankenhaus in Wuhan abtransportiert.Vergrößern des Bildes
Eine Leiche wird aus einem Krankenhaus in Wuhan abtransportiert. (Quelle: Chinatopix/ap)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

heute vertrete ich an dieser Stelle Florian Harms – und liefere Ihnen den kommentierten Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Noch immer, so sagen es die Experten, stehen wir am Anfang der weltweiten Coronavirus-Pandemie. Millionen sind nachgewiesenermaßen infiziert, Zehntausende an der Erkrankung Covid-19 gestorben. Wie konnte es soweit kommen? Je länger sich der Erreger ausbreitet, desto intensiver werden Schuldige gesucht – national und international.

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Beispiel Großbritannien: Dort regiert einer der lautesten Schreihälse der Weltpolitik, Boris Johnson. Das Coronavirus werde er zum Teufel jagen, hatte Johnson noch vor einigen Wochen getönt. Bis zum Sommer sei die Sache erledigt – solange gelte weiter "business as usual". Auf das Händeschütteln wollte er nicht verzichten. Dann erkrankte er selbst und musste gar auf der Intensivstation behandelt werden.

Spätestens seit diesem Sonntag wird in Großbritannien intensiv über die Rolle des Premierministers diskutiert. Auslöser: ein wohl historischer Artikel der "Sunday Times". Demnach habe Johnson fünf Sitzungen des Nationalen Sicherheitsrats ("Cobra") zum Corona-Ausbruch verpasst und das Thema innerhalb des Regierungsapparats verschleppt. Notfallpläne wurden nicht ausgelöst, fehlende Schutzausrüstung nicht rechtzeitig besorgt. Der Premier sei, als viele Experten schon vor einer Katastrophe in Großbritannien warnten, im Urlaub abgetaucht.

Der Artikel ist ein Protokoll des Scheiterns. 38 Tage, so rechnet es die Zeitung vor, sei die Regierung Johnson zwischen der ersten dringlichen Warnung der Experten im Januar und den ersten ernsthaften Krisenmaßnahmen im März geschlafwandelt.

Johnson dachte wohl, er wisse es besser als die Experten – bis das Gesundheitssystem an seine Grenzen kam und die Todeszahlen immer höher wurden. Dann schwenkte er plötzlich um und sprach von einer dramatischen Gefahr. Aktuell hat das Land offiziell mehr als 120.000 Infizierte und 16.000 Tote zu beklagen (Quelle: Johns-Hopkins-Universität, Stand: 19. April, 22 Uhr).

Tote in Pflegeheimen werden in der britischen Statistik allerdings nicht erfasst, zudem testet Großbritannien erheblich weniger als zum Beispiel Deutschland. Experten rechnen mit einer hohen Dunkelziffer und schon bald mehr Todesfällen als in Italien oder Spanien. Die Ausgangsbeschränkungen wurden bis zum 7. Mai verlängert.

Zu Johnsons Verteidigung muss man sagen, dass wichtige Berater der Regierung zunächst ebenfalls die Gefahr verharmlosten – und außerdem zu dem Ergebnis kamen, das britische Gesundheitssystem sei ausreichend auf das Coronavirus vorbereitet. Ein fataler Irrtum. Trotzdem zögerte Johnson, verglichen mit anderen Staats- und Regierungschefs, viel zu lange, als sich das Virus längst rasend schnell ausbreitete. Der lauteste Schreihals ist eben selten der beste Krisenmanager. Dafür wird er sich vor den Wählern verantworten müssen.


Noch viel grundsätzlicher wird die Schuldfrage international seit einigen Tagen an China gerichtet. Wurde das neue Coronavirus, der Erreger dieser Jahrhundert-Pandemie, tagelang vertuscht – oder ist er gar versehentlich aus einem chinesischen Labor in die Außenwelt gelangt? Über diesen Verdacht der US-Geheimdienste berichtete zunächst die "Washington Post". Und die Steilvorlage nutzt Präsident Trump nun immer deutlicher aus: "Es hätte in China gestoppt werden können. Das ist nicht geschehen und die ganze Welt leidet deswegen. War es ein Fehler, der außer Kontrolle geriet, oder wurde es absichtlich getan?"

Trumps Anschuldigungen sind immens, Beweise gibt es bislang keine. Experten halten die Theorie für eher unwahrscheinlich. Doch die Diskussion ist nicht mehr zu stoppen. Während China die Vorwürfe empört zurückweist, werden die Rufe nach Aufklärung lauter.

Die Corona-Pandemie wird international immer mehr zum politischen Ringen der Weltmächte um die Deutungshoheit. Wer ist schuld? Wer ist der bessere Krisenmanager? Es ist ein makaberes Schauspiel, während Hunderttausende infiziert sind und gegen die Krankheit ankämpfen.

Trump auf der einen Seite hat seine Gründe, um einen Sündenbock zu suchen. Kein Land ist so schlimm getroffen wie seines. Mehr als 742.000 Menschen haben sich in den USA nachweislich bereits infiziert, mehr als 40.000 sind an Covid-19 gestorben. Es sind schier unvorstellbare Zahlen – und das Virus breitet sich weiter aus. Trumps größte Angst: Je größer der wirtschaftliche Schaden sein wird, desto mehr könnte seine Wiederwahl gefährdet werden. Deshalb schiebt er die Verantwortung den Gouverneuren der Bundesstaaten oder eben China zu.

China unterdessen versucht, die Situation zu nutzen und sich weltweit als Krisenhelfer zu inszenieren. Seht her, wir haben das Coronavirus besiegt – nun helfen wir anderen. Doch die Propaganda ist mehr als zynisch. Wirklich aufklären will China den Ursprung des Virus nicht, klagen internationale Experten. Und hätte das Land eher über den Ausbruch informiert, hätte die Ausbreitung verlangsamt werden können. Nach lautstarker Kritik aus Großbritannien und Frankreich sagte gestern auch Entwicklungsminister Gerd Müller der Funke Mediengruppe: "Die Chinesen müssen vollkommene Offenheit in dieser Weltkrise zeigen – gerade, was den Ursprung des Virus angeht."

Noch bevor das Virus eingedämmt ist, läuft die Suche nach Schuldigen bereits auf Hochtouren. Jeder will die Krise für sich nutzen. Das verheißt nichts Gutes. Klar: Wer vertuscht, bewusst verschleppt oder Warnungen leichtfertig ignoriert hat, muss zur Rechenschaft gezogen werden. Um weitere Katastrophen, vor allem in vielen ärmeren Ländern der Welt, zu verhindern, braucht es jedoch gemeinsame internationale Anstrengungen – und zwar sofort.


WAS STEHT AN?

Der Holocaust erschien mir immer unendlich weit weg, ein Kapitel aus dem Geschichtsunterricht. So richtig geändert hat sich das erst mit einem Besuch in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Bis heute schaudert es mich, wenn ich zum Beispiel an das Denkmal für die ermordeten Kinder denke. In einem düsteren Spiegelsaal verliest eine Stimme alle bis heute bekannten Namen der minderjährigen Opfer, dazu werden Erinnerungsfotos gezeigt. Drei Monate dauert es, die komplette Liste zu verlesen. Wer einmal dort war, versteht das unermessliche Leid etwas besser. Und der versteht, warum wir auch 75 Jahre danach nicht vergessen dürfen.

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Heute ab 19 Uhr wird die vorab aufgezeichnete Eröffnungszeremonie des Holocaust-Gedenktags in Yad Vashem ausgestrahlt, auch in deutscher Sprache.

In der Corona-Krise werden heute in vielen Bundesländern die Maßnahmen erstmals wieder gelockert. Läden dürfen eingeschränkt öffnen, ebenso wie einige Schulen. Ab 11 Uhr tagt das Krisenkabinett der Bundesregierung.

CDU, neuer Vorsitzender, Laschet, Merz, Röttgen – erinnern Sie sich noch? Da war was. Die Christdemokraten waren eigentlich auf der Suche nach einem Nachfolger für Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Dann kam die Corona-Krise und der Parteitag wurde vertagt. Heute beraten sich CDU-Präsidium und Bundesvorstand zum ersten Mal seit acht Wochen. Ob es dabei schon einen neuen Zeitplan für den internen Wettstreit gibt, ist offen.

Und dann war da ja auch noch die Fußball-Bundesliga. Geht sie nun weiter – oder doch nicht? Das spielte zuletzt in den politischen Beratungen nur eine untergeordnete Rolle. Doch das Milliardengeschäft Bundesliga drängt. Heute könnten die Klub-Bosse etwas schlauer werden, denn da beraten sich die Sportminister der Länder.


WAS LESEN, HÖREN ODER ANSCHAUEN?

Wissenschaft und Massenmedien – das passt nicht immer zusammen. Die Journalistin Mai Thi Nguyen-Kim hat sich die Aussagen der derzeit meistzitierten Virologen angeschaut. Das Ergebnis: Da läuft in der Kommunikation auf beiden Seiten etwas schief.

US-Präsident Donald Trump will die Zahlungen an die Weltgesundheitsorganisation WHO einstellen. Welche Rolle spielt die Organisation eigentlich? Und was hat es mit Trumps Vorwürfen auf sich? Meine Kollegin Melanie Weiner klärt auf.

Aufgrund der Kontaktsperren wird Einsamkeit für immer mehr Menschen zum Problem. Neurowissenschaftler Raffael Kalisch untersucht das momentan und berichtet in der neuen Podcast-Folge "Tonspur Wissen" von eindeutigen Zwischenergebnissen. Er erzählt aber auch, woher das Gefühl der Einsamkeit kommt, was Betroffene tun können – und warum es helfen kann, (auch) fremde Menschen anzulächeln.

In einem Punkt sind sich alle Experten einig: Schnelles und umfangreiches Testen ist ein entscheidendes Mittel im Kampf gegen das Coronavirus. Doch wie steht es eigentlich um die Kapazität in den deutschen Laboren? Meine Kollegin Sandra Sperling und meine Kollegen Arno Wölk, Adrian Röger und Philip Friedrichs zeigen Ihnen, wie viele Tests in Deutschland durchgeführt werden.


WAS AMÜSIERT MICH?

Bevor heute wieder die Läden öffnen, wird das Sortiment noch ein wenig angepasst...

Morgen schreibt wieder Florian Harms für Sie. Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche.

Ihr

Luis Reiß
Chef vom Dienst t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @reiss_luis

Mit Material von dpa.

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