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Neue Corona-Regeln – Angela Merkels Autorität ist im Sinkflug


Was heute wichtig ist
Merkels Stern sinkt

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 20.01.2021Lesedauer: 7 Min.
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"Ein gewaltiger Schritt": Hier äußert sich Angela Merkel zu den neu beschlossenen Corona-Maßnahmen. (Quelle: Reuters)

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WAS WAR?

Politik erscheint oft dröge, doch das ist sie überhaupt nicht. Sie ist turbulenter als jeder Jahrmarkt, und in der Achterbahn sitzt die Chefin persönlich. Vor einem guten Jahr tuckerte Angela Merkel gemächlich dem Ende ihrer Kanzlerschaft entgegen, Parteivorsitz weg, Energie weg, keine neue Idee, nachmittags gab’s Tee. Dann kam Corona, die Dauerkanzlerin raffte sich auf, packte an, traf Entscheidungen im Stundentakt, steuerte das Land entschlossen durch die Krise. Koalitionspartner, Opposition und Bundesländer folgten ihr bereitwillig, und die Bürger dankten es ihr mit neuentflammter Wertschätzung. Merkels Popularität schoss in die Höhe. Trotz aller Strapazen: Sie genoss es, sie war nicht mehr klein, fein.

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So ging der Sommer, so kam der Herbst, zweite Welle, Kliniken am Anschlag, mehr Infizierte, mehr Tote, mehr Schulden, doch die Ministerpräsidenten begannen zu tun und zu lassen, was sie wollten. In den Runden mit der Kanzlerin sagten sie Ja und Amen zu schärferen Regeln, doch kaum zu Hause angekommen, machten sie sich locker: Ausnahmen hier, wegschauen da, wird schon nicht so schlimm werden. Nun haben wir Winter, nun haben wir mehr als 48.000 Tote und gefährliche Virusmutationen, nun bräuchte es eine Kanzlerin, die kraft ihres Amtes und ihrer Persönlichkeit die Länderchefs auf eine Linie bringt: effiziente Regeln, konsequent durchgesetzt, ein kurzer, aber harter Lockdown, statt monatelanger Mogelpackungen.

Doch Merkels Autorität ist im Sinkflug. Säße sie nicht angeschnallt in der Achterbahn, stärkten ihr nicht die treuen Kameraden Braun und Söder den Arm, sie flöge womöglich irgendwann aus der Kurve. In der Bevölkerung genießt die Kanzlerin immer noch große Unterstützung – in der Spitzenpolitik wird es einsamer um sie. Seit Monaten versucht sie scharfe Regeln gegen das Virus durchzusetzen, sie mahnt, sie appelliert, sie bestellt sich handverlesene Virologen zum Gespräch und lässt sich ihren Kurs bestätigen, aber es hilft alles nichts: Sie kann sich nicht durchsetzen. Die SPD hat in den Wahlkampfmodus geschaltet, die Ministerpräsidenten beschwören vor den Kameras unisono die Virusgefahr und kochen abseits der Kameras ihr eigenes Süppchen. Das kann man richtig oder falsch finden, aber eine Strategie ist es nicht. Statt eines konsequenten Aktionsplans hat die Bund-Länder-Runde gestern Abend immerhin eine maßvolle Verstärkung der bisherigen Corona-Regeln beschlossen, der Light-Lockdown wird zum Medium-Lockdown:

Die aktuellen Einschränkungen gelten weiter, aber erst mal nur bis Mitte Februar.
Die Ausgangssperre ist vom Tisch.
Merkels Wunsch, dass jeder Bürger sich nur noch mit einer einzigen Person außerhalb seines Haushalts treffen darf, wurde abgelehnt.
Schulen und Kitas bleiben "grundsätzlich geschlossen", die Länder können aber nach Belieben Ausnahmen zulassen. Auch hier keine Verschärfung des Status quo.

Neu ist: In Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr ist nun eine medizinische Maske zu tragen (Genaueres erfahren Sie hier). Arbeitgeber müssen Beschäftigten die Arbeit im Homeoffice ermöglichen, sofern das machbar ist. Arbeitnehmer werden gebeten, das Angebot anzunehmen.

Der wichtigste Punkt: Die Regierung will die Bewohner von Pflege- und Altenheimen besser schützen. Das Personal muss künftig FFP2-Masken tragen, Angestellte und Besucher sind regelmäßig zu testen. Damit das endlich klappt, helfen Bundeswehrsoldaten. Alles Weitere haben meine Kollegen Annika Leister und Patrick Diekmann für Sie zusammengefasst.

Reicht der Medium-Lockdown, um die Gefahr der Mutanten zu bannen? Manche Mediziner sagen ja, andere sagen nein, viele Bürger denken jein, und auch mancher Politiker aus der Runde gestern Abend scheint zu zweifeln. "Wir sind in der härtesten, schwierigsten, vielleicht auch gefährlichsten Phase dieser Pandemie", mahnte Sachsens geläuterter Ministerpräsident Michael Kretschmer in einer Pause. Man hatte nicht den Eindruck, als würden alle seine Kolleginnen und Kollegen das genauso sehen. Die Kanzlerin probte ein Machtwort und geriet mit Frau Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern aneinander – doch am Ende akzeptierte sie den Kompromiss. Dass er wirklich reicht, ist zweifelhaft. Schon jetzt laufen Wetten, wie lange es dauert, bis die Damen und Herren sich wieder zusammentelefonieren. Klarer Kurs oder Achterbahnfahrt? Manchmal ist das in der Politik schwer zu unterscheiden.


WAS STEHT AN?

"I, Joseph Robinette Biden, do solemnly swear that I will faithfully execute the Office of President of the United States, and will to the best of my ability, preserve, protect and defend the Constitution of the United States."

So wird er heute Mittag auf den Stufen des Kapitols seinen Amtseid sprechen, der neue Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Gerade einmal 200 Tribünengäste sehen ihm dabei zu, natürlich mit anderthalb Metern Corona-Abstand zwischen jedem Stuhl. Weitere 1.800 Besucher dürfen ihm auf dem Rasen lauschen, auf dem noch vor zwei Wochen der Mob wütete. Heute schützen 25.000 Nationalgardisten und Tausende Polizisten die Zeremonie. Demokratische Selbstverständlichkeiten lassen sich in den USA nur noch schwerbewaffnet durchsetzen (hier können Sie ab 18 Uhr deutscher Zeit zuschauen).

Personenschutz bekommen auch die Ex-Präsidenten Barack Obama, George W. Bush und Bill Clinton, die ihren Nachfolger anschließend auf den Nationalfriedhof Arlington begleiten, wo er am Grab des unbekannten Soldaten einen Kranz niederlegt – und dann geht's zur Party mit Lady Gaga, Bruce Springsteen, Jennifer Lopez, Bon Jovi, Justin Timberlake und weiteren Rockröhren; Tom Hanks moderiert die Sause. Währenddessen wird ein Mann mit gelber Föhnfrisur zum letzten Mal in der Air Force One gen Florida jetten und sich darüber ärgern, dass die Stars seinem Nachfolger huldigen, während er vor vier Jahren mit drittklassigen Barden Vorlieb nehmen musste.

Und dann ist sie endlich vorbei, die Trump'sche Chaos-Präsidentschaft. Viele Amerikaner fühlen sich heute vom Beelzebub erlöst. Für viele andere Amerikaner ist der Abgang ihres Helden der GAU. Rund um den Globus sind mit Joe Bidens Amtsantritt große Hoffnungen verbunden:

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Optimisten wünschen sich, dass er die Welt friedlicher und gerechter macht. Realisten wünschen sich, dass er wenigstens den letzten nuklearen Abrüstungsvertrag New Start verlängert, der in zwei Wochen ausläuft. Umweltschützer wünschen sich eine sofortige Rückkehr zum Pariser Klimaabkommen. Unternehmer wünschen sich, dass er dabei die strauchelnde Wirtschaft nicht vergisst. Die Chinesen wünschen sich einen berechenbaren Gegner. Die Russen wünschen sich, dass Herr Biden sie als Großmacht anerkennt, statt sie wie sein Vorvorgänger Obama zu verhöhnen. Die Briten wünschen sich ein paar Extrawürste in einem Handelsabkommen, mit dem sie die EU ausstechen können. Die Israelis wünschen sich, dass Herr Biden ihnen nicht allzu viele Zugeständnisse streicht, die Trump ihnen spendiert hat. Muslime wünschen sich eine Aufhebung des Einreisebanns. Millionen Leidgeplagte im Nahen Osten, in Afrika, Asien und Lateinamerika wünschen sich eine hilfsbereite Weltmacht, die Hunger, Not und Ungerechtigkeit bekämpft – nicht durch Soldaten, sondern durch Dollars und Diplomatie. Die kalifornischen Digitalkonzerne wünschen sich einen Frühstücksdirektor, der womöglich ankündigt, ihre Monopole zu zerschlagen, wegen seiner knappen Mehrheit im Kongress aber nicht dazu kommt. Und viele Deutsche wünschen sich wieder einen verlässlichen Bündnispartner, der uns vor Terroristen und russischen Atomraketen schützt, ohne dafür allzu viel zu verlangen. Ach ja, und unsere Autokonzerne soll er bitte in Ruhe weiterwurschteln lassen.

Die größte Hoffnung aber setzen Millionen Amerikaner in diesen neuen Präsidenten, sowohl auf der Linken als auch auf der Rechten: Der neue Mann soll einfach einen guten Job machen. Er soll tun, wofür er gewählt wurde: regieren statt fernsehen, Probleme lösen statt Probleme schaffen, versöhnen statt Beleidigungen twittern, alle Bürger gleich behandeln, statt sie in Fans und Feinde zu unterscheiden. Es klingt so einfach und ist doch so schwer: Joe Biden tritt an, um zu beweisen, dass Amerikas Regierungssystem 245 Jahre nach seiner Gründung noch funktioniert – trotz dem Wüten seines Vorgängers, trotz der Spaltung des Landes und trotz der Vertrauenskrise der politischen Eliten. Die erste Hürde ist das Milliardenpaket gegen die Corona-Schäden, das er schnell durch den Kongress boxen will.

Joe Biden muss jetzt zeigen, dass der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika keine Witzfigur, kein Idiot und kein Krimineller ist, sondern ein integrer, empathischer und führungsstarker Staatsmann. In normalen Zeiten wäre das keine allzu schwere Aufgabe. Aber die Post-Trump-Zeiten sind nicht normal. Deshalb wird der mächtigste Mann der Welt mit seinen 78 Jahren nun sehr hart arbeiten müssen. Hoffen wir, dass ihm wenigstens einiges gelingt.


WAS LESEN?

Wie geht es weiter mit dem deutsch-amerikanischen Verhältnis? Peter Beyer kann es erklären. Der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung formuliert im Interview mit unserem Reporter Johannes Bebermeier klare Erwartungen an Präsident Biden: "Ich erwarte, dass die neue amerikanische Regierung die Strafzölle auf Stahl und Aluminium bedingungslos abräumt", fordert Beyer heute Morgen auf t-online. "Es wäre ein wichtiges Zeichen der USA, um das beschädigte Vertrauen wiederherzustellen. Wir müssen die Hand ausstrecken, aber Washington muss auch auf uns zugehen." Mehr erfahren Sie hier.



Das Internet ist ein Stromfresser und zählt zu den größten Klimaverschmutzern. Ein IT-Unternehmen aus Nordfriesland will das ändern und hat das erste Rechenzentrum gebaut, das mehr CO2 absorbiert, als es erzeugt. Mein Kollege Tim Blumenstein hat sich das einzigartige Projekt erklären lassen.


WAS AMÜSIERT MICH?

Ich mag Led Zeppelin. Und ich mag Vögel. Noch besser ist nur beides zusammen. Selten habe ich über ein Filmchen so herzhaft gelacht.

Ich wünsche Ihnen einen herzhaften Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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