t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon

Menü Icont-online - Nachrichten für Deutschland
Such Icon
HomePolitikTagesanbruch

Plastikverbot tritt heute in Kraft – mit Folgen für alle Bürger


Die schleichende Seuche

Von Florian Harms

Aktualisiert am 02.07.2021Lesedauer: 7 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Marabus auf einer Müllkippe in Indien.Vergrößern des Bildes
Marabus aus der Familie der Störche auf einer Müllkippe in Indien. (Quelle: imago images)

Guten Morgen aus Jerusalem, liebe Leserin, lieber Leser,

er liegt auf Berggipfeln, in Wüsten und in der Arktis. Er treibt in den Ozeanen, steckt im Trinkwasser und schwebt in winzigen Partikeln durch die Luft. Er ist überall, er verschandelt unseren Globus, und daran ändert sich auch nichts, wenn wir brav Gelbe Säcke befüllen: Der Plastikmüll zählt zu den größten Umweltproblemen unserer Zeit, und wir Europäer sind maßgeblich mitverantwortlich dafür. Trinkflaschen, Joghurtbecher, Zahnpastatuben und unzählige weitere Verpackungen, Kleidungsstücke und Produktteilchen aus unserer Wegwerfgesellschaft vermüllen den Planeten, rauben Tieren ihren Lebensraum und vielen Menschen die Gesundheit. Meerestiere schlucken die Teilchen und verenden qualvoll, durch den Pazifik treiben riesige Müllinseln. Bis zu 50 Millionen Tonnen Plastik fanden sich schon 2016 in der Natur. Bis 2025 dürfte sich die Menge verdoppeln, haben Forscher in einer gestern Abend veröffentlichten Studie prognostiziert.

"Plastik ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt", sagt der Chemiker Matthew MacLeod von der Universität Stockholm, "es sickert überall in die Umwelt, selbst in Ländern mit einer guten Infrastruktur für die Abfallbehandlung". Obwohl das Umweltbewusstsein in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen sei, werde das Müllproblem immer größer. Das Plastik töte ganze Arten, beeinträchtige den Kohlenstoffwechsel in den Meeren und beschleunige so letztendlich auch die Klimakrise. "Das Vernünftigste, was wir tun können, ist, so schnell wie möglich zu handeln, um den Eintrag von Plastik in die Umwelt zu reduzieren", sagt der Forscher.

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Europa hat lange gebraucht, um die Warnrufe der Wissenschaft ernst zu nehmen, aber nun handelt die Politik: Ab morgen ist in der gesamten EU die Herstellung von Besteck, Geschirr und Trinkhalmen aus Plastik verboten, ebenso von Rührstäbchen für Kaffee, Wattestäbchen und Luftballonstäben aus Kunststoff sowie Fast-Food-Verpackungen aus Styropor. Es ist ein Einschnitt in unsere Bequemlichkeit, es kann helfen, aber es wird nicht ausreichen. Weiterhin erlaubt bleiben diverse andere Wegwerfprodukte aus Plastik wie beispielsweise Getränkebecher. Wirklich entschlossen bekämpft wird eine der größten Umweltseuchen unserer Zeit also erst, wenn möglichst viele Menschen nicht mehr auf staatliche Verbote warten, sondern selbst handeln. Es hat ja jeder in der Hand, was er kauft. Probieren Sie es doch mal aus: Wie Sie Plastik beim Einkaufen und auf Reisen vermeiden können, erklären Ihnen meine Kolleginnen Silke Ahrens und Claudia Zehrfeld hier und hier.


Ein großer Moment

Es war ein Gänsehautmoment, wie es ihn nicht oft bei politischen Begegnungen gibt: Gerade hat Frank-Walter Steinmeier sein Presse-Statement beendet, hat die überschwängliche Herzlichkeit seines Amtskollegen Reuven Rivlin eher nüchtern erwidert, hat das Selbstverteidigungsrecht Israels gegen Raketen aus dem Gazastreifen bekräftigt und durchblicken lassen, dass er die Hoffnung des israelischen Präsidenten auf einen gemeinsamen Staat mit den Palästinensern für eine Illusion hält, er hat über die Gefahr einer iranischen Atombombe gesprochen und ebenso über die Differenzen bei der Frage, wie sich die Gefahr eindämmen lässt, er hat also die leidenschaftliche Eingangsarie seines Gastgebers mit einem fast schon monotonen Realpolitik-Monolog beantwortet – da wird der Bundespräsident doch noch persönlich. Er wendet sich an Rivlin und berichtet ihm vom "emotionalsten Moment meiner Amtszeit", den er bei der Gedenkfeier in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem kurz vor Ausbruch der Corona-Krise im Januar 2020 erlebt habe: "Ich konnte nur teilnehmen, weil ein israelischer Präsident den Mut hatte, mich dorthin einzuladen", sagt Steinmeier und erzählt dann von einem älteren Ehepaar, das ihn nach der Feier angesprochen habe: "Herr Bundespräsident, wir waren dagegen, dass sie eingeladen werden", hätten die beiden zu ihm gesagt, "aber nach Ihrer Rede sind wir einverstanden." Spricht man mit Holocaust-Überlebenden, rühmen tatsächlich viele noch heute diese Rede. Gehalten hat sie Steinmeier, aber die Gelegenheit dazu hat ihm Rivlin geschenkt. "Wahre Freunde" haben sich die beiden gestern genannt – und sich dann umarmt. Ein wenig zögerlich erst, schließlich beherzt.

Es war ein besonderer Moment. Eine derartige Geste zwischen einem israelischen und einem deutschen Staatsoberhaupt ist auch im Jahr 2021 noch keine Selbstverständlichkeit. Sie gründet auf gegenseitigem Verständnis, aber auch auf der Tatsache, dass sich Frank-Walter Steinmeier seit Jahren für die Versöhnung zwischen Deutschen und Juden einsetzt, wobei er stets auch an die Verbrechen der Nazis erinnert. Auch bei diesem Besuch fährt er wieder nach Yad Vashem und lässt sich dort das Tagebuch eines jüdischen Mädchens zeigen, das 1945 ermordet wurde. "Ich bin arm und lebe im Ghetto, ich weiß nicht, was morgen mit mir geschieht, aber trotzdem kann ich über die ganze Welt lachen, weil ich etwas sehr Starkes habe, das mich unterstützt – meinen Glauben", schrieb die 14-jährige Rywka Lipszic vor ihrem Tod. Als anschließend in der Gedenkhalle für die ermordeten Juden ein Chor israelischer Schulmädchen singt, ist Steinmeier sichtlich ergriffen (hier sehen Sie die Szene).

Der Bundespräsident setzt bei seinem Besuch in Israel zwar starke Zeichen, aber diese können nicht verdecken, dass Juden in Deutschland auch heute noch vielfältigen Angriffen ausgesetzt sind. Mehr als 2.300 antisemitische Straftaten hat die Polizei im vergangenen Jahr gezählt – und zu viele werden nicht angemessen geahndet. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, wirft den deutschen Behörden deshalb Nachlässigkeit vor: "Bei manchen Urteilen beobachte ich eine Sehschwäche der Justiz auf dem rechten Auge – etwa, wenn Angriffe auf Synagogen nur als Sachbeschädigung verurteilt werden statt als antisemitische Tat", hat er mir gestern gesagt. "Ich erwarte von den deutschen Sicherheitsbehörden und der Justiz ein klares Einschreiten gegen den Rechtsextremismus."

Auf klare Worte müssen klare Taten folgen: Vielleicht ist das die wichtigste Botschaft dieses Staatsbesuchs.

Loading...
Loading...
Loading...
Täglich mehr wissen

Abonnieren Sie kostenlos den kommentierten Überblick über die Themen, die Deutschland bewegen. Datenschutzhinweis


Merkel sagt Bye-bye

"Wir schaffen das", hatte Boris Johnson 2019 bei seinem Antrittsbesuch in Berlin gesagt – und damit Angela Merkels berühmtes Zitat aus der Flüchtlingskrise zum Leitsatz für die festgefahrenen Brexit-Verhandlungen umfunktioniert. Nun ja. Nicht ganz zwei Jahre später streiten die EU und Großbritannien immer noch darum, wie der Warenverkehr zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland denn nun zu gestalten sei, zuletzt kam das Thema beim G7-Gipfel in Cornwall zur Sprache. Immerhin ist aber der Ton wieder konzilianter geworden: Wenn die Kanzlerin den Premier heute auf dessen Landsitz Chequers trifft, soll es nicht nur um Nordirland und die Ausbreitung der Corona-Delta-Variante gehen, sondern auch um die Vereinbarung eines regelmäßigen strategischen Dialogs auf Kabinettsebene. Zum Abschluss ihrer Visite bekommt Merkel dann noch eine Privataudienz bei der Queen – "eine Ehre", über die sie sich sehr freue, hieß es aus Berlin.


Neuer Boss fürs ZDF

Deutschland hat so gute öffentlich-rechtliche Medien wie wenige andere Länder, doch die Anstalten stehen unter Druck. Ihre byzantinischen Führungsstrukturen, die blockierte Erhöhung des Rundfunkbeitrags und das Ringen mit Privatmedien wie "Bild" und t-online stellt die Sender vor viele Fragen. Mitten in dieser Profilsuche kommt heute in Mainz der ZDF-Fernsehrat zusammen, um einen neuen Intendanten oder – hoppla: erstmals – eine Intendantin zu wählen. Für die Nachfolge von Thomas Bellut bewerben sich der ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler und die Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, Tina Hassel. Das Duell ist spannend: hier der im eigenen Haus vernetzte Manager, der als Kandidat des konservativ-bürgerlichen Freundeskreises gilt – dort die bildschirmbekannte Politikjournalistin vom WDR, die vom sogenannten "roten Freundeskreis" nominiert wurde. Um gewählt zu werden, ist eine Mehrheit von drei Fünfteln erforderlich, das entspricht 36 von 60 Mitgliedern. Mehrere Wahlgänge sind möglich. Der oder die Neue sollte dann die Fragen nach dem künftigen Profil rasch beantworten.


Auf ins Viertelfinale

Die Deutschen sind zwar draußen, aber die EM geht weiter – und nun wird’s noch spannender: Um 18 Uhr treffen in St. Petersburg die wackeren Schweizer ohne ihren gelbgesperrten Kapitän Granit Xhaka auf Spanien, um 21 Uhr messen sich in München Belgien und Italien. Mehr Leidenschaft als beim mutlosen England-Kick der deutschen Nationalelf dürfte in beiden Partien zu sehen ein.


Wachwechsel in Washington

Manche Journalisten machen ihren Job, andere leben für ihren Job. Fabian Reinbold gehört in die zweite Kategorie. Er interessiert sich für jedes Detail seiner Themen, schreibt präzise und unvoreingenommen, aber mit Leidenschaft. So hat er drei Jahre lang als t-online-Korrespondent aus Washington berichtet. Es waren wilde, anstrengende Jahre. "Jeder Tweet von Trump kann hier eine Großlage auslösen", hat er mir mal gesagt. Umso mehr schätzten viele tausend Leser seine Analysen und Kolumnen, die Licht ins politische Chaos brachten. Unter Diplomaten und Außenpolitikern zählt Reinbolds Newsletter längst zur Pflichtlektüre. Aber auch ein Ausnahmereporter braucht mal eine Abwechslung. Deshalb kehrt unser Kollege nun nach Deutschland zurück und berichtet ab Oktober als politischer Korrespondent aus Berlin. Den Posten in Washington übernimmt Bastian Brauns.


Was lesen?

Plagiatsvorwürfe machen Annalena Baerbock zu schaffen. Nun haben unsere Rechercheure Lars Wienand und Jonas Mueller-Töwe herausgefunden: Offenbar haben politische Gegner gezielt Plagiatsjäger auf die Grünen-Kanzlerkandidatin angesetzt.


Die Wahlprogramme der Parteien zeigen: Sie wollen lieber das Erreichte verwalten, statt die Zukunft zu gestalten. Dabei brauche Deutschland dringend einen Modernisierungsschub, findet unser Gastautor Gerhard Schröderund macht fünf konkrete Vorschläge.


ARD und ZDF werden regelmäßig zur Zielscheibe von Populisten. Die Kritik ist teilweise hanebüchen – trotzdem müssen sich die Sender grundlegend verändern, fordert unsere Kolumnistin Lamya Kaddor.


130 Nationen haben sich auf eine Mindeststeuer für Unternehmen geeinigt. Der Beschluss ist ein Erfolg für Finanzminister Olaf Scholz. Vor allem aber ist er gut für Deutschland, kommentiert mein Kollege Florian Schmidt.


Jubelnde Menschenmassen ohne Masken und Abstand: In den Fußballstadien geht es hoch her. Hat die Uefa die Corona-Lage unterschätzt – oder sogar ignoriert? Unser Sportreporter Benjamin Zurmühl beschreibt, wie die EM zur Virus-Drehscheibe wird.


Was amüsiert mich?

So gesehen hat das deutsche Aus bei der Europameisterschaft auch seine gute Seite.

Ich wünsche Ihnen einen gesunden Tag. Morgen kommt der letzte Wochenend-Podcast mit Marc Krüger vor der Sommerpause.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

Den täglichen Tagesanbruch-Newsletter können Sie hier kostenlos abonnieren.

Alle Tagesanbruch-Ausgaben finden Sie hier.

Alle Nachrichten lesen Sie hier.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

t-online - Nachrichten für Deutschland


TelekomCo2 Neutrale Website