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Bundestagswahl 2021: Eine Zumutung


Tagesanbruch
Eine Zumutung

  • Peter Schink
MeinungVon Peter Schink

Aktualisiert am 02.09.2021Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Totale Mattscheibe. Die Spitzenkandidaten versperren den Blick auf das Wesentliche.Vergrößern des Bildes
Totale Mattscheibe. Die Spitzenkandidaten versperren den Blick auf das Wesentliche. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

heute schreibe ich für Sie den kommentierten Überblick über die Themen des Tages.

Haben Sie das erste Wahlkampf-Triell im Fernsehen gesehen? Armin Laschet im Angriffsmodus, Olaf Scholz als staatsmännischer Genosse und Annalena Baerbock als dynamische Erneuerin? Auftritt der Wählerflüsterer.

Sehr unterschiedlich haben sich alle drei in Szene zu setzen gewusst. Im Fernsehen wird die Kanzlerbefähigung nicht nur durch das vermittelt, was man verspricht, sondern auch wie man spricht. So wollte Olaf Scholz souverän wirken, aber nicht arrogant. Annalena Baerbock versuchte den Aufbruch zu verkörpern, ohne dabei zu schrill zu werden. Und Armin Laschet wollte energisch angreifen, ohne dabei zu keifen.

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Das Ergebnis ist bekannt: Niemand blamierte sich. Scholz konnte den Umfragen zufolge seine Sympathiewerte bestätigen (36 Prozent), Baerbock kam erstaunlich gut weg (30 Prozent), doch Laschet konnte keinen Boden gutmachen (25 Prozent Zustimmung). Die Nervosität in der Union wächst, dass ihr Kandidat den fast sicher geglaubten Wahlsieg doch noch gefährden könnte.

Aber Moment mal.

Wir reden viel darüber, wer im falschen Moment lacht, wer zu unemotional spricht oder Fakten nicht kennt. Wir reden zu viel über solche Themen.

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, am 26. September Ihr Kreuz machen dürfen, werden Sie keinen der Kandidaten auf Ihrem Wahlzettel wiederfinden. Da werden viele Namen stehen, aber in den meisten Bundesländern nicht Laschet, Baerbock und Scholz. Und das aus gutem Grund.

Die entscheidende Frage ist: Was wählen wir denn eigentlich am 26. September? Klar wählen wir indirekt auch den künftigen Kanzler bzw. die künftige Kanzlerin, die das Land ein Stück weit prägen. Aber zunächst einmal wählen wir die neuen Abgeordneten des Bundestags. Menschen, die unsere Interessen in politische Handlungen münden lassen sollen. Die Hälfte von ihnen wird deshalb direkt gewählt, die andere Hälfte über Listen. Den Parteien kommt bei der Wahl eine dreifache Aufgabe zu: Sie kümmern sich zunächst – neudeutsch gesprochen – ums Personalrecruting. Sie bündeln dann politische Inhalte zu Wahlprogrammen. Und sie helfen nach der Wahl dabei, im Bundestag eine Regierung zu bilden. Erst ganz am Ende wird ein Kanzler bzw. eine Kanzlerin gewählt.

Dieses politische Einmaleins lernen unsere Kinder in der Schule. In Wahlkämpfen gerät das gerne in den Hintergrund. Stattdessen nutzen wir die Spitzenkandidaten als Projektionsfläche für all unsere Erwartungen. Schlimm ist das. Wir entmündigen uns selbst, wenn wir Wähler den Parteien vermitteln, man müsse uns nur den richtigen Kopf auf der Mattscheibe präsentieren. Wir müssen uns an die eigene Nase fassen.

Mir wäre wohler, würden die Spitzenkandidaten eine kleinere Rolle spielen, auch in unserer Berichterstattung. Verstehen Sie mich nicht falsch, es ist natürlich wichtig, wer das Land künftig führt. Aber zum einen ist Politik eine Teamleistung. Zum anderen gibt es viele inhaltliche Fragen, die dringend diskutiert werden müssen: Klima, Digitalisierung, Corona, Afghanistan, Rente, Soziales, Pflege, Bildung etc.

Während am Mittelmeer die Wälder brennen, unsere Außenpolitik in Afghanistan zertrümmert wird und die Corona-Zahlen steigen, scheint der Personen-Wahlkampf wie eine intellektuelle Zumutung.

Es gäbe so viel zu diskutieren. So macht sich zum Beispiel die Linke in ihrem Programm ausführlich Gedanken darüber, wie die Energiewende sozialverträglich gestaltet werden kann. Liest man gleiches Thema bei der SPD, so scheint Energiewende kein Sozialthema zu sein. Über solche Unterschiede sollten wir mehr sprechen.

Es wäre zu kurz gegriffen, die Schuld nur bei den Spitzenkandidaten zu suchen. Armin Laschet hat am Montag einen 15-Punkte-Plan für den Ausbau der Energiewende vorgestellt, und dazu ein Dreierteam. Doch nicht das Programm oder das Team wurde anschließend öffentlich diskutiert, sondern der Zeitpunkt (klar, das Programm kommt unglaubwürdig spät). Die Kritik war vorprogrammiert: Die Union nimmt das Thema Klima eh nicht ernst. Geht man danach, bräuchten die Parteien gar keine neuen Ideen und Themen entwickeln.

Inhalte sind für Wahlkämpfer etwas, womit sie kaum gewinnen und umso mehr verlieren können, weil pointierte Ideen auch viel Aufregungspotenzial bieten. Unterschiede zwischen den Parteien gibt es nach wie vor viele (siehe Grafik). Nur nehmen wir sie immer weniger wahr. Letztlich aber leidet unsere Demokratie, wenn wir nicht über die besten Ideen streiten.

Wo immer möglich werden wir bei t-online in den kommenden Wochen vor der Wahl noch viel über Inhalte berichten. Ganz persönlich möchte ich Sie dazu ermuntern, sich ein Bild zu machen, Möglichkeiten gibt es – zum Beispiel auch über den heute startenden Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung. Wenn wir es dann auch noch schaffen, mit unseren Mitmenschen über Inhalte der Parteien zu diskutieren, und diese in unsere Wahlentscheidung miteinbeziehen, dann hat die Demokratie gewonnen.


Das Wort Denunziation leitet sich ab aus dem Lateinischen "denuntiatio", der "Ankündigung" oder "Anzeige". Nicht erst durch den Nationalsozialismus ist der Begriff äußerst negativ besetzt. Man schwärzt bei uns niemanden an. Das macht man einfach nicht. Oder? Was, wenn der Denunziant im Sinne einer guten Sache handelt? Weil er Missstände anprangern oder eine bestimmte Sache aufdecken will? In den vergangenen Jahren hat sich da ein neuer Begriff durchgesetzt. Der des "Whistleblowers". Mit dem neuen Begriff hat die Diskussion um das Denunziantentum eine neue Wendung genommen.

Nun hat der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz das bundesweit erste "Hinweisportal für Finanzämter" freigeschaltet. Vielleicht hätte er es besser "Whistleblower-Portal" genannt. Der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki wäre mit seiner Kritik ("Dieses Portal zeigt uns, was droht, wenn Grüne ihre moralischen Vorstellungen über Recht und Gesetz stellen ...") nicht so leicht durchgedrungen.

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Ist so ein Portal verwerflich? Wenn Ihr Nachbar Sie dort zu Unrecht anschwärzen könnte und Sie anschließend grundlos verfolgt werden, auf jeden Fall. Wenn Steuerbehörden allerdings einen begründeten Verdacht haben, und dann ein Ermittlungsverfahren einleiten, ist das vielmehr im Interesse aller. In der Praxis ist das neue Meldeportal nur eine Abkürzung für Hinweisgeber, weil die Finanzämter auch heute schon Verfahren aufgrund von anonymen Hinweisen einleiten. Nun darf die Oberfinanzdirektion Karlsruhe voraussichtlich erst mal tonnenweise unbegründete Hinweise aussortieren.


Das Angebot der Bahn kam, als die ersten Lokführer im Güterverkehr bereits ihren Streik begonnen hatten. 400 bis 600 Euro Corona-Prämie und eine Laufzeit von 36 Monaten für den neuen Tarifvertrag. Damit liegt die Konzernführung nur noch marginal von den Forderungen der GDL entfernt.

Das darf GDL-Chef Claus Weselsky nun als seinen Erfolg verbuchen. Doch sein Kampf ist noch nicht zu Ende, wenn der Tarifkonflikt ausgestanden ist. Schließlich kämpft die GDL nach wie vor ums Überleben. Solange sie weniger Mitglieder hat als die größere Eisenbahner-Gewerkschaft EVG, wird die GDL nach dem neuen Tarifeinheitsgesetz bald nicht mehr um Löhne verhandeln. Das versucht Weselsky noch abzuwenden. Viel Zeit bleibt ihm nicht mehr.

Was bleibt? Die Bahn wird ihre Milliarden-Verluste aus der Corona-Zeit nun noch vergrößern. Entweder springt irgendwann der Bund erneut ein, oder die Bahn muss erneut drastisch sparen.


Was lesen?

Der Wechsel von Jérôme Boateng nach Frankreich hat alle überrascht – und erscheint wenig durchdacht. Der ehemalige deutsche Nationalspieler lässt eine Riesenchance liegen, schreibt mein Kollege Robert Hiersemann in seinem Kommentar.


Nein, Annalena Baerbock will nicht die Witwenrente abschaffen. Und nein, Armin Laschet hat kein Geld für Flutopfer für seinen Wahlkampf abgezwackt. Beide Nachrichten sind falsch, kursieren aber im Internet. Mein Kollege Ali Roodsari berichtet, wie Sie falsche Nachrichten erkennen und reagieren sollten, wenn Ihnen jemand solche Meldungen über WhatsApp schickt.


Heute Abend steht das erste Länderspiel von Bundestrainer Hansi Flick an. Liechtenstein ist der erste Gegner in der WM-Qualifikation. Aber ist es überhaupt erstrebenswert, sich für diese WM zu qualifizieren? Mein Kollege Benjamin Zurmühl hat sich des Themas angenommen und mit verschiedenen Experten gesprochen. Das Ergebnis finden Sie hier.


Nach dem Ende der Evakuierungsmissionen in Afghanistan geht in Europa die Angst vor einer neuen Flüchtlingskrise um. Aber sind diese Befürchtungen berechtigt? Mein Kollege David Schafbuch das überprüft und erklärt, welche Strategie die EU nun verfolgt.


Was mich amüsiert

Als Claus Weselsky den dritten Bahnstreik innerhalb von wenigen Tagen ankündigte, ist mir persönlich das Lachen vergangen. Unser Karikaturist Mario Lars schafft es, mir ein Schmunzeln zurück ins Gesicht zu zaubern.

Ich wünsche einen stressfreien Donnerstag. Morgen schreibt Florian Harms wie gewohnt an dieser Stelle.

Ihr

Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de

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