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Floskeln statt Taten: Scholz, Lindner und Habeck unterschätzen das Corona-Drama


Covid-Eskalation: Bald ist es zu spät

Von Florian Harms

Aktualisiert am 29.11.2021Lesedauer: 5 Min.
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Mit einem Transportflugzeug der Bundeswehr werden Covid-Patienten von München nach Hamburg verlegt.Vergrößern des Bildes
Mit einem Transportflugzeug der Bundeswehr werden Covid-Patienten von München nach Hamburg verlegt. (Quelle: Peter Kneffel/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

"Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben", soll Michail Gorbatschow einst die DDR-Diktatoren gewarnt haben, als die sich schnellen Reformen verweigerten. Die Folge ihres Starrsinns war dramatisch: Binnen Wochen brach das Regime zusammen, der Rest des Ostblocks fiel gleich mit. In diesen Tagen trifft der berühmte Satz des Russen auf andere deutsche Spitzenpolitiker zu: Die Ampelkoalitionäre von SPD, Grünen und FDP sind die neue Macht im Land – und sie sind kurz davor, an ihrer wichtigsten Aufgabe zu scheitern.

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Die Corona-Lage spitzt sich dramatisch zu. Die Hospitalisierungsrate hat den kritischen Schwellenwert 6 erreicht, rund 840.000 Bürger sind erwiesenermaßen infiziert, aber nur etwas mehr als 10 Prozent der Bevölkerung haben bereits die dritte Impfung bekommen – und nun droht die Virusvariante Omikron die Lage weiter zu verschlimmern. Prognosen von Covid-Modellierern zufolge könnten schon im Dezember sämtliche Intensivbetten in Deutschland belegt sein. Einige Kranke wird man dann ins Ausland verlegen. Viele werden mit eingeschränkter Versorgung vorliebnehmen müssen. Und andere werden sterben, weil Behandlungsmöglichkeiten fehlen – nicht nur Covid-Patienten, sondern auch Unfallopfer und Menschen mit anderen Gebrechen. Es wird der Moment sein, in dem das stolze Industrieland Deutschland, mächtigster Staat Europas, viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, zwangsweise in einen kollektiven Notfall stürzt. Und spätestens dann wird das Land um den nächsten Lockdown nicht mehr herumkommen.

Für viele Kranke wird es dann jedoch zu spät sein. Zudem sind die Kollateralschäden dann größer: Alleinstehende Senioren, Kinder und Opfer häuslicher Gewalt wird ein Lockdown umso härter treffen, je länger er dauert. Je höher die Infektionszahlen sind, desto länger muss er aber dauern. Genau aus diesem Grund haben die Wissenschaftler der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina am Wochenende "sofortige umfassende Kontaktbeschränkungen" gefordert. "Unmittelbar wirksam ist es aus medizinischer und epidemiologischer Sicht, die Kontakte von Beginn der kommenden Woche an (also heute) für wenige Wochen deutlich zu reduzieren", schreiben sie. Sie empfehlen, private Treffen in Innenräumen und Veranstaltungen hart zu begrenzen, Bars und Klubs zu schließen. Auch die 2G-Regel müsse endlich konsequent durchgesetzt werden. Das Fazit der Fachleute fällt ernüchternd aus: "Es ist zu befürchten, dass Teile der Politik und Öffentlichkeit die Dramatik der Situation nicht in ihrem vollen Ausmaß erfassen."

Das kann man wohl sagen. Seit Wochen schlagen Wissenschaftler Alarm, seit Tagen drängt die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel auf härtere Beschlüsse, um die vierte Corona-Welle zu brechen – beißt aber bei Olaf Scholz und dessen Verbündeten Christian Lindner und Robert Habeck auf Granit. Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP haben eine Mehrheit im Bundestag, sie haben das neue Infektionsschutzgesetz durchgedrückt, sie könnten sofort schärfere Regeln erlassen, aber sie tun es nicht. Sie wollen offenkundig nicht eingestehen, dass sie die Lage falsch eingeschätzt haben, dass ihre bisherigen Beschlüsse zu lasch sind.

Statt zu handeln, blasen sie Phrasen in die Welt. Ihre wortreichen Ankündigungen, entschlossener gegen Corona vorzugehen, könnten mittlerweile ein ganzes Buch füllen. "Wir etablieren einen Krisenstab und entwickeln einen neuen, präzisen Umgang mit den aktuellen Herausforderungen zu Corona und Omikron. Wir werden alles tun, was nötig ist. Es gibt nichts, was nicht in Betracht gezogen werden kann", verkündete Olaf Scholz am Wochenende. "Wir haben uns zehn Tage Zeit gegeben, um zu sehen, sind wir bei den Booster-Impfungen, sind wir bei den Schutzmaßnahmen, Kontakte zu reduzieren, weit genug gekommen", meinte Annalena Baerbock. Erst gestern Abend begann Christian Lindner langsam zurückzurudern. Reden statt handeln, wenn jede Stunde zählt: Es ist ein Lehrbeispiel, wie man politisches Vertrauen binnen Tagen verspielt. In einem berühmten Film gibt es eine Szene, die das gegenwärtige Verhalten der Ampelleute auf den Punkt bringt: siehe hier.

Nächste Woche will Olaf Scholz den Amtseid als neuer Bundeskanzler leisten. Dann muss er schwören, dass er Schaden vom deutschen Volk abwendet. Guten Gewissens wird er diese Worte angesichts der gegenwärtigen Lage kaum aussprechen können. Er ist als Chef des neuen politischen Machtzentrums mitverantwortlich dafür, dass Deutschland in eine noch tiefere gesundheitliche und gesellschaftliche Krise schlittert. Und während er und seine Leute zaudern, tanzen Unbelehrbare im Hochinzidenzland Sachsen Polonaise, wie unsere Reporterin Annika Leister berichtet. Solchen Ignoranten schiebt man nicht durch Worte einen Riegel vor, sondern nur durch klare Vorschriften.

In diesen Stunden verbreitet sich im Internet eine bemerkenswerte Szene: Eine Seniorin im Erzgebirgskreis, wo die Inzidenz auf über 2.000 gesprungen ist, berichtet in wenigen Worten, was Corona mit ihr macht (siehe hier). Wer dieses kurze Video gesehen hat, kann eigentlich gar nicht anders, als sofort entschlossen zu handeln. Es sei denn, er will partout ins Verderben rennen. Olaf Scholz und seine Ampeltruppe sind drauf und dran, genau das zu tun. Wer zu spät kommt, den bestraft das Virus.


Inflation wird zum Risiko

Bereits im Oktober gab es einen Rekord zu vermelden: Da stiegen die Verbraucherpreise in Deutschland um 4,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat – die höchste Inflationsrate seit 28 Jahren. Wenn das Statistische Bundesamt heute seine erste Schätzung für den November bekannt gibt, ist mit einem weiteren Anstieg auf knapp 6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zu rechnen. Als Preistreiber wirken vor allem die gestiegenen Energiekosten; aber auch Nahrungsmittel und Dienstleistungen werden teurer. Zudem beeinflusst die gesenkte Mehrwertsteuer zwischen Juli und Dezember 2020 den Vergleich. Wegen solcher Sondereffekte gibt sich Europas oberste Währungshüterin Christine Lagarde bislang noch gelassen. Sie erwarte, dass sich die Lage im kommenden Jahr beruhige, hat die EZB-Präsidentin den Kollegen der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gesagt. Doch eigentlich strebt die EZB im Euroraum eine Inflationsrate knapp unter zwei Prozent an – nur dann wäre nach den Kriterien der Zentralbanker Preisstabilität gegeben. Die ist in weiter Ferne.

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Wiederaufnahme in Wien

Nach fünf Monaten Funkstille werden heute in Wien die Verhandlungen über eine Wiederbelebung des iranischen Atomabkommens von 2015 wieder aufgenommen. Die Atmosphäre ist angespannt: Weil Teheran direkte Gespräche mit den USA verweigert, müssen hochrangige Diplomaten aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und China zunächst zwischen den Vertretern Teherans und Washingtons vermitteln. Sie wollen versuchen, die Eskalation zwischen beiden Seiten zurückzuschrauben. Könnte ein Interimsabkommen die Lösung sein?


Lichtblick des Tages

Die deutschen Wälder sind gefährdet: Klimaschäden, Borkenkäfer und die Landwirtschaft vernichten riesige Flächen des kostbaren Grüns – dabei sind Bäume das wichtigste Element, um Kohlendioxid zu binden. Doch immer mehr Menschen tun etwas gegen die Waldschäden. In Schleswig-Holstein konnte ich mich am Wochenende davon überzeugen: Die Gruppe Citizen Forests organisiert Aktionen, bei denen Bürger binnen Stunden Hunderte Bäume pflanzen. Hier erfahren Sie mehr.


Was lesen und anschauen?

Warum entscheidet die Ständige Impfkommission immer so langsam? Unser Reporter Sebastian Späth ist der Frage nachgegangen.


Nicht nur Impfverweigerer sind ein Problem – auch unter Migranten gibt es viele schlecht informierte Ungeimpfte. Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit hat meinen Kollegen Sandra Sperling und Nicolas Lindken erklärt, wo die deutsche Impfstrategie versagt.



Die neue Beatles-Dokumentation liefert spektakuläre Einblicke in die letzten Tage der berühmtesten Band der Welt. Beim ZDF gibt es Ausschnitte zu sehen.


Was amüsiert mich?

Wetten, dass ein 78-Jähriger sich binnen einer Minute in sieben unterschiedliche Outfits werfen kann? Stimmt, das kann nur einer.

Ich wünsche Ihnen einen aufgeräumten Tag. Morgen schreibt Camilla Kohrs den Tagesanbruch, von mir lesen Sie am Mittwoch wieder.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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