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Tote Menschen in Kühllaster: Ein Schock, der Merkels Flüchtlingspolitik veränderte


Tote Menschen in Kühllaster
Ein Horror, der Merkels Flüchtlingspolitik veränderte


14.06.2018Lesedauer: 4 Min.
Auf der A4 in der Nähe von Parndorf (Bezirk Neusiedl am See) steht ein Lastwagen, in dem tote Flüchtlinge gefunden wurden: Ein Gericht verurteilte vier Schlepper zu jeweils 25 Jahren Zuchthaus.Vergrößern des Bildes
Auf der A4 in der Nähe von Parndorf (Bezirk Neusiedl am See) steht ein Lastwagen, in dem tote Flüchtlinge gefunden wurden: Ein Gericht verurteilte vier Schlepper zu jeweils 25 Jahren Zuchthaus. (Quelle: dpa)
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Im Jahr 2015 erstickten 71 Flüchtlinge qualvoll im Laderaum eines Lastwagens. Die brutalen Schlepper wurden nun zu harten Haftstrafen verurteilt. Ein Rückblick.

Am Vormittag des 27. August 2015 machen die österreichischen Polizisten Harald Seitz und Gerald Gangl in einer Autobahnbucht bei Parndorf im Burgenland eine grausige Entdeckung. Den führerlosen Kühllaster mit ungarischem Kennzeichen und slowakischer Firmenaufschrift hatte Seitz dort schon am Vorabend bemerkt. Als die beiden Beamten nun die Ladetür öffnen, schlägt ihnen Verwesungsgeruch entgegen. Ihr Blick fällt auf ineinander verkeilte, verrenkte Körper mit kaum zu erkennenden Gesichtern.

Es sind, wie sich wenig später herausstellt, die Leichen von 71 Menschen – 59 Männern, acht Frauen und vier Kindern. Von Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Auf ihrer von Schleppern organisierten Fahrt nach Mitteleuropa erstickten sie im Laderaum des Kühllasters.

Die Nachricht platzt an jenem Tag mitten in die eben in Wien tagende Westbalkankonferenz. Daran nimmt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) teil. Einziges Thema ist die damals massive Flüchtlingswanderung in die Mitte Europas. Die Bilder von Parndorf trugen, wie man heute weiß, entscheidend dazu bei, dass Merkel am 5. September Zehntausende in Ungarn festsitzende Flüchtlinge nach Deutschland einreisen ließ.

Urteil: 25 Jahre Zuchthaus

Der Prozess gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen begann vor knapp einem Jahr in Kecskemet. Nun wurden vier Angeklagte zu jeweils 25 Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Gericht in Kecskemet (Südungarn) sah es als erwiesen an, dass die drei Bulgaren – der Fahrer des Lastwagens, der Fahrer des Begleitfahrzeugs und ein Organisator – sowie der afghanische Bandenchef die 71 Menschen getötet haben. Die Urteile sind allerdings noch nicht rechtskräftig.

Tragödien dieses Ausmaßes ereigneten sich in der Folge auf dem Landkorridor zwischen der Türkei und Österreich nicht mehr. Die 71 Toten machte das nicht wieder lebendig.

In dem komplexen Verfahren wurden auch 25 weitere Schlepperfahrten nach Deutschland und Österreich verhandelt. In einem Mammutprozess sind insgesamt 14 Männer aus Bulgarien, Afghanistan und dem Libanon angeklagt.

Wegen Mordes angeklagt waren die mutmaßlichen Mitwirkenden an der Todesfahrt von Parndorf, ein Afghane und drei Bulgaren; zehn weitere Männer, ein Afghane, acht Bulgaren und ein bulgarisch-libanesischer Doppelstaatsbürger, müssen sich für verschiedene Schlepperdelikte verantworten, darin eingeschlossen die schwere Misshandlung von Menschen. Österreich trat den Fall zuvor an Ungarn ab, weil die Opfer den Gerichtsmedizinern zufolge bereits auf ungarischem Gebiet gestorben waren.

"Ihr Erstickungstod war ein besonders qualvoller"

Im Prozess wurden die Skrupellosigkeit und die Gier der Schlepper früh deutlich. Die Menschen im Laderaum des Fahrzeugs waren spätestens drei Stunden nach der Abfahrt im Süden Ungarns gestorben. "Ihr Erstickungstod war ein besonders qualvoller", erklärte der medizinische Sachverständige vor Gericht. Es übersetzten Synchrondolmetscher zwischen vier Sprachen hin und her: Ungarisch, Paschtu, Arabisch und Bulgarisch.

Die mutmaßlichen Mitglieder der Schlepperbande hatten offenbar nur den Profit im Kopf und scherten sich nicht um das Wohl der Menschen, die sich ihnen anvertraut hatten. 1.000 bis 1.200 Euro bezahlte ein Flüchtling, um von Serbien zu Fuß über die "grüne" Grenze nach Ungarn gelotst und anschließend in einem Fahrzeug nach Deutschland oder Österreich gebracht zu werden.

Flüchtlinge verloren Bewusstsein

Die Fahrten in den überfüllten, unbelüfteten und verschlossenen Fahrzeugen waren höchst gefährlich. Passagiere verloren mitunter wegen Hitze und Sauerstoffmangels das Bewusstsein. Immer wieder mussten Notärzte ausrücken, wenn ein Transporter in Deutschland oder Österreich ankam. Die Beschlagnahme der Fahrzeuge durch die Behörden war offenbar einkalkuliert. Die ausrangierten, klapprigen Transportvehikel wurden für wenig Geld angeschafft, ein Mercedes Sprinter für etwa 7.000 Euro. Die Einnahmen aus einer einzigen Schlepperfahrt konnten das bis zu Zehnfache betragen.

Selbst die häufigen Festnahmen von Chauffeuren durch die Polizei in Deutschland, Österreich oder Ungarn stellten für die Bande kein Problem dar. Der Zweitangeklagte, der Bulgare G. M., organisierte regelmäßig Nachschub an Fahrern. Er rekrutierte sie zumeist aus einem Elendsviertel der bulgarischen Kleinstadt Lom nordwestlich von Sofia, woher auch er stammt.

"Dann soll er sie im Wald abladen"

Insgesamt waren nur sieben Zeugen vorgeladen. Der Staatsanwalt stützte seine Anklage vor allem auf abgehörte Telefongespräche zwischen den mutmaßlichen Bandenmitgliedern. Diese wurden live vor Gericht abgespielt und sollen die Skrupellosigkeit der Angeklagten dokumentieren. Die ungarische Polizei hatte den Schlepperring nach eigenen Angaben schon knapp zwei Wochen vor dem "Fall Parndorf" ausführlich abgehört. Sogar die Gespräche der an der Todesfahrt Beteiligten zeichnete die Behörde demnach auf.

Daraus lassen sich erdrückende Beweise für die Mordanklage ableiten. I., der Fahrer des "Todes-Lkw", berichtete demnach mehrfach, dass die Flüchtlinge im Laderaum schreien und an die Wände klopfen würden. Daraufhin soll L., der afghanische Bandenführer, seinem Begleiter am Telefon gesagt haben: "Sag ihm, er soll nur weiterfahren. Und falls sie sterben sollten, soll er sie dann in Deutschland im Wald abladen."

Enthüllungen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" werfen aber auch die Frage auf, warum die ungarischen Behörden nicht eingeschritten sind. In Budapest begründet man das damit, dass man nicht die Zeit und die Kapazitäten gehabt habe, um die aufgezeichneten Telefonate rechtzeitig zu übersetzen und auszuwerten. "Es ist zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Straftaten nicht in Ungarn, sondern im Ausland geplant, nicht von Ungarn, sondern von Ausländern begangen wurden", meinte Innenminister Sandor Pinter etwas pikiert. "Durch Ungarn sind sie nur durchgereist."

Verwendete Quellen
  • dpa

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