Flut in Westdeutschland Erst langsam zeigt sich das Ausmaß der Katastrophe
Tausende Retter suchen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen nach weiteren Opfern der Flutkatastrophe. Wo sich das Hochwasser zurückzieht, werden gewaltige Schäden sichtbar.
In den Trümmern und Ruinen der Katastrophengebiete im Westen werden immer mehr Opfer der Hochwasserkatastrophe entdeckt. Die Zahl der Toten stieg bis zum Samstagmorgen auf mehr als 130. Die Polizei bezifferte die Zahl der Todesopfer allein im Großraum Ahrweiler auf mehr als 90. Es sei zu befürchten, dass noch weitere hinzukämen, teilte die Polizei Koblenz mit. Insgesamt liege dem Polizeipräsidium die Meldung über 618 Verletzte vor. Auch diese Zahl könne sich noch weiter erhöhen.
Mehr als zwei Tage nach dem Unglück werden immer noch Menschen vermisst. In Nordrhein-Westfalen gab es nach Angaben des NRW-Innenministeriums landesweit mindestens 43 Todesopfer und viele Verletzte. In der besonders vom Hochwasser betroffenen nordrhein-westfälischen Ortschaft Erftstadt-Blessem gibt es dagegen bislang keine bestätigten Todesopfer. Da die Arbeiten der Rettungskräfte aber noch in vollem Gange seien, könne man nicht ausschließen, noch Todesopfer zu finden, sagte ein Kreisprecher am Samstagmorgen. Die Lage sei weiter angespannt.
Tausende Retter suchen in der Eifel nach Flutopfern
Samstagmittag will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zusammen mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) Erftstadt besuchen und in der Feuerwehrleitzentrale mit Rettungskräften sprechen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) plant einen baldigen Besuch in der schwer verwüsteten Region in Rheinland-Pfalz.
Embed
Dort hatte Innenminister Roger Lewentz (SPD) am Freitag noch von 63 Todesopfern gesprochen. Die Zahl der Verletzten in Rheinland-Pfalz lag bei 362. Die Such- und Rettungsarbeiten gehen auch dort weiter. Noch immer sind Tausende Rettungskräfte in der Eifel, wo in der Nacht zum Donnerstag die Wassermassen ganze Orte verwüstet hatten.
Viele Straßen im Ahrtal gesperrt oder nicht befahrbar
Laut Frühwarnprognose des Landesamts für Umwelt Rheinland-Pfalz verringerte sich die Hochwassergefahr zuletzt. In vielen Ortschaften fiel weiterhin das Strom- und Telefonnetz aus. Angehörige, Freunde oder Bekannte, die jemanden vermissen, können sich unter der Rufnummer 0800/6565651 bei der Polizei melden.
In der Nacht war die Polizei nach Angaben des Präsidiums mit vielen Einsatzkräften in den betroffenen Ortslagen im Einsatz. Durch das Unwetter seien viele Straßen im Ahrtal weiterhin gesperrt oder nicht mehr befahrbar.
Hotline für Hilfe für Betroffene der Hochwasserkatastrophe in Ahrweiler: Die Kreisverwaltung Ahrweiler hat für Hilfsangebote für die Betroffenen der Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz zwei Telefon-Hotlines eingerichtet. Diese gelten ab dem heutigen Samstag, wie die Kreisverwaltung mitteilte.
Demnach würden den Landkreis Hilfsangebote aus ganz Deutschland erreichen – hierfür wurde einmal die Hotline "Hilfsangebote" unter der Rufnummer 02641 975 900 eingerichtet. Per E-Mail könne man sich an hochwasserhilfe@kreis-ahrweiler.de wenden. Die Rufnummer richte sich an Bürgerinnen und Bürger, die bei der Bewältigung der Katastrophe helfen wollen und beispielsweise mit Sachspenden, Arbeitsmaterialien oder Transport- und Logistikmöglichkeiten unterstützen können.
Die Hotline "Beratung und Betreuung", erreichbar unter der Rufnummer 02641 975 950, vermittelt Hilfsangebote unter anderem zur Beratung von Kindern, Jugendlichen, Familien und Senioren oder zu Notbetreuungen. Beide Hotlines sind täglich von 09.00 bis 20.00 Uhr erreichbar.
Infrastruktur in Rheinland-Pfalz massiv beschädigt
Durch das Abfließen der Wassermassen werden die von den Fluten angerichteten Schäden an Ahr und Mosel sichtbar. Auch die Infrastruktur hat schweren Schaden genommen: In dem besonders stark betroffenen Landkreis Ahrweiler sind Straßen gesperrt und Brücken zerstört, der Zugverkehr ist in Rheinland-Pfalz wegen der Überflutungen weiterhin massiv beeinträchtigt. Hunderte Rettungskräfte sind auf der Suche nach Toten, Verletzten und Vermissten. Bei dem Schadensausmaß sei mit weiteren Opfern zu rechnen, sagte ein Polizeisprecher am Samstagmorgen. "Der Einsatz läuft auf Hochtouren."
Eine besonders dramatische Lage hatte sich in Erftstadt-Blessem südwestlich von Köln ergeben: Dort kam es zu gewaltigen Erdrutschen, es bildeten sich Krater im Erdreich, drei Wohnhäuser und ein Teil der historischen Burg stürzten ein.
Embed
Dreyer: "Das Leid nimmt auch gar kein Ende"
Im nordrhein-westfälischen Wassenberg an der Grenze zu den Niederlanden wurde nach dem Bruch eines Damms der Rur der Stadtteil Ophoven evakuiert. Rund 700 Anwohner waren davon betroffen. Die Lage war am frühen Morgen laut Mitteilung der Stadt weiter angespannt. Der zuständigen Kreispolizei Heinsberg und der Bezirksregierung Köln waren am Morgen aber keine besonderen Vorkommnisse aus der Nacht bekannt. "Insgesamt stagnieren die dortigen Wasserpegel derzeit", teilte die Stadt Wassenberg mit.
Ministerpräsident Laschet beklagte am Freitag eine "Flut-Katastrophe von historischem Ausmaß". Es sei zu befürchten, dass die Opferzahlen weiter steigen. Seine Amtskollegin aus Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), nannte die Lage "weiterhin extrem angespannt in unserem Bundesland". Sie fügte in Trier hinzu: "Das Leid nimmt auch gar kein Ende."
Baerbock reist ohne Presse ins Krisengebiet
Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock reiste nach dem Abbruch ihres Urlaubs in die Krisengebiete. Wie eine Sprecherin am Freitagabend mitteilte, will sich die Parteichefin vor Ort über die Lage der Menschen informieren. Dabei verzichte sie bewusst auf Pressebegleitung oder öffentliche Auftritte. Den Angaben zufolge traf Baerbock am Freitag in Mainz ein.
Auf Twitter schrieb sie dazu: "Die Gespräche gehen unter die Haut. Nach wie vor sind nicht alle Orte erreicht, Menschen weiter abgeschnitten. Zugleich gibt es eine unglaubliche Solidarität zu helfen, Betroffene zu Hause aufzunehmen und zu unterstützen." Für Samstag sind weitere Termine Baerbocks in Nordrhein-Westfalen angesetzt.
- Nachrichtenagentur dpa