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Deutsche Wirtschaft: Streiks und Bürokratie lähmen Deutschland


Tagesanbruch
Nichts geht mehr

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 07.03.2024Lesedauer: 5 Min.
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Wirtschaftsminister Habeck redet viel über Bürokratieabbau, passieren tut wenig.Vergrößern des Bildes
Wirtschaftsminister Habeck redet viel über Bürokratieabbau, passieren tut wenig. (Quelle: Liesa Johannssen/REUTERS)

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Ich wiederum traf diese Woche Rainer Dulger. Der Arbeitgeberpräsident kann anschaulich erzählen, wie dringend die Wirtschaft einen Aufschwung bräuchte. Er vergleicht Deutschland mit Gulliver, der im Land der Liliputaner als Schiffbrüchiger am Strand erwacht und sich von tausend Tauen gefesselt fühlt: So wie Gulliver sei auch die deutsche Wirtschaft gefesselt, meint Herr Dulger, nur dass die Taue hierzulande unzählige bürokratische Vorschriften seien. Wer heute ein Produkt verkaufen will, muss erst mal 73 Formulare ausfüllen und haarklein dokumentieren, dass das Produkt garantiert umweltschonend, klimaverträglich und arbeitnehmerfreundlich hergestellt worden ist und außerdem zwischen Flensburg und Füssen sämtliche erdenkliche DIN-Normen erfüllt. Kein Wunder, dass die Chinesen schneller E-Autos bauen.

Es klagen aber nicht nur Wirtschaftsleute. Kürzlich war ich im Berliner Regierungsviertel unterwegs und unterhielt mich mit hohen Tieren. Die stimmten ins selbe Lamento ein: Sie bekämen ja kaum noch etwas durchgesetzt, weil bei jedem Gesetzentwurf irgendeine Lobbygruppe auf die Barrikaden geht, mal sind's die Bauern, mal die Ärzte. Überhaupt sei es in der überhitzten Mediendemokratie kaum noch möglich, Kompromisse zu schmieden: Sobald etwas entschieden werden soll, geht das Geschrei auf Facebook, X und in den Talkshows los, jeder Kompromisswillige wird ruckzuck niedergebrüllt und als Memme abgestempelt. Also haut man lieber starke Sprüche raus, statt wirklich etwas zu bewegen, Strack-Zimmermann lässt grüßen.

Ich könnte Ihnen jetzt von weiteren Erlebnissen berichten, aber dann sind Sie schlecht gelaunt, und das möchte ich Ihnen an diesem sonnigen Morgen ersparen (hier vor meinem Fenster scheint jedenfalls die Sonne). Überhaupt, Sie sehen den Stillstand ja selbst, Sie brauchen ja nur raus auf die Straße zu treten (mache ich jetzt auch): Die Bahnhöfe sind heute wie leer gefegt, weil die Lokführer streiken. Bis morgen Mittag wollen sie ganz Deutschland dafür bestrafen, dass die Bahnbosse sich geweigert haben, sämtliche Privatwünsche von Herrn Weselsky abzunicken. Eine Mini-Branche lässt Millionen Menschen leiden: So etwas geht nur in einem Land, in dem eh mentaler Stillstand herrscht. So ist Herr Weselsky nur einer von vielen Liliputanern, die den Riesen Gulliver so lange fesseln, bis er nicht mehr aufstehen kann.

Andere Liliputaner haben Mitgliedsausweise von Verdi und tragen heute dazu bei, dass nicht nur auf den Schienen, sondern auch auf den Flughäfen Stillstand herrscht: Das Bodenpersonal der Lufthansa legt bis Samstagmorgen die Füße hoch, das Sicherheitspersonal an mehreren Airports schließt sich an. Auch hier geht es darum, die eigenen Forderungen hundertprozentig durchzupauken – koste es, was es wolle. Auch hier sind Hunderttausende Bürger die Leidtragenden.

Und die Wirtschaft? Wartet vergeblich auf den versprochenen Bürokratieabbau, weil die Ampelregierung und die Union sich partout nicht auf das Wachstumschancengesetz einigen können. Stattdessen kritteln die Herren Scholz, Lindner, Habeck, Merz, Söder und Co. lieber weiter aneinander herum und erzählen vor den Fernsehkameras, wie doof die jeweils anderen sind. Wer sind die Leidtragenden? Sie ahnen es.

Kein Zweifel: Das Deutschland des Jahres 2024 heißt Gulliver. Nun habe ich Ihnen das doch alles aufgetischt, aber es ist halt wirklich bitter. Eigentlich haben wir die besten Voraussetzungen, um all die gegenwärtigen Krisen erfolgreich zu überstehen, sogar gestärkt aus ihnen hervorzugehen: Stabilität, Pluralismus, Wohlstand, Bildung, Kreativität, Motivation, internationale Anerkennung. Aber wir fesseln uns selbst, haben für jede Eventualität 28 Vorschriften parat, beklagen uns von morgens bis abends, verlieben uns in Probleme statt in Lösungen und sind uns immer selbst der Nächste.

Mir geht diese egoistische Dauerblockade auf die Nerven, weshalb ich an diesem schönen Morgen einen unkonventionellen Vorschlag machen möchte: Wie wäre es, wenn wir den Spieß umdrehen und zur Abwechslung mal all die Blockierer und Miesmacher in Gullivers verwandeln? Wer dabei als Erster die Fesseln angelegt bekommt, dürfen Sie selbst entscheiden: Herr Weselsky oder Herr Merz, Frau Weidel oder Frau Wagenknecht, der sture Heini vom Finanzamt oder die unfreundliche Politesse – Ihnen fallen bestimmt noch mehr ein. Den besten Vorschlag belohne ich mit einer Ausgabe von Jonathan Swifts Roman "Gullivers Reisen". E-Mail-Adresse siehe unten.


Ohrenschmaus

Wenn wir heute schon nicht Zug fahren können, wollen wir wenigstens Züge hören. Und zwar friedliche!


Großer Auftritt

Joe Biden geht angeschlagen in den Wahlkampf. Viele Amerikaner halten ihn für zu alt, zu schwach, zu unentschlossen. Heute Abend kann der Präsident die Zweifler eines Besseren belehren: Vor dem Kongress in Washington hält er die Rede zur Lage der Nation. Traditionell unterrichtet der Regierungschef darin die Senatoren und Abgeordneten über Schwerpunkte seiner Politik. Diesmal dürfte der 81-Jährige den Auftritt zur besten Sendezeit im Fernsehen aber vor allem nutzen, um sich als kraftvollen Anführer zu inszenieren. Außerdem wird er wohl an die oppositionellen Republikaner appellieren, ihre Blockade weiterer Waffenhilfe für die Ukraine und in der Zuwanderungspolitik aufzugeben.

Zu befürchten ist allerdings, dass sich die Angesprochenen taub stellen: Die Republikanische Partei ist zu einer Geisel Donald Trumps verkommen, der jedes Zugeständnis an seinen Kontrahenten ablehnt. So bitter der deutsche Stillstand ist: Von amerikanischen Zuständen sind wir zum Glück (noch) weit entfernt.


Große Pläne

Für Ursula von der Leyen ist heute ebenfalls ein großer Tag. Die Europäische Volkspartei um CDU und CSU will die EU-Kommissionspräsidentin in Bukarest zu ihrer Spitzenkandidatin für die Europawahl Anfang Juni küren. Die Deutsche hofft auf ein zweites fünfjähriges Mandat an der Spitze der Brüsseler Kommission. Dafür musste sie ihre groß angekündigte Klimaschutzpolitik zu einem Politikchen eindampfen, den Bauernlobbys aus Frankreich, Deutschland, Holland und Polen große Zugeständnisse machen und mit Friedrich Merz die Friedenspfeife rauchen. Zu Merz hatte sie als Merkel-Gefolgsfrau jahrelang kilometerweit Abstand gehalten. So ist das eben in der Politik: Interessen sind wichtiger als Prinzipien. Und oft kann man "Interessen" durch "Karriere" ersetzen.

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Großer Schritt

Falls Sie nun denken, die EU-Institutionen dienten allein den Karriereplänen von Politikern, liegen Sie falsch. Heute zeigt sich beispielhaft, welchen segensreichen Einfluss die Union auf das Leben von Millionen Menschen hat: An diesem Donnerstag tritt das Gesetz für digitale Märkte – der Digital Markets Act – in Kraft. Es zwingt die allmächtigen Digitalkonzerne Apple, Google, Amazon, Facebook, Microsoft und Bytedance (TikTok), ihre Produkte für andere Firmen zu öffnen und ihre Monopole aufzuweichen. Klingt kompliziert, ist es auch, macht aber technische Geräte und Online-Dienste für Millionen EU-Bürger billiger, transparenter und sicherer.


Das historische Bild

Der Rhein war 1945 ein mächtiges Hindernis für die alliierten Truppen. Doch bei dieser wichtigen Brücke half ihnen der Zufall.


Lesetipps

Die Kommunen ächzen unter der hohen Asylbewerberzahl – doch Bund und Länder bleiben auch nach der Ministerpräsidentenkonferenz zerstritten. Das birgt eine Gefahr, schreiben meine Kolleginnen Marianne Max und Camilla Kohrs.


Die Bundesregierung ist so unbeliebt wie nie zuvor und die AfD gewinnt an Stärke. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigt deswegen im Interview mit meinen Kollegen Johannes Bebermeier und Annika Leister einen ungewöhnlichen Schritt an.


Vor einem Jahr töteten zwei Mädchen die zwölfjährige Luise aus Freudenberg. Es kam nie zum Prozess. Deshalb geht die Familie des Opfers nun einen anderen Weg, weiß meine Kollegin Liesa Wölm.


Donald Trumps Erdrutschsieg am Super Tuesday alarmiert deutsche Außenpolitiker. Sie werfen dem Kanzler Untätigkeit vor, schreibt mein Kollege Patrick Diekmann.



Zum Schluss

Die Amis haben uns was voraus.

Ich wünsche Ihnen einen urteilssicheren Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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