Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Ein richtig gutes Gesetz

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
"Wer schreibt, der bleibt", wussten schon die alten Römer zu bekunden, wobei die zugrundeliegende Redensart "Verba volant, scripta manent" weder im holprigen Duktus der Lateiner noch in ihrer freien Übersetzung "Worte fliegen, Geschriebenes bleibt" auch nur annähernd so geschmeidig daherkommt wie das knackig-deutsche Sprichwort. Vielschreiber wie zum Beispiel wir Journalisten wissen jedenfalls um die tiefe Bedeutung dieser Weisheit, worin sich wiederum ohne falsche Bescheidenheit ein Beleg unseres Scharfsinns erkennen lässt.
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Die Liebe zu knackigen Sentenzen haben wir Journalisten freilich nicht exklusiv. Sinn- und Kalendersprüche mehr oder minder intellektuellen Tiefgangs erfreuen sich hierzulande großer Beliebtheit, erst recht, wenn sie sich reimen. Ob im Poesiealbum der Tochter, in der WhatsApp-Nachricht der Oma oder über dem Spülkasten in der Tankstellentoilette: Wo Deutsche über das Leben räsonieren, da beginnen sie zu sinnieren und zu dichten. So gesehen ist es gar nicht weit hergeholt, wenn der Tagesanbruch sich heute ausnahmsweise mal nicht Trump, Putin und ähnlichen Konsorten widmet, sondern da vorbeischaut, wo in diesen Tagen viele Mitbürger früher oder später verharren: an der Tanke. Die Reisesaison ist angebrochen, auf den Autobahnen ist der Teufel los, aber irgendwann muss jeder Bleifuß auf die Bremse treten, um den Wagendurst zu stillen.
Dann erleben viele Autofahrer ihr blaues Wunder. Und damit bekommt der Autor dieser Zeilen nun endlich die Gelegenheit, selbst einen Sinnspruch zu kreieren: "Wer tankt, der bangt" lautet er, und da nämlicher Autor sowohl hessisches Blut in den Adern als auch eine schwäbische Sozialisation vorzuweisen hat, können wir über den geringfügig divergierenden Klang des K und des G geflissentlich hinweghören. Mit ein bisschen Dialekt schleift sich das ab. Die Botschaft jedoch sitzt: Tanken ist zum Glücksspiel geworden.
Eine Auswertung des illustren Portals benzinpreis.de hat soeben enthüllt: An 14.000 deutschen Tankstellen gelten Spritpreise oft nur wenige Minuten lang – schwuppdiwupp, schon ändert sich die digitale Anzeige und zeigt andere Preise an. In Stoß- und Hauptreisereisezeiten natürlich stets höhere – so zumindest die gefühlte Wahrheit. Manche Preise bleiben noch nicht einmal eine Pinkelpause lang konstant: Wer erst austritt, bevor er den Zapfhahn zückt, muss nicht selten mehr berappen, als bei Ankunft an der Tanke angenommen.
Das ist im Land der Pfennigfüchse keine Petitesse. Die Inflation hat das Leben schon teuer genug gemacht, vor allem Pendler geraten an ihre monetären und mentalen Grenzen. Als "Achterbahn der Verwirrung" schmähen die Autoren des vorgenannten Portals nun die intransparenten Preiskaskaden und vermuten: "Man will Verbraucher hinters Licht führen." Tankstellenbetreiber lockten Autofahrer mit günstigem Benzin – das sie dann aber gar nicht bekommen. So wird der Versuch, in Inflationszeiten halbwegs günstig zu tanken, für viele Fahrer zur nervenaufreibenden Schnitzeljagd: Immer dann, wenn sie den Schatz endlich gefunden haben, löst dieser sich plötzlich in Luft auf.
Auch das Bundeskartellamt hebt den Zeigefinger: "Die häufigen Preisänderungen machen es den Verbrauchern immer schwerer, einen Vergleich vorzunehmen und ihr Tankverhalten danach auszurichten", rügt dessen Präsident Andreas Mundt. Im ersten Jahresquartal hat seine Behörde durchschnittlich 22 Preisänderungen pro Tankstelle pro Tag gezählt. Bei einzelnen Anbietern waren es gar mehr als 50 – täglich! Die Kartellwächter wittern wettbewerbswidrige Manipulationen zum Nachteil der Kunden und fordern die Bundesregierung zum Eingreifen auf.
In diesen Tagen wird ja viel über Bürokratieabbau geredet. Das ist sicher angebracht. Kein Mensch braucht einen Staat, der Unternehmen in Berichtspflichten erstickt, Zentimetergrößen für Gartenzwerge festlegt und Bäckereien vorschreibt, wie viele Tische sie für Kaffeetrinker aufstellen dürfen. An anderer Stelle jedoch wäre die eine oder andere neue Regel nicht verkehrt. Ein nach bewährter bürokratischer Sitte benanntes Tankstellenpreistransparenzgesetz beispielsweise könnte die Abzocke von Autofahrern rasch beenden. Und da der aktuelle Verkehrsminister ausnahmsweise weder von der CSU noch von der FDP gestellt wird, könnte es sogar ein richtig gutes Gesetz werden.
Umgang mit der AfD
Die Prozedur ist schon bekannt: Nach parlamentarischen Gepflogenheiten stünden der AfD als zweitstärkster Kraft im Bundestag die Vorsitze wichtiger Ausschüsse zu, doch bei der Wahl bekommen ihre Kandidaten keine Mehrheit. So war es auch gestern, als die Partei mit ihren Nominierungen für den Haushaltsausschuss sowie die Fachgremien für Recht, Arbeit, Finanzen und Petitionen scheiterte. Meine Kollegin Annika Leister berichtet von empfindlichen Konsequenzen. Stattdessen wurden etwa der frühere CDU-Vorsitzende Armin Laschet zum neuen Vorsitzenden im Auswärtigen Ausschuss und die scheidende SPD-Co-Chefin Saskia Esken zur Leiterin des Bildungs- und Familienausschusses gewählt.
Nun gilt es aber noch ein weiteres Problem zu lösen, das mit der gewachsenen Zahl der AfD-Abgeordneten zusammenhängt. Für ihre 151 Mandatsträger fordert die Partei, die der Verfassungsschutz für gesichert rechtsextremistisch hält, den zweitgrößten Tagungsraum auf der Fraktionsebene: den bisher von der SPD genutzten Otto-Wels-Saal, benannt nach ihrem ehemaligen Parteivorsitzenden, der 1933 vor der Machtergreifung der Nazis die letzte freie Rede im Deutschen Reichstag hielt. Den wollen die auf 120 Sitze geschrumpften Sozialdemokraten aber verständlicherweise nicht ausgerechnet an die blau gefärbten Braunen abgeben. Heute tritt der Ältestenrat des Bundestags zusammen und trifft eine Entscheidung – höchstwahrscheinlich zugunsten der SPD.
Ukraine-Gespräche im Vatikan?
"Der Friede sei mit euch allen!": So begann der neu gewählte Papst Leo XIV. seine erste Ansprache auf dem Petersplatz in Rom. Nun könnte die liturgische Formel realpolitische Bedeutung gewinnen: Verlief das zweistündige Telefonat zwischen US-Präsident Donald Trump und Kreml-Kriegsherr Wladimir Putin am Montag auch ernüchternd ergebnislos, so kursiert seitdem zumindest die Idee, Verhandlungen über eine Waffenruhe zwischen Russland und der Ukraine im Vatikan durchzuführen.
Gestern bestätigte Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, dass der Pontifex bereit sei, eine Vermittlerrolle zu übernehmen. Offen ist allerdings weiterhin, wann und auf welcher Ebene entsprechende Gespräche stattfinden könnten. Da der selbst ernannte Dealmaker im Weißen Haus auf jeglichen Druckaufbau verzichtet und die Europäer Moskau auch mit ihrem soeben verabschiedeten 17. Sanktionspaket nicht in die Knie zwingen werden, bleibt die Hoffnung äußerst vage.
Es ist wohl leider so: Putin will weiter töten, Trump ist es egal und die Europäer sind zu schwach, es zu ändern. So gesehen käme geistlicher Beistand gerade recht.
Ganz nah Ost
Mit dem EU-Ultimatum an Putin ist Friedrich Merz gescheitert, heute will er wenigstens an der Nato-Ostfront eine gute Figur abgeben: Gemeinsam mit Verteidigungsminister Boris Pistorius reist der Kanzler nach Litauen, um dem Aufstellungsappell der Bundeswehr-Panzerbrigade 45 beizuwohnen. Bis 2027 sollen in dem an Russland grenzenden Land 4.800 deutsche Soldaten stationiert werden. Welche gravierenden Probleme sich damit verbinden, war gestern Thema im Tagesanbruch.
Duell der Kleinklubs
Es mutet kurios an: Addiert man die Einwohnerzahlen der baden-württembergischen Kreisstadt Heidenheim an der Brenz (50.000) und des Ortsteils Elversberg (7.000) der saarländischen Gemeinde Spiesen-Elversberg, so ergibt sich eine Summe, die deutlich unterhalb des Zuschauerschnitts von Fußballvereinen wie Borussia Dortmund und FC Bayern München liegt. Ungeachtet solcher Rechenspielchen tragen die wackeren Kleinklubs heute in der "Dorfrelegation" ihr erstes Duell um die künftige Bundesliga-Zugehörigkeit aus. Anpfiff in Heidenheim ist um 20.30 Uhr, verfolgen können Sie die Partie bei Sat.1 und im Liveticker von t-online.
Ohrenschmaus
Kennen Sie Songs, die nur auf wenigen Tönen basieren, aber gerade deshalb sehr eindrücklich sind? Moby ist ein Meister dieser Kunst.
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Zum Schluss
Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt!
Ich wünsche Ihnen einen dynamischen Tag.
Herzliche Grüße und bis morgen
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
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Mit Material von dpa.