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Droht jetzt der Stillstand? AfD-Kandidatin fällt im Ausschuss durch


Partei scheitert im Bundestag
Ein herber Rückschlag für die AfD


Aktualisiert am 21.05.2025 - 18:58 UhrLesedauer: 6 Min.
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AfD-Chefs Weidel, Chrupalla: Als zweitstärkste Kraft stehen ihrer Partei neue Optionen offen. (Quelle: IMAGO/Andreas Gora/imago)
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Alle sechs Kandidaten der AfD für die Vorsitze der Ausschüsse im Bundestag fallen am Mittwoch durch. Das könnte empfindliche Konsequenzen für die wichtigsten Gremien im Parlament haben.

Um 12 Uhr tritt Ulrike Schielke-Ziesing vor die Kameras. Die Hände hält die AfD-Politikerin vor dem Bauch gefaltet, ihre Miene ist gefasst. Im Sitzungssaal 2400 ist sie in geheimer Wahl gerade nicht als Vorsitzende des Haushaltsausschusses gewählt worden. Es hat sie nicht überrascht, wird sie t-online später sagen.

Schielke-Ziesing spricht mit ruhiger Stimme in die Mikrofone: Es sei ein schlimmes Signal, dass der so wichtige Haushaltsausschuss, durch den so viel Geld fließe, nun nicht mehr wie sonst üblich von der stärksten Oppositionspartei geleitet werde. Der Ausschuss beschränke sich damit auch selbst enorm – in einer Zeit, in der er dringend handeln müsse. "Die demokratischen Parteien handeln nicht demokratisch", kritisiert die 55-Jährige.

Wenige Minuten später wird CDU-Politiker Carsten Körber aus dem Sitzungssaal vor die Kameras treten. Er sagt die Sätze, die Bedeutung haben dürften, nicht nur für heute, sondern für die nächsten Jahre: Es gehe bei der Ablehnung von Schielke-Ziesing nicht um sie als Person, sagt er. Die Union könne nicht mittragen, dass die AfD einen Ausschussvorsitzenden besetze. "Ganz gleich, wen die Partei vorschlägt." Eine entscheidende Rolle spiele dabei die Einstufung des Verfassungsschutzes der Partei als gesichert rechtsextrem.

Die Union hat sich entschieden, so scheint es in diesem Moment: Die Brandmauer hin zur AfD soll stehen. Keine Kooperation, in keinem Fall, auch nicht in reinen Arbeitsfragen.

AfD-Politikerin scheitert bei Stufe 2

Für die AfD auf der anderen Seite hat sich damit eine Hoffnung zerschlagen: den Vorsitz in einem oder mehreren der 24 Ausschüsse im Bundestag zu erhalten. Sie sind die wichtigsten Arbeitsgremien des Parlaments.

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Die Vergabe der Vorsitzendenposten verläuft zweistufig: In einer geheimen Sitzung mit den Parlamentarischen Geschäftsführern greifen zunächst alle Parteien auf die Ausschüsse zu, die sie leiten wollen. Entscheidend dabei ist die Zustimmung der Wähler bei der Bundestagswahl. Bedeutet: Die Union darf den ersten Ausschuss greifen, die AfD den zweiten, und so weiter.

Insgesamt dürfen die größeren Parteien in dieser Sitzung außerdem häufiger zugreifen als die kleineren: Die Fraktion der Union hat in acht Ausschüssen das Vorschlagsrecht für den Vorsitzposten, die AfD für sechs, die SPD für fünf, die Grünen für drei und die Linke für zwei Ausschüsse. Die AfD entschied sich nicht nur für den Haushalts-, sondern ebenso für den Innen-, den Arbeits-, den Finanz-, den Rechts- und den Petitionsausschuss. Viele Ausschüsse – und darunter mächtige.

Damit aber sind die Vorsitzenden noch nicht gewählt. Die Personen müssen in der konstituierenden Sitzung vorgeschlagen, vorgestellt und dann von den Kollegen im Ausschuss tatsächlich gewählt werden.

Das ist die Stufe, an der Schielke-Ziesing am Mittwoch scheiterte. Bis um 19 Uhr wird es an diesem Tagen bei den fünf anderen AfD-Kandidaten ebenso laufen: Gerrit Huy im Arbeits-, Kay Gottschalk im Finanz-, Stefan Möller im Rechts-, Manfred Schiller im Petitions- und schließlich Jochen Haug im Innenausschuss erreichen nicht die notwendige Mehrheit.

Wichtiges Zeichen für die AfD

Den Ausschüssen vorzustehen, ist kein glamouröser Job. Es bedeutet hauptsächlich administrative Arbeit, meist hinter den Kulissen: den Ausschuss vorbereiten, die Tagesordnung planen, die Sitzung leiten. Im Gegenzug gibt es eine finanzielle Zulage.

Für die AfD aber wären die Posten nach dem starken Abschneiden bei der Bundestagswahl das Zeichen gewesen: Mit der Normalisierung der Partei geht es voran. Schritt für Schritt. Wir dürfen mitspielen – und vielleicht bald auch gestalten.

Zwar wäre es nicht das erste Mal, dass die AfD Ausschüsse leitet. Ab 2018 zum Beispiel führte Peter Boehringer den Haushaltsausschuss, Sebastian Münzenmaier den Tourismusausschuss und Stephan Brandner den Justizausschuss. Damals stimmten die Union und die Liberalen für die AfD-Politiker.

In den meisten Fällen gab es keine Probleme. Die Arbeit lief relativ geräuschlos, heißt es auch heute noch unter der Hand aus den anderen Fraktionen. Brandner allerdings fiel öffentlich mehrfach durch verbale Entgleisungen auf, schließlich wurde der Jurist 2019 von den Ausschussmitgliedern abgewählt – zum ersten Mal in der Geschichte des Bundestags überhaupt.

Der Fall hängt der AfD noch heute nach, von ihren Kritikern wird er regelmäßig angeführt. Wichtiger aber noch waren zwei andere Entwicklungen: Erstens stufte der Verfassungsschutz die Partei 2021 endgültig als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Zweitens übernahm im Dezember die Ampelkoalition, in der vor allem SPD und Grüne eine harte Linie gegen die AfD vertreten.

Ab da hieß es: Keine Posten mehr an der Spitze der Ausschüsse für die AfD. In keinem Fall. Punkt.

Spahns Vorstoß und Rolle rückwärts

Mit dem Regierungswechsel nach der Bundestagswahl im Februar war in der AfD eine zarte Hoffnung gewachsen, dass sich das unter der CDU wieder ändern könnte. Man verwies auf die alten Zeiten unter der Merkel-Regierung und Boehringer, dem damals eine gute Leitung attestiert worden war. Man betonte vor allem den Haushaltsausschuss und Schielke-Ziesing, die in der AfD als saubere Fachpolitikerin gilt, als frei von Skandalen – im Gegensatz zu so manchem ihrer Kollegen. Und man pochte auf die neue Kraft der AfD: zweitstärkste Kraft, so relevant wie noch nie, gewählt von Millionen.

Einige in der Union schienen dieser Argumentation folgen zu wollen, zumindest was die administrative Arbeit im Parlament angeht. So löste vor einem Monat Jens Spahn, damals schon als neuer Unions-Fraktionschef gehandelt, eine breite Debatte aus. Mit Blick auf die Ausschussvorsitze sagte er: Man solle die AfD behandeln wie jede andere Partei. Es solle keine "Geschäftsordnungstricks" geben, sonst begebe sich die AfD ohnehin nur in die "Opferrolle".

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Der Aufschrei war bundesweit groß, Talkshows zur besten Sendezeit beschäftigten sich mit Spahns Satz. Dabei ging es oft sehr schnell gar nicht mehr um die Ausschussvorsitze, sondern um die Frage: Will Spahn nicht noch viel mehr, viel näher an die AfD rücken? Sie normalisieren, womöglich mit ihr koalieren?

Gutachten mit Konsequenzen

Der Diskussion setzte das Gutachten des Verfassungsschutzes Anfang Mai ein abruptes Ende. Es stufte die AfD hoch, hin zu gesichert rechtsextremistisch. Ein klares Signal, dass der Inlandsnachrichtendienst die Partei für eine Gefahr für die Demokratie hält. Und die Union zog daraus ihre Konsequenzen: "Eine Empfehlung, AfD-Abgeordnete zu Ausschussvorsitzenden zu wählen, wird es von unserer Seite nicht geben", schrieb Spahn auf der Plattform X.

Es ist die Haltung, die die anderen Parteien ohnehin vertreten. "Unsere Position ist klar: Wir wählen keine Vorsitzende der AfD", sagt zum Beispiel Dietmar Bartsch, ehemaliger Fraktionschef der Linken, kurz vor Beginn der Ausschusssitzung.

Und der SPD-Politiker Dirk Wiese betont: Auch die Ablehnung der AfD sei demokratisch, weil durch demokratische Wahl erfolgt. Die AfD habe sich in den letzten Jahren weiter radikalisiert und in der vergangenen Sitzungswoche ein "absolut unflätiges Verhalten" an den Tag gelegt, indem sie zum Beispiel die anderen Parteien in Reden beschimpft habe. "Da sagen wir als SPD-Bundestagsfraktion ganz klar: Die Kolleginnen und Kollegen wählen wir nicht in Verantwortung."

12 Ja-Stimmen bei zehn AfD-Politikern im Ausschuss

Auf den Haushaltsausschuss kommen wie auf die anderen fünf Ausschüsse mit dieser Entscheidung Komplikationen zu. Der Vorsitzendenposten bleibt nun dauerhaft unbesetzt, vorerst übernimmt der dienstälteste Parlamentarier die Leitung. In der nächsten Woche soll ein Stellvertreter gewählt werden, der dann dem Ausschuss vorsteht. Die Arbeit, die sich zwei geteilt hätten, würde sich dann auf einen konzentrieren.

Wenn es gut läuft. Denn es kann auch noch anders kommen. Die Stellvertreterposten nämlich werden wieder nach demselben zweistufigen Prinzip vergeben wie schon die Vorsitzendenposten: Erst greifen die Parteien in einer Vorrunde darauf zu, dann müssen die Stellvertreter in den Ausschüssen gewählt werden.

Es ist unüblich, dass eine Partei nach dem Vorsitzenden und danach auch dem Stellvertreter greift. Es wäre im Bundestag ein Novum. Doch ebenso unüblich ist es, der stärksten Oppositionspartei den Haushaltsausschuss zu verweigern. Die AfD dürfte daher wenig davon abhalten, es zumindest zu versuchen – wenn es denn juristisch möglich ist. In der AfD wie in den anderen Parteien prüfen gerade Juristen, ob der doppelte Zugriff in dieser Form möglich ist. Das bestätigt t-online auch CDU-Politiker Körber.

Und was, wenn die AfD diesen Schritt geht? Und nun wieder nach denselben Ausschüssen greift wie schon bei den Vorsitzenden? Dann würden wohl auch ihre Stellvertreter nicht gewählt, dann blieben die zentralen sechs Ausschüsse, nach denen die AfD griff, zunächst führungslos.

Verwirrung also könnte bevorstehen, eventuell sogar der vorübergehende Stillstand in wichtigen Ausschüssen des Parlaments. Das könnte die Diskussion in der Union wieder befeuern, wie sinnvoll die eigene harte Haltung zur AfD ist. Zumal die AfD ihr keine Ruhe lassen wird: Am Mittwoch, nach Schielke-Ziesings Durchfallen, beklagte AfD-Chefin Alice Weidel einen Akt "parteipolitischer Willkür" und "der Diskrimnierung".

Schon die Ergebnisse für Schielke-Ziesing im Haushaltsausschuss und Jochen Haug im Innenausschuss am Mittwoch zeigen: Nicht jeder ist von der harten Linie überzeugt. 12 Ja-Stimmen haben die AfD-Politiker in geheimer Wahl jeweils erhalten. In den Ausschüssen aber sitzen nur zehn AfD-Politiker.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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