Entscheidende Offensive? Putins perfider Plan
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Putin setzt darauf, dass Russland die Ukraine mit noch mehr Soldaten bezwingen kann. Geht sein Kriegsplan auf β oder kommen die Leopard-Panzer gerade noch rechtzeitig?
Es ist die HΓΆlle auf Erden: Die ukrainische Stadt Bachmut gehΓΆrte in den vergangenen Monaten zu den am stΓ€rksten umkΓ€mpften Orten in der Ukraine. Viele HΓ€user sind zerstΓΆrt, ganze StraΓenzΓΌge zerbombt, die meisten Bewohner haben die Stadt lΓ€ngst verlassen.
An vielen StraΓen haben die ukrainischen Verteidiger SchΓΌtzengrΓ€ben ausgehoben und Verteidigungslinien errichtet. Die Stadt ist mittlerweile eine Festung, die die Ukraine erfolgreich verteidigen kann. Noch.
Denn Russland schickt sich erneut an, die Stadt in den kommenden Wochen einzunehmen. SpΓ€testens mit Beginn der erwarteten FrΓΌhjahrsoffensive dΓΌrfte sich Putins perfider Plan zeigen: Er will die ukrainischen Verteidiger ΓΌberrennen, sie durch die schiere GrΓΆΓe der Armee ersticken, solange die Ukraine ihm noch kein schweres KampfgerΓ€t entgegensetzen kann.
Hat der Westen, hat auch Deutschlands Kanzler Olaf Scholz (SPD) also zu spΓ€t reagiert, die Lieferung von Panzern zu lange hinausgezΓΆgert?
Schon jetzt ist der Blutzoll auf beiden Seiten hoch, Bachmut gilt schon lange als Fleischwolf in diesem Krieg. MilitΓ€rexperten berichten von KΓ€mpfen wie im Ersten Weltkrieg. Die Ukrainer harren in SchΓΌtzengrΓ€ben aus, Anfang Januar bei bis zu minus zwΓΆlf Grad, in einer Mischung aus Matsch und Schnee.
Die russische Armee schickt immer wieder neue Angriffswellen von Soldaten dagegen, die in das Sperrfreuer der Ukrainer rennen, und nahm die ukrainischen Stellungen mit Artillerie unter Feuer. Bachmut ist lΓ€ngst zu einem schrecklichen Symbol fΓΌr das Grauen des russischen Angriffskrieges geworden.
Hat der Westen zu lange gezΓΆgert?
Doch die kommenden Wochen dΓΌrften noch schlimmer werden β und zwar auch deshalb, weil die Ukraine Putin nicht viel entgegensetzen kann. Zwar sollen die Kampfpanzer westlicher Bauart nun geliefert werden. Allerdings ergeben sich daraus fΓΌr die Ukraine gleich mehrere mΓΆgliche Probleme:
Erstens: Das schwere GerΓ€t aus dem Westen kommt mutmaΓlich zu spΓ€t an. Zweitens: Die Zahl der Panzer ist mit etwas mehr als 100 StΓΌck ΓΌberschaubar. Anders ausgedrΓΌckt: Die Hilfe des Westens ist zu gering und kommt zu spΓ€t, um kurzfristig auf den Gefechtsfeldern etwas Γ€ndern zu kΓΆnnen. Die Abrams- und die Leopard-1-Panzer kΓΆnnten gar erst im Herbst oder noch spΓ€ter in der Ukraine eintreffen. Das sind keine guten Nachrichten fΓΌr Kiew.
Hoffnung macht lediglich, dass die vorher kalkulierten Liefertermine vom Westen oft unterboten wurden. MΓΆglich ist also, dass die Panzer doch frΓΌher ankommen. Genaue Termine sind nicht bekannt, nicht zuletzt, weil das westliche BΓΌndnis Moskau keinen taktischen Vorteil verschaffen will. Doch selbst dann gilt: Die ukrainischen Soldaten mΓΌssten erst einmal an den Waffensystemen ausgebildet werden β was abermals wertvolle Zeit kostet.
Es braucht dringend Munition
Damit allein jedoch enden die Probleme fΓΌr die Ukraine nicht. Denn neben den viel diskutierten Panzern selbst braucht das Land in seinem Verteidigungskampf vor allem eines: Munition.
Was bringt es der ukrainischen Armee, wenn sie die modernsten Waffensysteme im Land hat, aber gleichzeitig auf nichts schieΓen kann? Deutlich wird das schon jetzt beim Flugabwehrpanzer Gepard. Die Versuche der Bundesregierung, etwa in Brasilien und in der Schweiz um Munition zu werben, blieben ohne Erfolg.
UngeklΓ€rt sind auΓerdem andere logistische Fragen. Neben dem Munitionsnachschub geht es dabei vor allem um Ersatzteile fΓΌr Reparaturen β und darum, wie sich die Panzer in der Ukraine ΓΌberhaupt bewegen lassen. Denn: Die Panzer sind mit einem Gewicht von mehr als 60 Tonnen extrem schwer β womΓΆglich zu schwer fΓΌr die ukrainischen BrΓΌcken, wie t-online mehrfach aus Sicherheitskreisen erfuhr.
Ukrainische Soldaten werden knapp
Neben dem Material muss sich die ukrainische Armee auch Sorgen um personellen Nachschub machen. Mittlerweile gibt es im Land die sechste Mobilisierungswelle, sogar MΓ€nner, die 60 Jahre und Γ€lter sind, werden eingezogen. Das zeigt: Auch der Ukraine gehen die Soldaten aus, was angesichts der extrem langen Frontlinie schon bald ganz neue Herausforderungen darstellen kann.
Denn schon jetzt haben russische Truppenstationierungen in Belarus dafΓΌr gesorgt, dass auch die Ukraine Truppen im Norden lassen muss, um die Flanke und Kiew im Notfall abzusichern. Da die westlichen VerbΓΌndeten keine Bodentruppen in die Ukraine schicken werden, wird ein langer Abnutzungskrieg fΓΌr die Verteidiger immer schwieriger zu gewinnen.
LΓΆsen kann die ukrainische FΓΌhrung diese vielschichtigen Probleme auf zwei Arten: Entweder sie erobert in einem mΓΆglichst kurzen Zeitraum ihr besetztes Staatsgebiet zurΓΌck β oder sie zieht sich auf weniger LandflΓ€che zurΓΌck, die einfacher zu verteidigen ist.
Letzteres ist fΓΌr Kiew natΓΌrlich undenkbar, denn PrΓ€sident Wolodymyr Selenskyj mΓΆchte nach den russischen Massakern in Butscha und Irpin keinesfalls einen Teil seiner BevΓΆlkerung diesem Schicksal aussetzen.
Deshalb soll auch Bachmut nicht fallen. "Wir werden so lange kΓ€mpfen, wie wir kΓΆnnen", sagte Selenskyj am Freitag zum Abschluss eines EU-Ukraine-Gipfels in Kiew. Bachmut sei eine "Festung". Selenskyj forderte vom Westen erneut mehr Waffen, um Russlands Angriffe abwehren zu kΓΆnnen. "Je weitreichendere Raketen wir haben, je besser unsere Artillerie ausgerΓΌstet ist, desto schneller endet die Aggression Russlands und um so garantierter wird der Schutz der europΓ€ischen Sicherheit und Freiheit."
Doppelstrategie der russischen Armee
Unklar ist dagegen, wie die Situation momentan auf russischer Seite aussieht. Putin scheint jedenfalls kaum Probleme damit haben, die eigenen mobilisierten Truppen zu opfern β das zeigen die aktuellen KΓ€mpfe im Osten der Ukraine. Kiew geht davon aus, dass derzeit mehr als 420.000 russische Soldaten in der Ukraine kΓ€mpfen.
Das deckt sich mit den SchΓ€tzungen der US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW), die in einem Bericht davon ausgeht, dass die russische Armee 150.000 der mobilisierten KrΓ€fte noch gar nicht eingesetzt habe. Andere Experten denken auΓerdem, dass die Mobilisierung in Russland nicht aufgehΓΆrt hat und dass weiterhin verdeckt MΓ€nner eingezogen werden.
Zwar gibt es deutliche Anzeichen dafΓΌr, dass Russland Nachschubprobleme bei moderner Technologie, Halbleitern und gelenkten Raketen hat, aber konventionelle Munition mΓΌssten Putins Truppen eigentlich noch ausreichend in ihren Depots haben.
Russland scheint momentan eine Doppelstrategie zu fahren: Einerseits kΓΆnnte nun eine weitere Offensive beginnen, um den Rest der vΓΆlkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Gebiete zu erobern. Andererseits haben russische Truppen Verteidigungslinien angelegt, um zu verhindern, dass die Ukraine wie im SpΓ€tsommer schnelle GelΓ€ndegewinne erzielen kann.
Aber ist die russische Armee in der Lage, eine weitere Offensive zu fahren, oder hat diese bereits begonnen? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Einerseits mΓΆchte Putin wahrscheinlich wieder in die Offensive kommen, bevor die westlichen SchΓΌtzen- und Kampfpanzer auf den Gefechtsfeldern erscheinen. Anderseits sieht er sich mittelfristig im Vorteil, weil er glaubt, ΓΌber mehr Soldaten und Material zu verfΓΌgen.
Kaum Erfolge fΓΌr Russland: Blufft Putin?
FΓΌr eine geplante russische Offensive spricht, dass laut ukrainischen Angaben russische Kriegsschiffe im Schwarzen Meer Stellung beziehen. AuΓerdem haben die russischen BehΓΆrden im besetzten ukrainischen Oblast Luhansk den Internet-Mobilfunkdienst blockiert, wahrscheinlich um eigene Truppenbewegungen zu kaschieren, meinen Experten. Denn immer wieder melden ukrainische Partisanen russische Stellungen und Konvois.
Defensiv hat der Kreml aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Auf den von Russland besetzten Gebieten β auch auf der Krim β geht die russische Armee gegen ukrainische Spione vor. AuΓerdem legt die russische Armee ihre Munitionsdepots nun weiter weg von der Front an, um ukrainischen Angriffe mit dem US-System Himars zu entgehen. Deswegen bittet Kiew nun auch um Raketen mit grΓΆΓerer Reichweite.
Letztlich jedoch kann niemand ernsthaft sagen, wie gut die russischen Truppen aktuell in der Ukraine aufgestellt sind. Die Drohungen mit einem GroΓangriff kΓΆnnten ein erneuter Bluff sein. Offen ist damit auch die Antwort auf die Frage, ob die westlichen Panzer zu spΓ€t ankommen, oder ob sie noch gerade rechtzeitig eintreffen.
Fest steht, da sind sich MilitΓ€rexperten einig: Die ukrainische Armee braucht eigentlich eine eigene Angriffswelle, um einen langfristigen starren Stellungskrieg zu vermeiden. Russland nutzt dagegen die Zeit, um immer weitere Verteidigungslinien anlegen zu kΓΆnnen. Trotz der westlichen Waffenlieferungen lΓ€uft die Zeit also gegen die Ukraine β und fΓΌr Wladimir Putin.
- understandingwar.org: Russian Offensive Campaign Assessment
- deutschlandfunk.de: Ermahnung fΓΌr den "Landsturm"
- merkur.de: Putin plant offenbar "entscheidende Donbass-Offensive"
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa