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Andrij Melnyk: "Scholz tut so, als hätte er die Ukraine gerettet"


Vize-Außenminister Andrij Melnyk
"Das war ein Schlag unter die Gürtellinie"

  • Daniel Mützel
InterviewDaniel Mützel

Aktualisiert am 25.02.2023Lesedauer: 8 Min.
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Andrij Melnyk, damals Botschafter der Ukraine in Deutschland, aufgenommen bei einem Interview (Archvbild).Vergrößern des Bildes
Andrij Melnyk war ukrainischer Botschafter in Deutschland und ist seit November 2022 Vize-Außenminister der Ukraine. (Quelle: Michael Kappeler/dpa/dpa-bilder)

Kann China den Ukraine-Krieg beenden? Der Vize-Außenminister der Ukraine findet die Vorstellung "naiv" und sagt, warum Selenskyj aus Olaf Scholz nicht schlau wird.

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine gibt es – teils hitzige – Diskussionen um westliche Unterstützung. Eine der lautesten Stimmen war dabei von Anfang an der damalige ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk. Mittlerweile ist er Vize-Außenminister der Ukraine – an seinen offenen Worten hat das nichts geändert.

Im Interview mit t-online erklärt er, warum China trotz eigenem Friedensplan nicht mit Kiew spricht, weshalb ihn die Zögerlichkeit von Bundeskanzler Scholz nervt und welches Kriegsgerät die Ukraine aus Deutschland definitiv nicht braucht.

t-online: Herr Melnyk, hat Sie der chinesische Friedensplan am Freitag überrascht?

Andrij Melnyk: Nein, wieso?

Im ersten Absatz fordert Peking die Einhaltung der territorialen Integrität von Staaten. Wohlwollend interpretiert, könnte man darin eine Botschaft an Russland erkennen, das die Grenzen der Ukraine mit Waffengewalt verletzt.

Ja, das kann man so sehen. Wir teilen auch viele Punkte des Plans, etwa auch die Notwendigkeit, die Ukraine nach dem Krieg wiederaufzubauen, was wir Reparationen nennen. Oder dass die Handelswege gesichert werden oder dass unser Getreide exportiert werden darf. Aber das ist im Grunde nichts Neues. Dass die Souveränität von Staaten geachtet werden soll, hat China schon zuvor gesagt.

Also kein diplomatischer Durchbruch aus Sicht der Ukraine?

Leider noch nicht. Dieser Friedensplan, oder wie immer man das nennen möchte, ist nur eine Reihe von Wünschen. Mir ist das zu abstrakt. Warum hat sich China am Donnerstag bei der UN-Abstimmung über die Resolution enthalten, die auf der Friedensformel von Präsident Selenskyj basiert? Es war ein wichtiger Tag für uns, 141 von 193 Staaten haben dieses Dokument unterstützt, das sehr konkrete Forderungen enthielt, etwa den Rückzug der russischen Truppen. Chinas Plan bleibt dagegen vage.

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Manche sehen in dem Dokument auch einen Trick der chinesischen Führung, Staaten aus dem westlichen Bündnis zu locken, um es zu schwächen.

So weit würde ich noch nicht gehen. Wir erwarten, dass China eine viel stärkere Rolle spielt, vor allem um auf Russland massiv Einfluss zu nehmen. Peking ist in der Lage, Putin zur Vernunft zu bringen, damit er diesen Krieg sofort stoppt und seine Truppen ohne Wenn und Aber zurückzieht. Was mich stutzig macht, ist, dass in dem Papier der Verursacher des Kriegs überhaupt nicht genannt wird. Russland allein könnte den Krieg jederzeit beenden. Das einzig Konkrete im Plan ist die Forderung nach einem Waffenstillstand. Aber das ist eine rote Linie für uns.

Warum?

Weil unsere territoriale Integrität nicht verhandelbar ist. 18 Prozent unseres Landes, eine Fläche so groß wie Ostdeutschland, sind von russischen Truppen besetzt. Eine Waffenruhe würde die russische Schreckensherrschaft dort für unbestimmte Zeit zementieren. Nur weil die Waffen schweigen, herrscht ja noch lange kein Frieden. Wir sprechen von brutalster russischer Besatzung für Millionen Ukrainer, von Mord, Folter, Vergewaltigung – und von der Verschleppung Tausender Kinder.

Wie ernst ist es den Chinesen mit Friedensverhandlungen?

Das frage ich mich auch. Wir wissen es ehrlich gesagt nicht, weil wir so gut wie gar nicht mit China kommunizieren konnten.

Es gibt überhaupt keinen Austausch auf Regierungsebene zwischen Kiew und Peking?

Auf höchster Ebene herrscht Funkstille. Und das liegt nicht an uns. Auch so gibt es kaum politische Kontakte. Außenminister Kuleba hat in München neulich mit Chinas oberstem Diplomaten Wang Yi gesprochen. Das war's. Die Ukraine wartet auf Signale aus Peking, bisher vergebens. Es wäre also naiv, plötzlich auf China als Friedensstifter zu setzen, wenn seine Staatsführung seit Kriegsbeginn kein einziges Mal in Kiew angerufen hat, um unsere Position zu erfahren.

US-Außenminister Blinken warnte davor, dass Peking bald "tödliche Waffen" an Moskau liefern wolle. Hat die ukrainische Regierung eigene Erkenntnisse darüber?

Nein. Wir nehmen diese Meldungen mit großer Sorge wahr. Aus unserer Sicht wäre eine solche Entwicklung eine wahre Katastrophe.

Schon jetzt exportiert China Halbleiter nach Russland, die in russischen Raketen verbaut werden. Was bedeutet es für den Krieg, sollte China zu offener militärischer Unterstützung Putins übergehen?

Ich will mir so ein schreckliches Szenario gar nicht ausmalen. Wir hoffen, dass es dazu nicht kommen wird, zumal eine Ausweitung des russischen Aggressionskrieges sicherlich den nationalen Interessen Chinas widersprechen wird. Damit wäre auch der 12-Punkte-Friedensplan nur ein Fetzen Papier.

Russland-Experten sagen, nur ein Mann hat Einfluss auf Wladimir Putin: der chinesische Staatschef Xi Jinping. Wer hat Einfluss auf Xi Jinping?

Wir nicht. Auf China einwirken können nur unsere Partner: die Amerikaner, die Europäer und vor allem die Deutschen. Die Bundesrepublik ist nach wie vor einer der wichtigsten Handels- und Investitionspartner Chinas. Das ist ein enormer Hebel, um Peking im Voraus klar zu sagen: Liebe chinesischen Freunde, wir respektieren Euch, aber Waffenlieferungen würden gravierende Konsequenzen für Euch haben und Pekings wachsenden Wohlstand infrage stellen.

Die russische Offensive hat begonnen: Kreml-Truppen stehen bereits im Süden und Osten von Bachmut, auch an anderen Frontabschnitten gehen russische Soldaten zum Angriff über. Wie ist die Lage auf dem Schlachtfeld?

Die Situation in Bachmut sieht nicht gut aus. Die russische Führung wirft massiv Soldaten und Söldner in diese Fleischwolf-Schlacht, weil Putin keine Achtung vor ihrem Leben hat. Aber die Ukraine hält stand. Und wir schonen unsere Kämpfer. Wir werden Bachmut so lange verteidigen, wie es militärisch sinnvoll ist. Aus Sicht unserer Militärführung scheint das noch der Fall zu sein.

Die ukrainische Gegenoffensive ist erst im Frühjahr angekündigt. Bis dahin könnten Bachmut und andere Orte längst gefallen sein. Ist das zu spät?

Wir hätten sie schon viel früher gestartet, wenn wir rechtzeitig die notwendigen schweren Waffen bekommen hätten.

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Wie wichtig sind die Kampfpanzer für die Frühjahrsoffensive?

Die Wahrheit ist, ohne westliche Panzer wird es nicht gehen. Jetzt bekommen wir 18 Leopard 2 aus Deutschland, 14 aus Polen und einige mehr aus anderen Ländern. Dann haben wir Ende März vielleicht knapp 60 Panzer zusammen. Russland hat hingegen Tausende. Die Gegenoffensive muss daher gut vorbereitet werden. Vor April wird wohl nichts passieren.

Der Westen liefert der Ukraine zwei Panzerbataillone von jeweils 31 Leopard-2-Panzern. Deutschland organisiert das eine, bei dem bis zuletzt unklar war, ob es zustande kommt. Plötzlich zauderten die Verbündeten. Traf Deutschland diesmal keine Schuld?

Das ist schon eine deutsche Meisterleistung, jetzt den Spieß umzudrehen und mit dem Finger auf andere zu zeigen. Wenn bis kurz vor knapp einige Verbündeten wackelten, dann frage ich mich, wie abgestimmt Deutschland die Gespräche geführt hat. Gründliche Absprachen im Bündnis waren doch der Grund, warum das Ganze so lange dauert, hieß es. Jetzt haben wir nicht nur Zeit verloren, sondern es wurde anscheinend auch schlecht abgesprochen. Gleichzeitig tut Kanzler Scholz im Interview bei "Illner" so, als hätten er und die Deutschen die Ukraine längst gerettet. Und das nach monatelangem Zögern. Das kann doch nicht wahr sein.

Wenn es für die Ukraine so wichtig ist, schnell an mehr Panzer zu kommen, lenkt die Debatte um Kampfjets nicht ab?

Nein, das glaube ich nicht. Mich hat zum Beispiel gestört, dass Kanzler Scholz an dem Tag, wo er die wichtige Panzerwende verkündete, die Kampfjets sofort fast reflexartig ausgeschlossen hat. Er dachte sich wohl, jetzt kann er sich auf seinen Lorbeeren ausruhen.

Kann er?

Nein, dieses Herangehen war falsch, sofort neue künstliche rote Linien zu zeichnen. Olaf Scholz tat, als hätte Deutschland schon alles gemacht, fast zu viel.

Braucht die Ukraine wirklich Kampfjets oder geht es darum, die Deutschen mit immer neuen Forderungen auf Trab zu halten, damit sie sich nicht ausruhen?

Natürlich brauchen wir eine moderne Luftwaffe. Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass die Ukraine noch in diesem Jahr westliche Kampfjets bekommt, auch aus Deutschland. Ich frage mich nur, warum schon wieder Monate verstreichen müssen, bevor eine militärisch notwendige Entscheidung getroffen wird.

Im letzten Jahr haben Sie den Kanzler eine "beleidigte Leberwurst" genannt, im Januar lobten Sie ihn für den "Panzer-Doppelwumms". Müssen Sie Ihr Bild von Scholz korrigieren?

Das Unergründliche bei Olaf Scholz ist: Die Ukraine und Deutschland führen seit langem sehr vertrauliche Gespräche, auch auf der höchsten Ebene. Das ist enorm wichtig. Trotzdem kommt es immer wieder zu diesem Eindruck, dass der Kanzler nur unter Druck überlebenswichtige Beschlüsse fasst. Ich begreife das bis heute nicht, auch mein Präsident Selenskyj wundert sich über diese Eigenheit.

Sie fordern auch deutsche U-Boote und Kriegsschiffe. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, hat vor Kurzem im t-online-Interview die Frage nach Kriegsschiffen abgeräumt. Sinngemäß: brauchen wir nicht. Was ist nun ukrainische Regierungsposition?

Das war voreilig. Sowohl deutsche U-Boote als auch Kriegsschiffe wie Fregatten und Korvetten stehen auf der ukrainischen Wunschliste, und zwar seit Anfang März 2022. Das kann ich Ihnen als Vize-Außenminister der Ukraine heute wieder offiziell bestätigen. Natürlich geht es hier um Entscheidungen, die wohl erst nach Kriegsende praktisch realisierbar wären, die wir aber schon heute abstimmen müssen, weil die Ausbildung einer U-Boot-Crew viel länger dauert als bei Panzern.

Welches Militärgerät aus Deutschland brauchen Sie denn nicht?

Deutsche Ufos oder Bodentruppen werden wir nicht verlangen.

Eine starke Minderheit in Deutschland, allen voran die Linkspolitikerin Sahra Wagenknecht, fordert sofortige Friedensverhandlungen. Am Samstag soll in Berlin ein großer Protest stattfinden. Können Sie den Wunsch nach Frieden verstehen?

Niemand wünscht sich Frieden so sehr wie die Ukrainer, weil wir so lange zu leiden haben. Aber diese Demonstration ist für mich ein Stoß in den Rücken aller Opfer. Genauso das angebliche "Friedensmanifest" von Frau Wagenknecht. Die Deutschen haben zwar viel für die Ukraine getan, aber 600.000 Menschen unterschreiben dann einen verrückten Aufruf zur Unterwerfung der Ukraine?

Einer exklusiven t-online-Umfrage zufolge sehen die meisten in Deutschland das anders: Demnach wollen 62 Prozent der Menschen, dass die Ukraine alle ihre Territorien zurückerobert, einschließlich der Krim.

Ich bin darüber sehr froh, dass die Deutschen mit der Zeit immer stärker auf unserer Seite stehen. Aber das heißt ja nicht, dass wir einfach so auf die leichte Schulter nehmen können, dass so viele Menschen blind in die Falle von Frau Wagenknecht laufen. Diese angebliche Friedensdemo ist eine Farce. Was diese Dame unter Frieden versteht, ist für die Ukrainer schlimmer als Krieg. Wagenknecht spielt Putin in die Karten.

Als wir uns in Kiew im November trafen, sagten Sie: Hoffentlich habe ich auf meinem neuen Posten nichts mehr mit Deutschland zu tun. Warum lassen Sie sich trotzdem immer wieder auf deutsche Debatten ein?

Meine Frau sagt mir jeden Tag: Lass das bitte. Das kostet dich nur Nerven. Ich verspreche ihr das immer, aber schaffe es nicht. Ich sehe es als meine Pflicht als Bürger und Diplomat, bedrohliche Entwicklungen nicht einfach stehenzulassen.

Ihr neuer Zuständigkeitsbereich ist eigentlich Nord- und Südamerika, Sie kommentieren aber weiter die deutsche Politik. Sagt der ukrainische Botschafter Makeiev Ihnen manchmal, lieber Andrij, das ist mein Job, bitte lass das?

Nein, wir kommunizieren nicht viel. Ich glaube, dass Herr Makeiev eines Tages noch dankbar sein wird, dass ich mithelfe, wichtige Entscheidungen in Deutschland herbeizuführen.

Sie meinen, Sie haben bei der deutschen Panzerwende mitgeholfen?

Das mögen andere beurteilen. Ich habe für deutsche Panzer seit dem Kriegsausbruch mit harten Bandagen gekämpft. Dieser Kampf ging unvermindert weiter, auch in meiner neuen Position, wo ich seit November für die USA verantwortlich bin. Es besteht kein Zweifel, dass Washington eine Schlüsselrolle bei dieser Leo-Wende gespielt hat.

Der ehemalige deutsche Botschafter in der Ukraine, Hans-Jürgen Heimsoeth, hat im Interview mit t-online behauptet, Sie hätten Ihren Einfluss in Deutschland längst verloren. Am Ende Ihrer Amtszeit als ukrainischer Botschafter wären Sie gar nicht mehr wahrgenommen worden. Hat er recht?

Das zu lesen, war ein Schlag unter die Gürtellinie. Ich kenne Herrn Heimsoeth aus seiner Zeit in Kiew. Was er jetzt über einen Kollegen so schamlos loslässt, ist niederträchtig und entspricht nicht der Wahrheit.

Wie gut funktionieren Ihre Drähte in die deutsche Politik noch?

Bestens. Mit Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt bin ich bis heute in Kontakt, wir schreiben uns regelmäßig SMS, wenn nötig. Ich stehe mit wichtigen Ministern in direktem Austausch, allen voran mit Vizekanzler Habeck. Ebenso mit den Parteichefs von SPD, Grünen oder CDU, mit den Fraktionsspitzen, vielen Mitgliedern des Bundestages. Ich habe genügend Kanäle in die Bundesregierung, um unsere Position klarzumachen und wichtige Entscheidungen zu pushen. Meine Stimme wird weiterhin ernst genommen, glauben Sie mir.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Melnyk.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Andrij Melnyk am 24. Februar 2023
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