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US-Rassismus: "Donald Trump will gar nicht Präsident aller Amerikaner sein"


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Rassismus in den USA
"Trump will gar nicht der Präsident aller Amerikaner sein"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 07.06.2020Lesedauer: 8 Min.
Donald Trump: Der US-Präsident sollte in der derzeitigen Krise vermitteln, sagt USA-Experte Volker Depkat.Vergrößern des Bildes
Donald Trump: Der US-Präsident sollte in der derzeitigen Krise vermitteln, sagt USA-Experte Volker Depkat. (Quelle: Alex Brandon/ap)
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USA in Aufruhr: Proteste folgten dem Tod von George Floyd, Donald Trump droht mit Soldaten. Historiker Volker Depkat erklärt, wie stark der Rassismus ist. Und was der Präsident wirklich tun sollte.

Es sind außergewöhnliche Szenen, die sich in der US-Hauptstadt Washington abspielten: Barrikaden brannten in der Nähe des Weißen Hauses, die Stufen des Lincoln-Denkmals wurden von Uniformierten besetzt. Hintergrund waren die landesweiten Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt, ausgelöst durch den Tod des Afroamerikaners George Floyd. Derweil spielte Donald Trump mit dem Gedanken, das Militär gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen.

Wie stark aber ist der Rassismus in den USA? Selbst nachdem mit Barack Obama ein Afroamerikaner US-Präsident im Weißen Haus gewesen ist? Wie sehr spaltet Donald Trump die amerikanische Gesellschaft? Und warum hat Amerika scheinbar seinen Optimismus verloren? Diese Fragen beantwortet der USA-Experte Volker Depkat im Interview.

t-online.de: Professor Depkat, der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd bei seiner Festnahme hat zahlreiche Proteste und Unruhen in den USA gegen Polizeigewalt ausgelöst. Wie stark ist der Rassismus in den Vereinigten Staaten tatsächlich?

Volker Depkat: Der Rassismus ist institutionell und kulturell weiterhin tief in der amerikanischen Gesellschaft verankert. Der Tod von George Floyd war nur der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass wieder einmal zum Überlaufen gebracht hat. In den Protesten manifestiert sich die Empörung vieler Afroamerikaner und anderer Minderheiten über den tagtäglich erfahrenen Rassismus. Der sich eben auch in Polizeigewalt äußert.

Warum aber wenden amerikanische Polizisten so oft übermäßige Gewalt an? 2014 tötete etwa ein Beamter den afroamerikanischen Schüler Michael Brown mit einem Dutzend Schüssen.

Die amerikanische Polizei pflegt oftmals eine martialische Kultur, die in Polizisten vor allem Kämpfer gegen das Verbrechen sieht. Das unterscheidet sich sehr von der Polizeikultur in Deutschland, die ganz in der Idee von der Polizei als Freund und Helfer ankert. Schauen Sie sich die Bilder aus den USA doch an: Die Polizisten sind schwer bewaffnet, tragen Schutzpanzerung und Helme. Das wirkt nicht sehr deeskalierend.

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Es scheint geradezu, als befänden sich diese Polizisten im Krieg.

Genau. Die Polizei sieht sich im Krieg gegen Kriminalität und Drogen – die Polizisten werden derart indoktriniert und ausgebildet, dann agieren sie auf diese Weise. Besonders zum Nachteil der afroamerikanischen Minderheit.

Volker Depkat, geboren 1965 in El Paso (Texas), lehrt American Studies an der Universität Regensburg. Der Historiker ist Experte für die Politik-, Sozial- und Kulturgeschichte Nordamerikas. 1996 promovierte er über "Amerikabilder in politischen Diskursen. Deutsche Zeitschriften 1789–1830", seine Überblicksdarstellung "Geschichte der USA" erschien 2016.

Bitte erklären Sie das näher.

Ein Aspekt des Rassismus in den USA ist, dass Schwarzen vielfach stereotyp unterstellt wird, kriminell zu sein, einfach weil sie schwarz sind. Was ein weiterer Grund neben dieser Kriegsmentalität dafür ist, dass die Polizei bisweilen völlig überreagiert. Die Wahrscheinlichkeit, eines Tages im Gefängnis zu landen, ist insbesondere für einen afroamerikanischen Mann bei weitem höher als für einen Weißen. Schwarze sind, gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung, in amerikanischen Gefängnissen auf geradezu groteske Weise überrepräsentiert.

Und haben kaum eine Chance auf eine erfolgreiche Resozialisierung.

Die Bundesregierung und die Regierungen in den einzelnen Bundesstaaten haben die Mittel für Resozialisierungsprogramme in den vergangenen dreißig Jahren völlig zusammengestrichen, gleichzeitig aber die Strafen selbst für kleinste Verbrechen massiv erhöht. Man setzt ganz darauf, Verbrecher einzusperren, anstatt die Ursachen der Kriminalität gezielt zu bekämpfen. Bestrafung und nicht Wiedereingliederung in die Gesellschaft des Täters ist das Ziel. Die Strafgesetze gelten natürlich für alle gleich, aber Schwarze und Angehörige anderer Minderheiten sind viel härter von ihnen betroffen, weil Polizei und Justiz so funktionieren wie sie funktionieren.

Nun sehen wir in den Bildern aus den USA auch durchaus Afroamerikaner oder Hispanics in Polizeiuniformen.

Richtig. Es gibt aber einen stark ausgeprägten Korpsgeist bei der Polizei. Und so hat der Einsatz von Minderheiten im Polizeidienst keineswegs zu einer anderen Einstellung geführt.

Hart gegen die Kriminalität vorzugehen, reklamieren neben der Polizei auch zahlreiche Politiker in den USA für sich.

"Tough on crime" nennt sich diese Haltung. "Hart gegen das Verbrechen" vorzugehen, ist geradezu eine Verpflichtung für amerikanische Politiker, auch über die Parteigrenzen zwischen Republikanern und Demokraten hinweg. Und genau das macht auch Donald Trump gerade angesichts der Proteste: Er verkauft sich als Mann von "Law and Order".

Bevor wir zu Donald Trump kommen, lassen Sie uns über Barack Obama sprechen. In seiner Wahl zum ersten afroamerikanischen Präsidenten sahen viele Menschen das Symbol für ein neues Amerika ohne Rassismus.

2008 erschien vielen das Ende der Diskriminierung nahe. Aber schon damals haben schwarze Aktivisten gewarnt, dass die Vorstellung, dass mit der Wahl Obamas ein post-rassistisches Zeitalter in den USA angebrochen sei, vor allem Selbstbetrug ist. Denn der strukturelle Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft war keineswegs verschwunden, nur weil mit Barack Obama ein schwarzer Präsident im Weißen Haus saß. Der Rassismus blieb weiterhin kulturell tief verankert, nicht zuletzt auch bei der Polizei. Auch die unbestreitbaren Erfolge der Bürgerrechtsbewegung seit den Sechzigerjahren verdecken dies.

Damals wurden die diskriminierenden Gesetze zur Rassentrennung im Süden aufgehoben.

Im Süden regelten die sogenannten Jim-Crow-Gesetze formell das System der Rassentrennung, wonach Weiße und Schwarze etwa nicht die gleiche Toilette benutzen durften. Aber auch im angeblich liberalen Norden gab es de facto eine Rassentrennung. Nur funktionierte sie über den freien Markt.

Die sogenannte "Weiße Flucht"?

Ein Aspekt, ja. Wenn eine schwarze Familie etwa in ein weißes Viertel zog, ging unter den Weißen die Angst um, dass die Grundstückspreise fallen würden. Was machten sie? Sie verkauften und "flüchteten" in eine noch bessere Gegend. Ein anderes Beispiel ist das sogenannte "School Busing" in den Siebzigerjahren. In Massachusetts wurden etwa schwarze Schüler mit Bussen in weiße Viertel gebracht, um dort zur Schule zu gehen. So sollten die Bildungschancen für Schwarze erhöht und die auch im liberalen Boston bestehende faktische Rassentrennung allmählich aufgelöst werden. Doch was passierte?

Vermutlich nichts Gutes.

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Weiße Familien protestierten, weil sie den Bildungserfolg ihrer Kinder durch die schwarzen Schüler gefährdet sahen. Es gab dann auch dort weiße Mobs, die Steine auf Schulbusse warfen. Und das in Massachusetts, das im Norden liegt und als liberal gilt. Der strukturelle Rassismus war also keineswegs nur eine Sache der sogenannten Rednecks im Süden.

Woher stammt aber dieses Bild vom rassistischen Süden und dem liberalen Norden der USA?

Dieses Stereotyp vom rassistischen Süden, dem ein liberales Restamerika gegenübersteht, war lange Zeit ein Wohlfühl-Diskurs der Weißen im Norden und Westen der USA. Und ist auch ein Teil des amerikanischen Selbstbetrugs, denn der Rassismus war überall.

Die Fassade Amerikas hat nun durch den Tod von George Floyd einen weiteren Riss bekommen. Wie beurteilen Sie das Verhalten von Donald Trump in dieser Krise?

Trump stellt wieder einmal die Grundlagen der amerikanischen Verfassungsordnung in Frage und trägt zur weiteren Eskalation der Lage bei. Etwa indem er bei den Protesten und Unruhen mit dem Einsatz des Militärs droht. Das ist nicht nur verfassungsrechtlich höchst problematisch, sondern auch gesellschaftlich. Selbst aus der Republikanischen Partei gibt es kritische Stimmen: Es sei nicht der amerikanische Weg, Truppen gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen. Die ja im Prinzip das tut, was ihr im Ersten Zusatz zur Verfassung garantiert wird.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung?

Genau. Wenn sich Demokraten und Republikaner überhaupt noch auf etwas einigen können, dann dass die USA ein Land sind, in dem jeder seine Meinung frei äußern darf. Wenn Trump nun Soldaten einsetzt, um die Redefreiheit zu beschneiden, hat selbst er ein Problem.

Was ist Ihrer Meinung nach nun gefragt?

Staatsmännische Führung. Trump darf nicht weiter Öl ins Feuer gießen, sondern sollte vermitteln. Allerdings will Trump ja gar nicht der Präsident aller Amerikaner sein, wie es zuvor alle seine Vorgänger immer sein wollten. Trump will nur der Präsident seiner Anhänger sein. Und bei denen punktet er möglicherweise sogar, wenn er durch den Einsatz von Soldaten Härte gegen sogenannte Unruhestifter zeigt. Womit wir wieder bei "tough on crime" sind.

Uns Europäern könnten der Wechsel in der US-Präsidentschaft nicht härter erscheinen: Auf Barack Obama folgte Donald Trump. Wie erklärt sich dieser harte Bruch?

Es ist erstaunlich: Dieselbe Gesellschaft, die zwei Mal Barack Obama ins höchste Amt gewählt hat, schickte schließlich auch Donald Trump ins Weiße Haus. So hart ist dieser Bruch bei näherer Betrachtung aber auch nicht. Trump baut auf vielen Traditionen der amerikanischen Demokratie auf, und: Die Menschen, die rassistische Vorurteile pflegen, waren ja auch unter Obama nicht verschwunden. Die haben sich – überspitzt gesagt – in Garagen oder Wäldern getroffen. Lange Zeit war es verpönt, gegen Schwarze und andere Minderheiten öffentlich zu agitieren, nun kommt der Rassismus wieder an die Oberfläche, sind rassistische Grundhaltungen wieder gesellschaftsfähiger geworden.

Donald Trump gewann die Wahl mit einem ausschließlich auf eine weiße Klientel ausgerichteten Wahlkampf. Hätten Sie dies damals für möglich gehalten?

Nein. Er hat ja selbst die Strategie seiner eigenen Partei unterlaufen. Nach der Wiederwahl Obamas 2012 wurde bei den Republikanern ein Strategiepapier verfasst, wonach die Partei sich künftig stärker um die Anliegen und Interessen der verschiedenen ethnischen Gruppen, insbesondere der Hispanics, kümmern sollte. Damit wollte man den gesellschaftlichen Realitäten in den USA besser gerecht werden. Und dann kam dieser Trump und bezeichnete erst einmal alle Mexikaner als Vergewaltiger! Und fuhr eine riesige Kampagne gegen die Immigration.

Für wie gefährlich halten Sie Trumps Rhetorik gegen die Minderheiten?

Trump kriminalisiert vor allem die Hispanics, aber auch Muslime. Das ist schon eine Gefahr, denn physische Gewalt fängt immer mit sprachlicher Gewalt an. Vor allem aber positioniert er sich nicht mit aller Eindeutigkeit gegen rassistisch motivierte Gewalt. Die Art und Weise wie er als Präsident in dieser Frage agiert, könnte schon die falschen Leute motivieren.

Trump oder Obama: Wer repräsentiert Amerika besser?

Beide repräsentieren Amerika. Und symbolisieren zugleich die Widersprüche der US-Gesellschaft. Nehmen Sie Thomas Jefferson: Als er die Worte, dass "alle Menschen gleich erschaffen worden" wären in die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten schrieb, ließ er sich Kaffee von seinem schwarzen Haussklaven servieren. Unter diesem Paradox leiden die USA noch heute: Sklavenhalter forderten universelle Freiheitsrechte ein. In Amerika ist gewissermaßen alles möglich: Ein Barack Obama und ein Donald Trump, ein George W. Bush wie ein John F. Kennedy – und sie alle repräsentieren Amerika.

Zurzeit leiden die USA stark unter der Corona-Pandemie und einer Wirtschaftskrise. Wie wird sich das Land Ihrer Meinung nach weiter entwickeln?

Entscheidend wird sein, ob Donald Trump die Wiederwahl gelingt und er noch vier Jahre so weitermachen kann.

Sein Konkurrent Joe Biden verkörpert allerdings auch nicht einen dynamischen Neubeginn der amerikanischen Politik.

Das mag sein. Man darf die Selbstheilungskräfte einer freien Gesellschaft aber nicht unterschätzen. Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass die USA einen problematischen Präsidenten haben, es ist auch nicht das erste Mal, dass die Gesellschaft tief gespalten ist. Was nun aber dringend notwendig wäre, ist eine ernsthafte Debatte über die materiellen Ursachen der Ungleichheit im Land.

Bitte genauer.

In den USA herrscht ja nicht nur der Gegensatz Schwarz gegen Weiß, sondern mittlerweile auch Arm gegen Reich. Die amerikanische Gesellschaft hat immer auf der Basis funktioniert, dass die Menschen zumindest glaubten, sozialer Aufstieg wäre möglich. Amerika blickte immer optimistisch in die Zukunft, das ist im Augenblick weg. Ich höre nur: Krise, Krise, Krise. Nehmen Sie doch Trumps furchtbare Rede zur Amtseinführung: Da war kein Funken Hoffnung, das war total unamerikanisch.

Stattdessen bietet Trump nur nationalistische Parolen und den Slogan "Make America Great Again".

Genau. Und seine treuesten Anhänger hat Trump erstaunlicherweise unter Menschen, mit denen ihn am wenigsten verbindet. Was sieht ein Arbeiter, der gerade seinen Job in der Fabrik verloren hat, wirklich in Trump, der in Manhattan im Penthouse lebte und Millionen verschob? Es ist ein weiteres Paradox der amerikanischen Gesellschaft.

Vielleicht löst es sich bei der anstehenden Wahl im November mit der Abwahl Trumps auf.

Wir werden sehen.

Professor Depkat, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch per Videokonferenz mit Volker Depkat
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