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Berti Vogts zur EM 2020: "Diesen wichtigen Punkt hat Jogi Löw nicht bedacht"


Die "Geheimwaffe" – einen wichtigen Punkt hat Löw nicht beachtet

Von Berti Vogts

Aktualisiert am 09.06.2021Lesedauer: 5 Min.
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Zwei Generationen Bundestrainer: Joachim Löw und Vorgänger Berti Vogts (r.).Vergrößern des Bildes
Zwei Generationen Bundestrainer: Joachim Löw und Vorgänger Berti Vogts (r.). (Quelle: t-online/imago-images-bilder)

Die deutsche Nationalmannschaft startet gegen starke Franzosen in die Fußball-EM. Doch was ist nötig, um die Supertruppe um Mbappé, Kanté und Co. zu schlagen?

Am Montag war ich das erste Mal nach knapp zwei Jahren wieder in einem Fußballstadion. Deutschland gegen Lettland in Düsseldorf, die DFB-Generalprobe vor dem Start der Europameisterschaft. Und ich sah prompt einen fulminanten 7:1-Erfolg unserer Nationalmannschaft. Ein tolles Gefühl endlich wieder auf der Tribüne zu sitzen – und das nur 10 Kilometer von meinem Wohnort entfernt.

Zugegeben: Vor der Corona-Krise waren diese Besuche noch schöner. Früher fuhr ich auch zu Länderspielen, um Kollegen aus meiner Nationalmannschaftszeit zu treffen. Aktuell erkenne ich meine alten Wegbegleiter meist gar nicht, weil sie Masken tragen. Gespräche kommen so kaum zustande. Und obwohl ich bereits zweimal geimpft bin, musste ich beim Einlass ins Stadion einen negativen Corona-Test vorweisen.
Eine verrückte Welt.


Doch eine Sache ist zum Glück gleich geblieben: Auch in Düsseldorf standen sich 22 Spieler auf dem Rasen gegenüber und kämpften um den Sieg. Herrlich, dass ich ihnen dabei wieder von der Tribüne aus zusehen konnte.

Und als ehemaliger Bundestrainer habe ich natürlich ganz genau hingeschaut. Meine Erkenntnisse:

Die Positionssuche von Joshua Kimmich

Jogi Löw ließ Joshua Kimmich gegen die Letten auf der rechten Seite spielen. Und selbstverständlich kann der Bayern-Profi diese Position ausfüllen. Er ist ein Weltklassefußballer. Aber ich hatte schon früh in der Partie das Gefühl, dass sich Kimmich dort außen nicht zu 100 Prozent wohlfühlt. Vor allem, wenn er den Ball zugespielt bekam. Für mich ist klar, dass er als zentraler Spieler am besten zur Geltung kommt – und dort auch zum Auftakt gegen Frankreich spielen muss. Denn gegen die Franzosen wird es eine ganz andere Partie.


Lettland war ein eher schwacher Gegner. Die Zentrale hatte kaum etwas zu tun. Gegen Frankreich aber muss das Zentrum dicht sein. Und das gelingt mit dem Duo Ilkay Gündoğan/Toni Kroos nicht, weil beide zu offensiv ausgerichtet sind. Für Kimmich hingegen steht die Defensive an erster Stelle. Ohne ihn in der Zentrale werden wir im Zentrum von Frankreich überrannt.

Deshalb muss Löw nun wieder umdenken.

Das große Fragezeichen hinter Volland

Was mich in den beiden letzten EM-Tests gegen Dänemark (1:1) und Lettland zudem gewundert hat, war, dass Angreifer Kevin Volland nur insgesamt zwölf Minuten zum Einsatz kam. Ich hatte mich sehr darüber gefreut, dass Löw ihn überraschend für die EM nominiert hat. Denn uns fehlte bis dahin ein richtiger Stürmer im Team. Aber einen Punkt hat Löw wohl nicht bedacht: Gerade in diesen Tests hätte sich Volland nun mit mehr Einsatzzeit und ein paar Toren wertvolles Selbstvertrauen für das Turnier holen können.

Jetzt geht er "kalt" in die EM und bleibt wohl nur die "Geheimwaffe". Schade eigentlich. Denn Volland ist ein Topspieler, der das Potenzial für die Startformation hat.

Der Kracher-Auftakt gegen die Franzosen

Aber natürlich können wir auch ohne den Angreifer der AS Monaco gegen Frankreich bestehen. Und ich muss offen zugeben, dass es mir nicht gefällt, wie aktuell in Deutschland über die Chancen in diesem Topspiel gesprochen wird. Für viele ist Frankreich der klare Favorit. Ich sage: Quatsch! Natürlich haben die Franzosen mit Kylian Mbappé, Karim Benzema, Antoine Griezmann herausragende Spieler in ihren Reihen. Aber die haben wir doch auch: Manuel Neuer, Gündoğan, Kroos, Kimmich und Thomas Müller sind in der ganzen Fußballwelt gefürchtet.


Selbstverständlich können wir auch gegen Frankreich gewinnen. Und wir haben doch sogar einen Vorteil: Die Partie findet in München statt. Wir spielen in einem spektakulären Stadion, in einer tollen Fußballstadt – und zwar vor 14.000 Zuschauern. Der Heimvorteil wird unseren Spielern enorme, zusätzliche Power verleihen. Und selbst wenn wir nicht gewinnen, können wir es mit Siegen gegen Portugal und Ungarn immer noch in die K.o.-Runde schaffen.

Klar ist aktuell nur eines: Der 15. Juni wird ein Festtag für den Fußball.

Die Kritik von außen

Worüber ich mich hingegen ärgere, sind die jüngsten Aussagen von José Mourinho. Der portugiesische Toptrainer hatte vor wenigen Tagen gegenüber der britischen "Sun" folgendes gesagt: "Die Mannschaft von Joachim Löw war in der Qualifikation und in der Nations League schrecklich." Und es sei "ziemlich schwer zu verstehen, warum sie in den letzten Jahren so schlecht waren." Klar: Mourinho hat mit seiner Analyse teilweise sicher recht. Aber diese Störfeuer von außen kurz vor Turnierstart finde ich trotzdem nicht fair. Er sollte lieber vor seiner eigenen Haustür kehren. Gerade Mourinho.


An diesem Beispiel wird mal wieder deutlich, was wir eigentlich aktuell für einen tollen Bundestrainer haben: Oder können Sie sich vorstellen, dass Löw so abwertend über den Fußball einer anderen Nation spricht? Ganz sicher nicht! Und das hat auch nichts damit zu tun, dass er aktuell als Trainer der deutschen Nationalmannschaft in einem offiziellen Amt ist. Löw wird immer viel zu sehr Gentleman sein, um sich auf dieses Niveau zu begeben.

Die Diskussion um die Abwehrreihe

Ein weiteres Thema, welches mich aktuell etwas stört, ist die Diskussion um die deutsche Abwehrreihe. Ich habe das Gefühl, dass dieses Thema von außen an das DFB-Team herangetragen wird. Spielen wir mit Dreierkette oder sogar mit fünf Verteidigern? Andauernd hört man diese Frage auf den Pressekonferenzen. Die Diskussion darüber würde mich an Löws Stelle wirklich nerven.

Kurz und knapp die Erklärung eines ehemaligen Bundestrainers: Die Ausrichtung der Kette ist Interpretationssache – und kann sich von Spiel zu Spiel ändern. Gegen die offensiv schwachen Letten reichten die drei Abwehrspieler Mats Hummels, Antonio Rüdiger und Matthias Ginter hinten aus. Die beiden Außenverteidiger Robin Gosens und Kimmich orientierten sich stark nach vorne – weil sie hinten kaum gefordert waren. Aber das wird gegen Frankreich ganz anders sein. Gegen eine Topoffensive ist doch klar, dass die Außenverteidiger weiter nach hinten rücken und sich so automatisch eine Fünferkette ergibt. Diskussion beendet.

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Die Zukunft von U21-Trainer Stefan Kuntz

Zuletzt möchte ich noch zu einem Thema kommen, welches nur indirekt mit der A-Nationalmannschaft zu tun hat, aber zukünftig auch in diesem Zuge wichtig werden könnte. Mein ehemaliger Auswahlspieler Stefan Kuntz hat mit der deutschen U21-Nationalmannschaft gerade zum zweiten Mal den EM-Titel gewonnen. Eine sensationelle Leistung, zu der ich Stefan gratulieren möchte.


Interessant finde ich aber vor allem die Diskussion um seine eigene Zukunft. Bleibt er oder geht er? Für mich ist die Antwort klar: Der DFB muss alles dafür tun, dass Kuntz auch weiter U21-Trainer bleibt. Er weiß, wie man mit jungen Fußballern umzugehen hat und ist dabei auch noch extrem erfolgreich. Lässt der DFB ihn ziehen, begeht man einen großen Fehler.

Und auch an Stefan selbst möchte ich noch ein paar Worte richten: Mach so weiter. Und habe bitte Geduld! Auch ich war viele Jahre – genauer gesagt von 1979 bis 1990 – DFB-Nachwuchstrainer und gehörte parallel zum Trainerstab von Franz Beckenbauer, bevor ich dann schließlich den Bundestrainerposten übernahm. Ähnlich könnte es auch irgendwann für dich laufen.

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