10.000 Hotels klagen Reiseplattform Wie gefährlich ist die Sammelklage für Booking.com?

Booking.com droht eine Milliardenklage – und das ausgerechnet von seinen wichtigsten Partnern. Was das für die Aktie bedeutet: der Faktencheck.
Mehr als 10.000 Hotels aus ganz Europa verklagen das Reiseportal booking.com – und das mit Rückendeckung großer Branchenverbände wie dem Hotelverband Deutschland IHA oder dem europäischen Dachverband des Gaststättenwesens Hotrec. Der Vorwurf: Das Unternehmen habe über Jahre hinweg sogenannte Bestpreisklauseln erzwungen und so den freien Wettbewerb eingeschränkt. Nun fordern die Hotels Schadenersatz – für eine ganze Branche, für zwei Jahrzehnte.
Für Anleger stellt sich jetzt eine zentrale Frage: Was bedeutet diese Klage für die Aktie von booking.com? Entscheidend dabei ist, wie groß das Risiko für einen tatsächlichen Schadenersatz ausfällt – und ob das Geschäftsmodell langfristig unter Druck gerät. Wie stark ist Booking finanziell aufgestellt? Und lohnt sich ein Investment trotz – oder gerade wegen – der juristischen Auseinandersetzung?
Der Auslöser: Warum die Hotels klagen
Im Zentrum der Sammelklage steht die sogenannte Bestpreisklausel. Über viele Jahre verpflichtete booking.com Hotels dazu, ihre Zimmer auf der Plattform nicht günstiger anzubieten als auf der eigenen Webseite oder bei anderen Portalen. Laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Herbst 2024 ist diese Praxis kartellrechtswidrig – sie schränkt den Wettbewerb unzulässig ein.
Die betroffenen Hotels fordern jetzt Schadenersatz für finanzielle Einbußen, die ihnen durch eingeschränkte Preishoheit, höhere Provisionen an die Buchungsplattform und entgangene Direktbuchungen entstanden sein sollen. Koordiniert wird die Klage von der Hotel Claims Alliance vor einem niederländischen Gericht. Sie könnte zu einem der größten Verfahren der europäischen Tourismusbranche werden.
Booking Holdings Inc. – weltgrößtes Online-Reiseunternehmen
Booking Holdings Inc., mit Sitz im amerikanischen Norwalk in Connecticut, ist eines der weltweit größten Online-Reiseunternehmen. Zur Gruppe gehören bekannte Marken wie booking.com, Agoda, Priceline, Kayak, Rentalcars und OpenTable. Über diese Plattformen vermittelt der Konzern Hotelübernachtungen, Flüge, Mietwagen, Restaurantbesuche und Pauschalreisen.
Booking.com ist dabei das wichtigste Zugpferd – insbesondere in Europa: Im Jahr 2023 lag der Marktanteil im europäischen Online-Hotelvertrieb laut Hotrec bei 71 Prozent, in Deutschland bei über 72 Prozent. Für viele Hotels ist das Portal damit ein zentraler Vertriebskanal, um internationale Gäste zu erreichen.
Finanzcheck: Wie gesund ist Booking wirklich?
Trotz der drohenden Klage präsentiert sich Booking Holdings finanziell in starker Verfassung. Das zeigen die jüngsten Geschäftszahlen deutlich: Im Jahr 2024 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von rund 23,7 Milliarden US-Dollar – ein neuer Höchstwert.
Der Gewinn lag bei 5,9 Milliarden Dollar. Damit erreichte die sogenannte Nettomarge, also der prozentuale Anteil des Gewinns am Umsatz, rund 22 Prozent – ein sehr hoher Wert für ein digitales Vermittlungsunternehmen.
Auch bei der Liquidität steht der Konzern solide da: Zum Jahresende 2024 verfügte Booking über liquide Mittel – also frei verfügbare Finanzreserven – in Höhe von rund 17 Milliarden US-Dollar. Dieses Kapital könnte für mögliche Vergleichszahlungen oder Schadenersatzforderungen genutzt werden, ohne das operative Geschäft zu gefährden.
An der Börse wird das Unternehmen mit rund 185 Milliarden Dollar bewertet. Damit zählt Booking Holdings zu den Schwergewichten im Technologiesektor. Anleger schätzen vor allem die hohe Gewinnkraft, die starke Marktstellung und den stabilen Cashflow – also den tatsächlichen Mittelzufluss aus dem laufenden Geschäft.
Wie groß ist die Gefahr für Aktionäre?
Die Sammelklage von mehr als 10.000 Hotels ist ohne Zweifel ein rechtliches und finanzielles Risiko für booking.com. Doch wie groß ist dieses Risiko aus Sicht von Anlegern?
Derzeit ist unklar, wie hoch die geforderte Summe ausfallen wird. Die Klage gegen booking.com befindet sich noch in der Registrierungsphase, bis zum 29. August können sich weitere Hotels anschließen. Die beteiligten Verbände sprechen allerdings von "hohen Millionenbeträgen". Da es um mögliche Schäden über einen Zeitraum von 20 Jahren geht, ist eine solch hohe Forderung nicht ausgeschlossen.
Eine Gerichtsentscheidung könnte sich jedoch über Jahre hinziehen – denkbar ist auch ein außergerichtlicher Vergleich. Für booking.com wäre ein solcher Vergleich mit einer einmaligen Zahlung wohl der wirtschaftlich günstigste Weg.
Schwieriger zu bewerten, ist das Reputationsrisiko. Zwar ist booking.com für viele Hotels unverzichtbar – dennoch könnte die Klage das Vertrauen von Partnerbetrieben und Kunden belasten. Langfristige Auswirkungen auf das Geschäftsmodell sind jedoch unwahrscheinlich.
Dies spiegelt sich auch in der Reaktion der Anleger an den Börsen wider. Bisher reagierten die Märkte gelassen. Dies deutet darauf hin, dass viele Anleger die Klage als begrenztes Risiko einschätzen – insbesondere im Verhältnis zur starken Marktstellung und den soliden Finanzen des Unternehmens.
Riskanter Rechtsstreit oder lohnende Gelegenheit?
Trotz der drohenden Sammelklage bleibt Booking Holdings aus Sicht vieler Analysten ein solides Investment mit langfristigem Potenzial. Der überwiegende Teil der Experten stuft die Aktie derzeit als kaufenswert ein.
Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von rund 33 bis 36 spiegelt der Markt die hohen Erwartungen an weiteres Gewinnwachstum wider. Einige Analysten sehen sogar Spielraum für deutlich höhere Bewertungen. Verkaufsbewertungen gibt es derzeit nicht.
Diese Einschätzungen stützen sich nicht nur auf die stabile Ertragslage und hohe Liquidität des Unternehmens. Vielmehr trauen viele Marktbeobachter Booking auch künftig starkes Wachstum zu – hauptsächlich durch technologische Innovationen. So gilt booking.com als Vorreiter bei der Integration von Künstlicher Intelligenz in die Reiseplanung.
Die Entwicklung von KI-Reiseplanern (wie „Agentic AI”), die auf Basis persönlicher Vorlieben und Echtzeitdaten individuelle Reisevorschläge erstellen, könnte dem Unternehmen zusätzliche Wettbewerbsvorteile verschaffen. Große Investmenthäuser wie die Bank of America sehen darin ein erhebliches Potenzial und zählen Booking zu den möglichen Gewinnern in diesem Segment. Damit könnte sich das Unternehmen auch gegen neue Wettbewerber behaupten, die versuchen, mit innovativen Modellen in den Markt vorzudringen.
Für Anleger ergibt sich damit ein ausgewogenes Bild: Zwar steht das Risiko einer möglicherweise kostspieligen Klage. Allerdings spricht viel für die langfristige Stärke des Geschäftsmodells – unterstützt durch technologische Fortschritte, eine starke Marktstellung und solide Finanzen.
- investors.com: "Booking Holdings Beats Q2 Expectations With 'Steady' Travel Demand Despite Uncertainty" (Englisch)
- investopedia.com: "Why Analysts Expect Booking Holdings To Withstand Worries About US Travel Deman" (Englisch)
- marketbeat.com: "Booking (BKNG) Stock Forecast & Price Target" (Englisch)
- wallstreetnumbers.com: "Booking Holdings Inc. (BKNG) Cash and cash equivalents" (Englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa