Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Boom in Europa Hier hat sich Trump grob verrechnet

Wer hätte das gedacht: Zwischen Zöllen, Technologie-Boom und Kriegen profitieren Außenseiter-Börsen. Sie laufen besser als die Weltleitbörsen in New York. Zeit, die USA abzuschreiben?
Im Moment läuft es richtig gut für Kandidaten, die die meisten Anleger weniger auf dem Zettel hatten: Athen, Warschau und Budapest. Dahinter folgen Frankfurt, Wien und Madrid nahezu gleichauf. New York kommt da in diesem Jahr nicht mit. Viele europäische Börsen laufen in diesem Jahr deutlich besser als die US-Märkte. Ist das schon eine Wachablösung der Weltleitbörse?
Die kurze Antwort lautet: mitnichten. Ja, wir sehen, dass es in Europa in diesem Jahr gut funktioniert. Das ist aber kein Boom allein aus eigener Kraft. Hätten sich die USA im Frühjahr durch ihre Zollpolitik nicht selbst geschadet und viel Vertrauen verspielt, wäre ein Teil von Europas Kursgewinnen vermutlich nicht so ausgefallen.

Zur Person
Antje Erhard arbeitet seit rund 20 Jahren als Journalistin und TV-Moderatorin. Ihr Weg führte sie von der Nachrichtenagentur dpa-AFX u. a. zum ZDF. Derzeit arbeitet sie für die ARD-Finanzredaktion in Frankfurt und berichtet täglich, was in der Welt der Börse und Wirtschaft passiert.
Und jetzt sehen wir – gerade in den vergangenen Wochen –, was für ein Comeback die US-Märkte feiern können. Beispiel S&P 500 mit den 500 größten börsennotierten Unternehmen der USA. Seit Anfang April ein Plus von 30 Prozent.
Dafür gibt es natürlich gute Gründe: Einige Zollfronten haben sich mittlerweile entspannt; aktuelle Firmendaten zeigen, dass viele Unternehmen bislang nicht allzu sehr unter den Zöllen leiden. Auch, weil die Zölle vorerst keine überbordende Inflation erzeugt haben. Wobei ich annehme, dass viele Investoren das Inflationsrisiko, auch in Europa, unterschätzen.
Boom mit wenigen Überfliegern
Und eines muss man auch sagen: Es sind nur wenige Unternehmen, die den Börsenaufschwung tragen, namentlich Technologiewerte. Allein der Chipausrüster Nvidia ist inzwischen vier Billionen US-Dollar an der Börse wert, so viel wie kein anderes Unternehmen. Das gab es noch nie.
Schauen wir, was Europa mitbringt: Der Top-Performer in diesem Jahr ist die Börse in Warschau. Und das hat Gründe: Polens Wirtschaft wächst rund 3,8 Prozent, es fließt viel Kapital ins Land, weil Unternehmen eher günstig bewertet sind und weil die Reformen der Regierung Tusk greifen und Polen recht ordentliche EU-Fördermittel bekommt.
Außerdem dürften Bau- und Zulieferunternehmen von einem möglichen Friedensszenario und Wiederaufbau in der Ukraine profitieren. Polen ist ein Nachbarstaat der Ukraine.
Ähnlich sieht es in Budapest aus. Auch an der Donau wächst die Wirtschaft ordentlich. Dazu kommen eine sinkende Inflation, steigende Reallöhne und sinkende Zinssätze.
Griechenland holt auf
Griechenland hingegen ist nicht mehr das EU-Sorgenkind, auch wenn die Verschuldung noch hoch ist. Aktien hatten Nachhol-Potenzial, und dieses Potenzial wird jetzt gehoben. Vor allem Bankaktien laufen sehr gut – eine europaweite Tendenz. Klar ist Griechenland schwer vom Tourismus abhängig, aber damit auch weniger anfällig für Einbrüche durch Zölle und Handelsbarrieren als die Exportnation Deutschland.
Alles in allem kann Europa viel: Gemeinsame Verteidigungspläne und entsprechende Investitionen und Kooperationen werden auf den Weg gebracht. In Staaten wie Deutschland werden Investitionsprogramme gestartet. Viele Nationen exportieren stark. Und mittlerweile strahlt Europa auch mehr Selbstbewusstsein aus, um den Zöllen etwas entgegenzusetzen, etwa Digitalsteuern als Verhandlungsmasse.
Das Kapital war nicht für Europa bestimmt
Es geht hier auch um das Gefühl: In Europa geht wieder was. Das gilt auch für Deutschland. Bei all dem unnötigen Zollstress hat Trump Europa aufgerüttelt. Dazu kamen Zinssenkungen, die für mein Empfinden schon zu weit gehen, aber in den vergangenen Quartalen absolut richtig waren.
Andererseits muss man sehen, dass auch in Europa nur einzelne Sektoren den Börsenboom ausmachen, wie Technologie, Rüstung und Banken. Und dass eben viel Kapital nach Europa fließt, das eigentlich für den US-Markt bestimmt war. Und wir haben in den vergangenen Wochen gesehen, dass sich das Blatt wieder zugunsten der USA und der Wall Street wendet. Wir müssen zudem damit rechnen, dass Zölle mittel- und langfristig ein ertragsschmälernder Faktor bleiben. Ein Problem vor allem für Deutschland, Frankreich, Italien.
Der nächste Konflikt kann schnell kommen
Niemand darf sich zu früh freuen. Handelskonflikte bleiben ein Risiko für exportorientierte Volkswirtschaften und Börsen – selbst dann, wenn sie in einem bilateralen Konflikt nicht direkt involviert sind. Beispiel USA – China: Durch den Handelsstreit beider Staaten lenkt China sein Augenmerk auf andere Absatzmärkte.
Wir sehen das zum Beispiel in der Auto- und Stahlindustrie. China versucht, mehr in Europa zu verkaufen. Mit dem Ergebnis, dass heimische Anbieter hier in einen neuen Preiskampf durch Überangebote kommen. Dann reagiert die EU ebenfalls mit Schutzmaßnahmen wie Zöllen – und schon ist der nächste Konflikt da.
Langfristig bleiben also Handelskonflikte eine Gefahr, während Zinssenkungen und Infrastrukturprogramme den Börsen zugutekommen. Grundsätzlich gilt aber auch: niemals die US-Märkte unterschätzen. Und wer statt der kurzfristigen Entwicklung dieses Jahres mal mindestens drei Jahre zurückschaut, sieht auch sofort, warum. Denn längerfristig haben die US-Börsen die meisten anderen Märkte immer hinter sich gelassen.
- Eigene Meinung