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Warum Jens Spahns Vorschlag zur Organspende ethisch fragwürdig ist


Organspende
Warum Spahns Vorschlag ethisch fragwürdig ist

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

04.09.2018Lesedauer: 3 Min.
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Eine Transport-Box für Organspenden: Gesundheitsminister Jens Spahn will mit einem neuen Ansatz für mehr Organspenden sorgen – sein Vorschlag ist jedoch umstritten.Vergrößern des Bildes
Eine Transport-Box für Organspenden: Gesundheitsminister Jens Spahn will mit einem neuen Ansatz für mehr Organspenden sorgen – sein Vorschlag ist jedoch umstritten. (Quelle: imago-images-bilder)

Gesundheitsminister Jens Spahn will die Spendebereitschaft für Organe steigern. Ist es richtig, Menschen ungefragt zu Spendern zu machen?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) möchte mehr Schwerkranken zu einem neuen Organ verhelfen. Dazu plant er zwei Veränderungen im geltenden Recht. Zum einen sollen Kliniken besser entlohnt werden. Zum anderen sollen die Bürger nicht mehr wie bisher ausdrücklich Ja zur Organspende sagen müssen. Künftig sollen sie widersprechen, wenn sie das nicht wollen. Für das erste Vorhaben verdient Spahn Unterstützung. Für das zweite nicht. Ja, Deutschland braucht mehr Organspender. Doch man darf keine Tricks anwenden, um dieses Ziel zu erreichen.

Nur knapp 800 Spender im letzten Jahr

Mehr als 10.000 Menschen warten in diesem Land auf eine neue Niere, eine Leber, ein Herz, eine Lunge. Es sind Frauen, Männer, Kinder, denen eine Organtransplantation ein gesünderes Leben schenken würde. Menschen, die vielleicht gesund werden könnten, wenn sie ein lebensrettendes Organ bekämen. Doch im vergangenen Jahr gab es nur knapp 800 Spender.


Wie kann man die Zahl der Spenden erhöhen? Der erste Vorschlag des Gesundheitsministers ist ziemlich einfach, richtig und überfällig: Man muss die Kliniken motivieren, potenzielle Spender zu erkennen – und die Organspende dann auch durchzuführen. Das darf natürlich nur dann passieren, wenn es einen Organspendeausweis gibt, oder wenn die Angehörigen zustimmen. Bisher aber lohnt es sich für die Kliniken nicht, den Aufwand zu treiben, argumentieren Wissenschaftler der Universität Kiel im Deutschen Ärzteblatt. Sie bekommen zu wenig Geld. Hier liege der Hauptgrund für die Misere.

Die zweite Frage, die nach der generellen Spendenbereitschaft, ist wesentlich schwieriger zu beantworten. Ist es im Interesse einer höheren Zahl von Organspenden gerechtfertigt, die Freiheit des Einzelnen zu beschränken? Dürfen in einer existenziellen Frage Tricks angewendet werden?

Darf man die Menschen zur Organspende "schubsen"?

Spahns Idee, statt der bisherigen Zustimmungslösung (Organspendeausweis) ein Widerspruchsverfahren zu etablieren, ist extrem manipulativ. Verhaltensökonomen nennen diese Art, Politik zu betreiben, "Nudging". Das heißt auf deutsch, Menschen einen "Schubs“, zu geben, damit sie sich unbewusst vernünftiger verhalten. Dazu werden urmenschliche Eigenschaften, Reflexe und Verhaltensmuster analysiert und ausgenutzt. Zum Beispiel weiß man, dass sich Menschen wahnsinnig schwer tun, gegen eine Standardlösung – in unserem Fall die Organspende – zu entscheiden. Deshalb würde die von Spahn vorgeschlagene Widerspruchslösung die Spenden mit Sicherheit deutlich nach oben bringen – ohne dass ein einziger Mensch zu etwas gezwungen würde.

Doch gerade in der Diskussion über Organspenden werden die ethischen Probleme des Nudging deutlich: Wer sich eingehend mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob er Organe spenden möchte, wird sich auch künftig selbstbewusst entscheiden. Die anderen aber, die Verdränger, die Trägen und Faulen, werden nichts tun – und im Widerspruchsverfahren genauso automatisch auf der Seite der Spender landen, wie sie sich heute bei den Nicht-Spendern versammeln. Ist das richtig? Ist es fair, die Uninformierten ohne ihren Willen zu Organspendern zu machen?


In weniger wichtigen Fragen finden sich Bürger natürlich damit ab, dass sie – zum Beispiel beim Einkaufen oder beim Essen – manipuliert werden: So entscheidet auch die Platzierung von Waren im Supermarkt über unser Kaufverhalten. Die Größe der Rabattschilder steuert das Glücksgefühl über ein Schnäppchen mehr als der tatsächliche Preisnachlass. Gibt es in der Kantine zu Beginn des Buffets eine appetitliche Salattheke, essen wir automatisch mehr Grünzeug und weniger Pommes.

Mehr Geld, mehr Kontrolle und ein vernünftiges Management

Das nehmen wir lächelnd hin. Es betrifft ja nur Kleinigkeiten. Doch wenn es um Leben und Tod geht, darf ein solches Vorhaben nicht zusammen mit einem Plan zur besseren Entlohnung von Kliniken verhandelt werden. Richtig wäre zu schauen, ob mehr Geld, mehr Kontrolle und ein vernünftiges Management in den Krankenhäusern die Lücke schließen können. Erst danach kommen weitergehende politische Vorhaben in Betracht.

Spahn hat Recht, wenn er eine "breite gesellschaftliche Debatte" über das Thema fordert. Dieser Diskurs aber darf nicht nur um die Organspende gehen. Er muss sich genauso intensiv mit der Frage auseinandersetzen, ob und wie der Staat seine Bürger manipulieren darf, wenn es um die Grundfragen des menschlichen Daseins geht.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neuesten Buch heißt: ""

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