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Neue EU-Klimapläne: Das Ende des Kurzstreckenflugs ist nah


Neue Zug-Offensive der EU
Das Ende des Kurzstreckenflugs rückt näher


Aktualisiert am 16.12.2021Lesedauer: 6 Min.
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Passagiere auf dem Weg in ein Flugzeug (Symbolbild): Innerhalb von Europa sollen Strecken unter 500 Kilometer nach Wunsch der EU-Kommission klimaneutral werden. Ein starker Schub für die Bahn soll Kurzstreckenflüge weniger attraktiv machen.Vergrößern des Bildes
Passagiere auf dem Weg in ein Flugzeug (Symbolbild): Innerhalb von Europa sollen Strecken unter 500 Kilometer nach Wunsch der EU-Kommission klimaneutral werden. Ein starker Schub für die Bahn soll Kurzstreckenflüge weniger attraktiv machen. (Quelle: Gareth Fuller/imago-images-bilder)

Vor lauter Reisewarnungen und Lockdowns ist es unbemerkt vorbeigerauscht: das Europäische Jahr der Schiene 2021. Die erhoffte Renaissance der Bahn blieb aus. Nun sollen Gesetze nachhelfen.

Auf knapp 34.000 Schienenkilometern rütteln Container durch die Bundesrepublik. Hunderte ICE-Züge gleiten durch die Landschaft. Doch noch immer ist Deutschland alles andere als ein Bahnland: Jeder zweite Flug ist eine Kurzstrecke, das Auto auf längeren Reisen für viele unverzichtbar. Im Rest Europas sieht es ähnlich aus. Und das nicht nur wegen Vorsichtsmaßnahmen in der Pandemie.

Umsteige und Verspätungen, lange Fahrten, hohe Preise und eine komplizierte Fahrkartenbuchung können abschrecken. Doch das soll sich nun ändern. Denn Brüssel will Europa zum Bahnfahrer-Kontinent aufrüsten. Und den Kurzstreckenflügen so an den Kragen.

Neuer Rückenwind für die Bahn

Am Dienstag veröffentlichte die Europäische Kommission einen Schwung an Vorschlägen, um Schnellzugverbindungen attraktiver zu machen. Dieser Aktionsplan für den transeuropäischen Bahnverkehr ist ein Teil des "Fit für 55“-Pakets, mit dessen Hilfe die EU die nächste große Etappe beim Klimaschutz schaffen soll: Bis zum Jahr 2030 muss der Treibhausgasausstoß des gesamten Blocks 55 Prozent niedriger sein als im Vergleichsjahr 1990.

Nachdem es im Sommer bereits um ein Aus für Verbrennermotoren, bessere E-Ladenetze und eine Steuer auf Flugbenzin ging (t-online berichtete), rückt nun auch der Schienenverkehr in den Fokus. Ausgegebenes Ziel der EU: Bis 2030 sollen doppelt so viele Menschen in Europas Sprinterzügen unterwegs sein wie aktuell. Im Jahr 2050 soll sich die Zahl verdreifacht haben. All das soll dabei helfen, die EU klimaneutral zu machen.

Diese Maßnahmen sollen die Wende bringen:

Günstigere internationale Fahrkarten

Wer den Urlaub mit der Bahn statt mit dem Flugzeug antritt, soll belohnt werden. Geht es nach der EU-Kommission, könnte es den Mitgliedstaaten deshalb zukünftig verboten sein, bei Fahrkarten im europäischen Zugverkehr die Hand aufzuhalten. Die Mehrwertsteuer auf internationale Tickets soll möglichst abgeschafft werden.

In den meisten EU-Ländern ist das bereits geschehen. Nicht so in Deutschland. Hier gehen aktuell noch immer sieben Prozent des Preises für grenzüberschreitende Fahrkarten an die Regierung.

Bis Ende 2019 galt sogar ein deutlich höherer Steuersatz von 19 Prozent. Erst das Klimaschutzpaket senkte die Abgabe. Eine gänzliche Abschaffung des Preisaufschlags dürfte helfen, die Bahn als Alternative zum Flugzeug attraktiver zu machen.

Auch für weiteres Ticketvergünstigungen hat die EU-Kommission nun grünes Licht gegeben. Der Klimavorteil des Bahnverkehrs sei so hoch, dass die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen auch direkt an der Preisschraube drehen dürften. So können die Trassenpreise für Bahnunternehmen gesenkt werden, um den Wettbewerb anzukurbeln und Fahrkartenpreise zu drücken.

Gleichzeitig soll der Preis für Flugtickets raufgehen: Bereits im Juli hatte die EU-Kommission angekündigt, das Flugbenzin Kerosin auf allen innereuropäischen Flügen mit einem schrittweise steigenden Mindeststeuersatz belegen zu wollen.

Kürzere Fahrtzeiten

Neben den oft hohen Preisen für internationale Zugfahrten scheuen viele Reisende auch die Fahrtzeit. Um die Reisedauer zu verkürzen, plant Brüssel nun ein höheres Mindesttempo für Hochgeschwindigkeitszüge im europäischen Kernnetz. Ab dem Jahr 2030 sollen demnach alle Züge im Schnitt 160 Kilometer pro Stunde fahren.

In Deutschland ist dies auf zahlreichen Strecken bereits der Fall. Schneller fahren die ICEs der Deutschen Bahn sowie Hochgeschwindigkeitszüge ausländischer Anbieter hier aber nur kurzzeitig, obwohl sie theoretisch bis zu 320 km/h erreichen können.

Beispielsweise in Frankreich ist das anders: Dort gibt es ein eigenes Schienennetz für die Sprinter, das durch dünn besiedelte Gebiete führt – Höchstgeschwindigkeiten können so über weite Strecken ausgefahren werden.

In der Bundesrepublik müssen Schnellzüge sich das Netz mit deutlich langsameren Güterzügen, ICs und Regionalbahnen teilen und bei zahlreichen Ortsdurchfahrten das Tempo drosseln. Zu deutlich kürzeren Reisezeiten dürfte die angedachte Mindestgeschwindigkeit in der Bundesrepublik demnach nicht führen.

Standardansagen auf Englisch

Die Pläne aus Brüssel betreffen auch das Bahnpersonal. So soll der Einsatz von Lokführerinnen und Lokführern über ganz Europa vereinfacht werden. Bisher sind für den grenzübergreifenden Personaleinsatz komplexe Lizenzierungsverfahren nötig.

Außerdem gilt: Wer nicht die Sprache des Landes spricht, durch das der Zug gerade fährt, darf diesen auch nicht steuern. Nach Wunsch der EU-Kommission könnte das zukünftig keine Voraussetzung mehr sein. Dies würde auch eine Umstellung für die europäischen Fahrgäste bedeuten.

Wie im internationalen Flugbetrieb könnte dann Englisch zur Standardsprache in grenzüberschreitenden Zügen werden. In Deutschland ist das schon weit verbreitete Praxis. Selbst an vielen Regionalbahnhöfen gibt es hier bereits standardmäßig zweisprachige Ansagen und Anzeigen.

Vereinfachter Ticketkauf

Selbst vor der Abfahrt sorgt eine Zugreise ins Ausland regelmäßig für Stress: Kaum ein Bahnunternehmen in Europa bietet durchgehende Fahrkarten an. In vielen Online-Ticketshops endet ein Buchungsversuch nicht selten in der Sackgasse. Oft hilft dann nur der Gang zum Schalter. In Brüssel ist dieses Problem bekannt – und eine Lösung in Sicht.

Demnach will die EU-Kommission den Kauf aller Bahntickets für das europäische Netz über eine integrierte Mobilitätsplattform im Internet ermöglichen. Das soll Reisenden dabei helfen, das richtige Ticket zum besten Preis leichter zu finden. Und vor allem: durchgehende transeuropäische Fahrkarten zu bekommen, statt verschiedene Tickets für die unterschiedlichen Fahrtabschnitte kaufen zu müssen. Ob das klappen kann, ist aber fraglich: Beim jüngsten Versuch eine solche Regelung im Frühjahr durchzusetzen, stellten sich zahlreiche Mitgliedstaaten quer.

Bahnhofspflicht für große Flughäfen

Wer mit dem Zug zum Flughafen kommt, kann das Auto stehen lassen. Und den Kurzstreckenflieger erst recht. Dieser Logik will die EU-Kommission mit einer Bahnhofs-Offensive folgen. Für alle Flughäfen, die im Jahr mehr als 4 Millionen Passagiere abfertigen, soll eine Zuganbindung verpflichtend werden.

In Deutschland betrifft dies die Flughäfen Nürnberg, Hannover, Köln-Bonn, Stuttgart, Berlin-Brandenburg, Hamburg, Düsseldorf, München und Frankfurt am Main. Dort können Reisende allerdings bereits jetzt mindestens auf einen Anschluss an die S-Bahn oder auf Regionalzüge zählen.

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Zum Flieger in Frankfurt, Köln-Bonn und Berlin kommt man sogar per Fernverkehrszug. Und auch der Flughafen Stuttgart wird künftig an einer Hochgeschwindigkeitsstrecke liegen.

Im Rest Europas sieht es allerdings teils noch anders aus. So gelangt man beispielsweise zu den viel frequentierten Flughäfen im südfranzösischen Marseille oder der rumänischen Hauptstadt Bukarest weiterhin nur per Auto oder Shuttle-Bus.

Noch mehr Baustellen

Auch das europäische Bahnnetz soll nun vom Corona-Wiederaufbaufonds der EU profitieren. 50 Milliarden Euro will die Kommission zusätzlich für die Schieneninfrastruktur bereitstellen. Das Geld dürfte sowohl in Reparatur- und Modernisierungsarbeiten fließen als auch in den weiteren Ausbau des europäischen Netzes.

Bis 2050 sollen ein Gesamtnetz alle Regionen der EU von der portugiesischen Atlantikküste bis zum Schwarzen Meer in Rumänien sowie von Norwegen bis in die Südspitze Italiens per Zug verbinden. In den kommenden acht Jahren ist immerhin schon geplant, die Hauptachsen in einem Kernnetz zu verbinden.

In Zukunft dürften internationale Zugfahrten dadurch noch deutlich attraktiver werden. Kurzfristig heißt es aber wohl vor allem: noch mehr Baustellen und Umleitungen.

Kein Verbot für Kurzstreckenflüge

Frankreich hatte es im Sommer vorgemacht: Inlandsflüge sind dort jetzt nur noch erlaubt, wenn es keine alternative Zugverbindung von maximal zweieinhalb Stunden gibt. Damit ist die französische Regierung der EU beim Thema Klimaschutz und Verkehr deutlich voraus.

In der Europäischen Kommission hofft man aber, dass so ein Verbotsansatz durch attraktivere Bahnfahrten gar kein Thema wird. Die neue Zug-Offensive muss vorerst reichen. Mit Blick auf die im Januar anstehende französische Kommissionspräsidentschaft gab Frankreichs Verkehrsminister Jean-Baptiste Djebbari dem Politmagazin "Politico" auch schon Entwarnung: man wolle dem Rest der EU kein Kurzstreckenverbot nach eigenem Vorbild aufdrücken. Der Kampf gegen die Kurzflieger-Vorliebe der Europäer wird also über die Schiene laufen.

Wann geht es los?

Regelmäßig vergehen mindestens zwei Jahre, bevor sich die EU-Kommission, der Europäische Rat und das EU-Parlament über neue Gesetzesentwürfe einig werden. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die geplanten Neuerungen noch vor 2024 in Kraft treten. Will Brüssel sein neues Ziel einhalten und die Fahrgastzahlen im Schnellzugverkehr schon bis 2030 verdoppeln, müssen sich die EU-Institutionen aber beeilen.

In der Zwischenzeit dürfte sich in Deutschland aber auch so schon einiges tun. Denn die neue Bundesregierung plant laut Koalitionsvertrag ihre eigene Bahn-Revolution.

Statt weiterhin deutlich mehr Geld ins Straßennetz zu investieren, soll der Schienenverkehr künftig stärker finanziell gefördert werden. Auch hier gilt der Vorsatz: Bis 2030 sollen doppelt so viele Reisende im gesamten Bahnnetz unterwegs sein wie im Moment.

So ist auch nicht verwunderlich, dass die Pläne der EU auf offene Ohren bei der neuen Bundesregierung stoßen. Bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bereits zu, dass er sie bei der Umsetzung des Klimaschutzprogramms unterstützen werde.

Verwendete Quellen
  • Europäische Kommission (2021): Q&A - Action Plan to boost long-distance and cross-border passenger rail services
  • Europäische Kommission (2021): Factsheet - Boosting long-distance and cross-border passenger rail
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