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Vorbild Türkei‐Deal: So will die EU Afrikaner von der Flucht abhalten


Vorbild Türkei‐Deal
So will die EU Afrikaner von der Flucht abhalten

spiegel-online, Von Markus Becker

09.02.2017Lesedauer: 4 Min.
Helfer an Bord der MV Aquarius kümmern sich um einen aus Seenot geretteten Flüchtling nördlich der libyschen Küste.Vergrößern des BildesHelfer an Bord der MV Aquarius kümmern sich um einen aus Seenot geretteten Flüchtling nördlich der libyschen Küste. (Quelle: ap-bilder)
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Die Architekten des EU-Türkei-Flüchtlingspakts schlagen einen Deal mit Afrika vor, um die Migration zu reduzieren. Der Erfolg hängt aber von der Bereitschaft der Afrikaner ab, abgelehnte Asylbewerber wieder aufzunehmen.

Der Andrang von Flüchtlingen und Migranten über die Ägäis und den Balkan ist nahezu vorbei, dafür aber wird Afrika zunehmend zum Problem: 181.000 Menschen kamen 2016 von dort in die EU, ein Fünftel mehr als im Vorjahr. Die Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) schlägt nun eine Lösung vor: Die EU müsse mit Afrika einen ähnlichen Pakt schließen wie mit der Türkei - allerdings auf andere Art, als bisher oft vorgeschlagen wurde.

Der zentrale Punkt im Malta-Plan der ESI ist nicht, die Afrika-Auswanderer in Libyen zu stoppen, wo rund 90 Prozent die Boote Richtung Europa besteigen. Stattdessen stützt er sich auf die schnelle Rückführung abgelehnter Asylbewerber in ihre Heimat. "Das", sagt ESI-Chef Gerald Knaus, "war auch für den Rückgang des Zustroms in der Ägäis und auf der Balkanroute entscheidend."

Die Verbindung zum Türkei-Deal verwundert nicht: Knaus gilt als Architekt des Abkommens. Der Malta-Plan - benannt nach dem EU-Gipfel vergangener Woche, bei dem das Papier lanciert wurde -, sieht Folgendes vor:

  • Griechenland und Italien gründen "EU-Asylmissionen", die innerhalb von nur vier Wochen über Asylanträge entscheiden.
  • Die Bewerber dürfen während dieser Zeit die Auffanglager nicht verlassen. So soll eine unkontrollierte Weiterreise in andere EU-Staaten verhindert werden.
  • Anerkannte Flüchtlinge werden innerhalb der EU verteilt.
  • Alle Wirtschaftsmigranten ohne Recht auf Asyl - und damit die große Mehrheit der Ankommenden aus Afrika - werden auf Basis von Rücknahmeabkommen zügig in ihre Heimatländer abgeschoben.

"Bisher haben irreguläre Migranten eine 99-prozentige Chance, dauerhaft in der EU zu bleiben", sagt Knaus im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Wenn sich aber herumspricht, dass die teure und lebensgefährliche Reise vergeblich ist, weil man vier Wochen später wieder in der Heimat landet, wird sich die Lage rasch ändern." Die Zahl der irregulären Migranten aus Afrika könne auf diese Weise schnell auf unter 100.000 pro Jahr sinken.

Stichtagsregelung entscheidend

Entscheidend für das Funktionieren des Plans sei außerdem ein konkreter Stichtag, ab dem ein Herkunftsland seine Migranten zurücknimmt. Diese Idee habe auch in den Verhandlungen mit der Türkei den Durchbruch bewirkt. Ankara hat sich verpflichtet, alle Migranten, die ab dem 20. März von der Türkei nach Griechenland gekommen sind, zurückzunehmen.

"Kein Herkunftsland wird sich darauf einlassen, Tausende von Migranten auf einen Schlag zurückzunehmen", sagt Knaus. Bei einer Stichtagsregelung bleibe die Zahl dagegen überschaubar und würde zudem schnell sinken. Die Türkei etwa habe bisher nur wenige Hundert Migranten zurücknehmen müssen, bekomme zugleich aber Milliarden Euro für die Versorgung der Flüchtlinge. "Deshalb wird die Türkei das Abkommen auch nicht aufkündigen", sagt Knaus. "Es ist für sie ein sehr guter Deal."

Die Stichtagsregelung würde allerdings auch bedeuten, dass die meisten Migranten, die bereits in der EU sind, dort bleiben würden. Für die Herkunftsländer wäre das enorm wichtig, denn ihre Bürger überweisen gigantische Summen zurück in die Heimat. Manche Staaten erhalten auf diese Weise mehr Geld als über die Entwicklungshilfe. Die EU-Staaten wiederum müssten sich dann von der Vorstellung verabschieden, diese Menschen irgendwann wieder loszuwerden - was aber realistisch betrachtet ohnehin illusionär sein dürfte.

Ohnehin kann der Plan nur funktionieren, wenn die afrikanischen Herkunftsländer - allen voran Nigeria, Eritrea und Guinea - mit der EU kooperieren. Denn bei der Rücknahme von Wirtschaftsmigranten gibt es ein Problem: Nachzuweisen, woher die Menschen überhaupt kommen. "Wer seinen Ausweis weggeworfen hat, kann vieles behaupten", sagt Günther Nooke, Afrika-Beauftragter von Kanzlerin Angela Merkel. Deshalb müsse man afrikanischen Ländern helfen, Personenregister aufzubauen. "Die flächendeckende Erfassung von Geburten, Hochzeiten und Todesfällen ist kompliziert und teuer", sagt Nooke. "Aber wir brauchen das, wenn die Migrationspolitik gegenüber Afrika funktionieren soll."

Rettung für Schengensystem und Flüchtlingskonvention

Sollte der Plan aufgehen, hätte die EU laut ESI-Chef Knaus nicht nur die Reisefreiheit innerhalb des Schengenraums gerettet, sondern auch das Asylrecht insgesamt. "Würden wir einfach alle Migranten ohne Prüfung von Asylanträgen nach Afrika zurückdrängen, wäre es das Ende der Genfer Flüchtlingskonvention", sagt Knaus. In Deutschland widerspräche eine derartige Politik außerdem dem Grundgesetz. "Die EU kann nicht ihre Verbindung zu Menschenrechten aufgeben, ohne ihre Seele zu verlieren - erst recht nicht in Zeiten eines US-Präsidenten Donald Trump."

Warum aber sollten die Afrikaner bei dem Plan mitspielen? Ein offensichtliches Instrument ist die Entwicklungshilfe: "More for more", lautet ein Ansatz: mehr Geld für mehr Zusammenarbeit. Die umstrittene Alternative heißt "less for less": Die Drohung, Entwicklungsländern Hilfen zu kürzen, sollten sie sich bei der Bekämpfung der Migration querstellen. Nooke befürwortet einen durchaus robusten Umgang mit afrikanischen Staaten: "Wenn wir afrikanische Staaten ernst nehmen, müssen wir mit ihnen genauso reden wie mit den USA, China oder Russland."

Bleiben noch die Probleme der EU mit sich selbst. So ist sie noch weit davon entfernt, in Griechenland und Italien ein System auf die Beine zu stellen, das Asylanträge binnen vier Wochen abarbeiten kann. Griechenland etwa bewältigt derzeit rund 1000 Asylentscheide pro Monat - und zwar im gesamten Land. "Das ist absurd wenig", meint Knaus.

Zudem sieht der Malta-Plan vor, dass die in Italien und Griechenland anerkannten Asylbewerber auf andere EU-Länder verteilt werden. Doch das funktioniert bisher kaum. Am Mittwoch veröffentlichte die EU-Kommission aktuelle Zahlen, laut denen Griechenland und Italien im Januar lediglich 1682 schutzbedürftige Menschen abgenommen wurden - was deutlich unter der Zielmarke von 3000 Umsiedlungen pro Monat liegt. Von den vorgesehenen 160.000 Flüchtlingen, die insgesamt verteilt werden sollen, haben bisher nur knapp 12.000 eine neue Bleibe gefunden.

Insbesondere osteuropäische Staaten wie Ungarn und die Slowakei weigern sich weiterhin, an der Umverteilung teilzunehmen. Knaus befürwortet, den Druck auf diese Länder zu erhöhen. "Wenn das System funktioniert, und manche Länder sich immer noch weigern, selbst kleine Zahlen von Flüchtlingen aufzunehmen, müsste man über Schengen nachdenken", meint der ESI-Chef. Die Osteuropäer müssten sich dann darauf einstellen, bei der Einreise nach Westeuropa selbst zum Ziel von Grenzkontrollen zu werden. "Das hieße", meint Knaus, "den Spieß umzudrehen."

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