Ökonom über Kriegswirtschaft "Die Party in Russlands Wirtschaft geht dem Ende zu"

Russlands Wirtschaft schwächelt. Rein wirtschaftlich betrachtet braucht das Land spätestens nächstes Jahr einen Frieden, so Ökonom Oleg Vjugin.
Die Zahlen sind alarmierend. Allein die russischen Exporte nach Deutschland brachen seit der russischen Invasion in der Ukraine 2022 um 95 Prozent ein. Russlands Wirtschaft ist gut drei Jahre nach Ausbruch des Krieges angeschlagen.
Nun überraschte der frühere russische Zentralbanker Oleg Vjugin mit einer eindringlichen Warnung: "Rein wirtschaftlich braucht Russland dieses oder nächstes Jahr einen Frieden", sagte er der Zeitung "Die Welt". Ein Blick auf Russlands Wirtschaft und die Risiken der ökonomischen Lage für Staatschef Wladimir Putin.
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Die Wirtschaftsdaten
Er ist eine der markantesten Persönlichkeiten der russischen Finanzwelt: Oleg Vjugin, 72, war stellvertretender Finanzminister Russlands und 2002 in das Aufsichtsgremium der russischen Zentralbank aufgerückt. Derzeit analysiert er die Lage als Wirtschaftsprofessor.
Aus ökonomischer Sicht ist die Lage in Russland prekär. Die Wirtschaft wuchs im ersten Quartal des Jahres nur um 1,4 Prozent. Die Regierung rechnet für dieses Jahr offiziell mit einer Inflation von 7,6 Prozent. Der Leitzins liegt bei 20 Prozent, das hemmt die Investitionen von Unternehmen.
Selbst Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow warnte zuletzt vor einer "Unterkühlung" der russischen Wirtschaft. Vor allem der niedrige Ölpreis macht der Staatskasse zu schaffen. So muss die Regierung Investitionen zurückstellen. Wirtschaftsminister Reschetnikow räumte zuletzt ein: "Die aktuelle Aufgabe besteht darin, die Abkühlungsphase zu überstehen."
Wirtschaftsexperte Vjugin beschreibt die Lage so: "Die Probleme in der Wirtschaft wachsen täglich, solange der Leitzins hoch bleibt." Seine Analyse gut drei Jahre nach Kriegsbeginn: "Das Jahr 2022 hatte Russland in einem wirtschaftlich guten Zustand begonnen – und zwar dank der hohen Ölpreise, Reserven im Wohlfahrtsfonds und Unternehmensgewinnen." Vor allem brechen die Exporte ein.
So betrug etwa der Wert russischer Exporte nach Deutschland im Jahr 2021 – dem Jahr vor Putins Überfall auf die Ukraine – noch 33,1 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr lag er nach Angaben des Statistischen Bundesamts nur noch bei 1,8 Milliarden Euro.
Vjugins Fazit: "Die Party in Russlands Wirtschaft geht dem Ende zu."
Krieg und Wirtschaft
Russlands Wirtschaft steckt in der Krise. Die Frage, die sich stellt: Kann sich Wladimir Putin den Krieg ökonomisch noch leisten?
Nach Vjugins Einschätzung "braucht Russland dieses oder nächstes Jahr einen Frieden". Doch ist die ökonomische Analyse nicht allein entscheidend. In Putins Machtapparat tobt ein Machtkampf zwischen dem Wirtschaftsflügel um Minister Reschetnikow und den Militärs, die ein Ende des Krieges am Verhandlungstisch ohne entscheidende Fortschritte auf dem Schlachtfeld fürchten müssen.
Die 'Tauben' im Establishment tun alles, damit sich die wirtschaftliche Situation nicht verschlechtert, und die, die kämpfen, sammeln eben dort ihre Punkte.
Oleg Vjugin, russischer Ökonom
"Ein Waffenstillstand würde die Verhältnisse innerhalb des Machtapparats verändern", sagte Vjugin der "Welt". Sein Fazit: "Die Verantwortlichen scheinen sehr beunruhigt zu sein."
Janis Kluge, stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), hatte schon im Mai im Interview mit t-online gewarnt: "Voraussichtlich wird es im Sommer Einschnitte geben, um den Haushalt auszubalancieren."
Sanktionen und die Grenzen des Westens
Wirtschaftlich stellt sich die Lage nicht gut dar für Wladimir Putin. Doch sieht Vjugin auch Herausforderungen für die EU und die USA.
Beide arbeiten derzeit an neuen Sanktionen gegen Russland. So strebt die EU-Kommission an, die russischen Gaseinfuhren nach Europa bis 2027 zu stoppen. Vor Putins Invasion in der Ukraine hatte der Anteil noch bei 45 Prozent gelegen.
Bislang hat allein die EU seit Kriegsbeginn 2022 insgesamt 17 Sanktionspakete verhängt. Vjugin schätzt ihre Wirkung jedoch als begrenzt ein: "Russland hat gelernt, die Sanktionen zu umgehen. Und auch Russlands größte Handelspartner, das heißt China und Indien, sehen für sich die Möglichkeit, bei der Umgehung teilweise mitzumachen", so der Experte. Doch Putin zahle dafür einen hohen Preis: "Ohne Sanktionen würde Russland mehr mit seinen Exporten verdienen."
Noch ein Faktor ist zu berücksichtigen: US-Präsident Donald Trump. Er schwankt zwischen einer harten Linie gegenüber Russland, wünscht aber auch einen schnellen Erfolg in den Bemühungen um einen Waffenstillstand. Das macht Trump zwar schwer berechenbar. Für den Kreml ist seine wankelmütige Haltung aber von Vorteil. Vjugin sagt: "Als man in Russland sah, dass Trump an einem umfassenden Deal mit Russland interessiert ist, hat man logischerweise beschlossen, aus diesem Umstand möglichst viele Vorteile herauszuschlagen."
Auch die Möglichkeiten der EU und der USA sind also begrenzt. Der größte Unsicherheitsfaktor für Putin bleibt die ökonomische Lage.
Vjugin stellt unmissverständlich klar: "Für eine Fortsetzung der militärischen Spezialoperation bräuchte es noch mehr wirtschaftliche Ressourcen. Doch es gibt nicht so viele, es sei denn, man nimmt einen schlechteren Lebensstandard und einen Verlust bei den Realeinkommen der Russen in Kauf." Die Frage ist, wie lange die russische Bevölkerung die massiven wirtschaftlichen Verluste noch hinnimmt.
- Eigene Recherche
- www.welt.de: "'Die Party in Russlands Wirtschaft geht dem Ende zu'"
- www.reuters.com: "Russia's economy minister calls for 'timely' rate cut to boost growth" (Englisch)