"Russland nähert sich einer Finanzkrise" Für Putins Kriegskasse geht es ans Eingemachte

Russlands Wirtschaft ächzt ohnehin schon, nun brechen auch die Öleinkünfte ein. Wie lange kann der Kreml den Krieg gegen die Ukraine noch finanzieren?
Es ist die nächste schlechte Nachricht für Russlands Kriegswirtschaft: Die US-Regierung will von Ende August an 25 Prozent Zoll auf Waren aus Indien erheben – wenn das Land weiterhin Erdöl aus Russland bezieht. Zurzeit ist Indien der zweitgrößte Abnehmer russischen Öls und damit eine wichtige Stütze für Putins Kriegskasse. Doch der Druck aus Washington zeigt bereits Wirkung.
Die indische Regierung wies die US-Forderung nach einem Importstopp zwar zunächst zurück, doch die größten Raffineriebetreiber des Landes verzichten bereits auf den Kauf russischen Öls – wohl aus Sorge vor US-Strafen. Mehrere russische Öltanker sollen derzeit vor der indischen Küste liegen, ohne ihre Ware abliefern zu können. Ob sich Indien dauerhaft vom russischen Öl lossagt, ist allerdings unklar. Doch aus russischer Perspektive ist Indien ohnehin nur eine von vielen Sorgen.
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Russlands Öleinkünfte brechen ein
Schon vor den jüngsten Sanktionsdrohungen aus den USA sind Russlands Einnahmen aus dem Ölgeschäft massiv zurückgegangen – allein im Juli um 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, wie der Wirtschaftsexperte und Russlandkenner Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik vorrechnet.
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"Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt haben Russlands Einkünfte aus Öl und Gas in den vergangenen drei Monaten den niedrigsten Stand seit dem Überfall auf die Ukraine erreicht", schreibt Kluge in einem Beitrag auf X. "Die Einkünfte bewegen sich jetzt um die 4 Prozent des BIP, nach einem Rekordwert von 18,4 Prozent im April 2022." Dabei waren die Einkünfte aus dem Ölverkauf zuletzt die wichtigste Säule des russischen Staatshaushalts, nachdem die Einnahmen durch Gas und Kohle bereits stark zurückgegangen waren.
Der starke Rückgang bei Russlands Öleinnahmen geht aber nicht allein auf die jüngsten Turbulenzen auf dem indischen Markt zurück. So liegen die Preise für Rohöl an den internationalen Märkten schon seit Monaten bei etwa 65 US-Dollar pro Fass – der russische Haushalt basiert aber auf einem angenommenen Preis von mindestens 70 Dollar.
Russland Wirtschaft steckt in der Krise
Obendrein hat die EU ihren Preisdeckel für russisches Öl im Juli noch einmal von 60 Dollar je Fass auf 47,60 Dollar gesenkt und inzwischen stehen fast 600 Schiffe der russischen Schattenflotte auf westlichen Sanktionslisten. Auch diese Maßnahme kostet den russischen Staat viel Geld.
Die sinkenden Einnahmen aus dem Energiegeschäft machen sich in Putins Kriegskasse längst bemerkbar. Verfügte der russische Staatsfonds im Januar 2022 noch über Reserven von umgerechnet mehr als 116 Milliarden Euro, waren es im Mai nur noch etwas mehr als 30 Milliarden Euro. Zusätzlichen Druck auf die Einnahmen machen neuerdings auch wieder die Ukrainer mit Angriffen auf russische Öldepots und Raffinerien, die sie voriges Jahr auf Druck der USA zunächst eingestellt hatten.
Auto- und Lkw-Verkäufe in Russland brechen ein
Der Russlandexperte Anders Åslund rechnet damit, dass die jahrelang angehäuften Reserven des Kremls noch in diesem Jahr aufgebraucht sein werden. Und da sich Russland an den internationalen Finanzmärkten kein Geld beschaffen kann und auch China nicht bereit ist, den russischen Staat direkt zu finanzieren, dürfte die Finanzierung des Krieges für Russland immer schwieriger zu stemmen sein. Zumal auch Putins heimische Wirtschaft immer stärker in die Krise rutscht.
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Ablesen lässt sich das beispielsweise am Einbruch der Verkaufszahlen von Autos, die im Mai im Vergleich zum Vorjahresmonat um 27,5 Prozent zurückgingen. Und der oppositionellen Zeitung "Moscow Times" zufolge wurden 70 Prozent aller in diesem Jahr in Russland verkauften Autos schon 2023 oder 2024 hergestellt – auch das ist ein Hinweis auf den Zustand der russischen Industrie.
Russlands Zentralbank reagiert
In dieses Bild passt auch der massive Gewinneinbruch bei Kamaz, einem der wichtigsten Lkw-Hersteller in Russland, der auch die Armee beliefert. Die Firma hat in der ersten Hälfte des Jahres einen Verlust von umgerechnet fast 224 Millionen Euro eingefahren – und damit seine Gewinne aus den vergangenen zehn Jahren beinahe komplett verloren. Hintergrund ist der Einbruch der Verkäufe auf dem zivilen Markt und eine deutlich gestiegene Zinslast des Unternehmens.
Die russische Zentralbank hat bereits auf die Abschwächung der Konjunktur reagiert und den Leitzins im Juli von 20 auf 18 Prozent gesenkt. Dadurch wird es für Unternehmen und Privatleute günstiger, Kredite aufzunehmen. Die Maßnahme soll die Konjunktur beleben, doch zugleich heizt sie die Inflation weiter an, die das Leben für die Menschen in Russland immer teurer macht. Offiziell liegt die Inflationsrate in Russland bei unter 10 Prozent, das halten westliche Wirtschaftsexperten allerdings für geschönt.
"Putins Lage wird zunehmend aussichtslos"
Mit einem plötzlichen Zusammenbruch der russischen Wirtschaft oder gar einem Staatsbankrott rechnen westliche Fachleute derzeit zwar nicht; die wirtschaftliche Schwäche, die ausbleibenden Exporteinnahmen und die anhaltend hohen Ausgaben für den Krieg werden die Handlungsfreiheit des Kremls aber zunehmend einschränken, schreibt der Stockholmer Forscher Åslund in einem aktuellen Beitrag für das Politikmagazin "Project Syndicate".
"Russlands Wirtschaft nähert sich rasant einer Finanzkrise, die seine Kriegsanstrengungen erschweren wird", so Åslund. "Auch wenn dies möglicherweise nicht ausreicht, um Putin zum Frieden zu zwingen, deutet es doch darauf hin, dass seine Lage zunehmend aussichtslos wird." Åslund rechnet damit, dass der Kreml gezwungen sein wird, auch die Ausgaben für den Krieg zu kürzen, da es für Einsparungen im zivilen Bereich praktisch keinen Spielraum mehr im Haushalt gebe. Und das könnte Putins Kriegsmaschinerie schließlich zum Erliegen bringen, so seine Hoffnung.
"Auf dem Höhepunkt eines Krieges die Militärausgaben zu kürzen, ist selten ein gutes Zeichen", schreibt Åslund weiter und verweist unter anderem auf die Beispiele Deutschlands im Ersten Weltkrieg und Japans im Zweiten Weltkrieg. "Das Ergebnis dieser Politik war jedes Mal eine totale militärische Niederlage."
- themoscowtimes.com: Russian Oil Tankers Idle Off India as Sanctions and U.S. Tariff Threats Disrupt Trade
- x.com: Post von Janis Kluge vom 5. August
- themoscowtimes.com: Russian Car Sales Plunge 27.5% Year-on-Year
- yahoo.com: In latest sign of Russian economy woes, Kamaz truck company cuts working week due to market collapse
- themoscowtimes.com: Russian Manufacturing Shrinks at Fastest Rate Since March 2022 – S&P
- tagesschau.de: EU will russische Schattenflotte sanktionieren
- consilium.europa.eu: Die Sanktionen der EU gegen Russland im Detail
- theins.ru: Bargaining, acceptance, recession: Why it's getting harder to deny Russia's economic downturn
- understandingwar.org: Russian Offensive Campaign Assessment, August 6
- project-syndicate.org: Stagflation Is Hitting Russia’s War Economy
- Eigene Recherche