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Russland: Putins Wirtschaft schlittert in die Rezession


Lebensmittel fehlen
Putin räumt Defizite ein

Von dpa
Aktualisiert am 20.06.2025Lesedauer: 4 Min.
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Russlands Staatschef Wladimir Putin (Archivbild): Das Land ist wirtschaftlich angeschlagen. (Quelle: Dmitri Lovetsky/ap)
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Russlands Wirtschaft schlittert in die Rezession. Jetzt gehen dem Land die Kartoffeln aus. Vom Nachbarn Belarus kommt ein zynischer Rat.

Der frühere russische Zentralbanker Oleg Vjugin lancierte zuletzt eine drastische Warnung: "Rein wirtschaftlich braucht Russland dieses oder nächstes Jahr einen Frieden", sagte er der Zeitung "Die Welt". Jetzt trifft die Krise auch die Menschen: Die Lebensmittelpreise in Russland steigen. Besonders schmerzlich: Dem Land mit der potenziell größten Anbaufläche für Landwirtschaft sind Kartoffeln und Zwiebeln ausgegangen.

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Das Defizit räumte sogar Präsident Wladimir Putin öffentlich ein. "Es hat sich herausgestellt, dass uns Kartoffeln fehlen", klagte er. Auch bei Zuckerrüben und einigen Gemüsesorten gebe es Engpässe, räumte er ein.

Ein ungünstiges Klima rund um das aktuell laufende Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg. Am Freitag will Putin selbst auf dem internationalen Gipfel sprechen. Für Russland wird die Wirtschaftslage zunehmend zu einem Spagat zwischen steigenden Lebensmittelpreisen, Rezession und dem Fokus auf die Rüstungsindustrie.

Hohe Inflation und sinkende Ernten

Etwas mehr als einen Euro mussten die Russen im Juni für ein Kilo Kartoffeln ausgeben. Angesichts eines Durchschnittseinkommens von knapp 1.000 Euro vor Steuern sowie Renten von etwas mehr als 200 Euro ist das nicht wenig. Die anziehenden Lebensmittelpreise sind einer der Haupttreiber der Inflation in Russland. Derzeit liegt die laut Wirtschaftsministerium bei 9,6 Prozent. Ökonomen im Westen rechnen jedoch mit einer tatsächlichen Rate jenseits der zehn Prozent.

Die Zentralbank versucht, die Inflation mit einem hohen Leitzins unter Kontrolle zu bekommen – derzeit sind es 20 Prozent. Das Kalkül dahinter: Wird es wegen der hohen Zinsen schwerer, Kredite aufzunehmen, sinkt die Geldmenge, die im Umlauf ist. Weniger Geld bedeutet weniger Nachfrage und sinkende Inflation.

Rezession und schwindende Ressourcen

Doch damit ist Russland nun auf weitere Komplikationen gestoßen. Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow hat auf Putins großer Schaubühne, dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg (SPIEF), ungewöhnlich deutlich vor Problemen für die einheimische Wirtschaft gewarnt: "Den Zahlen nach haben wir eine Abkühlung, den aktuellen Empfindungen der Unternehmer nach sind wir schon an der Grenze zum Übergang in eine Rezession", sagte er.

Das derzeitige Zinsniveau demotiviere Unternehmer zu investieren, sagte Reschetnikow. Im dritten und vierten Quartal könnten die Investitionen nach Schätzung des Ministers unter dem Vorjahresniveau liegen.

Zentralbankchefin Elvira Nabiullina wehrte sich gegen den Vorwurf einer falschen Geldpolitik, aber auch sie prognostizierte Schwierigkeiten. Russlands Wirtschaft sei zwei Jahre lang trotz der Sanktionen durch Programme zur Importverdrängung gewachsen – dank Geldern aus dem Wohlstandsfonds und bestehenden Kapitalreserven des Bankensystems. "Wir müssen verstehen, dass viele dieser Ressourcen tatsächlich aufgebraucht sind, und wir müssen über ein neues Wachstumsmodell nachdenken", sagte sie.

In der Tat hat sich die russische Wirtschaft nach dem von Putin befohlenen Angriff auf die Ukraine erstaunlich gut gehalten – trotz der westlichen Strafmaßnahmen. In erster Linie ist dies auf eine rigorose Umstellung der Wirtschaft auf Kriegsproduktion zurückzuführen. Der Putin-Vertraute Sergej Tschemesow, der die Rüstungsindustrie leitet, brüstete sich zuletzt mit einer Steigerung bei Munition und Waffen um das "Zigfache gegenüber 2021".

Rüstungswirtschaft schwächt zivile Branchen

Kritiker bemängeln, dass die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Russland nicht das Potenzial der Wirtschaft widerspiegele, neue Waren für die Bürger herzustellen – oder deren wachsenden Lebensstandard. Vielmehr zeige es nur an, dass die von Haushaltsgeldern finanzierte Rüstungswirtschaft immer mehr Drohnen, Raketen und Panzer produziere.

Zivile Sektoren hingegen kränkeln seit geraumer Zeit. Sie kämpfen mit hohen Kosten, Personalmangel und technologischem Rückstand, der sich durch die Sanktionen nur noch manifestiert. Der Bau- und Immobiliensektor ist etwa stark in der Krise. Auch der Autobau stockt, seit westliche Produzenten und Zulieferer Russland den Rücken zugewendet haben. China verkauft zwar vermehrt Autos in Russland, produziert aber vor Ort nicht selbst.

Krise im Fahrzeugbau trifft auch die Landwirte

Der zum Tschemesow-Imperium gehörende Lada-Produzent Avtovaz konnte die von westlichen Autobauern hinterlassene Lücke nicht füllen. Auf dem Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg stellte der Konzern zwar sein neuestes Modell vor, den Lada Azimut, der ab kommendem Jahr in Serienproduktion gehen soll. Doch in den Lagern stapeln sich noch die Vorgängermodelle wegen fehlender Nachfrage.

Die Neuwagenkäufe sind in Russland nach einem Zwischenhoch 2024 erneut eingebrochen. In den ersten fünf Monaten wurden insgesamt nur rund 450.000 Fahrzeuge abgesetzt, ein Minus von 26 Prozent. Avtovaz prognostiziert auch für das Gesamtjahr einen Markteinbruch von 25 Prozent.

Krise auch beim Landmaschinenbauer Rostselmasch. Der Produzent von Mähdreschern und Traktoren hat gerade mehr als 15.000 Mitarbeiter in Zwangsurlaub geschickt. Für die Belegschaft bedeutet das keine Erholung, sondern Stress; denn ob es danach weitergeht, ist unklar. Schon im März wurde Kurzarbeit in der Fabrik angesetzt, im April wurden 2.000 Arbeiter entlassen.

Paradox: Auch Rostselmasch kann nicht vom weitgehenden Rückzug der westlichen Konkurrenz profitieren. Der Absatz bei Mähdreschern stockt: Dem Markteinbruch von 20 Prozent im vergangenen Jahr folgte in diesem Jahr ein Minus von bisher 10 bis 15 Prozent. Im Lager von Rostselmasch stauen sich 40 Prozent der Jahresproduktion. Den Bauern fehlt das Geld für neue Technik. Hohe Kreditzinsen und steigende Produktionskosten machen ihnen zu schaffen.

Sinkende Ernten und Lukaschenkos ungebetener Rat

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Und das hat Auswirkungen auf die Ernte. Im ersten Kriegsjahr 2022 hatte Putin noch stolz von einer Rekordernte beim Getreide – 157 Millionen Tonnen – berichtet. In den vergangenen beiden Jahren gingen die Erträge zurück.

Zwar hat der Kremlchef angeordnet, bis 2030 die Getreideernte auf 170 Millionen Tonnen und den Export auf 80 Millionen Tonnen hochzufahren. "Aber ausgehend von den jüngsten Tendenzen geht die Bewegung bei uns in die entgegengesetzte Richtung", warnte der für den Agrarsektor verantwortliche Vizepremier Dmitri Patruschew. Dies müsse schnell korrigiert werden.

Immerhin hofft die Regierung auf eine bessere Ernte als im Vorjahr. Die Kartoffeln sollen dabei schon ab kommender Woche gerodet werden. Durch das steigende Angebot könnten die Preise vorläufig wieder fallen.

Ansonsten muss Putin auf das Rezept seines langjährigen Verbündeten zurückgreifen, des als "Kartoffeldiktator" verschrienen Machthabers von Belarus, Alexander Lukaschenko. Der hatte seiner Bevölkerung vor ein paar Tagen empfohlen, Kartoffeln nur noch ein- oder maximal zweimal pro Woche zu essen. Ansonsten würden sie zu dick, sagte Lukaschenko, der selbst nicht als Leichtgewicht gilt.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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