Ukrainer unter Druck Putin glaubt nicht ohne Grund an einen Sieg

Kremlchef Putin zeigt sich scheinbar verhandlungsbereit. Doch von seinen Kriegszielen rückt er nicht ab – und die Lage an der Front gibt ihm recht.
Es klingt mal wieder nach einem diplomatischen Durchbruch im Ringen um Frieden in der Ukraine: Schon kommende Woche könnten sich die Staatschefs Russlands, der Ukraine und der USA zu einem Dreiergipfel treffen, wie mehrere US-Medien berichten. Hintergrund ist das jüngste Ultimatum von US-Präsident Trump an den Kreml, das an diesem Freitag ausläuft.
Trump hatte den größten Käufern russischen Erdöls Strafzölle von bis zu 100 Prozent angedroht, sollten sie weiter Öl aus Russland beziehen. Dabei hat sich Trump vor allem auf Indien eingeschossen, nach China der zweitgrößte Importeur russischen Öls.
Russische Führung glaubt an Sieg in der Ukraine
Am Mittwoch verkündete Trump dann 25-Prozent-Zölle auf Waren aus Indien ab 31. August, falls das Land seine Ölimporte aus Russland nicht stark reduziert. Am selben Tag schickte Trump seinen umstrittenen Vertrauten Steve Witkoff nach Moskau. Das Ergebnis dieser Reise scheint der mögliche Dreiergipfel mit Trump, Putin und Selenskyj zu sein.
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Doch es wäre naiv anzunehmen, dass der Kreml tatsächlich an einem Ende des Blutvergießens interessiert ist. Erst im Juni hat Kriegsherr Putin sein Ziel einer völligen Unterwerfung der Ukraine öffentlich bekräftigt. Und selbst wenn Putin den Krieg beenden wollte, dürfte ihn die Aussicht auf Chaos an der Heimatfront davon abhalten.
Ein Ende der Kriegswirtschaft und die Heimkehr Hunderttausender traumatisierter Soldaten könnte die Stabilität des Regimes ernsthaft gefährden. Zudem scheint die russische Führung noch immer fest an einen militärischen Sieg in der Ukraine zu glauben – und die Lage an vielen Frontabschnitten gibt ihr recht.
An diesen Frontabschnitten sind die Ukrainer unter Druck
Von Sumy im Nordosten über Charkiw und Kupjansk im Osten, Kostjantyniwka und Pokrowsk im Südosten und Cherson im Süden der Front stehen die ukrainischen Verteidiger in diesen Wochen massiv unter Druck. Noch immer hat die ukrainische Armee große Probleme bei der Rekrutierung neuer Soldaten. Nach jüngsten Angaben des ukrainischen Präsidenten wirbt die Armee zwar jeden Monat etwa 30.000 neue Soldaten an; die Verluste durch Tod, Verletzung und Desertion dürften aber ähnlich hoch sein.
Nach Einschätzung der Experten vom Institute for the Study of War (ISW) ist die Lage für die Ukrainer derzeit besonders bei Kupjansk in der Region Charkiw im Osten des Landes prekär. Der wichtige Verkehrsknotenpunkt fiel kurz nach dem Überfall im Februar 2022 in russische Hände, im September des Jahres befreiten die Ukrainer die Stadt mit früher einmal 30.000 Einwohnern. Nun droht sie erneut zu fallen.
Kupjansk droht die Einkesselung
Nach Angaben des ISW stehen die Russen dort kurz davor, die wichtigste Versorgungslinie der Ukrainer zu kappen und die Stadt teilweise einzukesseln. Die Einnahme von Kupjansk würde den Russen mehrere Möglichkeiten für weitere Vorstöße eröffnen, so das ISW.
Sie hätten dann entweder die Möglichkeit, weiter in Richtung Nordwesten auf Charkiw vorzustoßen, die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Oder sie könnten in südöstlicher Richtung vordringen und versuchen, die gesamte Region Luhansk einzunehmen – ein erklärtes Kriegsziel des Kremls.
Das ISW hält es aber für wahrscheinlicher, dass die russische Armee nach der möglichen Eroberung von Kupjansk Truppen von dort an andere Frontabschnitte verlegt. Höchste Priorität für die Russen hat demnach die vollständige Einnahme der Region Donezk.
Im Fokus der Russen stehen die Städte Pokrowsk und das etwa 45 Kilometer nordöstlich gelegene Kostjantyniwka. Dort greifen die Russen seit Monaten massiv an und versuchen, die ukrainischen Verteidiger einzukesseln. Ein Fall der beiden Städte würde Putins Truppen der vollständigen Einnahme der Region Donezk erheblich näher bringen.
Russen greifen nur noch in kleinen Gruppen an
Ihre langsamen, aber stetigen Geländegewinne in der Region Donezk verdanken die Russen dabei offenbar einer veränderten Angriffstaktik: Statt wie bislang in gepanzerten Verbänden auf die ukrainischen Positionen vorzurücken, versuchen die Russen neuerdings, mit kleinen Gruppen von Fußsoldaten im Schutz von Baumreihen hinter die ukrainischen Linien zu gelangen. Und das gelingt ihnen angesichts der ausgedünnten Stellungen der Verteidiger offenbar immer häufiger.
"Bis vor Kurzem haben die Russen fast täglich mit bis zu 20 gepanzerten Fahrzeugen angegriffen", sagte der 21-jährige Drohnenpilot Oleksandr kürzlich dem "Kyiv Independent" in einem Frontbericht aus Kostjantyniwka. "Wir haben dann eins nach dem anderen zerstört und nachmittags nur noch zugeschaut, wie sie abbrennen. Aber seit April kommen die Russen nur noch in kleinen Gruppen von bis zu fünf Leuten." Für die Verteidiger ist die neue Angriffstaktik eine Herausforderung, auch wenn sie einem Mangel an schwerem Kriegsgerät geschuldet sein dürfte.
Russlands gefürchtete Eliteeinheit "Rubikon"
"Wir beobachten und zerstören jede Gruppe, die wir sehen", berichtet Frontsoldat Oleksandr weiter. "Aber der Abschnitt, den wir verteidigen müssen, ist groß. Häufig kommen Russen durch und sind dann plötzlich in unserem Rücken. Dann müssen wir sie schnell finden und ausschalten, bevor die nächste Gruppe anrückt." Um die Angriffe abzuwehren, steuern die ukrainischen Drohnenpiloten ihre Geschosse inzwischen gezielt in die Baumreihen, um sie in Brand zu setzen und den Russen so die Deckung zu nehmen. Doch auch die Russen haben im Drohnenkrieg aufgeholt.
Bei den Ukrainern gefürchtet ist inzwischen die russische Spezialeinheit "Rubikon", die derzeit bei Kostjantyniwka im Einsatz ist. Die "Rubikon"-Einheit greift mit Kamikazedrohnen bis zu 25 Kilometer hinter der Front an und macht dabei gezielt Jagd auf ukrainische Drohnenpiloten. Möglich machen das Drohnen, die über kilometerlange Glasfaserkabel gesteuert werden und daher für den gegnerischen Störfunk unempfindlich sind. Bei dieser Technologie haben die Russen noch immer die Nase vorn, auch wenn die Ukrainer schnell aufholen.
So schlägt die Ukraine zurück
Doch die russischen Drohnen sind nicht nur für Soldaten eine tödliche Bedrohung. In der südlichen Frontstadt Cherson machen russische Drohnenpiloten schon seit dem Frühjahr 2024 Jagd auf Zivilisten. Die Einwohner bezeichnen die perfiden Terrorangriffe als "Menschen-Safari". Russische Drohnenpiloten "üben" dort an Unbeteiligten ihr Tötungshandwerk.
Zuletzt haben die Russen die Angriffe auf Cherson deutlich verstärkt und versuchen offenbar, die Einwohner zu vertreiben. Zum Schutz vor den Angriffen spannen die Ukrainer inzwischen Fischernetze über viele Straßen entlang der Front – und das offenbar mit gewissem Erfolg.
Völlig passiv sind die Ukrainer derzeit allerdings nicht. Auch wenn die ukrainische Armee momentan nicht in der Lage zu größeren Offensiven an der Front ist, versucht sie, Russland auf der strategischen Ebene zu schwächen – durch gezielte Drohnenangriffe auf russische Raffinerien und Öldepots. Seit Ende Juli haben die Ukrainer drei große Raffinerien getroffen.
Eine der getroffenen Anlagen hat den Betrieb seither komplett eingestellt, eine weitere produziert nur noch mit halber Kapazität. Der jüngste Angriff auf eine Raffinerie in Slawjansk-na-Kubani in der Region Krasnodar erfolgte erst in der Nacht zu Donnerstag. Zu den Schäden dort liegen bislang keine Angaben vor. Ob die Angriffe die russische Kriegsmaschinerie aber nachhaltig schädigen können, ist offen.
- understandingwar.org: Russian Offensive Campaign Assessment, August 6
- understandingwar.org: Russian Offensive Campaign Assessment, August 5
- kyivindependent.com: 'We spot them, we destroy them' – Ukraine fights for Kostiantynivka as Russia closes in on three sides
- Eigene Recherche