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Corona-Chaos in Russland: Putin versteht es einfach nicht


Corona-Chaos in Russland
Putin versteht es einfach nicht

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 06.11.2021Lesedauer: 4 Min.
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Wladimir Putin: Der russische Präsident kämpft gegen die nächste schwere Corona-Welle.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der russische Präsident kämpft gegen die nächste schwere Corona-Welle. (Quelle: Mikhail Metzel/TASS/imago-images-bilder)

So schlimm war es noch nie: Die vierte Corona-Welle wütet in Russland, Hunderte Todesopfer fordert das Virus aktuell täglich. Das Misstrauen gegenüber Putin wächst. Doch der zeigt sich völlig ratlos.

Es ist ein großer Akt der Verzweiflung: Der russische Präsident Wladimir Putin gab in dieser Woche einem Großteil der Bevölkerung arbeitsfrei, mindestens bis Sonntag befinden sich Teile des Landes wieder im Lockdown. Mit dem Zwangsurlaub möchte die russische Regierung die vierte Corona-Welle brechen.

Das ist bitter nötig. Die russische Föderation erlebt aktuell die schlimmste Eskalation dieser Pandemie. Putin und sein Machtapparat haben im Kampf gegen das Virus die Kontrolle verloren – und der Winter steht erst vor der Tür.

Inzwischen gibt es täglich mehr als 40.000 Neuinfektionen. "So etwas gab es noch nie", sagt Putin. Die Krankenhäuser sind vielerorts am Limit, Bestatter überarbeitet. Das Statistikamt Rosstat meldet einen massiven Bevölkerungsschwund. Die tatsächlichen Zahlen könnten noch deutlich höher liegen, immer wieder gab es Zweifel an der offiziellen Darstellung.

Das größte Problem: Viel zu wenig Menschen sind geimpft, sodass die Gesellschaft der aggressiven Delta-Variante kaum Immunität entgegenzusetzen hat. Während in Deutschland bei einer Quote von 67 Prozent vollständig Geimpften schon große Sorge herrscht, sind in Russland nicht mal ein Drittel der Bevölkerung geimpft.

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Dass die Impfung einen Unterschied ausmacht, zeigt ein Vergleich beider Länder: In der Bundesrepublik meldete das Robert Koch-Institut zuletzt auch neue Rekordwerte mit mehr als 30.000 Corona-Neuinfektionen, aber es starben zuletzt 154 Menschen binnen 24 Stunden durch das Virus (Stand: 5. November). In Russland waren es am Donnerstag fast 1.200. Der große Unterschied bei den Todeszahlen ist auch mit dem höheren Impfschutz in der Bevölkerung zu erklären.

Putins Impfkampagne scheitert

Das Scheitern der russischen Impfkampagne ist für Präsident Putin ein Desaster, denn ausgerechnet Russland verfügt über fünf eigene Vakzine. Ein Land, das nicht nur den ersten Impfstoff der Welt zugelassen hat, sondern auch den angeblich "weltbesten", wie Putin Sputnik V einst anpries. Doch bis jetzt ist erst rund ein Drittel der 146 Millionen Russen vollständig geimpft.

Viele sind skeptisch. "Das ist mein Körper, da entscheide ich selber, was reinkommt", sagt ein Moskauer Handwerker der Nachrichtenagentur dpa. Eine ältere Bürgerin meint, dass sie sich etwa den Biontech/Pfizer-Impfstoff, der in Russland nicht zugelassen ist, gerne spritzen lassen würde – "aber doch bitte nicht Sputnik".

Die Zweifel sind nicht unbegründet: Auch nach monatelanger Prüfung ist Sputnik V bislang weder von der Europäischen Arzneimittelagentur Ema noch von der Weltgesundheitsorganisation WHO offiziell zugelassen.

Misstrauen führt zu Chaos

Unterdessen mangelt es im größten Land der Erde wahrlich nicht an Impfwerbung – ob nun auf Straßenplakaten oder im Staatsfernsehen. Doch den Ansagen von oben vertrauen in Russland viele nicht.

Das Misstrauen hat unterschiedliche Gründe:

  • Es gibt zu viele Unklarheiten und Widersprüche über die Wirksamkeit von Sputnik V. Besonders im Bezug auf die Effektivität gegen die Delta-Variante haben Wissenschaftler Zweifel.
  • Die russische Politik hat in der Pandemie ihre Vorbildfunktion für viele Menschen verloren. Führende Politiker agierten in der Krise oft inkonsequent, so auch Putin. Der Präsident ließ zwar Familienmitglieder öffentlichkeitswirksam impfen, trug allerdings nie in der Öffentlichkeit eine Maske. Einfachen Bürgern droht dagegen eine Strafe bei Verletzung der Maskenpflicht.
  • In Russland gibt es noch immer bei einigen eine postsowjetische Anti-Impfeinstellung. Dass sich Politiker und Beamte oft in ihren Empfehlungen widersprechen, bestärkt alle Impfskeptiker. Die Bevölkerung ist mittlerweile verwirrt. Im Zweifel entscheiden sich die Menschen dann gegen eine Impfung.
  • Putin selbst möchte nicht der Überbringer der schlechten Nachrichten sein, deshalb müssen oft Regionen ihre eigenen Corona-Entscheidungen treffen. Das kostet Vertrauen, weil unklar ist, ob der mächtige Präsident auch wirklich dahintersteht.

Nicht nur beim Impfen, auch grundsätzlich steckt das russische Corona-Management voller widersprüchlicher Signale. In Moskau werden Wohnungen verlost, um die Impfquote zu steigern. Dann wiederum wird gesagt, dass Russland alles unter Kontrolle habe und dass man die Pandemie besser überstanden habe als andere Länder. Menschen dürften auf großen Veranstaltungen ohne Masken feiern. Anschließend schlagen Offizielle wegen der hohen Fallzahlen wieder Alarm.

Putin: "Ich verstehe es einfach nicht"

Die Frage ist nun, wie Putin auf die gegenwärtige Eskalation reagiert. Bislang lässt er, wie gewohnt, Städte wie St. Petersburg oder Moskau schärfere Maßnahmen verhängen. Bis auf einige Ausnahmen sind nur noch Supermärkte und Apotheken geöffnet. Moskau zum Beispiel will den Lockdown aber schon ab Montag wieder verlassen, trotz weiterhin hoher Fallzahlen.

Diskutiert wird über QR-Codes als Impf- und Genesungsnachweise für den Restaurantbesuch oder im öffentlichen Nahverkehr. Ausländer hätten dann ein Problem: Viele von ihnen sind nicht im russischen Gesundheitssystem registriert und können deshalb nicht ohne Weiteres an einen Code kommen.

Trotzdem kann schon jetzt festgestellt werden, dass die Aussicht auf möglicherweise erforderliche QR-Codes in weiten Teilen des öffentlichen Lebens zu einem Anstieg des Impftempos geführt hat. Eine der wenigen guten Nachrichten.

Darüber hinaus fehlt es aber an klaren Ansagen, auch durch Putin. Eine Impfflicht lehnt der Kreml-Chef bislang ab, aus Angst vor dem Missmut der eigenen Bevölkerung. Endgültig hat er sich dazu aber nie öffentlich positioniert. Die Führungsstärke, die die Bevölkerung an Putin gewöhnlich schätzt, fehlt in der Pandemie.

Ein katastrophaler Ausblick

Das verursacht Unsicherheiten und veranlasst die russische Bevölkerung dazu, die Corona-Maßnahmen teilweise nicht wirklich ernst zu nehmen – trotz der vielen Todesopfer. Nach Verkündung der arbeitsfreien Zeit, die eigentlich im engsten Familienkreis verbracht werden sollte, berichten Medien unter Berufung auf Ticketportale über einen Anstieg an Flugbuchungen. Von Urlaub und Partys ist die Rede, nicht von Corona-Quarantäne.

Das wiederum frustriert Putin. Der russische Präsident wirkt zunehmend ratlos und genervt, wenn er seine Bevölkerung öffentlich an die Vorsichtsmaßnahmen erinnert. "Ich verstehe es einfach nicht. Ich verstehe nicht, was vor sich geht!“, sagte Putin in einer Videokonferenz. Zuvor hatte er erfahren, dass sich auch viele Menschen aus seinem Bekanntenkreis noch nicht haben impfen lassen. "Merkwürdig. Menschen mit guter Bildung, mit wissenschaftlichen Qualifikationen."

Wenn der Machthaber dermaßen ratlos auftritt, ist das in dieser Pandemie vor allem eines: ein katastrophaler Ausblick auf diesen Corona-Winter für Russland.

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