Angst vor neuer Variante Ein Corona-Sturm zieht auf
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Es herrscht Angst vor dem Ungewissen: Nach der Entdeckung von Omikron werden in vielen Teilen der Welt Infektionen mit der neuen Variante des Coronavirus bekannt. Staaten schotten sich wieder ab. Ein Überblick.
Noch tappt die Weltgemeinschaft im Dunkeln. Doch mit der Entdeckung der Omikron-Variante des Coronavirus in Südafrika könnte sich eine Sorge vieler Wissenschaftler bewahrheiten: Eine Variante mit vielen Mutationen, die nicht nur viel ansteckender ist, sondern gegen die auch die bekannten Impfstoffe weniger wirksam sein könnten.
Omikron ist wie ein Sturm in dieser Pandemie, der langsam aufzieht und bei dem die Welt noch nicht weiß, wie schlimm er am Ende werden wird. Aufgrund der Befürchtungen reagieren viele Staaten panisch, verhängen nationale und internationale Maßnahmen. Unterdessen werden immer mehr Fälle entdeckt. Doch B.1.1.529 – so die wissenschaftliche Bezeichnung von Omikron – ist noch auf dem keinem Kontinent die dominierende Variante.
Was bisher über Omikron bekannt ist:
► Die Herkunft ist unklar, trotz ihrer Entdeckung in Südafrika.
► Auch wie sich die Variante auf die Wirksamkeit der Impfstoffe auswirken wird, ist unklar. Experten und Hersteller rechnen zwar mit einer geringeren Wirksamkeit gegen Infektionen, aber zumindest noch mit einem Schutz vor schweren Krankheitsverläufen.
► Statistiken aus Südafrika deuten darauf hin, dass Omikron deutlich ansteckender ist als bisherige Varianten.
Laut US-Regierungsberater Anthony Fauci sind 226 Omikron-Fälle in 20 Ländern bestätigt worden, bislang jedoch keiner in den USA. Dabei gibt es allerdings deutliche Unterschiede in der Verbreitung.
Ein Überblick über die Omikron-Lage und die Reaktionen darauf:
1. Afrika
Auf dem afrikanischen Kontinent mangelt es an Corona-Tests und Sequenzierung, also der Analyse der Virusvarianten. Zwar wurde B.1.1.529 zum ersten Mal in Südafrika gemeldet, aber nach Angaben des südafrikanischen Epidemiologen Salim Abdool Karim wurde sie "zuerst in Botsuana und kurz darauf in Südafrika" entdeckt.
Südafrika gilt jedoch als einziger Gradmesser für die Verbreitung von Omikron, denn dort kann vor allem mit britischer Unterstützung viel sequenziert werden. Trotz des Sommers auf der Südhalbkugel rechnen Experten mit einem explosionsartigen Anstieg der Neuinfektionen im südlichen Teil des Kontinents.
"Ich rechne damit, dass wir bis zum Ende der Woche in Südafrika die Zahl von 10.000 Fällen pro Tag überschreiten", meinte der Epidemiologe Salim Abdool Karim. In der Vorwoche waren es im Schnitt nur 500 pro Tag. In der Woche davor lag der Tagesdurchschnitt bei 275. "Wir können davon ausgehen, dass eine höhere Übertragbarkeit wahrscheinlich ist und wir daher schnell mehr Fälle bekommen werden."
Die Zahl der Krankenhauseinweisungen in der Provinz Gauteng, dem Epizentrum des neuen Ausbruchs, hat sich nach offiziellen Angaben im vergangenen Monat mehr als verdoppelt. Nach Einschätzung von Gesundheitsminister Joe Phaahla besteht trotzdem "kein Grund zur Panik". "Wir waren schon einmal hier", sagte er mit Blick auf die Infektionswelle durch die Beta-Variante im vergangenen Dezember.
Wie weit die Variante im Rest des Kontinents verbreitet ist, ist noch völlig unklar – lediglich bei einem Reisenden aus Ägypten wurde sie festgestellt.
2. Europa
Durch den Reiseverkehr kam Omikron nach Europa und trifft vor allem in Mittel- und Osteuropa auf Staaten, die von der vierten Corona-Welle durch die Delta-Variante hart getroffen sind. Viele EU-Staaten reagierten deshalb schnell, Flüge von Südafrika sind nur noch für die jeweiligen Staatsbürger möglich.
In Deutschland gehen Experten nach ersten Nachweisen von Omikron bereits von einer größeren, unentdeckten Verbreitung der Variante aus. Der Zeitraum, in dem Reisende das Virus bereits international verbreiteten, betrage sicher Wochen, sagte Oliver Keppler, Vorstand am Max von Pettenkofer-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Einige Hundert Fälle können es in Deutschland vielleicht sein."
Die Virologin Sandra Ciesek rechnet damit, dass sich über die Dauer und den Umfang der internationalen Omikron-Verbreitung erst in nächster Zeit mehr sagen lässt. Wie die Variante die aktuelle Welle beeinflussen könnte, lässt sich laut Ciesek bisher nicht seriös abschätzen. "Wir haben derzeit eine ausgeprägte Delta-Welle, das allein ist schon ein großes Problem, welches eigentlich unsere volle Aufmerksamkeit fordert." Omikron führe auf jeden Fall zu weiteren Belastungen der Labore.
In Schottland wurden am Montag sechs Fälle registriert. Da bei einigen von ihnen keine direkte Verbindung zu Reisen ins südliche Afrika bestehe, sei von ersten Übertragungen innerhalb Schottlands auszugehen, sagte der stellvertretende Regierungschef John Swinney. In Österreich bestätigte sich im Fall eines Südafrika-Rückkehrers der Omikron-Verdacht, ebenso in Spanien. In Portugal haben sich zahlreiche Fußballspieler eines Erstligavereins vermutlich mit der Variante angesteckt.
In der EU wurden nach offiziellen Angaben – Stand Dienstag – bislang 42 Omikron-Fälle in zehn Ländern entdeckt. Sechs mögliche weitere Fälle würden noch untersucht, sagte Andrea Ammon, Leiterin des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten. Bei den bestätigten Fällen gebe es entweder keine Symptome oder milde Verläufe.
3. Asien
Auch über die Verbreitung auf dem asiatischen Kontinent ist noch wenig bekannt. Vor allem gibt es Sorgen vor einem größeren Ausbruch in China, weil die Olympischen Winterspiele im Februar in der Volksrepublik stattfinden sollen.
Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums versicherte, dass "China in dieser Sache Erfahrung hat" und er "vollkommen zuversichtlich ist, dass die Winterspiele ohne Sorgen ausgetragen werden können".
Peking hat die bisherigen Varianten des Virus dank sehr harter Maßnahmen weitgehend unter Kontrolle gebracht. Der internationale Flugverkehr ist weiterhin sehr stark eingeschränkt, dazu werden die Menschen massiv bei ihren Reisetätigkeiten überwacht. China vermeldet täglich nur einige Dutzend Corona-Fälle, die Omikron-Mutante ist bislang nur im autonomen Gebiet Hongkong aufgetaucht.
In Japan wurde außerdem eine Infektion mit der neuen Variante gemeldet, das Land verhängte erneut Reiseeinschränkungen.
4. Nordamerika
In den USA wurde bislang keine Infektion mit der Omikron-Variante gemeldet. US-Präsident Joe Biden warnte zudem vor übertriebener Angst. Omikron sei "ein Grund zur Sorge, kein Grund zur Panik", sagte er. Die Variante unterstreiche aber die Dringlichkeit, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen, inklusive einer Auffrischungsimpfung.
Die Vereinigten Staaten hatten zuletzt Beschränkungen für Einreisen aus den Ländern des südlichen Afrikas verhängt. Biden räumte jedoch ein, dass diese die Ankunft der Variante in den USA "nicht verhindern" könnten. Es werde "früher oder später" bestätigte Fälle geben. Die Beschränkungen dürften die Entwicklung aber verlangsamen und den Menschen damit mehr Zeit geben, sich impfen zu lassen, wie er weiter sagte.
In Kanada wurden bereits zwei Infektionen gemeldet.
5. Südamerika
In Lateinamerika sind Mitte dieser Woche die ersten Infektionen mit der Omikron-Variante gemeldet worden. Die Regierung des brasilianischen Bundesstaats São Paulo teilte am Dienstag mit, dass sich zwei Verdachtsfälle bestätigt hätten.
Bei den beiden Infizierten handelt es sich den Angaben zufolge um ein Ehepaar, das am 23. November aus Südafrika eingereist war. Die beiden waren nach ihrer Ankunft in São Paulo zunächst negativ getestet worden. Als sie sich vor ihrem Rückflug zwei Tage später erneut testen ließen, fielen die Corona-Tests positiv aus.
In Brasilien dürfen seit Montag keine Maschinen mehr aus Südafrika landen.
6. Australien
In Australien sorgte am Mittwoch eine weitere Infektion mit der neuen Variante für Beunruhigung. Die Person habe sich in einem belebten Einkaufszentrum in Sydney aufgehalten, teilten die Behörden mit. In Australien waren zuvor bereits fünf Omikron-Ansteckungen nachgewiesen worden. Im Gegensatz zu dem neu gemeldeten Infizierten waren die anderen Betroffenen aber nicht unter Menschen, sondern in Quarantäne.
Auch die australische Regierung reagierte mit Reisebeschränkungen.
Eine wichtige Mahnung
Infektionen mit der Omikron-Variante wurden also schon auf allen Kontinenten gemeldet – den Südpol ausgenommen. Das sagt jedoch nichts darüber aus, wie ansteckend die Mutante im Vergleich zu anderen bekannten Formen ist. Noch ist unklar, wie lange sie sich schon unbemerkt verbreiten konnte.
Deshalb werben Virologen weltweit momentan für einen Mittelweg – keine Panik, aber auch keine Vernachlässigung. Im besten Fall ist es für die Welt ein wichtiger Testlauf. Denn auch wenn Omikron die Wirksamkeit der Impfstoffe nicht schmälern sollte, so könnte in Zukunft dennoch eine entsprechende Variante entstehen.
Je schneller Staaten und Impfstoffhersteller darauf reagieren können, desto weniger katastrophal werden die Konsequenzen. Die gegenwärtige Omikron-Panik ist aber auch vor allem eine Mahnung an die Welt, Impfstoffe gerechter auf alle Staaten zu verteilen. Solange die Pandemie nicht global eingedämmt wird, bleiben weitere Schreckensmomente möglich.
- Spiegel: Impfpflicht gegen Omikron
- Süddeutsche Zeitung: Kopfschütteln am Kap
- Stern: Biden warnt vor Panik
- Tagesschau: Japaner begrüßen Grenzschließung
- NDR: Die Omikron-Variante und die Lage auf den Intensivstationen
- RND: Omikron vor Südafrika zuerst in Botsuana entdeckt
- NZZ: Südafrika kritisiert Reisesperren
- Mit Material der Nachrichtenagenturen afp, dpa und rtr