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Ukraine-Talk bei "Lanz" | Offener Brief zum Krieg: "Das ist Täter-Opfer-Umkehr"


"Das ist Täter-Opfer-Umkehr"
Unterzeichner des offenen Briefs an Scholz sorgt bei Lanz für Entsetzen

Von Nina Jerzy

Aktualisiert am 04.05.2022Lesedauer: 4 Min.
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Reinhard Merkel (Archivbild): Gemeinsam mit zahlreichen Prominenten forderte er in einem Brief den Stopp von Waffenlieferungen.Vergrößern des Bildes
Reinhard Merkel (Archivbild): Gemeinsam mit zahlreichen Prominenten forderte er in einem Brief den Stopp von Waffenlieferungen. (Quelle: Eventpress Stauffenberg/imago-images-bilder)

Reinhard Merkel hat den offenen Brief an Kanzler Scholz mitverfasst. Der Jurist sagt: Die Ukraine müsse über einen Waffenstillstand verhandeln. Er ist sich auch sicher: In Moskau will niemand Atomwaffen einsetzen.

Wladimir Putin sei ein rationaler Mensch. Mit dieser Grundannahme erstaunte der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel am Dienstagabend bei "Markus Lanz" die Runde. So zeigte sich der Erstunterzeichner des offenen Briefs an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), in dem vor einem Dritten Weltkrieg gewarnt wurde, überzeugt: "Ich glaube keine Sekunde, dass in Moskau irgendjemand sitzt, Herrn Putin eingeschlossen, der sagt: Irgendwann setzen wir atomare Waffen ein."

Denn das würde doch mit Sicherheit den Untergang des eigenen Landes zur Folge haben. Laut Merkel trägt die ukrainische Führung unbestreitbar eine Mitverantwortung für die vielen Todesopfer des Krieges: "Die Kinder würden lieber überleben, als den Preis für die Tapferkeit ihrer eigenen Regierung zu bezahlen."

Die Gäste

  • Reinhard Merkel, Jurist, Mitunterzeichner des offenen Briefes an Olaf Scholz
  • Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär
  • Jana Puglierin, Politologin
  • Robin Alexander, stellvertretender "Welt"-Chefredakteur

Der emeritierte Professor von der Universität Hamburg ließ bei Lanz durchblicken, dass er den auf der Internetseite der Zeitschrift "Emma" veröffentlichten Brief maßgeblich mitverfasst hat.

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Er betonte: Die Ukraine habe ein Recht und sogar eine Pflicht, sich gegen den russischen Aggressor zu verteidigen. Das Land solle sich nicht ergeben, müsse aber in Verhandlungen über einen für beide Seiten akzeptablen Waffenstillstand eintreten. Hier sei unter Umständen eine Mahnung an Kiew notwendig: "Die monatelange weitere Fortsetzung im gegenwärtigen Modus kostet Tausende von Menschenleben, und das schlicht zu ignorieren, ist moralisch verwerflich."

Merkel demonstrierte erneut Vertrauen in die rationale Entscheidungsfindung im Kreml. So ging er davon aus, dass Russland bereit zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand sei. "Ich bin hoch überzeugt davon, dass man in Moskau kapiert, dass man in einem substanziellen Sinn nicht gewinnen wird." – "Was macht Sie so sicher?", wollte Lanz wissen. "Weil das mit Händen zu greifen ist", erwiderte der Jurist.

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SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert überzeugte er damit nicht. "Das ist eine rationale Erwägung. Hatten Sie den Eindruck, dass wir es mit rational agierenden Personen zu tun hatten in den letzten Monaten?", fragte der Sozialdemokrat. Aber Merkel ließ sich nicht beirren.

Putin bereit zu Waffenstillstand?

"Wenn es sozusagen um die eigene Existenz geht, wenn Putin diesen Krieg handfest im militärischen Sinn verlieren würde, verlöre er vermutlich sogar sein Leben. Jedenfalls seine Regierungsgewalt", spekulierte Merkel.

Im Gegenzug nannte er die Hoffnung auf einen Sieg der Ukraine eine "Illusion". Die werde mit der Lieferung weiterer schwerer Waffen genährt, aber wie lange noch, fragte der Rechtsphilosoph. "Würden Sie wirklich sagen: Im allerschlimmsten Fall bis zur Vernichtung von neun Zehnteln der Ukrainer dürfen und sollen die sich weiter verteidigen und von außen weiter unterstützt werden?" Er betonte wiederholt die ethische Verpflichtung einer Regierung, nicht nur die Souveränität ihres Staatsgebietes, sondern auch das Leben der Bürger zu schützen.

Kriegsverbrechen "würden auf der Stelle aufhören, wenn die Waffen schweigen würden", zeigte sich Merkel sicher. Als "in einem hohen Maße irrational" bezeichnete er hingegen Befürchtungen, russische Truppen könnten nach einem Waffenstillstand weiter morden und vergewaltigen. Schließlich würden Waffenstillstandsvereinbarungen unter anderem durch Friedenstruppen stabilisiert.

Ebenfalls wies er Befürchtungen zurück, die Ukraine könne sich zu einem russischen Vasallenstaat im Stile von Tschetschenien unter dem diktatorischen Präsidenten Ramsan Kadyrow entwickeln. "Sie wollen doch nicht sagen, das, was dieser schreckliche Typ in Tschetschenien macht, das würde dann in der Ukraine losgehen", sagte der Jurist.

Politologin: nicht zu liefern, gleicht unterlassener Hilfeleistung

"Der einzige Waffenstillstand, den Russland akzeptiert, ist eine Friedhofsruhe", meinte hingegen Jana Puglierin, Politologin der Berliner Denkfabrik European Council on Foreign Relations. Für sie blieb bei Merkels Ausführungen die Frage ungeklärt, wie verhindert werden soll, dass die Ukraine bei Verhandlungen unter die Räder gerät. Das Land müsse sich souverän behaupten können. "Dafür müssen wir die Ukraine starkmachen und nicht schwach", forderte die Expertin.

Sie nannte die in dem offenen Brief vertretene Position zynisch. Die Ukraine sei derzeit im Osten des Landes einem "Feuersturm" aus Artilleriebeschuss ausgesetzt. Dem könnten die Soldaten nur mit gepanzerten Fahrzeugen und schweren Waffen etwas entgegensetzen. Die nicht zu liefern, käme unterlassener Hilfeleistung gleich, warnte die Politologin.

"Das ist Täter-Opfer-Umkehr"

"Sie wollen Kriegsverbrechen stoppen, indem Sie die Ukraine nicht mehr ausrüsten. Das ist doch wirklich ein seltsamer Gedanke", meinte der stellvertretende "Welt"-Chefredakteur Robin Alexander.

Die Ukraine solle durch den Stopp an Waffenlieferungen in Verhandlungen mit Russland gezwungen werden: "Wenn man das zu Ende denkt, ist das ein harter Zynismus." Außerdem sei es doch gerade die ukrainische Armee, die das Leben von Kindern schütze. Dass Merkel deren Tapferkeit dem Schicksal der Kinder entgegensetze, "da bin ich doch etwas entsetzt".

"Das ist Täter-Opfer-Umkehr", kritisierte auch Lanz mit Blick auf eine Passage in dem offenen Brief. Dort wurde behauptet, dass die Verantwortung für eine mögliche atomare Eskalation auch diejenigen trifft, die dem Aggressor "sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern".

Kühnert unterstrich: Ausschließlich die demokratisch gewählte Regierung der Ukraine kann entscheiden, ob und unter welchen Umständen sie Verhandlungen über eine Waffenruhe aufnehmen will. Das Verhalten der russischen Führung seit der Annexion der Krim 2014 gebe keinerlei Grund, ihr zu vertrauen.

Kühnert kritisiert Merz' Reise in die Ukraine

Zugleich betonte der SPD-Generalsekretär jedoch: Ängste vor einem Flächenbrand in Europa dürften nicht beiseite gewischt werden. Weniger Sympathien zeigte der SPD-Generalsekretär für die Reise des CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz nach Kiew. "Über die Motive dieser Reise kann man unterschiedlicher Ansicht sein", sagte Kühnert.

Merz' erster Tweet aus dem Schlafwagen habe nicht gerade den Eindruck vermittelt, dass dieser sich auf staatstragender Mission befindet. Es sei dem Oppositionsführer da mehr um dessen eigene Sicherheit statt um die der Ukraine gegangen, unterstellte Kühnert: "Ich persönlich hätte das anders entschieden." Das Treffen von Merz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sei unerwähnt geblieben.

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Kühnert verteidigte stattdessen zum wiederholten Mal die Entscheidung von Scholz, vorerst nicht in die Ukraine zu reisen. "Ist die deutsche Solidarität in Wort, Tat, Waffenlieferungen, humanitärer Hilfe, in irgendeiner Weise dadurch eingeschränkt? Nein."

Lanz sah das anders. Im Kriegsgebiet würden Zehntausende Menschen sterben. "Und wir sitzen hier und ein deutscher Bundeskanzler erklärt im Fernsehen: Ich kann dort nicht hin, um ein deutliches Zeichen von Empathie und Solidarität zu liefern, weil ihr vorher böse zum Bundespräsidenten wart. Ich komme da nicht mit."

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