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Syrien: Nach Afrin: Legt sich Erdogan jetzt mit den USA an?


Schnell erklärt: Afrin-Eroberung
Legt sich Erdogan in Syrien jetzt mit den USA an?

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 20.03.2018Lesedauer: 4 Min.
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Erdogan bei einer Rede in Ankara: Der türkische Präsident kündigte an, nach dem Erfolg in Afrin die Offensive auch auf andere syrische Provinzen auszuweiten.Vergrößern des Bildes
Erdogan bei einer Rede in Ankara: Der türkische Präsident kündigte an, nach dem Erfolg in Afrin die Offensive auch auf andere syrische Provinzen auszuweiten. (Quelle: ap-bilder)

Nach der Einnahme von Afrin nimmt Präsident Erdogan andere kurdische Gebiete in Nordsyrien ins Visier.

Die Einnahme von Afrin durch die Türkei und ihre verbündeten Kräfte dürfte für Präsident Recep Tayyip Erdogan erst der Anfang gewesen sein. Nach dem Erfolg in der kurdischen Enklave verfügt der türkische Präsident über die Kontrolle über einen weiten Landstrich in Nordsyrien. Gleichzeitig macht all das seine Truppen zu einer Besatzungsmacht in einem Territorium voller Feinde.

Ungeachtet der Kritik aus Europa und den USA haben die türkischen Kräfte und verbündete syrische Milizen Afrin unter ihre Kontrolle gebracht. Erdogan kündigte daraufhin an, dass der Militäreinsatz damit noch lange nicht vorbei sei. Nun könnten andere kurdische Gebiete in Syrien oder gar im benachbarten Irak dran sein, drohte er – ein Szenario, das seine Soldaten möglicherweise Auge in Auge mit den dort stationierten Truppen des Nato-Verbündeten USA stellen könnte.

Wie geht es jetzt in Nordsyrien weiter? Hier eine Analyse der gegenwärtigen Situation:

Worum geht es Erdogan wirklich?

Das ist die große Frage. Lange Zeit hat die Türkei Rebellen unterstützt, die dafür gekämpft haben, den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu stürzen. Dafür hat Ankara seine Grenzen für ausländische Kämpfer geöffnet, damit diese sich dem Krieg in Syrien anschließen konnten. Dieser Krieg hat nun aber Erdogans oberstem Feind Auftrieb gegeben: den Kurden.

Die kurdischen Kämpfer werden von der Türkei als "Terroristen" bezeichnet und als verlängerter Arm der verbotenen Arbeiterpartei PKK betrachtet. In den Wirren des Syrien-Konflikts haben sich diese kurdischen Kämpfer mit den USA verbündet, um die Terrormiliz Islamischer Staat zu bekämpfen. Gleichzeitig haben sich die Kurden eine riesige autonome Region entlang der Grenze zur Türkei erkämpft. Sie umfasst ein knappes Viertel des gesamten Staatsgebiets Syriens.

Die Zugewinne der Kurden haben Erdogan dazu gebracht, seine Strategie zu überdenken. Sein Fokus liegt nun vor allem darin, den kurdischen Expansionsdrang einzudämmen. Mehrmals hat er darauf verwiesen, dass die Türkei keinen "Terrorkorridor" entlang ihrer Grenze erlauben werde. Er hat gelobt, nach Afrin auch weiter östlich in Syrien einzugreifen, um die kurdische YPG-Miliz davon abzuhalten, Territorien zu verbinden, die sie im Osten und Westen des Landes kontrolliert.

In der Türkei leben rund drei Millionen syrische Flüchtlinge. Ankara hat ins Spiel gebracht, dass Afrin ein Ort sein könnte, in den diese Flüchtlinge zurückkehren könnten. Wie das aussehen soll, ist aber noch völlig unklar.

Afrin ist im Großen und Ganzen ein einfaches Ziel gewesen für die Türkei, denn die Stadt war vom restlichen kurdischen Territorium abgeschnitten. Weiter östlich dürfte das schwieriger werden. Und Erdogan riskiert, den Bogen zu überspannen und in einem Kampf zu versinken, der zu groß ist, als dass die Türkei ihn bewältigen kann.

Wie geht es weiter?

Eine Menge hängt davon ab, ob Erdogan ernst macht und die Militäreinsätze auf Manbidsch, Kobane und andere Städte entlang der syrisch-türkischen Grenze östlich des Euphrat ausweitet. Die Gebiete stehen unter der Kontrolle kurdischer Milizen. Dort sind auch US-Truppen stationiert. Während sich die USA aus Afrin heraushalten konnten, wäre das etwa in Manbidsch unmöglich. Die von den Kurden angekündigte Guerillataktik gegen die Türkei und ihre syrischen Verbündeten könnte gleichzeitig Probleme für die US-geführte Mission darstellen, ehemalige IS-Gebiete zu stabilisieren.

Erdogan sagte schon einmal vorsorglich, dass strategische Partner gegenseitigen Respekt füreinander zeigen und miteinander voranschreiten müssten.

Wie ernst müssen die Drohungen von Erdogan genommen werden?

Erdogan kündigte an, dass Afrin nur "eine Etappe" gewesen sei. Die Armee werde auch die Stadt Manbidsch einnehmen, die von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) kontrolliert wird.

Die US-Regierung äußerte umgehend ihre "ernste und wachsende Sorge". Sollte die Türkei ernst machen mit der Offensive auf Manbidsch, droht eine direkte Konfrontation. Manbidsch sei "ein Pulverfass für die beiden Nato-Partner", sagt Aaron Stein vom Politikinstitut Atlantic Council. Er rät, die Drohungen Erdogans nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Dieser sei ernsthaft entschlossen, die Offensive auf die Stadt durchzuziehen, glaubt Stein.

Wie reagiert Baschar al-Assad?

Der Profiteur der türkischen Operation in Syrien ist Machthaber Assad. Erdogan hilft unfreiwillig dem syrischen Regime, seine Machtbasis in Nordsyrien wiederherzustellen, da die Kurden angesichts der militärischen Überlegenheit der Türkei dazu gezwungen werden, mit Assad zusammenzuarbeiten.

Die Reaktion Assads ist noch völlig offen. Dessen Truppen sind momentan in erster Linie damit beschäftigt, Ost-Ghuta bei Damaskus und andere als wichtiger betrachtete Gebiete von Rebellen zurückzuerobern. Das türkische Vorgehen verurteilte er aber bereits als "Besatzung". Assad versprach dabei, die Region im Norden seines Landes über kurz oder lang zurückzugewinnen.

Damit spricht Assad vor allem syrische Nationalisten an, die die Türkei seit dem Konflikt im Sandschak Alexandrette als Besatzungsmacht sehen. Auch wenn der syrische Machthaber nichts dagegen hat, wenn Erdogan die Kurden in Nordsyrien entmachtet, so wird auch er irgendwann gezwungen sein, gegen die als "Invasoren" betitelten Türken vorzugehen.

Bis dahin profitieren das syrische Regime und Russland davon, dass die Welt nicht nur auf die Luftangriffe in Ost-Ghuta schaut, sondern auch auf Erdogans Offensive gegen die Kurden.

Was bedeutet das für die Kurden?

Für sie ist das ein riesiger Rückschlag. Bis vor wenigen Monaten galten die lange Zeit in Syrien ausgegrenzten Kurden als größte Gewinner des Konflikts. Sie brüsteten sich damit, die größte Bodentruppe zu sein, die am Sturz des IS beteiligt gewesen ist, sei es in dessen Hochburg Rakka oder anderswo.

Der kurdische Traum von der Selbstbestimmung rückt nun zunehmend in weite Ferne. Ihnen droht, wie schon so oft, an den Rand gedrängt zu werden, während die Großmächte um Einfluss in Syrien ringen.

Apropos Großmächte: Die USA hat die am 20. Januar begonnene türkische Militäroffensive auf Afrin in eine unangenehme Situation gebracht. Plötzlich saßen sie zwischen den Stühlen – ihr einziger Verbündeter innerhalb Syriens auf der einen und ihr Nato-Verbündeter Türkei auf der anderen Seite. Washington hat sich letztlich dazu entschlossen, keinen Finger für die Kurden in Afrin krumm zu machen.

Die Kurden haben gelobt, die Enklave bis zum Ende zu verteidigen. Hunderte Kämpfer wurden von den Frontlinien im Kampf gegen den IS nach Afrin abgezogen. Am Ende war die türkische Feuerkraft zu groß: Mehr als 800 kurdische Kämpfer und schätzungsweise 500 Zivilisten sind in den 58 Tagen des Kampfes um Afrin gefallen. Rund 200.000 Bewohner haben in den vergangenen Tagen die Flucht vor den türkischen Truppen ergriffen.

Verwendete Quellen
  • dpa. AP, afp
  • Eigene Recherchen
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