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Vor G7-Gipfel: Wie den Menschen in Afghanistan die Zeit davonläuft


Vor G7-Verhandlungen
Wie den Menschen in Afghanistan die Zeit davonläuft

  • David Schafbuch
Von David Schafbuch

Aktualisiert am 24.08.2021Lesedauer: 4 Min.
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Hier kämpft der Widerstand: Das ist die letzte Bastion gegen die Taliban – und diese beiden berühmten Männer führen sie an. (Quelle: t-online)

Beim heutigen G7-Sondergipfel wird wohl entschieden, wie lange das Militär noch evakuiert. Schon jetzt aber steht fest: Alle Ortskräfte der Alliierten in Afghanistan werden nicht gerettet werden.

Es ist ein Foto, mit dem Marcus Grotian die gesamte Tragik der Situation in Afghanistan verdeutlichen will: Auf seinem Handy zeigt der Bundeswehroffizier ein kleines afghanisches Mädchen, das im Juli geboren wurde. Sie sei der Grund, warum die Familie aktuell das Land nicht verlassen könne. Denn anders als bei ihren Eltern, konnte ihr noch kein Visum ausgestellt werden. Deswegen sitzt die Familie in der Hauptstadt Kabul fest.

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Er höre im Moment häufig von Veteranen, die von den Geschehnissen erneut traumatisiert seien, sagt Grotian, der auch Vorsitzender des Patenschaftsnetzwerks für afghanische Ortskräfte der Bundeswehr ist, auf einer Pressekonferenz in Berlin. Die Ursache dafür sei allerdings nicht das Vorgehen der islamistischen Taliban, sondern das Handeln der Bundesregierung. "Wir sind von der eigenen Regierung moralisch verletzt und das ist beschämend", urteilt Grotian.

Deutlich mehr Ortskräfte als angenommen

In seinen Ausführungen macht Grotian an vielen Beispielen deutlich, wie sehr die Bundesregierung beim Schutz der eigenen Ortskräfte aus seiner Sicht versagt hat. Seit der Konferenz der Innenminister im Juni habe festgestanden, dass rund 2.000 Ortskräfte plus Angehörige berechtigt waren, das Land zu verlassen. Grotian habe dafür mit seinem Netzwerk sichere Unterkünfte eingerichtet, in denen die Familien auf die Ausstellung ihrer Visa warten konnten. Allerdings sei danach offenbar kein einziger Fall erfolgreich bearbeitet worden.

Den handelnden Ministerien wirft der Offizier "bürokratische Tricks" vor, um die Zahl der ausreiseberechtigten Ortskräfte möglichst niedrig zu halten. Grotian geht davon aus, dass rund 8.000 Personen das Recht hätten, auszureisen, weil sie für die Bundeswehr oder andere deutsche Institutionen in Afghanistan tätig waren. Doch die Auswahl der Personen erfolge vor Ort sehr bürokratisch anhand von festgelegten Personenlisten – viele andere Staaten gingen pragmatischer vor, kritisiert Grotian. "Alle anderen Länder evakuieren alle Ortskräfte. Wir die, die man ausgewählt hat. Das finden wir verwerflich."

Maas: Werden nicht mehr alle retten können

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) stellt die Situation anders dar. "Es braucht niemand ein Visum, niemand muss eine Sicherheitsüberprüfung durchlaufen, um nach Deutschland ausgeflogen zu werden", sagte Maas der "Bild". Bisher konnte die Bundeswehr laut Maas mehr als 3.000 Personen aus dem Land holen. Allerdings wird immer deutlicher, dass nicht nur Deutschland bei der Rettungsmission die Zeit davonläuft.

Die Frist für den Abzug aller ausländischen Truppen aus Afghanistan endet zum 31. August. Selbst in diesem Zeitraum hält Maas es allerdings nicht mehr für möglich, alle schutzbedürftigen Menschen ausfliegen zu lassen: "Wir werden in den verbleibenden Tagen dieser militärischen Evakuierungsaktion nicht alle aus Afghanistan rausbekommen können. Das gebietet die Ehrlichkeit, das zu sagen."

Biden: Chaos war unausweichlich

Die Entscheidung, wie eine weitere Strategie für das Krisengebiet aussieht, dürfte schon am Nachmittag auf einem Sondergipfel der G7-Staaten fallen. Dabei hatten zunächst einige Mitgliedstaaten wie Großbritannien noch die Hoffnung gehabt, die Frist zu verlängern. Das scheint allerdings aus zwei Gründen unwahrscheinlich. Auf der einen Seite sind die Taliban bisher nicht zu weiteren Zugeständnissen bereit. Es handele sich um eine "rote Linie", teilte ein Sprecher dem britischen Sender "Sky News" am Montag mit.

Auf der anderen Seite ist auch US-Präsident Joe Biden wenig gesprächsbereit. "Ich denke, dass die Geschichte festhalten wird, dass dies die logische, rationale und richtige Entscheidung war", sagt Biden über seinen umstrittenen Beschluss zum bedingungslosen Truppenabzug. Die Szenen am Flughafen in Kabul nennt er zwar "herzzerreißend", behauptet aber zugleich, Chaos beim Abzug und der Evakuierung von Schutzsuchenden wäre unausweichlich gewesen. Auch aus anderen Staaten mehren sich inzwischen die Signale, dass eine Verlängerung des Einsatzes unwahrscheinlich ist.

Verlängerung unwahrscheinlich

Aktuell sichern noch rund 6.000 US-Soldaten den Flughafen in der afghanischen Hauptstadt. Ein Abzug der amerikanischen Streitkräfte dürfte automatisch dazu führen, dass sich auch die anderen Staaten zurückziehen. Das französische Außenministerium kündigte bereits an, man werde die Luftbrücke bereits am Donnerstag beenden, sofern Biden an seiner Entscheidung festhält. Ähnlich äußerte sich auch der britische Verteidigungsminister Ben Wallace: "Dann werden wir auch gehen müssen."

Heiko Maas kündigte an, dass es bereits Überlegungen mit den USA und Großbritannien gibt, wie Evakuierungen auch nach dem Ende des Militäreinsatzes möglich sein könnten. Dafür müsse man allerdings "Wege gehen, die man nicht gehen will." Was genau das bedeute, ließ der Außenminister offen. Der außenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Omid Nouripour, machte gegenüber "Welt" deutlich, dass es dafür Gespräche mit den USA, aber wohl auch mit den Taliban brauche: "Die sitzen quasi auf dem Zaun des Flughafens mit Bazookas in der Hand, da kann man nicht einfach den Flugverkehr weiter aufrechterhalten. Deshalb ist es notwendig, die Gespräche auf beiden Seiten zu führen."

Auf den baldigen Rückzug des Militärs geht Marcus Grotian in seiner Pressekonferenz nicht genauer ein. Er höre von Planungen, auch sein Patenschaftsnetzwerk bereite sich dementsprechend vor. Seine Aufgaben werden sich ohnehin nicht verändern: "Wir werden Ortskräfte, nur weil wir sie zurückgelassen haben, nicht nicht unterstützen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Nachrichtenagentur dpa, AFP und Reuters
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