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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ökonomen schlagen Alarm "Dann dürfen wir uns nicht wundern"

Drei führende Ökonomen warnen, dass Deutschland in der Wirtschaft deutlich hinter anderen Nationen zurückbleibt. Ihre neue Studie fordert tiefgreifende Reformen und Steuererleichterungen.
Die jüngsten Anschläge und das Ringen um die Sicherheits- und Migrationspolitik bestimmen den Wahlkampf. Und das so sehr, dass das Thema, das laut Umfragen viele Menschen ebenso beschäftigt, kaum mehr zur Sprache kommt: die Wirtschaftspolitik, der schleichende Abstieg Deutschlands, Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz, drohender Wohlstandsverlust.
Weg sind die Probleme darum aber nicht, im Gegenteil. Zuletzt erst hat das Statistische Bundesamt Zahlen zum vergangenen Jahr vorgelegt. Demnach ist die deutsche Wirtschaft 2024 zum zweiten Mal in Folge geschrumpft. Und das laufende Jahr dürfte kaum besser laufen: Die Bundesregierung rechnet für 2025 beim Bruttoinlandsprodukt nur noch mit einem Mini-Plus von 0,3 Prozent. Zum Vergleich: In Ländern wie den USA, den Niederlanden oder der Schweiz läuft die Wirtschaft deutlich besser, dort erwarten Ökonomen Wachstumsraten jenseits von einem oder gar zwei Prozent in diesem Jahr.
Auch deshalb schlagen drei der einflussreichsten Ökonomen des Landes jetzt Alarm. In einer neuen Studie für die arbeitgebernahe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) zeichnen die Volkswirte Lars Feld, Veronika Grimm und Volker Wieland ein düsteres Bild vom Status quo – und richten sich mit deutlichen Appellen an die nächste Bundesregierung.
"Putin ist schuld" reiche als Ausrede nicht aus
Die deutsche Wirtschaft stecke in der "Strukturkrise", sagte bei der Präsentation der Studie am Donnerstag in Berlin Volker Wieland. Mit Blick auf die anderen Länder sagte er: "Deutschland hat die rote Laterne fest in der Hand", so Wieland. "Die Ausrede 'Putin ist schuld' reicht dafür nicht aus."
Zwar leide die Industrieproduktion weiterhin stark unter den hohen Energiekosten, die im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine stark gestiegen waren. Anderen Ländern aber sei es gelungen, diese Mängel strukturell zu lösen. Den Vereinigten Staaten etwa sei es gelungen, den Dienstleistungssektor stärker auszubauen und damit den Rückgang der Industrieproduktion auszugleichen.
Mit Wieland, Feld und Grimm haben drei Schwergewichte der Forschung die Studie unter dem Titel "Für eine echte Wirtschaftswende" erarbeitet. Veronika Grimm ist eine der aktuellen Wirtschaftsweisen, Feld und Wieland gehörten dem Beratergremium der Bundesregierung bis vor Kurzem ebenfalls an. Die Drei eint ein ordoliberaler Blick auf ihr Fach, das heißt: Sie setzen sich für eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik ein, die weniger auf staatliche Subventionen für einzelne Unternehmen oder Branchen setzt und mehr auf Steuersenkungen in der Breite.
"Dann dürfen wir uns nicht wundern"
Feld bemängelte denn auch die "Struktur der Staatsausgaben", konkret: Bund, Länder und Kommunen gäben zu viel für Transferleistungen und für laufend anfallende Kosten aus – und zu wenig für echte Investitionen in die Zukunft. Problematisch sei auch, dass die Unternehmen in Deutschland zu wenig investieren würden. Sein Appell: Die Steuern für die Unternehmen müssen runter, auch weil sie in anderen Ländern, wie absehbar etwa in den USA, stark sinken.
"Wenn es für Unternehmen bei uns bald doppelt so teuer ist wie in den USA, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Firmen lieber in Amerika investieren als bei uns", warnte Feld. "Es ist deshalb notwendig, die Steuern insgesamt und in der Breite zu senken und nicht nur Subventionen an einzelne Unternehmen zu verteilen."
Damit kritisierte Feld auch das SPD-Wahlkampfversprechen eines "Made in Germany"-Bonus. Diesen sollen Firmen erhalten, die etwa Geld in neue Anlagen an deutschen Produktionsstandorten investieren. "Das ist ökonomisch nicht sinnvoll", sagte er. Ein Grund dafür: Ein solches Instrument sei anfällig für "politische Gestaltung", zum Beispiel eine Vorgabe, dass die betroffenen Firmen Tariflöhne zahlen müssten.
Nur wenig Hoffnung auf "echte Wirtschaftswende"
Als ebenso wichtiges Politikfeld sehen die drei Ökonomen die Strom- und Energieversorgung. Hier müsse, so Grimm, der EU-Klimazertifikatehandel endlich vollumfänglich greifen. Dieser stellt sicher, dass CO2 nur dort eingespart wird, wo es am einfachsten und günstigsten ist.
Auch betonte sie die Bedeutung von Wasserstoff als Energieträger der Zukunft. "Wenn wir ein klimaneutrales Industrieland sein wollen, brauchen wir große Mengen Wasserstoff", sagte sie. Und warnte zugleich: "Aktuell laufen uns andere Länder den Rang ab."
Außerdem fordern die Experten eine andere Rentenpolitik, um einen Kollaps des Umlagesystems der gesetzlichen Rente zu verhindern. Feld: "Das Renteneintrittsalter muss steigen. Bestenfalls binden wir es an die Lebenserwartung der Menschen." Da das jedoch kaum politisch umsetzbar erscheint, sei zumindest eine Anpassung der Rentenformel in der nächsten Legislaturperiode geboten. Würde diese etwa einen "Eckrentner" berücksichtigen, der standardmäßig 47 Jahre arbeitet statt wie heute 45 Jahre, ließen sich Beitragsanhebungen für die Arbeitnehmer bis in die 2030er-Jahre hinein ausschließen.
"Die nächste Legislaturperiode muss eine Legislaturperiode der Reformen werden", erklärte Feld. Allerdings fürchtet er, dass es angesichts der möglichen Regierungskoalitionen nach der Wahl dazu kaum kommen kann. "Meine Hoffnung auf eine echte Wirtschaftswende sind nicht groß", sagte er. Grund dafür: Auch in einem möglichen Zweierbündnis von CDU/CSU und SPD oder Grünen würden ähnlich wie schon bei der Ampel gänzlich verschiedene wirtschaftspolitische Ansätze aufeinandertreffen.
- Pressekonferenz der INSM am 13. Februar 2025