Wenn aus "Die nicht!" "Jetzt erst recht!" wird
So verschieden die Ansichten der Parteien sind, in einem sind sie sich einig: in der Ablehnung der AfD. Doch die Anti-AfD-Kampagne von CDU, SPD & Co. kรถnnten eine ungeplante Nebenwirkung haben.
Je nรคher der Wahltag rรผckt, desto lauter warnen die Politiker der etablierten Parteien vor der AfD. Hรคufig ist dabei auch der "Nazi"-Vorwurf zu hรถren. Diese klare Abgrenzung ist zum Teil einer Entwicklung geschuldet, die auch einige Mitglieder der AfD als fortgesetzten "Rechtsruck" ihrer Partei erleben. Trotzdem ist es eine riskante Strategie. Denn Trotzreaktionen sind beim Wรคhler als Nebenwirkung nicht ausgeschlossen.
Auรenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat es klar formuliert. Er fรผrchte, dass mit einem Einzug der AfD in den Bundestag "zum ersten Mal nach Ende des Zweiten Weltkriegs im deutschen Reichstag wieder echte Nazis" sitzen, sagte er im Interview mit t-online.de. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bezeichnete AfD-Parteichef Alexander Gauland im t-online.de-Interview als "Hardcore-Rechtsextremisten".
Linken-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht warnt, die AfD brรคchte "Halbnazis oder sogar richtige Nazis" mit. FDP-Vize Wolfgang Kubicki sieht die AfD als schรคrfsten Konkurrenten im Kampf um Platz drei. Auch er warnt jetzt eindringlich davor, die Rechtspopulisten zu wรคhlen: "Es fรคngt mit der Verrohung der Sprache an und schlieรlich kommt Gewalt."
Auch Grรผnen-Spitzenkandidatin Katrin Gรถring-Eckardt hofft, mit dem Schreckgespenst AfD die Unentschlossenen zu den Urnen zu treiben. Sie sagt: "Die Gefahr, dass die Nazis von der AfD in den Deutschen Bundestag einziehen, und dass sie stark werden, das macht mir ganz persรถnlich Sorge, das macht vielen Wรคhlerinnen und Wรคhlern Sorge, und das wird auch Leute animieren, รผberhaupt zur Wahl zu gehen und dann demokratisch zu wรคhlen und dann hoffentlich Grรผn zu wรคhlen."
Es kรถnnte zu Trotzreaktionen kommen
Roman Maria Koidl, Unternehmer und Publizist, hรคlt diese Strategie der Wรคhler-Mobilisierung durch Abgrenzung fรผr "wahnsinnig gefรคhrlich, weil das den politischen Gegner stรคrkt und nicht schwรคcht". Der Publizist war im letzten Bundestagswahlkampf kurze Zeit als Berater fรผr die SPD im Einsatz. In seinem neuen Buch "Warum wir Irre wรคhlen" (Hoffmann und Campe) wirft Koidl der SPD vor, sie habe mit ihrer Kampagne fรผr "soziale Gerechtigkeit" diesmal "das Thema verfehlt" und damit auch der AfD genutzt.
Koidl schreibt: "Auf den Straรen halten die Demonstranten keine Plakate gegen soziale Missstรคnde in die Hรถhe - sie lehnen das politische System insgesamt ab, die Medien und Eliten gleich mit dazu." Wer jetzt sage, man dรผrfe auf keinen Fall die AfD wรคhlen, kรถnne bei Wรคhlern "Trotzreaktionen" hervorrufen. Denn es bestehe die Gefahr, dass einige von ihnen dann "den Zuspruch fรผr die AfD als einen Widerstand gegen die vermeintliche Bevormundung" empfรคnden.
Auf diesen Effekt kรถnne auch die Parteispitze der AfD spekulieren. Jedenfalls antwortet AfD-Chefin Frauke Petry auf die Frage, was sie von den aktuellen Mobilisierungsversuchen der anderen Parteien halte, sรผffisant: "Es ist vรถllig in Ordnung, die Bรผrger zur Wahl aufzurufen und sie damit daran zu erinnern, ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen. Ich bin mir sicher, wer vorher nachdenkt und nicht aus Gewohnheit das vermeintlich kleinere รbel wรคhlt, wird am kommenden Sonntag die richtige Entscheidung treffen."
Die AfD bestimmt die Agenda
Der Wahlkampfmanager der Grรผnen, Michael Kellner, sieht keine Gefahr, dass man die Unentschlossenen mit einer starken Anti-Kampagne in die Arme der AfD treiben kรถnnte. Er sagt: "Stark macht die AfD nicht politischer Widerspruch, sondern eine Anpassung an deren Parolen und Argumentationsmuster, sei es durch andere Parteien oder durch Medien." Auรerdem dรผrfe es kein Schweigen geben zu "vรถlkischer und rassistischer Hetze".
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In diese Kategorie gehรถrt nach Ansicht vieler Politiker auch die Wahlkampf-รuรerung von AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland, der meinte, die Deutschen dรผrften stolz sein auf "die Leistungen deutscher Soldaten" im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Auf Nachfrage erklรคrt Gauland jetzt, damit habe er "Leistungen des Mutes und der Tapferkeit" gemeint - "das hat mit den Verbrechen der Fรผhrung nichts zu tun". Buchautor Koidl beschreibt diese Strategie so: "Die AfD schieรt einen Ball hoch, die anderen empรถren sich." Dann redeten alle รผber den Ball, "und damit bestimmt die AfD dann die Agenda".