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Martin Sonneborn: "Ich halte Olaf Scholz für gefährlicher als Armin Laschet"


Martin Sonneborn
"Ich halte Scholz für gefährlicher als Laschet"

InterviewVon Tim Blumenstein

Aktualisiert am 25.09.2021Lesedauer: 9 Min.
Interview
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Scharfe Attacke: Sonneborn holt in 90 Sekunden zum Rundumschlag aus. (Quelle: t-online)

Die Bundestagswahl wird zum Krimi. Warum Stimmen für seine Satirepartei trotzdem nicht verschenkt sind und eine Kanzlerin Baerbock für ihn das geringste Übel ist, erklärt Martin Sonneborn hier.

Spaßig war dieser Wahlkampf nicht unbedingt. Alle drei Kanzlerkandidaten waren mit kleinen oder größeren Skandalen beschäftigt, ringen seit Monaten ernsthaft um die Gunst der Wähler. Umfragen zufolge läuft alles auf ein knappes Ergebnis und komplizierte Koalitionsverhandlungen hinaus.

Und dann gibt es da noch "Die Partei". Sie wirbt für eine Bierpreisbremse und ein Existenzmaximum. Was wollen sie eigentlich? Und wie reagiert die Satiregruppe auf Sexismus-Vorwürfe? Der Parteivorsitzende und Europaparlamentarier Martin Sonneborn antwortet.

t-online: Herr Sonneborn, warum sollten die Wähler bei dieser richtungsweisenden Wahl am Sonntag ihr Kreuz bei einer Spaßpartei machen?

Martin Sonneborn: Wir stehen da, wo wir in Mandaten sind – im Bundestag, im Europaparlament genauso wie in rund 220 Kommunen – für Transparenz. Wir stehen für unterhaltsame Kritik mit satirischen Mitteln. Ich glaube, dass man uns als nicht korrupte und ehrliche Opposition schätzt, die Öffentlichkeit herstellen kann. Und dafür, dass wir junge Leute für den politischen Bereich interessieren können.

Also ist eine Stimme an die Partei keine verschenkte Stimme? Ist die Wahl nicht zu wichtig, um eine Kleinpartei zu wählen?

Ganz sicher ist das keine verschenkte Stimme. Schon weil wir für jede 90 Cent Wahlkampfkostenerstattung erhalten. Aber im Ernst: Es ist eigentlich so, dass die Fünf-Prozent-Hürde kein wirklich demokratisches Element ist und deswegen wurde sie auch im Europaparlament abgeschafft. Die Situation ist mittlerweile viel zu ernst, um nicht satirisch zu wählen.

Wenn man ins Wahlprogramm der Partei schaut, fordern Sie unter anderem Wirecard für alle oder eine Bierpreisbremse. Damit lassen sich wahrscheinlich nicht viele Menschen überzeugen. Wofür steht "Die Partei" außerdem?

Wir haben derzeit zwei Schwerpunkte. Das eine ist das Klima. Das andere sind die sozialen Verhältnisse.

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Und was schwebt Ihnen da vor?

Wir versuchen ein bisschen Missgunst zu schüren gegenüber den Super-duper-Reichen in diesem Land. Es gibt heute ein Prozent, das extrem reich ist und das Geld nur noch in irgendwelchen Fonds parkt, was dann wiederum Immobilien- und Dönerpreise in die Höhe treibt. Deswegen fordern wir ein Existenzmaximum von zehn Millionen Euro. Und beim Klima fordern wir, dass die Erderwärmung auf gar keinen Fall höher als 1,5 Grad Celsius pro Jahr ausfallen darf. Dafür wird die Partei alle relevanten Wirtschaftszweige auffordern, eine Selbstverpflichtung im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten zu, hüstel, erwägen. Ich fürchte, das ist leider schon das Radikalste, was derzeit in der Politik gefordert wird.

Trotz dieser wohl nicht ernstgemeinten Forderungen ist Ihre Partei besonders bei jüngeren Menschen beliebt. Bei der letzten Europawahl waren Sie unter den Erstwählern sogar drittstärkste Kraft. Was macht Ihre Partei anders als die etablierten Parteien?

Wir arbeiten mit den Stilmitteln der Satire. Wir nutzen Poesie, Komik und brachialste Polemik als Möglichkeit, Standpunkte zum Ausdruck zu bringen. Komische Plakate oder Reden im EU-Parlament, die mit einem kleinen Witz versehen werden, setzen sich natürlich im Netz viel besser durch als das 60-minütige Phrasengedresche einer Ursula von der Leyen.

Die Rede von Martin Sonneborn, die er als Antwort auf Ursula von der Leyens Rede zur Lage der EU im EU-Parlament gehalten hat, können Sie oben im Artikel sehen oder hier.

Aber nicht jeder, der sich Ihre Rede auf YouTube anschaut, setzt auch automatisch das Kreuz bei Ihrer Partei.

Wir konstatieren eine Erosion in den großen Volksparteien. Und ich glaube, dass wir als ehrliche Protestwahl-Möglichkeit wahrgenommen werden und mittlerweile auch als ehrlicher Makler von Interessen junger Menschen oder von Bürgern, die sich nicht mehr repräsentiert finden in den anderen Parteien.

Brauchen denn andere Parteien einfach mehr Humor, um verstärkt auch Jüngere anzusprechen?

Also ich glaube nicht, dass Humor in der Politik ein allgemein verfügbares Mittel ist oder sein sollte. Ich erwarte von anderen Parteien nicht, dass sie unterhaltsamen Wahlkampf machen, sondern dass sie vernünftige Konzepte zur Bewältigung der Krisen finden. Und die Partei hat es natürlich einfach: Wir sind eine Fundamentalopposition. Wir sind die einzigen, die auch nach der Wahl mit absoluter Sicherheit in der Opposition sein werden und auch nach der übernächsten Wahl.

Sollten Sie mit Ihrer Partei den Sprung ins Berliner Abgeordnetenhaus schaffen, müsste sich Ihre Parteiarbeit aber auch ein Stück weit ändern. Laut Umfragen stehen Ihre Chancen nicht schlecht.

Es ist ja nicht alles Fun, was wir machen. Wenn ich mich im Netz umschaue, schreiben immer mehr junge Leute, dass sie das Europäische Parlament eigentlich erst durch die Partei kennen- und einschätzen gelernt haben.

Und diese Rolle schwebt Ihnen auch für Deutschland vor?

Wenn uns in Berlin eine ähnliche Arbeit gelingt, wäre das ein guter Anfang. Ich würde es als reizvolle Aufgabe sehen, das langweilige Abgeordnetenhaus mit zehn, zwölf Leuten aufzumischen.

Im Bundestag haben Sie mit Marco Bülow einen Abgeordneten, der als ehemaliger SPD-Politiker mehr für Realpolitik als Satire steht. Macht die Spaßpartei jetzt Ernst?

Unser Markenkern ist ganz einfach Satire. Das ist es, was wir beherrschen und das ist auch, was uns Spaß macht. Wir werden jetzt nicht umschwenken auf langweilige Sachpolitik. Aber ich beobachte auch bei mir selbst, dass häufiger ernsthafte Momente durchscheinen. Das ist aber eigentlich auch nur Ausdruck allgemeiner Verzweiflung an der EU und an der politischen Situation in Deutschland.

Ihre Partei war einige Male Gegenstand von Kritik. Es gab Medienberichte über Sexismus-Vorfälle. Auch der hohe Männeranteil in der Partei wurde bemängelt. Haben Sie sich als eine Partei, die anderen den Spiegel vorhält, zu lange nicht mit den eigenen Problemen beschäftigt?

Der alte Artikel, um den es da geht und auf den sich viel bezogen wird, der müsste mittlerweile korrigiert werden. Da gab es zu viele Spekulationen, die sich nicht bewahrheitet haben. Mit unserem hohen Männeranteil liegen wir allerdings in extrem unappetitlicher Umgebung, FDP, CSU und AfD sind ähnlich strukturiert.

Woran liegt das?

Bei der Partei kommt es naturgemäß dadurch, dass wir eine Gründung aus dem Satiremagazin Titanic sind. Und da gab's früher einen Leserinnen-Anteil von rund 20 Prozent. Das erhöht sich gerade, genauso wie sich in der Partei der Frauenanteil erhöht.

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Was tun Sie denn, um das Problem Sexismus anzugehen?

Wir haben uns mit der Kritik auseinandergesetzt, haben eine fünfstellige Summe in Schulungen und in den Aufbau von Strukturen gesteckt. Übrigens stehen in Berlin drei Frauen vor mir auf der Liste fürs Abgeordnetenhaus.

Vor Kurzem forderte Ihr Kollege Marco Bülow eine ernsthafte Debatte über Sexismus und Rassismus in Ihrer Partei. Wie stehen Sie dazu?

Ja, natürlich muss man sich damit auseinandersetzen. Das gilt für jede Partei, sagt Marco ja auch. Als eine Hauptursache vieler Probleme sehe ich unser kaputtes Bildungssystem. Lassen Sie uns die 54 Milliarden, die wir Jahr für Jahr in Aufrüstung stecken, in Schulen und Universitäten stecken – ich wette, viele Probleme erledigen sich. Die Einführung eines Existenzmaximums würde eine Grundsicherung aller Menschen ermöglichen, sie von dem ganzen Hartz-IV-Schrott, den Demütigungen und dem psychischen Druck befreien. 70 Prozent der Europäer sind in Umfragen für ein bedingungsloses Grundeinkommen, nur die Politik interessiert es nicht. Ich ahne, dass eine wesentlich tolerantere und menschenfreundlichere Gesellschaft möglich ist. Eine mit mehr Medienkompetenz.

Wie meinen Sie das konkret?

Ich sehe im Netz, dass viele Menschen gar nicht mehr in der Lage sind, uneigentliches Sprechen zu verstehen. Aussagen werden eins zu eins gelesen, ohne ihren Sinn wirklich zu erfassen. Das erschwert die Produktion von Kunst, Satire, Ironie, Humor. Wir müssen auf jeden Fall in Medienkompetenz und in allgemeine Schulbildung investieren.

Damit ließe sich das Problem lösen?

Wenn ich an ein paar Milliarden in Bildung investiere, dann habe ich auf ganz vielen anderen Feldern viel weniger Probleme. Nur das müssen die Leute begreifen. Außerdem haben wir keine Bodenschätze, wir sollten die Köpfe unserer Kinder schon aus purem Eigennutz mehr schätzen. Leider ist Bildungspolitik nichts, was eine auf vier Jahre gewählte Regierung im Blick hat.

Hätten Sie einen Vorschlag zur Medienkompetenz?

Das ist jetzt natürlich zugespitzt: Aber früher gab es einen öffentlichen Marktplatz, auf dem die Bürger diskutiert haben. Heute haben wir einen öffentlichen Marktplatz im Netz, der vollends durchkommerzialisiert ist, er wird nach ökonomischen Gesichtspunkten gestaltet und ausgerichtet. Um mehr unserer persönlichen Daten abzusaugen und verkaufen zu können, werden negative Gefühle, Hass, Furcht, Hetze verstärkt. Die Blasenbildung wird verstärkt und die die offene Diskussion praktisch unterbunden. Wir fordern "Facebook fairstaatlichen!", das wäre ein guter Anfang.

Facebook verstaatlichen? Meinen Sie das ernst und wie stellen Sie sich das vor?

Wenn wir das nicht durchsetzen wollen, müssen wir halt eine eigene, öffentliche Plattform dagegensetzen. Aber mir reicht fürs Erste, wenn wir hier eine Diskussion anstoßen und Bewusstsein schaffen.

Haben es die Leute verlernt, die Meinung anderer auszuhalten?

Yep. Man ist heute gar nicht mehr in der Lage, eine andere Position auszuhalten, geschweige denn sich mit ihr auseinanderzusetzen. Wir haben gerade ein Buch geschrieben, "99 Ideen zur Wiederbelebung der politischen Utopie". In dem gibt es 99 kleine, zum Teil komische Gesellschaftskritiken in einer zeitgemäßen, kurzen Form. Da polemisieren wir auch dagegen, dass Menschen heute eigentlich wie Algorithmen funktionieren.

Das müssen Sie näher erläutern.

Wenn ich im Netz etwas sage und Reizwörter gebrauche, dann wird nicht mehr analysiert: Wer ist der Sprecher, was hat er für eine Geschichte, Position? Was ist seine Intention und Aussageabsicht? Und wie könnte das gemeint sein, was er sagt? Sondern es wird nur noch reflexhaft auf Signale reagiert. Und das ist ein fast algorithmisches Verhalten.

Zurück zur Bundestagswahl: In einem "FAZ"-Interview im August haben Sie gesagt, dass eigentlich keiner der Kandidaten wählbar sei. Wer ist für Sie das geringste Übel?

Annalena Baerbock. Ich glaube, dass Laschet und Scholz beide hervorragende CDU-Kanzler wären. Ich halte Scholz für etwas gefährlicher, weil der unter dem Deckmantel der SPD seine Arbeit führen würde. Und Laschet für den einen Hauch Harmloseren von beiden, auch wenn er moralisch nicht weniger bankrott ist.

Im Wahlkampf haben die Kandidaten zuweilen mehr auf den politischen Gegner eingedroschen als über Inhalte gesprochen. Wie haben Sie den Wahlkampf beobachtet?

Wir plakatieren seit 2011 "Inhalte überwinden". Eine Reaktion darauf, dass Inhalte praktisch keine Rolle mehr spielen im Wahlkampf. Und das ist ja von Wahl zu Wahl absurder geworden. Auch in den Triellen zeigt sich doch nur, wer sich am besten in einer Stresssituation vor einer Kamera verkaufen kann, und nicht, wer ein Land vernünftig führen kann.

Welche Themen haben gefehlt?

Bei der letzten Wahl haben wir viel Kritik bekommen für ein Plakat, auf dem wir das schreckliche Bild des jungen Alan Kurdi gezeigt haben, der tot angeschwemmt an einem Strand lag. Eins der furchtbarsten Bilder, das ich in meinem Leben gesehen habe. Dazu haben wir einen abgewandelten CDU-Slogan gesetzt: "Für einen Strand, an dem wir gut und gerne liegen". Wir müssen als Gesellschaft darüber diskutieren, ob und wie viele Menschen wir in Deutschland und der EU aufnehmen wollen. Und solche Diskussionen finden nicht statt.

Wir schotten uns ab und lassen die Leute im Mittelmeer verrecken – und es sind in diesem Jahr schon 56 Prozent mehr Menschen dort gestorben als im vergangenen Jahr, ohne dass es jemanden interessiert. Sind wir dafür, unseren Reichtum zu teilen, im Land und auch draußen mit der Welt? Wenn die Gesellschaft zu 60, 70 Prozent sagt, wir wollen lieber eine Mauer um Europa und Deutschland bauen, dann muss man das akzeptieren. Aber das muss thematisiert werden, darüber muss gestritten werden.

Welches Bild gibt es denn im Ausland ab, wenn im deutschen Wahlkampf nicht über europäische Probleme gesprochen wird?

Ich habe in meiner Rede zur Lage der Union gesagt, dass die ganze EU über Deutschland spricht, aber in Deutschland spricht niemand über die EU. Und tatsächlich: Es gibt keine fundierte EU-Kritik in Deutschland. Und es ist schade, dass den Idioten von AfD und FDP die Kritik an der EU überlassen wird. Oder an Bürgerrechtseinschränkungen.

Für die Lage der Union haben Sie in Ihrer Rede auch die Kanzlerin verantwortlich gemacht. Werden Sie Frau Merkel eigentlich vermissen?

Ich habe sie zwischenzeitlich mit Sympathie begleitet, weil sie uneitel und wenig aufgeregt agiert. Aber ich sehe, dass sie die EU hat laufen lassen. Und ich sehe, dass sie sich mit osteuropäischen Oligarchen eingelassen hat, um die Interessen deutscher Unternehmen zu sichern – weil wir die osteuropäischen Staaten als Verkaufsraum brauchten, als Reservoir an Arbeitern und Ärzten und als Möglichkeit, unsere Betriebe wie BMW, Bosch, Mercedes oder Audi da preisgünstig produzieren zu lassen, unter Zuständen, die in Deutschland nicht möglich wären. Sie hat ein System gefördert, das die EU wirklich an ihre Grenzen bringt. Und das ist ein Vorwurf, den man ihr machen muss. Vor zwei, drei Jahren hätte ich das Ganze wahrscheinlich noch positiver beantwortet. Mittlerweile sehe ich Merkel sehr kritisch.

Was erhoffen Sie sich denn von der Zeit nach der Ära Merkel. Können Scholz, Baerbock oder Laschet das Ruder rumreißen?

Nein. Wollen sie gar nicht. Ich erwarte keinen Bruch in der Bundespolitik. Wir kennen das aus der EU. Es gibt dann Green Deals. Da wird einfach ein grünes Etikett auf alles geklebt und dann wird weiter produziert, produziert, produziert.

Herr Sonneborn, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Martin Sonneborn am 21.09.2021
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