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Razzia gegen "Reichsbürger": Sie planten gewaltsames Eindringen in den Bundestag


Razzia gegen "Reichsbürger"
Terrorgruppe plante offenbar Sturm auf den Bundestag

Von dpa, cck, lw

Aktualisiert am 07.12.2022Lesedauer: 5 Min.
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Bundesweiter Einsatz: Polizisten nahmen 25 Personen fest, darunter ehemalige Elitesoldaten und eine AfD-Politikerin. (Quelle: reuters)
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Rechtsextreme Reichsbürger planten offenbar einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland. Der Generalbundesanwalt kündigte weitere Durchsuchungen an.

Sie sollen einen Umsturz geplant und dafür teilweise auch mit Waffen trainiert haben: Die Bundesanwaltschaft hat 25 Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene festnehmen lassen. Rund 3.000 Polizeibeamte seien am Mittwochmorgen in elf Bundesländern sowie in Österreich und Italien im Einsatz gewesen, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft.

Die terroristische Vereinigung habe die staatliche Ordnung in Deutschland stürzen und durch eine eigene ersetzen wollen, die in Grundzügen schon ausgearbeitet sei. Dafür hätte sie auch Tote in Kauf genommen.

19 der 25 am Mittwoch festgenommenen Verdächtigen sind inzwischen in Untersuchungshaft. Darüber hinaus gebe es 27 weitere Beschuldigte, sagte eine Polizeisprecherin. "Wir haben noch keinen Namen für diese Vereinigung", sagte sie.

Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, geht davon aus, dass sich nach der Großrazzia gegen eine Reichsbürgergruppe die Zahl der Beschuldigten noch erhöht. Münch sprach am Mittwochabend im ZDF-"heute journal" nach den 25 Festnahmen vom Mittwoch von 54 Beschuldigten und über 150 Durchsuchungen. Wahrscheinlich werde man weitere Beschuldigte feststellen und in den nächsten Tagen weitere Durchsuchungen durchführen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einem "Abgrund terroristischer Bedrohung". Die heute aufgedeckte mutmaßliche terroristische Vereinigung sei nach dem Stand der Ermittlungen "von gewaltsamen Umsturzfantasien und Verschwörungsideologien getrieben", sagte die Ministerin.

Justizminister Marco Buschmann (FDP) schrieb auf Twitter: "Demokratie ist wehrhaft: Seit heute Morgen findet ein großer Anti-Terror-Einsatz statt. Es besteht der Verdacht, dass ein bewaffneter Überfall auf Verfassungsorgane geplant war."

Ein Prinz und eine AfD-Abgeordnete unter den Festgenommenen

22 der Festgenommenen sollen nach Angaben der Polizei Mitglieder einer terroristischen Vereinigung sein, zwei davon Rädelsführer. Wie der Generalbundesanwalt Peter Frank am Mittwoch in einer Pressekonferenz mitteilte, zählt zu den Hauptverdächtigen Heinrich XIII. Prinz Reuß – er war bereits als Gefährder eingestuft.

Der 71-jährige Unternehmer aus Hessen, der ein Jagdschloss in Ostthüringen besitzen soll, und ein ehemaliger Fallschirmjäger-Kommandeur stehen im Verdacht, die Rädelsführer der mutmaßlichen Terrorgruppe gewesen zu sein, berichteten auch der "Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung". Der Generalbundesanwalt sagte, der Prinz sitze bereits in Untersuchungshaft, so wie sieben weitere Verdächtige.

Richterin, Sportschützin, Terrorverdächtige

Auch die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und heutige Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann soll zu den Festgenommenen gehören. Als frühere Abgeordnete verfügt sie über Ortskenntnisse im Bundestag, zudem soll sie als Sportschützin mehrere Schusswaffen besitzen, wie der "Spiegel" weiter berichtet. Der Generalbundesanwalt nannte Malsack-Winkemann in seinem Statement nicht namentlich, sagte aber, es sei eine ehemalige Bundestagsabgeordnete festgenommen worden.

Wie am Mittwochnachmittag bekannt wurde, ist Malsack-Winkemann nach ihrer Festnahme zunächst nicht mehr an aktuellen Entscheidungen des Landgerichts Berlin beteiligt. Die Juristin ist am Mittwoch aus der Zivilkammer 19a ausgeschieden, die für Bausachen zuständig ist, wie eine Sprecherin des Gerichts auf Anfrage mitteilte. Malsack-Winkemann ist damit vorerst nicht in aktuelle Verfahren eingebunden. Sie steht den Angaben zufolge aber weiterhin als Richterin zur Verfügung auf einer sogenannten Bereitschaftsliste.

Dass die ehemalige AfD-Abgeordnete unter den Verdächtigen sei, beunruhige sehr, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich (SPD). Malsack-Winkemann saß von 2017 bis 2021 für die AfD im Bundestag, im März 2022 kehrte sie in den Richterdienst zurück. Lesen Sie hier mehr dazu. "Wir werden alle Instrumente ausschöpfen, um die Beschuldigte vollständig aus dem Richterdienst zu entfernen", sagte Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke).

Durchsuchung bei KSK-Soldaten

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wurden zudem Haus und Dienstzimmer eines KSK-Soldaten durchsucht. Der aktive Soldat sei Angehöriger des Kommandos Spezialkräfte, es handele sich aber nicht um einen Kommandosoldaten, so der Bericht.

Hintergrund ist, dass in der Kaserne im baden-württembergischen Calw auch Teile der Logistik, Unterstützungskräfte und die Führung des Verbandes stationiert sind. Der Unteroffizier war in der Bundeswehr bereits als Impfgegner aufgefallen und später aus der Truppe heraus gemeldet worden.

Generalbundesanwalt Frank sagte dazu lediglich, einzelne Mitglieder der terroristischen Vereinigung seien in der Vergangenheit aktiv in der Bundeswehr gewesen.

"Reichsbürger"

Die sogenannten Reichsbürger lehnen die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland ab. Sie weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Viele stehen im Konflikt mit Behörden. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21.000 Anhänger zu.

Kontakt zu Russland aufgenommen?

Drei weitere Festgenommene gelten als Unterstützer. Darunter ist eine Russin, die Heinrich XIII. Prinz Reuß geholfen haben soll, Kontakt zu Vertretern der Russischen Föderation aufzunehmen. Es gibt laut der Mitteilung des Generalbundesanwalts jedoch keine Hinweise darauf, dass die Ansprechpartner auf das Ansinnen des Prinzen positiv reagiert hätten.

Die russische Botschaft in Berlin wies Verbindungen zurück. Die "russischen diplomatischen und konsularischen Büros in Deutschland unterhalten keine Kontakte zu Vertretern terroristischer Gruppen oder anderen illegalen Einheiten", zitierten russische Nachrichtenagenturen eine Erklärung der Botschaft.

Vereinigung gründet sich auf Verschwörungsmythen

Die Gruppe soll sich spätestens Ende November 2021 um Heinrich XIII. Prinz Reuß gegründet haben. Wie der Generalbundesanwalt Frank mitteilte, folgten die Mitglieder einem Konglomerat aus Verschwörungsmythen, darunter Narrative der Reichsbürgerszene sowie der QAnon-Ideologie (Was hinter dieser Ideologie steckt, lesen Sie hier).

Die Mitglieder seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten Deep States, eines "tiefen Staats", regiert werde, hieß es in einer Mitteilung der Bundesanwaltschaft. Der Begriff "tiefer Staat" wird in Verschwörungsmythen verwendet – dahinter versteckt sich die Idee, im Hintergrund von politischen Entscheidungen zögen geheime Mächte die Fäden.

Die Gruppe erwartete laut Mitteilung der Bundesanwaltschaft, dass eine "Allianz" sie befreie. Die Mitglieder haben darunter einen technisch überlegenen Geheimbund von Regierungen, Militärs und Nachrichtendiensten verschiedener Staaten – einschließlich Russlands und den USA – verstanden. Die Vereinigung sei fest davon ausgegangen, dass deren Angriff kurz bevorstehe.

"Systemwechsel auf allen Ebenen" geplant

Die Gruppierung sah es laut Generalbundesanwalt als ihre Aufgabe an, verbleibende Institutionen und Repräsentanten des Staates zu bekämpfen und die Macht der neuen Ordnung abzusichern. Dabei sollte der "militärische Arm" der Bewegung für einen "Systemwechsel auf allen Ebenen" sorgen, also die Elemente des Rechtsstaats auch in Gemeinden, Kreisen und Kommunen beseitigen.

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Dass es dabei zu Toten kommen werde, nehme die Vereinigung billigend in Kauf, hieß es weiter. Mehr dazu lesen Sie hier.

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Auch für die Zeit nach der Übernahme hatte die Gruppe bereits Pläne: Es sollte eine möglicherweise militärische Übergangregierung gebildet werden, die mit den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs über die neue staatliche Ordnung verhandeln sollte. Als zentralen Ansprechpartner sah die Gruppe Russland.

Der Generalbundesanwalt sagte, die Vereinigung sollte in verschiedene Ressorts eingeteilt werden – "wie das Kabinett eines Staates". Die Gruppierung habe sich zum "Ziel gesetzt, die bestehende staatliche Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung, unter Einsatz von Gewalt und militärischen Mitteln zu beseitigen", so Frank. Teil des Plans sei es auch gewesen, "gewaltsam in den Deutschen Bundestag einzudringen".

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In Italien Festgenommener ist Ex-Offizier

Bei dem Deutschen, der im Zuge der Anti-Terror-Maßnahme in der Nähe von Perugia in Italien festgenommen wurde, handelt es sich nach Angaben der italienischen Polizei um einen ehemaligen Offizier einer Bundeswehr-Spezialeinheit. Der 64-Jährige wurde demnach in einem Hotel in Ponte San Giovanni südöstlich der mittelitalienischen Stadt festgenommen. Derzeit liefen die Verfahren zur Auslieferung des Mannes, erklärte die Polizei am Mittwoch.

Den Einsatz leitete die Einheit für Terrorismus- und Extremismusbekämpfung. Zuvor hätten sich die Behörden mit den Ermittlern in Deutschland ausgetauscht, berichtete die italienische Polizei. Nachdem sie über den Aufenthalt des Mannes informiert worden seien, hätten sie ihn mehrere Tage lang observiert. Mit Ausstellung des europäischen Haftbefehls durch die deutschen Behörden verhafteten sie den Mann in der Nacht zu Mittwoch.

Festgenommene sollen noch am Mittwoch vernommen werden

Weitere Verdächtige seien in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen sowie eine Person in Österreich festgenommen worden. Durchsuchungen habe es darüber hinaus in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland gegeben.

Am Mittwoch und Donnerstag führt die Bundesanwaltschaft Vernehmungen durch, sagte Frank. Bei den Durchsuchungen sei umfangreiches Material sichergestellt worden.

Ausgangspunkt der Ermittlungen sollen Verbindungen von Mitgliedern der nun ausgehobenen Vereinigung zu Angehörigen der Gruppe "Vereinte Patrioten" sein, die im April festgenommen worden waren und wohl Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) entführen wollten. Hier lesen Sie mehr dazu.

Verwendete Quellen
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