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Mitarbeiter im Bundestag: Der gute Assad-Flüchtling der AfD


Mitarbeiter im Bundestag
Der gute Assad-Flüchtling der AfD

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 25.11.2020Lesedauer: 8 Min.
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Im Bundestag: Kevork Almassian, syrischer Flüchtling und Mitarbeiter des AfD-Abgeordneten Markus Frohnmaier, beantwortete Fragen von t-online.de und dem ARD-Politikmagazin "Kontraste".Vergrößern des Bildes
Im Bundestag: Kevork Almassian, syrischer Flüchtling und Mitarbeiter des AfD-Abgeordneten Markus Frohnmaier, beantwortete Fragen von t-online.de und dem ARD-Politikmagazin "Kontraste". (Quelle: Kontraste)

Markus Frohnmaier beschäftigt einen Flüchtling, der sich als Propaganda-Krieger für Syriens Regierung präsentiert. Recherchen von t-online.de und dem ARD-Politikmagazin Kontraste zeigen das vielleicht ungewöhnlichste Arbeitsverhältnis im Bundestag.

"Syrische Bürgerkriegsflüchtlinge haben es nicht leicht im Libanon": Dieser verständnisvolle Satz stammt vom AfD-Politiker Markus Frohnmaier. Wenn sich ein junger Mann in Beirut in den Flieger zu einer Konferenz in die Schweiz setzt und dann in Deutschland Asyl beantragt, ist das für Politiker der AfD eigentlich eher verstörend.

Dieser Flüchtling arbeitet aber heute im Büro des Bundestagsabgeordneten Frohnmaier. 2015 und 2016 fuhr er, in der Asylunterkunft lebend, zu Wahlkampfauftritten etwa mit Björn Höcke und warnte dort vor dem Großteil der anderen Flüchtlinge.

Bester Absolvent von Diplomatie-Studiengang

Frohnmaier-Mitarbeiter Kevork Almassian ist heute in sozialen Netzwerken eine der aktivsten Stimmen für das syrische Regime. Wie wird jemand, der nach AfD-Maßstäben eigentlich ein Wirtschaftsflüchtling ist, zum Mitarbeiter eines AfD-Rechtsauslegers?

Kevark Almassian ist eine große Karriere vorgezeichnet. 2005 nimmt er sein Studium "Diplomatie und Internationale Beziehung" auf. Er studiert an der Privat-Universität Kalamoon, die vom Sohn des Büroleiters des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad geführt wird.

Die Erwartung an Absolventen des Fachbereichs laut Internetseite: Sie "sollten in der Lage sein, nationale Anliegen und Interessen zu verteidigen" und "sich für die Erreichung nationaler und nationalstaatlicher Ziele einzusetzen". Almassian wird als Jahrgangsbester von der Uni gefördert nach Paris geschickt.

Er kehrt zurück und setzt sein Studium 2010 in Syriens Nachbarland Libanon fort. 2011 steht er auf der Teilnehmerliste einer mit hochrangigen Politikern besetzten Konferenz in Syrien – sein Professor habe ihn vorgeschlagen, sagt er auf Nachfrage. Als dann der Bürgerkrieg in Syrien ausbricht, habe er Vollzeit arbeiten müssen, um sein Leben zu finanzieren. Auch in seiner Heimatstadt Aleppo wird Mitte 2012 geschossen und gemordet.

Das Unternehmen seines Vaters sei zerbombt und sein heute in Armenien lebender Bruder gekidnappt worden – mit 12.000 Dollar Lösegeldforderung.

Fluchtgeschichte endete in Aleppo

So erzählt er es, und das ist gut möglich. Ein früherer Milizenführer aus Aleppo ist 2018 in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die Situation muss für viele Menschen schlimm gewesen sein.

Mit der Flucht seiner Familie in den Libanon endeten bisher regelmäßig seine öffentlichen Erzählungen zu den Gründen seiner Flucht. Für den Politikwissenschaftler Christian Thuselt vom Lehrstuhl für Politik und Gesellschaft des Nahen Ostens der Universität Erlangen ist unklar, warum die Familie nicht in Damaskus Schutz gesucht hat, sondern das Exil gewählt hat.

Zum anderen ist es erst Mitte 2012 und Almassian postet in der Folge Fotos von Weizenbier im deutschen Schnitzel-Restaurant in Beirut, aus dem Fitnessstudio und von sich im Pool. Er ist Moderator bei einem Fernsehsender, der der Hisbollah nahesteht und schreibt für eine Zeitung mit ähnlicher Ausrichtung. Dazu erstellt er 2015 für ein Unternehmen politische Analysen.

Nach zehn Tagen in Deutschland Asyl-Antrag gestellt

Dann soll er im Oktober 2015 von einer Konferenz in Zürich berichten, wird zum Asylbewerber in Deutschland und wählt die Nummer von Frohnmaier. Was ist passiert?

Almassian landet am 5. Oktober in Zürich. Er besucht eine Konferenz im Vier-Sterne-Hotel Mövenpick Regensdorf. Danach, so sagt er Kontraste und t-online.de, habe er sich in einen Bus nach Freiburg gesetzt. Zehn Tage lang habe er sich Deutschland angeschaut und dann beschlossen, um arbeiten zu können, hier Asyl zu beantragen. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle mit mehr als 10.000 Neuankömmlingen täglich steht er deshalb bei der Freiburger Polizei.

Wieso will er Asyl? Im Libanon habe sich die Situation für Syrer verschlechtert, sagt er "Kontraste" auf Nachfrage. Man habe ihm gesagt, qualifizierte Jobs wie seiner würden nun mit Libanesen besetzt werden. Er habe das zum Schein akzeptiert und weitergemacht. Doch man sei ihm auf die Schliche gekommen. Innerhalb von zwei Wochen hätte er das Land verlassen sollen.

Frohnmaier im Donbass kennengelernt

In Deutschland habe er da die besten Aussichten gesehen, auch weil sein Onkel in Hamburg lebt und er Leute kennt. Er hätte auch nach Schweden gehen können, sagt er. Doch: "Ich glaube das System und die Lebensweise in Deutschland, das passt zu mir.“

Es sei reiner Zufall gewesen, dass er unweit von Markus Frohnmeiers Wohnort untergebracht wird. Es ist kein Zufall, dass er bei Frohnmaier Hilfe sucht. Die Geschichte dieser Verbindung reicht bis mindestens 2013 zurück und sie führt über Syrien und über den Donbass – bis zu einem Frohnmaier-Vertrauten, der nach Vorwürfen gegen ihn wegen eines Brandanschlags nicht mehr im Bundestag arbeitet: Manuel Ochsenreiter. Über ihn will Almassian nicht sprechen.

Im Jahr 2013 finden sich zwei Texte über Almassian in der rechtsextremen Deutschen Militärzeitschrift, deren Chefredakteur Ochsenreiter war. Im Sommer 2014 sitzen Almassian und Ochsenreiter sogar bei Aleppo zusammen in einem Auto, das von Scharfschützen beschossen wird, berichtet Almassian mehrfach.

Im Mai 2015 sehen sie sich an einem anderen Konfliktherd wieder: In Donezk haben die pro-russischen Separatisten nach der Ausrufung der international nicht anerkannten Volksrepublik zu einer Konferenz geladen.

Bei der Konferenz sitzt Ochsenreiter in der ersten Reihe neben Frohnmaier. Nun lernen sich auch der damalige JA-Vorsitzende und Almassian kennen, berichten beide.

Erster Auftritt bei JA-Landeskongress

Ein halbes Jahr später, im Oktober 2015, ist Almassian in Deutschland angekommen und greift zum Hörer: Frohnmaiers Nummer. Dessen Tür steht weit offen. Es gibt ein Foto von Mitte November, wo beide in der Stuttgarter Kneipe "Sophia's" beim Bier sitzen.

Gut eine Woche später schon spricht Almassian mit Frohnmaier und Ochsenreiter beim Landeskongress der Jungen Alternative Berlin. Es ist für ihn der Auftakt zu einer Tour, die ihn nach einer von Frohnmaier organisierten "Konferenz zum Erhalt christlich-europäischer Werte" zu einigen AfD-Versammlungen vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg führen wird.

Zugleich organisierte er als Bewohner einer Unterkunft in den ersten Monaten eine Demo von Flüchtlingen maßgeblich mit. Zwischen Terminen auf AfD-Bühnen steht er vor dem Landratsamt Ludwigsburg und fordert die Zuständigen auf, sich um die Verfahren der Menschen zu kümmern. Damit habe er zur Befriedung in der Unterkunft beitragen wollen. Warten und Ungewissheit erhöhe Aggressivität, sagt er.

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Seine Auftritte bei der AfD fallen auf, im Netz wird er von Deutschen mit Fragen dazu konfrontiert. Er schließe sich keiner Partei an, antwortet er da, aber: "Jede politische Partei, die die syrische Armee unterstützt, verdient meine Unterstützung."

Zitat zu Propganda: "Übersetzungsfehler"

Es sind solche zugespitzten, kompromisslosen Äußerungen, die ihn als Assad-Sprachrohr erscheinen lassen. Er kämpfe nicht mit der Waffe für sein Land, erklärte er dem neurechten Magazin "Sezession". "In diesem Krieg brauchen wir jeden, der Fachkenntnisse irgendeiner Art hat, an seinem Platz", antwortete er. "Jemand muss auch Gegenpropaganda machen. Man dient Syrien, indem man die öffentliche Meinung im Ausland nicht den Feinden des Landes überlässt." Dieses Zitat "Jemand muss auch Gegenpropganda machen" wurde im Sommer 2020 in der "Sezession" korrigiert. Dort heißt es nun "Jemand muss der Propaganda begegnen". Die vorige Fassung sei durch einen Übersetzungsfehler bei der Übertragung der O-Ton-Aufnahme ins Schriftliche entstanden, so die "Sezession". Almassian stellt es auf Twitter so dar, dass er nur Propaganda entgegen treten wolle.*

Frohnmaier hatte auch mit der ersten Fassung keine Probleme: "Was Herr Almassian in seiner Freizeit macht, ist seine Privatangelegenheit, solange er keine Gesetze verletzt."

Almassian warnt bei einem seiner Auftritte in den Monaten nach seiner Einreise: 2019 werde es fünf Millionen Flüchtlinge geben. Die meisten davon seien Islamisten und würden sich nicht integrieren. Ob es denn erst ein Massaker an einem Bahnhof geben müsse, bis sich etwas ändere, sagt er. Das AfD-Publikum beklatscht solche Warnungen euphorisch.

Er sagt aber auch, was auch AfD-Politiker in der ersten Reihe regelmäßig offiziell betonen: "Grundsätzlich glaube ich, dass Deutschland den echten Flüchtlingen helfen sollte, denen, die vor dem Krieg in Syrien geflohen sind."

Drittstaatenregelung ist kein Thema

Er wird in der AfD zwar als Vorzeige-Flüchtling präsentiert, doch über die Umstände seiner Reise nach Deutschland wird nicht gesprochen. Niemand in der AfD erinnert in seinem Fall an die Drittstaatenregelung und fordert, ihn in die sichere und zuständige Schweiz zurückzuschicken.

Auch Frohnmaier scheinen Details hier nicht zu interessieren. Er bringt den Fall auf eine einfache Formel: "Herr Almassian ist asylberechtigt. Seine Familie ist armenischer Volkszugehörigkeit und christlichen Glaubens. Sie wurden Opfer islamistischer Gewalt."

Im Asylverfahren ist Almassian nach eigenen Angaben als Flüchtling anerkannt worden und darf aufgrund Artikel 25 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes befristet bleiben. Das bedeutet, dass er für die Behörden entweder Flüchtling nach der Genfer Konvention ist, der in seiner Heimat keine innerstaatliche Fluchtalternative hat oder internationalen subsidiären Schutz genießt, weil der Konflikt in seinem Heimatland Leben oder Unversehrtheit bedrohen.

In Deutschland Erfahrungen für Syrien sammeln

Er selbst sagt, dass 70 Prozent von Syrien heute sicher sei. Er wolle auch irgendwann zurück, um weiterzugeben, was er in Deutschland gelernt hat. Erst will er noch mehr aufnehmen, mehr mitnehmen können in die Heimat. Für Syrien könne er sich von den Abläufen im Bundestag viel abschauen.

Aktuell denkt er noch nicht an eine Rückkehr, zu der AfD-Politiker syrische Flüchtlinge häufig auffordern. Wenn solche Forderungen aus Deutschland in Syrien bekannt werden, gebe es dort in den sozialen Netzwerken Spott, behauptet er: "Nein, bitte behaltet sie. Sie sind gegangen, bye-bye." Geringschätzung und Abneigung für viele Flüchtlinge spricht aus vielen seiner Aussagen.

Der Aufstand gegen das Regime sei zu Beginn keiner von demokratischen Kräften gewesen, sagt er. Er hat das Thema zum Inhalt seiner in Deutschland abgeschlossenen Masterarbeit gemacht: "Die Anatomie von Syriens Revolution".

Bei Frohnmaier für Social Media zuständig

Almassian ist Teil einer Szene, die schnell "Lüge" ruft, wenn es Vorwürfe gegen das Regime gibt. Er selbst nannte einen Amnesty-Bericht über Massenhinrichtungen in syrischen Gefängnissen "armselige voreingenommene Propaganda".

Für den Erlanger Politikwissenschaftler Thuselt entspricht "eigentlich alles, was er sagt, durchgängig dem, was man auch in den staatlichen syrischen Medien und den Medienanstalten der Verbündeten der Regierung in Damaskus hören und sehen kann." Almassian nenne Syrien einen Rechtsstaat. "Das ist grotesk, wo wir ziemlich sicher wissen, dass diese Regierung zwischen 2011 und 2013 mindestens 6.800 Personen in ihren Haftanstalten zu Tode gefoltert hat."

Almassian sagt, er spreche mit seinem Arbeitgeber Frohnmaier über Syrien "nur privat". Dafür gebe es in der AfD andere Berater. Beschäftigt sei er bei dem Abgeordneten zur Analyse der Social-Media-Aktivitäten. Dazu liefere er für Postings Fotos und Videos. Mit der Stelle bei Frohnmaier liege er Deutschland nicht auf der Tasche, das sei ihm wichtig gewesen.

Videos sind auch sein tägliches Geschäft: Er hat in Deutschland im Januar 2017 einen englischsprachigen YouTube-Kanal "Syria Analysis" gestartet und bisher 28.000 Abonnenten gesammelt. Erst am Wochenende hat er in einem neuen Video den "unehrlichen Medien" gedankt, die ihm als "unabhängigem" Journalisten die Zuschauer zutreiben würden.

Anderthalb Stunden lang Fragen beantwortet

In einem anderthalbstündigen Gespräch im Bundestag beantwortet er Fragen von Kontraste und t-online.de geduldig und freundlich und gibt sich ausgewogen. Auch das Regime begehe Menschenrechtsverletzungen, räumt er ein. Aber die andere Seite auch und das würde im Westen nicht berichtet werden. Das war allerdings in der Berichterstattung sehr wohl wiederholt Thema.

Er weist zurück, dass er in Verbindung mit der Regierung stehe. Er kritisiere die Baath-Partei auch und sei nicht eingebunden in irgendwelche politischen Aktivitäten oder Projekte. Aber zu Stabilität und Sicherheit mit Assad gebe es keine absehbare Alternative.

Experte Thuselt sagt, dass Unterstützer der Assad-Regierung nicht zwingend Anhänger von dessen Partei sein müssten. Almassians Äußerungen deuteten auf Sympathie zur regierungstreuen Blockpartei Syrische Sozial-Nationale Partei. Er hält Almassian für einen "Aktivisten".

"Sprecht nicht von 'Rapefugees'"

Und Almassians Verhältnis zu der Partei, die sich in Deutschland "Alternative" nennt und mit flüchtlingsfeindlichen Aussagen auffällt? Der Syrer sagt, er kenne gar nicht viele Politiker. In einem Video appellierte er an rechtsgerichtete Politiker, allgemein nicht von "Rapefugees" zu sprechen.

In Deutschland gebe es viel Polarisierung, erklärt er Kontraste und t-online.de. "Die einen sagen 'Kein Mensch ist illegal', und die anderen sagen 'Alle sind illegal'. Können die Leute sich nicht in der Mitte treffen und sagen, es gibt gute und schlechte Menschen?"


Der "gute Flüchtling" der AfD hofft auf die unbefristete Aufenthaltserlaubnis im Juni, wenn er bis dahin auch den C1-Sprachtest erfolgreich absolviert hat. Job, Sprachkenntnisse, Integrationskurs – er bringe alles mit. In Deutschland ist er auch zum begeisterten Fotografen geworden, weil es ihm so gut gefällt. Er zeigt auf Instagram, dass er Weihnachtsmärkte mag, Karneval und deutsche Autos.

In weiteren zwei Jahren, da wolle er auch den deutschen Pass. "Mit dem syrischen kann man kaum irgendwohin reisen."

*Update, 25. November 2020: Diese Passage wurde nach einem Hinweis von Kevork Almassian auf die Korrektur in der "Sezession" ergänzt.

Das ARD-Politikmagazin Kontraste hat in seiner Sendung am Donnerstag, 28. Februar, über das Thema berichtet. Der Beitrag ist inzwischen nicht mehr abrufbar: Nach Ablauf bestimmter Verweildauern müssen die ARD und ZDF die meisten Beiträge in Internet-Angeboten offline nehmen.

Verwendete Quellen
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