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Anschlag in Hanau: Polizei stürmte Wohnung fünf Stunden nach erstem Schuss


Rechtsradikaler Anschlag in Hanau
Polizei stürmte Wohnung fünf Stunden nach erstem Schuss

Von dpa, pdi

Aktualisiert am 27.02.2020Lesedauer: 3 Min.
Einer der Tatorte in Hanau: Polizei und Rettungskräfte sind in der Nacht zum Donnerstag im Großeinsatz.Vergrößern des BildesEiner der Tatorte in Hanau: Polizei und Rettungskräfte sind in der Nacht zum Donnerstag im Großeinsatz. (Quelle: Boris Rössler/dpa-bilder)
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Bevor Tobias R. in Hanau ein Attentat verübte, wirkte er ganz ruhig. Dass die Polizei erst rund fünf Stunden, nachdem der erste Schuss fiel, in die Wohnung des mutmaßlichen Attentäters eindrang, wirft Fragen auf.

Der Todesschütze von Hanau war etwa eine Stunde vor Abgabe des ersten Schusses wegen Falschparkens kontrolliert worden. Wie Teilnehmer einer nicht öffentlichen Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestages am Donnerstag in Berlin berichteten, stand sein Auto in der Nähe des ersten Tatorts. Er habe bei der Kontrolle nicht aggressiv reagiert und sein Fahrzeug schließlich an einer anderen Stelle geparkt, erfuhren die Teilnehmer demnach von Generalbundesanwalt Peter Frank.

Hinweise über mögliche Mitwisser oder Unterstützer gebe es bislang nicht, berichteten die Abgeordneten. Allerdings warteten die Ermittler noch auf Auskünfte des FBI zu möglichen Kontakten von Tobias R. während einer Reise in die USA im November 2018.

Gezielt Menschen mit ausländischen Wurzeln als Opfer

Den Angaben zufolge erschoss der mutmaßliche Attentäter Tobias R. am Mittwoch vergangener Woche in der hessischen Stadt Hanau innerhalb von zwölf Minuten neun Menschen. Er suchte offensichtlich gezielt Menschen mit ausländischen Wurzeln als Opfer aus.

Die Abgeordneten berichteten unter Berufung auf Frank, der Attentäter habe um 21.58 Uhr zuerst einen Menschen auf der Straße erschossen. Dann sei er geflohen und habe unterwegs einen zweiten Menschen getötet, bevor er weiter zur Bar "Midnight" fuhr und dort vier Schüsse durch die Tür abgab. An diesem Tatort sei ein Mensch gestorben, hieß es. Als er weiterfuhr, tötete der Mann einen weiteren Menschen. Im Vorraum eines Kiosks habe er dann vier Menschen getötet. In der benachbarten "Arena Bar" gab es demnach einen Toten und mehrere Verletzte.

Um 22.10 Uhr sei der Todesschütze dann mit dem Auto zur Wohnung seiner Eltern gefahren. Dort soll sein Auto – nach Auswertung einer Videoaufnahme und Kennzeichenabfrage – um 23.10 Uhr festgestellt worden sein. Wie ein Abgeordneter berichtete, klingelte die Polizei erst – vergeblich – an der Tür. Dann sei eine Drohne losgeschickt worden, um durch das Fenster schauen zu können. Das Spezialeinsatzkommando sei um 3.03 Uhr in die Wohnung eingedrungen, berichteten mehrere Teilnehmer der Sitzung übereinstimmend.

Ihren Angaben zufolge lag die Mutter, die zuletzt pflegebedürftig gewesen war, tot im Wohnzimmer. Die Leiche von Tobias R. sei am Kellerabgang gefunden worden. Die Grünen fragten, warum es so lang gedauert habe, bis die Polizei zugriff.

Tobias R. besaß eine Waffenerlaubnis

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU), sagte, er sehe "eine ganz klare Mitverantwortung" der AfD für die rechtsextremistisch motivierten Anschläge der vergangenen Monate. Sie habe zu einer Radikalisierung in der Gesellschaft beigetragen und solle sich jetzt "nicht herausreden". Die Abgeordnete Martina Renner (Linke) gab der AfD und der islamfeindlichen Pegida-Bewegung aus Dresden eine Mitverantwortung. Sie hätten "die Opfer markiert", die dann von Neonazis und bewaffneten Rassisten ermordet worden seien.

Die Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen schrieb in einem am Donnerstag veröffentlichten Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), ein Viertel der Bevölkerung habe einen Migrationshintergrund und fürchte nun "um seine Unversehrtheit, um seine Zukunft und die seiner Kinder". Sie forderte mehr Teilhabe für Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Im Bundeskabinett sitze kein einziger Politiker, der eigene Erfahrungen mit Rassismus habe.

Der 43-jährige Tobias R. besaß eine Waffenerlaubnis. Abgeordnete der Union regten an, herauszufinden, ob die Vorschriften zur Überprüfung von Waffenbesitzern in den Ländern richtig umgesetzt werden. Vorher sei es nicht sinnvoll, über eine Verschärfung des Waffenrechts zu sprechen, sagte die Ausschussvorsitzende Andrea Lindholz (CSU).

Die Polizei fand nach Angaben von Teilnehmern der Sitzung drei Schusswaffen: Eine lag im Auto, eine bei der Leiche von Tobias R., eine weitere an einem anderen Ort in der Wohnung.

"Hohe Bedrohungslage" durch Rechtsextremismus

Die Abgeordneten erfuhren, der Todesschütze habe insgesamt 52 Schuss abgegeben. Im Wagen lagen noch 18 weitere Patronen. In einem Rucksack in seinem Zimmer fanden Ermittler demnach später noch 350 Patronen.

Tobias R. litt offensichtlich unter Wahnvorstellungen. Er hatte im November 2019 ein Schreiben an den Generalbundesanwalt geschickt, in dem er erklärte, er werde illegal überwacht. Die Anzeige lag t-online.de am Morgen nach dem Anschlag zunächst exklusiv vor. Einen Tag später bestätigte die Bundesanwaltschaft dann, das Dokument sei bei ihr eingegangen. Die Sitzung begann mit einer Gedenkminute für die Opfer des Anschlags. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte, es gebe aktuell eine "hohe Bedrohungslage" durch Rechtsextremismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. Er sei jetzt im Gespräch mit islamischen Gemeinden darüber, wie Moscheen am besten geschützt werden könnten.

Die Polizei stuft derzeit bundesweit 59 Menschen als rechtsextremistische Gefährder ein. Das sind Menschen, denen man eine schwere staatsgefährdende Straftat zutraut, bis hin zu einem Anschlag. Weitere 126 Menschen gelten als "relevante Personen" im rechtsextremen Spektrum.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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