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Vor den US-Wahlen: Donald Trump ist nicht so schlimm, wie viele denken


Vor den US-Wahlen
Donald Trump ist nicht so schlimm, wie viele denken

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 29.10.2020Lesedauer: 6 Min.
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Auf einer Wahlkampfverstanstaltung wirft Donald Trump einen Mund-Nasen-Schutz in die Menge: In sein Amt stolperte der US-Präsident beinahe versehentlich hinein.Vergrößern des Bildes
Auf einer Wahlkampfverstanstaltung wirft Donald Trump einen Mund-Nasen-Schutz in die Menge: In sein Amt stolperte der US-Präsident beinahe versehentlich hinein. (Quelle: Jonathan Ernst/reuters)

Donald Trump hat in den vergangenen Jahren viel Schaden hinterlassen. Das hat vor Augen geführt, wie zerbrechlich Demokratien sind. Doch Trumps Präsidentschaft zeigt noch etwas anderes.

Umfragen hin, Umfragen her: Am kommenden Dienstag wird Donald Trump abgewählt. Ja, Wahlumfragen in den USA sind notorisch unzuverlässig. Ja, Hillary Clinton galt bis zum Wahltag 2016 als unvermeidbare Siegerin der Präsidentschaftswahl. Und dennoch: Wenn Donald Trump mit all dem Wissen aus den vergangenen vier Jahren wiedergewählt werden würde, müssten wir uns darüber im Klaren werden, dass jeder – selbst ein Roboter, eine Fata Morgana oder eine Stoffpuppe – gewählt werden könnten. Das kann und will ich im 21. Jahrhundert einfach nicht glauben.


Manche halten Donald Trump für den unsympathischsten Menschen der Welt. Ich nicht. Das wäre zu viel der Ehre. Er ist in vier Jahren Rückschau so wenig greifbar wie Nebelschwaden. Trump steht für alles und nichts. Er hat wenig Prinzipien, und in der Folge wenig bis keine Skrupel. Sein Handeln ist Lichtjahre entfernt von strategischem Denken, es wird von Zufällen und Impulsen gesteuert.

Er stolpert einfach immer überall hinein, manchmal bewirkt er dabei durchaus Positives wie bei der Annäherung zwischen Israel und den arabischen Staaten, mal existenziell Negatives wie im Kampf gegen die Klimakrise. Bereits in sein Amt stolperte Donald Trump versehentlich und trotz eigenen Zutuns hinein. Noch im Sommer 2016 hätte er selbst keinen Cent darauf gegeben, tatsächlich Präsident zu werden.

Niemand mag ihn wirklich

Als Mensch ist Donald Trump eine tragische Figur, für die ich durchaus Sympathie empfinden kann. Niemand scheint den Menschen Donald Trump zu lieben, keiner bleibt lange in seiner Umgebung, alle sehen in ihm offenbar nur seine Funktion und ihren persönlichen Nutzen. Das ist traurig für ihn. Donald Trump ist aber kein Unmensch. Er verkörpert nicht etwa "das Böse" in der Welt – wie sollte er auch, wenn er für nichts steht? Als Mensch kann man ihm nur wünschen, ihm möge es gelingen, irgendwann die innerliche Ruhe zu finden, nach der sich jeder von uns sehnt.

Aber das Schicksal hat Donald Trump nun einmal Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden lassen, und als solcher wird er bewertet werden müssen. Um die Scherben aufzufegen, die er in allen Bereichen seines Wirkens hinterlassen hat, sind große Besen nötig. Amerika sollte dabei nur nicht den weitverbreiteten Fehler begehen, zu glauben, mit der Abwahl Donald Trumps und seiner Administration allein käme einfach alles wieder in Butter. Die Aufarbeitung seiner Amtszeit muss sich vielmehr von ihm als Menschen lösen – aus den besagten Gründen. Viel entscheidender sind – wie so oft in der Geschichte – all jene, die ihn erst zu dem gemacht haben, was er nicht ist.

Trump ist in erster Linie eine Projektionsfläche

Der Präsident Donald Trump ist zuerst und vor allem eine Projektionsfläche für seine Anhänger, die in ihm mal den Vorkämpfer der "weißen Vorherrschaft" sehen wie die Stephen Bannons des Landes, mal den QAnon-Helden wie die Roseanne Barrs, mal den Top-Geschäftsmann und Dealmaker wie die Peter Thiels. Nicht die Projektionsfläche ist dabei das primäre Problem, sondern exakt jene, die etwas darauf projizieren. Ins Zentrum von Kritik und Aufarbeitung gehört daher die „Republikanische Partei", die aus politischem Profitstreben alles mitgetragen hat, was von Donald Trump kam: vom Muslim Ban bis zur Ernennung Amy Barretts.

Ins Zentrum von Kritik und Aufarbeitung gehören auch die einfachen Leute, denen völlig egal ist, was der Mensch Donald Trump sagt, denkt oder tut. Nach vier Jahren Lügen ohne Grenzen wissen wir, der amtierende Präsident der USA könnte öffentlich ein Verbrechen begehen, sie würden ihn trotzdem wiederwählen. Warum tun sie das? Warum stehen sie so bedingungslos hinter einer Person? Nationen haben in der Geschichte oft genug den Fehler gemacht, nach politischen Katastrophen allein die Anführer zu Schuldigen zu erklären, und ihre willigen Helfer im Volk bei der Aufarbeitung außen vor zu lassen.

Andere Demokratien dürfen sich nicht in Sicherheit wiegen

Donald Trump wird für viele freiheitliche Staaten dieser Welt ein Lehrbeispiel sein, das verdeutlicht, wie wichtig es ist, um seine Demokratie zu kämpfen – egal wo auf der Welt. Demokratische Gesellschaften müssen wachsam sein und früh genug handeln, wenn jemand Hand an ihre Errungenschaften legt. In Polen oder Ungarn könnte es schon fast zu spät sein.


Antidemokratische Politik muss von Anfang an den Gegenwind der bürgerlichen und liberalen Kräfte erfahren. Sie sind dazu angehalten, entgegen ihrer instinktiven Überzeugung vom "Leben und Lebenlassen" aktiv zu werden. Wenn selbst das älteste durchgehend demokratische Land der Welt kippen kann, kann man sich nirgends in demokratischer Sicherheit fühlen.

Der Präsident Donald Trump, der "mächtigste Mann der Welt", ist in dieser Hinsicht der beste Lehrmeister gewesen. Seine Lektionen waren für uns zwar fürchterlich schmerzhaft, aber wenn wir daraus lernen, die Ideale der Freiheit und Gleichheit aller Menschen niemals preis zu geben, selbst mit jemandem wie ihm an der Spitze, dann hat seine Amtszeit am Ende etwas Gutes gehabt.

Frieden und Freiheit sind keine Selbstverständlichkeit

In der Geschichte der Menschheit ist das Verderben eine Konstante: die Abwesenheit von Frieden und Freiheit ist der Normalzustand der Welt. Deutschland lebt seit 1949 auf einer Insel der Glückseligen, historisch betrachtet ist das ein winziger Augenblick. Dieser Augenblick ist zerbrechlich und es hängt von uns ab, wie lange er währen wird. Auch hierfür hat uns Donald Trump eine Lektion hinterlassen. Er hat uns gelehrt, wie wichtig es ist, sich in andere Menschen hineinzuversetzen: einfach, weil er es nicht kann.

Erfolgreiche Gesellschaftspolitik im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens kann nur funktionieren, wenn ich in der Lage bin, Empathie für andere aufzubringen: Ich muss die weiße Mittelschicht in den USA, die sich nicht mehr wahrgenommen fühlt, ebenso ernst nehmen, wie die Gefühle von Afroamerikanern. Als Aserbaidschaner muss ich die existenziellen Ängste von Armeniern ebenso nachvollziehen können, wie als Israeli das Leid vieler Palästinenser. Die Belange von säkularen und konfessionslosen Deutschen sind nicht weniger wert als die von religiösen Menschen.

Viele Menschen wollen keine Nuancen zulassen

Zu viele Mitbürgerinnen und Mitbürger sind dazu leider nicht immer fähig – vor allem dann nicht, wenn sie selbst betroffen sind. Sie müssen es auch nicht sein. Viele Menschen haben, wie Erich Fromm einst lehrte, einen ausgeprägten autoritären Charakter. Das heißt: Sie wollen lieber befehlen und befehligt werden. Sie wollen schwarz oder weiß. Keine Nuancen. Keine Differenzierung. Entweder jemand ist für sie, oder jemand ist gegen sie. Darin liegt erst einmal keine negative oder positive Bewertung, sondern bloß eine Ist-Beschreibung.

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Daraus ergibt sich allerdings: In Demokratien sollten Menschen, die Verantwortung tragen, fähig sein, Empathie zu empfinden. Als Angela Merkel 2015 angesichts der Tränen der damals 13-jährigen Reem Sahwil begann, das Leid von Geflüchteten zu verstehen, zog sie sich zwar den abgrundtiefen Hass einiger zu, gewann dafür aber umso mehr Herzen in der Mitte der Gesellschaft: also dort, wo das Schicksal eines Landes bestimmt wird. Im 15. Jahr ihrer Amtszeit ist Angela Merkel nach wie vor die beliebteste Politikerin in Deutschland.

Einen historischen Irrtum können Demokratien verkraften

Wenn wir unsere Demokratie einmal verlieren, dann deshalb, weil wir es zuvor zugelassen haben, dass Vertreterinnen und Vertreter von Partikularinteressen die Mitte kapern können. Das Schicksal eines Landes wird nicht unbedingt mit dem Aufstieg einer Spalterin oder eines Spalters an die Macht besiegelt; ein historischer Irrtum wie die Wahl Donald Trumps kann passieren. Zu spät ist es erst, wenn wir die Gewählten im Amt gewähren ließen und nicht von Anfang an harte Opposition betreiben würden.

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Das allerwichtigste Instrument dafür ist die Meinungs- und Pressefreiheit. Auch wenn sie uns mitunter schmerzt, weil Äußerungen unseren eigenen Vorstellungen entgegenstehen, müssen wir sie jetzt und zu jeder Zeit immer verteidigen. Nur sie gibt uns die Möglichkeit, andere Meinungen und Haltungen der anderen zu attackieren.

Trumps Aufstieg bestärkte Populisten auf der ganzen Welt

Die Abwahl Donald Trumps in der kommenden Woche verspricht nun weltweit Rückenwind für weitere Aufgaben dieser Art. So wie er mit seinem Aufstieg einst Europas politische Landschaft beeinflusste (man denke an Brexit, AfD, FPÖ, PiS, Fidesz, Lega oder Front National) und im Rest der Welt autoritäre Bestrebungen bestärkte (man denke an Narendra Modi, Jair Bolsonaro, Rodrigo Duterte, Wladimir Putin, Xi Jinping, Recep Erdogan), dürfte die Besiegelung seines Abtritts nächste Woche eine äquivalente Wirkung entfalten.

Populisten schaffen mehr Probleme und weniger Sicherheit. Sollte dennoch der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass Donald Trump nicht abgewählt wird, dann... Nein! Darüber möchte ich jetzt nicht mehr nachdenken. Das müsste ich dann wohl nächste Woche an dieser Stelle tun.

Lamya Kaddor ist Deutsche mit syrischen Wurzeln. In ihrer Kolumne "Zwischentöne" analysiert die Islamwissenschaftlerin, Islamische Religionspädagogin und Publizistin, die Mitglied der Grünen ist, für t-online die Themen Islam und Migration. Die im Beitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorin wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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