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FDP-Politiker Lambsdorff über Afghanistan: "Dann droht Flüchtlingswelle wie 2015"


FDP-Politiker Graf Lambsdorff
"Man hat sich in falscher Sicherheit gewogen"

InterviewVon Tim Kummert

Aktualisiert am 16.08.2021Lesedauer: 3 Min.
Interview
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Pakistan: Menschen aus Afghanistan überqueren einen Grenzübergang, nachdem die Taliban die Macht im Land übernommen haben.Vergrößern des Bildes
Pakistan: Menschen aus Afghanistan überqueren einen Grenzübergang, nachdem die Taliban die Macht im Land übernommen haben. (Quelle: dpa)

Die Taliban sind wieder die Herren Kabuls. Aber wie konnte dies geschehen? Und was hat die Bundesregierung falsch gemacht? FDP-Außenexperte Alexander Graf Lambsdorff schätzt die Lage ein.

t-online: Graf Lambsdorff, mit der Machtübernahme der Taliban befinden sich afghanische Helfer der Bundeswehr jetzt in Lebensgefahr. Könnte die Bundesregierung die Schuld für den Tod von Zivilisten tragen?

Alexander Graf Lambsdorff: Das kann passieren, ja. Die afghanischen Ortskräfte wurden nicht rechtzeitig ausgeflogen, jetzt sind sie in Lebensgefahr, weil sie mit der Bundeswehr zusammengearbeitet haben. Das waren unsere Helfer! In diesen Stunden versuchen viele von ihnen, die letzten Flüge aus dem Land zu erreichen, damit sie nicht von den Taliban gefangen genommen werden.

Andere Länder fliegen bereits seit Tagen Menschen aus Afghanistan aus. Warum fängt Deutschland erst jetzt damit an?

Die Abstimmung zwischen dem Verteidigungs-, dem Außen- und dem Innenministerium war in den letzten Tagen geprägt von dem langsamem Mahlen der bürokratischen Mühlen. Da lief zu viel gegeneinander – und vor allem hat man sich in falscher Sicherheit gewogen.

Am vergangenen 9. Juni sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas noch, dass es "nicht die Grundlage" seiner Annahmen sei, dass die Taliban das "Zepter in der Hand" haben werden.

Doch genau das ist jetzt der Fall! Seit Februar 2020 wissen wir, dass der Abzug der Amerikaner bevorsteht. Wir wussten auch, dass die Bundeswehr nicht alleine im Land bleiben kann. Doch die Bundesregierung hat keinen geordneten Rückzug vorbereitet. Das Missmanagement beim Abzug der Bundeswehr beruht auf eklatanten Fehleinschätzungen von Herrn Maas, der Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Innenminister Horst Seehofer.

Müssen die Minister zurücktreten?

Ich will keine Rücktrittsforderungen aufstellen, solange noch die Evakuierungsmaßnahmen laufen. Es ist aber völlig klar, dass genau aufgearbeitet werden muss, was da alles schiefgelaufen ist, die Bundesregierung wirkt ja völlig überrumpelt.

Alexander Graf Lambsdorff, Jahrgang 1966, ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestags und stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion, für die er als Experte für Außen- und Sicherheitspolitik fungiert.

Wie konnten die Taliban das Land so schnell einnehmen?

Im Westen haben viele gedacht, dass Afghanistan ein Land ist wie Deutschland, Frankreich oder Kanada. Aber das stimmt nicht. Afghanistan ist dadurch geprägt, dass die Menschen sich zwar ihrer jeweiligen Volksgruppe verbunden fühlen, aber nicht dem gesamten Staat. Darum konnte kein wirklich funktionierender Staat aufgebaut werden und darum hat auch die Afghanische Nationalarmee so wenig Macht. Die Struktur des Staates brach nach dem Abzug der internationalen Sicherheitskräfte zusammen wie poröser Stein.

Hätte der Einsatz verlängert werden müssen?

Nein. Es ist nicht richtig, sich auf unbegrenzte Dauer in anderen Staaten einzumischen. Der Beginn des Einsatzes in Afghanistan war ausgelöst durch die Anschläge am 11. September 2001. Das war richtig, um den Terrorismus zurückzudrängen. Doch dann sollte das Land in eine moderne Nation verwandelt werden. Das war ein Fehler, denn an zu hohen Zielen scheiterten bereits 1842 die Briten, die Russen scheiterten daran in den Achtzigerjahren – und dieses Mal ging es wieder schief.

Was lässt sich daraus lernen für künftige Einsätze?

Militär kann nicht von außen einen Staat aufbauen, da müssen wir realistisch sein. Am Ende funktionieren solche Prozesse nur, wenn sie im Land selbst entwickelt und getragen werden – das muss man unterstützen.

Jetzt haben die Taliban die Macht übernommen. Wie sollte die internationale Gemeinschaft mit der neuen Regierung umgehen?

Es darf keine Zahlungen von Entwicklungs- und Aufbauhilfe an ein islamistisches Taliban-Regime geben. Selbstverständlich muss den Menschen humanitär geholfen werden, mit Essen und Medikamenten zum Beispiel. Aber den Islamisten an der Regierung beim Aufbau ihrer Macht zu helfen, kommt für die FDP nicht infrage.

Rechnen Sie in den nächsten Jahren mit einer Revolution der Bevölkerung?

Die Ausrüstung der Taliban reicht nahe an die Ausrüstung normaler Streitkräfte heran. Darum wird in absehbarer Zukunft eine Rebellion gegen die Terrormiliz kaum Aussichten auf Erfolg haben.

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Werden viele Afghanen das Land verlassen?

Es werden viele versuchen, ja. Deshalb muss das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen jetzt sofort gestärkt werden, damit es in den Nachbarstaaten Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan menschenwürdige Unterkünfte für die Geflüchteten gibt. Außerdem muss die Bundesregierung schnellstmöglich auch der Türkei helfen, wenn Menschen dort Unterkunft suchen. Wenn wir das nicht hinbekommen, dann droht eine neue Flüchtlingswelle wie 2015.

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass erneut Terrorgruppen in Afghanistan Fuß fassen?

Die Taliban haben den USA zugesagt, dass Afghanistan kein Rückzugsraum für solche Gruppen sein soll. Doch den Islamisten ist nicht zu trauen. Klar ist auch: Wenn sich der Terror wieder in das Land frisst, muss die internationale Gemeinschaft das notfalls wieder entschlossen bekämpfen. Aber ohne danach wieder zu versuchen, das gesamte Land stabilisieren zu wollen. Dieser Fehler darf sich nicht wiederholen.

Herr Graf Lambsdorff, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Alexander Graf Lambsdorff (FDP)
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