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Corona-Absurdistan Thüringen: Es kann niemand mehr kontrollieren


Corona-Absurdistan Thüringen
Und plötzlich kann es niemand mehr kontrollieren

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 30.03.2022Lesedauer: 5 Min.
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Karl Lauterbach: "Ich hoffe, dass die Länder jetzt aus der Schmollecke herauskommen."Vergrößern des Bildes
Karl Lauterbach: "Ich hoffe, dass die Länder jetzt aus der Schmollecke herauskommen." (Quelle: Christoph Soeder/dpa-bilder)

Die Bundesregierung hat die Verantwortung für die Corona-Politik auf die Länder abgeschoben. So richtig zufrieden ist damit gerade niemand. Doch nirgends ist die Situation so prekär wie in Thüringen.

Karl Lauterbach ist genervt. Da hängt er sich rein und ringt der FDP ein neues Infektionsschutzgesetz ab, das den Ländern weiterhin viele Möglichkeiten im Kampf gegen Corona geben soll. Da macht er und tut er also – und was machen die Länder? Sie kritisieren ihn auch noch dafür. Persönlich!

"Ich halte die Kritik für nicht angemessen", sagt Lauterbach am Montag, nachdem er sich mal wieder mit ihnen gestritten hat. Und wäre er nicht der Bundesgesundheitsminister, würden ihm wohl noch ganz andere Wörter einfallen. Für ihn ist die Sache klar: Was die Länder jetzt wollen, bundeseinheitliche Regeln nämlich, das funktioniere schlicht nicht mehr. Rein rechtlich, weil es keine bundeseinheitliche Überlastung des Gesundheitssystems mehr gebe.

"Ich hoffe", sagt Lauterbach deshalb in der ARD, "dass die Länder jetzt aus der Schmollecke herauskommen und mir helfen, dass wir die Regeln umsetzen."

Der gute Bund und die bösen Länder in der Schmollecke? Nun ja. Karl Lauterbach war offensichtlich länger nicht in Thüringen. Denn dort gibt es eine rot-rot-grüne Landesregierung, die die Corona-Einschränkungen unbedingt beibehalten will. Und die wohl trotzdem bald mit fast nichts dastehen wird.

Thüringen ist damit gewissermaßen das Corona-Absurdistan Deutschlands. Das Land zeigt, was passieren kann, wenn der Bund die Kontrolle über die Corona-Politik fast komplett abgibt. Im Zweifel hat dann nämlich niemand mehr die Kontrolle. Weil man sie nicht will, wie es in einigen Ländern der Fall ist. Oder weil man nicht so kann, wie man gern würde. So wie in Thüringen.

Kaum zu regieren

Thüringen ist eigentlich schon seit mehr als zwei Jahren kaum zu regieren. Damals, Ende 2019, wählten die Bürger ihr Parlament neu. Heraus kam ein Scherbenhaufen. Die amtierende Regierung aus Linkspartei, SPD und Grünen verlor ihre Mehrheit. Als sich der FDP-Politiker Thomas Kemmerich von CDU und AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ, war das Chaos perfekt.

Kemmerich musste schnell aufgeben, seitdem regiert der Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow einfach weiter – mit SPD und Grünen, aber ohne Mehrheit. Im Landtag ist die Regierung darauf angewiesen, sich für Gesetze die vier fehlenden Stimmen irgendwo anders herzuholen. Meist von der CDU, die mit der Linken eigentlich gar nichts zu tun haben will.

Das geht trotzdem manchmal gut. Doch diesmal scheint es schiefzugehen. Ausgerechnet in der Corona-Politik. Ausgerechnet jetzt, wo nur noch die Länder Einschränkungen beschließen können. Und ausgerechnet in einer schwierigen Phase der Pandemie, so sieht es jedenfalls die Regierung.

"Mitnichten vorbei"

"Die Pandemie ist mitnichten vorbei, im Gegenteil", sagt die Fraktionschefin der Grünen im Landtag, Astrid Rothe-Beinlich, t-online. "Viele Gesundheitsämter kommen bei den Fallzahlen gar nicht mehr hinterher, die Kliniken sind massiv überlastet, selbst einige Normalstationen."

Die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen will deshalb ja tun, was Karl Lauterbach jetzt auf allen Kanälen verlangt: das Land zum Hotspot erklären und dann möglichst viele Einschränkungen beibehalten. Die Maskenpflicht in Innenräumen etwa, 2G, 3G und verpflichtende Hygienekonzepte. Doch es gibt da ein Problem: Die CDU, die die Regierung für eine Mehrheit bräuchte, will genau das nicht.

Zweieinhalb Stunden saß man am Dienstag vergangener Woche zusammen: die Gesundheitsministerin von der Linken, Heike Werner, die Fraktionschefs und Parlamentarischen Geschäftsführer von Linken, SPD und Grünen sowie ihre Kollegen von der CDU. Doch es nützte nichts. Die CDU werde einen entsprechenden Antrag ablehnen, kündigte Fraktionschef Mario Voigt anschließend an.

Aus Sicht der CDU ist die Pandemie mit der Omikronvariante in einer neuen Phase angekommen, weil sie die Intensivstationen bei Weitem nicht mehr so belastet sieht wie mit Delta. "Wir setzen auf einen Dreiklang aus einem thüringenweiten Basisschutz, Eigenverantwortung und gegenseitiger Rücksichtnahme", sagt CDU-Fraktionschef Mario Voigt t-online.

Voigt fordert die Landesregierung deshalb auf, den Basisschutz auszuschöpfen, den das Infektionsschutzgesetz des Bundes bietet: eine Maskenpflicht in Krankenhäusern, Arztpraxen, Pflegeeinrichtungen sowie in Bus und Bahn. Und eine Testpflicht in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Schulen.

Eine "Lex Thüringen"

Tiefergreifende Einschränkungen? 2G, 3G, oder eine weitergehende Maskenpflicht? Das hält man bei der CDU nicht mehr für angemessen. Und ohne die CDU wird es mit einer Mehrheit dafür eben schwierig. Es gibt deshalb einen gewissen Frust in der Thüringer Koalition über den Bundesgesundheitsminister und die Ampelregierung in Berlin. Und manchmal hilft dagegen nur noch bitterer Humor.

"Ich sage mal halb im Scherz: Wann immer der Bund etwas bestimmt, was er in die Hände der Länder gibt, müsste er eigentlich gleich eine Ausnahme für Thüringen mitbeschließen", sagt SPD-Fraktionschef Matthias Hey t-online. "Eine Lex Thüringen, in der steht: Aber dort gilt weiterhin Folgendes."

Bei den Grünen sieht man das ganz ähnlich. "Es schmerzt ein wenig, die Tweets von Karl Lauterbach zu lesen, der den Ländern sagt, sie sollen doch jetzt bitte neue Regeln setzen", sagt Fraktionschefin Rothe-Beinlich. "Es hätte sehr geholfen, wenn der Bund das Infektionsschutzgesetz einfach verlängert hätte." Besonders Thüringen.

Doch es nützt ja nichts. Nur was jetzt?

Ein parlamentarischer Kniff

Am Donnerstag werden die Abgeordneten um 13 Uhr zu einer Sondersitzung im Erfurter Landtag zusammenkommen. Der einzige Tagesordnungspunkt: "Feststellung des Vorliegens einer konkreten Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage im Freistaat Thüringen gemäß § 28a Abs. 8 des Infektionsschutzgesetzes."

Sie haben sich etwas einfallen lassen in den Regierungsfraktionen, um die CDU vielleicht doch noch zu überzeugen. Zumindest einige von ihnen, 4 von 21 würden ja ausreichen für eine Mehrheit. Es ist ein parlamentarischer Kniff, von dem selbst erfahrene Abgeordnete sagen, so etwas noch nie erlebt zu haben.

Ihren ursprünglichen Antrag hat die Koalition in den vergangenen Tagen grundlegend überarbeitet. Eigentlich wollten Linke, SPD und Grüne den Landtag über die Einschränkungen im Paket abstimmen lassen. Die Entscheidung wäre gewesen: Ja zu Maskenpflicht, 3G, 2G und Hygienekonzepte – oder eben nicht.

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Doch in der Neufassung des Antrags, die t-online vorliegt, werden die Maßnahmen in insgesamt 21 Unterpunkte aufgeteilt. Ja oder Nein zu Hygienekonzepten? Ja oder Nein zur Maskenpflicht in Geschäften? Zur Maskenpflicht in Taxen und Reisebussen? Ja oder Nein zu 3G bei Veranstaltungen? Zu 3G in Gaststätten? In Fitnessstudios? Und zu 2G in Klubs?

Über jede der 21 Einschränkungen sollen die Abgeordneten einzeln abstimmen können. Wer also 3G in Gaststätten ablehnt, muss nicht automatisch auch gegen 3G in Fitnessstudios stimmen. Es ist ein unglaublich kleinteiliges Verfahren. Aber mit ihm hoffen die Koalitionäre, wenigstens irgendetwas beschließen zu können.

"Not macht erfinderisch", sagt Rothe-Beinlich von den Grünen. "Wir hoffen, dass wir mit unserem Antrag zumindest einige von der CDU überzeugen können." Alles, was über den Basisschutz des Bundes hinausgehe, sagt ihr SPD-Kollege Matthias Hey, "wäre in der derzeitigen Lage in Thüringen ein Gewinn". Man gehe ausdrücklich auf die CDU zu und sei kompromissbereit.

"Dann können wir nicht mehr viel machen"

Nur: Ob es etwas nutzt? "In Teilen der CDU-Fraktion gibt es durchaus Bewegung, einige scheinen für unsere Vorschläge offen zu sein", sagt Hey. "Aber ob sie am Ende auch wirklich weitere Maßnahmen mittragen, wird sich zeigen."

Ein bisschen Zeit, sie zu überzeugen, ist immerhin noch. Am Mittwoch treffen sich die Abgeordneten vormittags zu ihren Fraktionssitzungen. Dort wird auch die CDU noch mal über ihren Kurs sprechen. Allerdings hat sie das auch am Dienstagabend schon getan. Ihr Chef macht der Landesregierung deshalb auch keine großen Hoffnungen. "Wir sind gegen die rot-rot-grünen Pläne, ganz Thüringen zum Hotspot zu erklären", sagt er t-online.

Die alten Corona-Regeln jedenfalls laufen in Thüringen wie vielerorts in Deutschland am 2. April aus. Dann gilt höchstens noch der Basisschutz. Und dann? "Wenn die CDU sich komplett verweigert, sind uns die Hände gebunden", sagt Grünen-Fraktionschefin Rothe-Beinlich. "Dann können wir nicht mehr viel machen – außer an die Menschen zu appellieren, vorsichtig zu bleiben und Maske zu tragen."

So hatte Karl Lauterbach sich das wohl nicht vorgestellt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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