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"Montagsdemos" in Leipzig: Steht Deutschland vor einem Protest-Herbst?


"Montagsdemos" in Leipzig
"Die Linke ist naiv – oder völlig skrupellos"

  • Annika Leister
Von Annika Leister

Aktualisiert am 05.09.2022Lesedauer: 5 Min.
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Pyrotechnik brennt bei einer Demonstration in Leipzig im Herbst 2021: Bei Protesten in Leipzig kommt es oft zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. (Quelle: Aaron Karasek, Imago)

Die Linke ruft in Leipzig zu einer "Montagsdemo" auf. Rechtsextremisten freut das. Steht Deutschland vor einem Protest-Herbst?

Punkt 18.35 Uhr an diesem Montag wird die Demokratieglocke auf dem Leipziger Augustusplatz zwölfmal schlagen. So wie jeden Montag. Sie erinnert an den Beginn der friedlichen Revolution im Herbst 1989, als bei Montagsdemos auf Leipzigs größtem Platz Zehntausende DDR-Bürger Freiheit und Demokratie forderten.

An diesem Montagabend werden die Glockenschläge aber wohl untergehen. Nicht wenige befürchten sogar, dass das Erbe der friedlichen Revolution geschändet wird und eine neue Gefahr für die Demokratie entstehen könnte.

Denn gleich sieben Gruppen, von links bis rechtsextrem, versammeln ihre Anhänger in Leipzig, mehrere davon rufen unter dem Stichwort "Montagsdemonstration" zu den Protesten auf. Eigentlich steht diese Bezeichnung in direktem Zusammenhang zu 1989. Die Demonstranten von heute wollen alle gegen die Energie- und Sozialpolitik der Bundesregierung mobil machen.

Ein absurd anmutendes Szenario könnte sich am Augustusplatz abspielen: In einer Ecke will die Linke mit bis zu 4.000 Teilnehmern "Preise runter!" fordern. In der nächsten wird eine Gruppe nach "Freiheit für Deutschland" rufen. Und wiederum ein paar Meter weiter haben die rechtsextremen Freien Sachsen, die von Umsturzfantasien getrieben werden, eine Versammlung mit zehn Mann angemeldet.

Droht die Bildung einer neuen Querfront?

Für rechte bis rechtsextreme Gruppen ist die Instrumentalisierung der DDR-Protestkultur nichts Neues. Seit Jahren versuchen sie, ihren Veranstaltungen so Symbolcharakter und mehr Zulauf zu verschaffen – zuletzt mit den "Montagsspaziergängen" in der Corona-Pandemie.

Nun aber reiht sich mit dem Aufruf des Leipziger Linke-Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann auch eine linke demokratische Partei in das Spektrum jener ein, die aus der Erinnerungskultur Profit in der Gegenwart schlagen wollen. Pellmann ist Ostbeauftragter der Linken und ein enger Vertrauter der in ihrer eigenen Partei umstrittenen Linken-Ikone Sahra Wagenknecht.

Droht nun also eine neue Allianz zwischen Linken und Rechtsextremen, die sich aus altem Politikverdruss und neuer Energieangst nährt? Besteht gar die Gefahr von "Volksaufständen" und "sozialen Unruhen", vor denen Ministerinnen der Ampelkoalition seit Wochen warnen?

"Die Linke ist naiv oder völlig skrupellos"

Lauten Protest und Entsetzen löst der Aufruf der Linken bereits aus – und das nicht nur im politischen Berlin. Der populäre linke Klimaaktivist Tadzio Müller reagierte verständnislos: Das Label "Montagsdemos" sei mit "so viel brauner Scheiße verkrustet", dass die Gefahr zu groß sei, dass Menschen dort nach rechts abdrifteten, warnte er auf Twitter.

Etwas diplomatischer, aber nicht weniger hart im Inhalt formulieren es die Experten für Innenpolitik von Union und Grünen im Bundestag: "Der Zweck, vor sozialen Missständen zu warnen, heiligt nicht das Mittel einer indifferenten, nach weit rechts offenen Mobilisierungskampagne", sagt die Grünen-Politikerin Irene Mihalic t-online. Die Linke müsse sich sehr gut überlegen, wem sie so einen Resonanzboden schaffe.

Demonstrationen gegen die Politik der Regierung seien völlig legitim, sagt Andrea Lindholz, stellvertretende Fraktionschefin der Union, t-online. Die Linke aber stelle sich mit ihrem Aufruf zur "Montagsdemo" nun in eine Reihe mit Querdenkern und Rechtsextremen. "Die Linke ist entweder naiv oder völlig skrupellos", so Lindholz. "Unsere Sicherheitsbehörden müssen sehr genau im Blick behalten, welche neuen Allianzen sich dort bilden."

Die Rechtsextremen danken

Tatsächlich löst der Aufruf der Linken zur "Montagsdemo" vor allem bei einer Gruppe unverhohlene Freude aus: bei Rechtsextremen. Dort zeigt man sich dankbar, dass die Linke ein Deckmäntelchen liefert für die eigenen Träume vom Bürgerkrieg. In einem Video auf YouTube, in dem auch immer wieder Wagenknecht prominent eingeblendet wird, lobt Jürgen Elsässer, Chef des vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuften Compact-Magazins: "Das Regime wird sich schwertun, eine Demo, die von einem Linken organisiert wird, gleich in die Nazi-Ecke zu rücken."

Unter dem Video gibt es Hunderte positive Kommentare, etwa: "Da gibt es weder rechts noch links. Aufwachen heißt die Devise und Widerstand ist die erste Priorität." Oder: "Sahra Wagenknecht und Alice Weidel sind Klardenker und tapfere Frauen!" Berührungsängste zwischen links und rechts? Hier sind sie schon nicht mehr existent.

Rasch sprangen auch die Freien Sachsen, treibende Kraft hinter den Corona-Protesten und vom Verfassungsschutz ebenfalls als rechtsextremer Beobachtungsfall eingestuft, auf den Zug auf. Sie verbreiteten bereits am Donnerstag einen Demo-Aufruf, auf dem neben rechtsextremen Akteuren mit Gregor Gysi und Sören Pellmann auch Linken-Politiker aufgelistet wurden – zusammen mit dem Slogan "Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen". Ihre Kundgebung auf dem Augustusplatz meldeten sie bei der Leipziger Versammlungsbehörde unter dem Titel an: "Freie Sachsen unterstützen den Montagsprotest von Sören Pellmann und der Linken – Gemeinsam gegen die da oben".

Jetzt erst recht!

Nicht erst da wurde es einigen Linken flau im Magen. Die Partei hat viele ausgewiesene Experten für Rechtsextremismus in ihren Reihen, der Kampf gegen Fremdenhass und Nationalismus liegt eigentlich in der DNA der Partei, die Methoden der Extremisten sind nur zu gut bekannt. Umso vorhersehbarer war für viele der PR-Gau, den Pellmann mit seiner "Montagsdemo" für die ohnehin hart angeschlagene Partei heraufbeschwor.

Thüringens linker Ministerpräsident Bodo Ramelow, prominentester Gegner von Wagenknecht, distanzierte sich im Interview mit t-online deutlich von der gesamten Veranstaltung. Er habe mit der Organisation nichts zu tun. Auch in seinem Bundesland organisiert die Linke Proteste – allerdings nicht an einem Montag. "Rein historisch sollte man nicht – gerade in Leipzig – von 'Montagsdemos' reden", so Ramelow. "Schon gar nicht als Linker."

Eine andere Wirkung zeigte die Mobilisierung der Rechtsextremen im Wagenknecht-Lager der Linken. Bedenken, Zweifel? Fehlanzeige. Der Tenor lautet vielmehr: Jetzt erst recht.

Der Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali zum Beispiel erklärte im Gespräch mit dem ZDF, dass man den Rechten nicht einfach einen Wochentag zum Demonstrieren überlassen dürfe. Pellmann selbst teilte t-online mit, er leite rechtliche Schritte gegen die "Freien Sachsen" wegen des gefakten Demo-Aufrufs ein. "Ansonsten planen wir in aller Ruhe weiter und lassen uns von rechten Provokationsversuchen nicht ablenken."

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Protestforscher: Zerstrittenheit macht Linke anfällig

Der Leipziger Protestforscher Alexander Leistner sieht diese Haltung der Linken kritisch. Denn schon jetzt tauge ausgerechnet Deutschlands linkste Partei sehr viel besser als andere Parteien für die Vereinnahmung durch Rechtsextreme – besonders in dieser Krise. "Linksnationale und prorussische Positionen wie die von Sahra Wagenknecht haben extreme Reichweite und taugen gut zum Andocken für Rechtsextreme", sagt Leistner t-online.

Der Parteiführung der Linken gelinge es nicht, ihre Linie in der Öffentlichkeit gegen das Wagenknecht-Lager durchzusetzen. "Diese Zerstrittenheit geht tief, tiefer als in anderen Parteien – stärker als andere Parteien ist die Linke deswegen in Gefahr, instrumentalisiert zu werden." Ob sich die Protestmilieus aber tatsächlich mischen und Deutschland ein Herbst radikaler Proteste droht, das könnten erst die kommenden Demonstrationen zeigen.

Verfassungsschutz: Konfrontationen nicht ausgeschlossen

Die Sicherheitsbehörden jedenfalls sind alarmiert. Am Montagabend dürften deswegen auch Mitarbeiter des sächsischen Verfassungsschutzes in der Menge stehen. Neben der extremen Rechten und der nicht-extremistischen Linken werden Akteure aus der linksextremen Leipziger Szene und aus dem Phänomenbereich "verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" erwartet, sagt der Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes, Dirk-Martin Christian, t-online. "Konfrontationen sind aufgrund der unübersichtlichen Lage sowie der aktuell in den sozialen Medien erkennbaren hohen Emotionalisierung nicht ausgeschlossen."

Die von den Freien Sachsen erstmals suggerierte Querfront mit den Linken wertet Christian als reine "Wunschvorstellung" und Versuch, Demonstranten aus anderen Spektren "abzuschöpfen". Ob die Rechtsextremisten aber tatsächlich an ihre Mobilisierungserfolge aus der Corona-Zeit anknüpfen können, hänge von einer Reihe Faktoren ab – zum Beispiel von den Auswirkungen der Inflation und Energiekrise speziell auf mittlere und geringe Einkommensgruppen und der Wirkkraft des von der Bundespolitik am Sonntag verkündeten Entlastungspakets.

Der wirre Protestmontag in Leipzig ist also noch lange kein sicheres Zeichen für einen "heißen Herbst" oder einen "Wutwinter", wie ihn sich nicht nur Rechtsextreme wünschen. Sondern lediglich ein erster Tag der Entscheidung: darüber, wie es in Deutschland in den kommenden Monaten weitergeht. Und darüber, welchen Kurs die Linkspartei einschlägt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Anfrage an den sächsischen Verfassungsschutz
  • Gespräch mit Protestforscher Alexander Leistner
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